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ISSN 2195-3171

Katastrophen, 2011

Matthäus 12.38-42, verfasst von Wolfgang Petrak

 

Einige der Schriftgelehrten und Pharisäer sagten im Gespräch: Lehrer, wir möchten von dir ein Zeichen sehen. Er aber antwortete ihnen: Diese verdorbene und treulose Generation  strebt nach einem Zeichen. Aber das Zeichen wird ihm nicht gegeben werden, außer dem Zeichen Jonas, des Propheten. Wie nämlich Jona im Innersten des Ungeheuers drei Tage und drei Nächte war, so wird der Sohn des Menschen im Herzen der Erde drei Tage und drei Nächte sein. Die Männer aus Ninive, die nämlich auf die Verkündigung des Jona hin umgekehrt waren, werden erscheinen zum Gericht und endgültig verurteilen. Und seht, mehr als Jona ist hier. Die Königin des Südens, die von den Enden der Erde gekommen war, um die Weisheit Salomos zu hören,  wird erweckt werden zum Gericht über diese Generation und sie wird dieses endgültig verurteilen. Und seht, mehr als Salomo ist hier!

 

Liebe Gemeinde,

Was ist alles schon gesagt worden. Was mussten wir alles sehen. Es geht einem im Kopf herum, lässt die Gedanken kreisen, besetzt das schlagende Herz, ja es reicht noch tiefer. „ Es ist so tief unten, innen drinnen“,hatte sie gesagt. „Diese Bilder“.

Was zum Herrn alles gesagt wird. Und wie er antwortet. Und dabei war es zunächst so alltäglich gewesen, wohl nicht so wie ein Gespräch beim Stammtisch, sondern eher wie ein Diskurs im Gemeindehaus oder im sterilen Seminarraum.  „Gib uns ein Zeichen“, hatten sie gesagt und dabei gedacht, wie das so theoretisch sein könnte. Mit seiner Wahrheit. Und mit ihrer Sicherheit. Seine Antwort aber führt ins apokalyptische Gericht. Die Tiefen der Erde. Und ihre Enden. Das Ungeheure. Da treten sie auf, -sie, die sich entschlossen hatten, sich zu ändern; und auch sie, die eingenommen waren von einer Weisheit, die die Welt umgreifen könnte. Doch es ist nicht die Zeit des Verstehens, gar des Lobens. Sondern: Es wird angeklagt. Es wird gerichtet. Es bleibt offen. Und wer nach einem Zeichen sucht, um zu deuteln, zu fixieren und zugleich zu meinen, es könnte ja alles- irgendwie- unverbindlich sein, wird seiner Lust überführt und zugleich seiner zerstörerischen Macht.

Ich weiß nicht, wann das alles zum Herrn gesagt worden ist. Ich weiß auch nicht, was sein wird. Aber ich weiß, was wir alles gesagt haben. Am Freitag zum Beispiel, beim Essen. Dieses: „Hast du schon gehört. In Japan, ein Erdbeben. Es soll einen Tsunami gegeben haben. Dann ist der Strom für die Kühlung des AKW ausgefallen in“. Darauf Schweigen. Dann Versuche des Einordnens. Zugleich gab es ein Erschrecken, weil es doch erst vor wenigen Jahren, zu Weihnachten, diesen Tsunami gegeben hatte. Worte, die im Erinnern Zeichen der Beruhigung suchten, etwa so: „Jetzt gibt es aber doch neue Warnsysteme, in Japan besonders. Ach ja, Japan, wie haben die sich doch in den 70igern gegen die Atomkraft gewehrt. Ja, und weißt du noch, wie wir in der Zeit diesen Katastophenfilm gesehen haben, wie hieß er doch gleich? Ja, Gorzilla, mit dem schwappenden Wasser und den brechenden Mauern, bis er dann besiegt wurde. Und die Störfälle, o ja, ich weiß noch damals vor 25 Jahren, Tschernobyl. Wie wir im Laufe der Jahre demonstriert haben, die Energiewende eingeklagt haben. Wir waren in Brokdorf waren und in Wackersdorf. Später waren unsere Kinder in Gorleben. Heute die gelben Aufkleber auf den Autos sind verschwunden. Doch man sieht gottseidank überall Solaranlagen. Zeichen des Fortschritts? Die Bilder des Fernsehens am Wochenende werden darauf hin angesehen, ob es nicht  irgendwo Zeichen der Beruhigung zu entdecken gibt. Doch es ist nicht so. Es ist so furchtbar, was geschehen ist. Es ist so entsetzlich, was anscheinend am anderen Ende der Erde, aber genau in unserer Welt geschieht. Hereinbrechende Wogen, Autos vor sich hertreiben, Schiffe umdrehen, Häuser aus ihren Fundamenten reißen. Alles ist zu Schutt zusammen gepresst. Am Montag dann: die erste Explosion in Fukushima I, dann die zweite.  Wir essen vor dem Fernseher. Mit leerem Blick auf dem Trümmerfeld sagt der junge Mann, dessen Sprache ich nie verstehen werde, dass er keinen mehr hat, keine Familie, keine Verwandte, keine Freunde. Werde ich je das Ausmaß des Leidens verstehen? Da ist noch ein Bild: eine Hand, die aus den Trümmern ragt. Wir schweigen. „Es ist apokalyptisch“, sagt sie. „Ja“, sagt er, „weil wir nicht nach der Natur leben“. Wieder schweigen wir, sagen nichts zu den nichtssagenden Worten des Sprechers der japanischen Regierung, auch nichts zu der vielsagenden Ankündigung der Bundeskanzlerin zur Einberufung der Ministerpräsidentenkonferenz, um ein Moratorium der AKW-Laufzeitenverlängerung zu beraten, erst recht nichts über die Einlassung der Oppositionsvertreter, Recht gehabt zu haben, damals, als über das Verlängerungsgesetz abgestimmt worden ist. Es geht nicht um die Zeichen des Recht-Habens, sondern um die Anzeichen einer Katastrophe, die sich anscheinend durch nichts aufhalten lässt.

Was ist alles gesagt worden, beschwichtigend und beschönigend. Heute, am 6. Tag kündigt der Sprecher der Atomenergiesicherheitsbehörde an, dass versucht werden soll, eine provisorische Stromleitung aufzubauen, die dann die Möglichkeit eröffnet, Meerwasser zur Kühlung von Fukushima I heranzupumpen. Nachdem die Versuche, Wasserwerfer einzusetzen oder Meerwasser vom Hubschrauber aus einzubringen, gescheitert sind. Verzweifelte Versuche, verzweifelte Zeichen des Bemühens, die schon im Ansatz das Scheitern erahnen lassen, die aber eines voraussetzen, dass Menschen ihre Gesundheit, ihr Leben geben, um mit undenkbarer Anstrengung dem Unheil etwas entgegen zu setzen. „Keine Lüge mehr“, klagt die ZEIT ein und verlangt auf ihrer heutigen ersten Seite „einen neuen Blick auf die Welt“. Denn Apokalypse heißt Aufdeckung. Die bestehenden Zeichensysteme werden wie überkommene Bilderwelten, die eine Scheinsicherheit ausmalten, beiseite gelegt. Es ist eben so, dass die Kräfte der Natur nicht vollständig beherrschbar sind. Technischer Fortschritt keine absolute Sicherheit bedeutet. Es ist eben so, dass ein Restrisiko, und sei es nur noch so gering, Realität werden kann. Es ist eben auch so, dass wir alle an dem Verbrauch der Energie teilhaben und möglicht geringe Kosten einfordern, selbst wenn wir mal gelbe Aufkleber mit einer roten Sonne und schwarzer Schrift als Gesinnungszeichen auf dem Auto einher fuhren. Es ist eben so, dass das Wissen um die weltweiten Zusammenhänge unseres Verbrauchsinteresses und die Möglichkeit zur Entscheidung, anders zu leben, dem Zug der Königin von Saba mit ihrer ganzen Welt zur  Weisheit Salomos gleicht, aber auch denen von Ninive  vergleichbar ist. Wir haben die Möglichkeit der Entscheidung, zum gänzlich anderen Leben, oder zum Gericht. In Mitten der Bilder, in Mitten der Worte, in Mitten der Trauer und in Mitten der Angst gilt es, von unserer Schuld zu reden. Aufdecken, um umzukehren. Von unserer Schuld, die denen entspricht, die im Lehrgespräch Zeichen einforderten, um sich nicht nur vordergründig zu orientieren, sondern um so wie wir grundsätzlich alles handhabbar und benutzbar zu machen, die Welt und das beherrschende Verstehen, den Glauben und Gott.

Der japanische Theologie Kazo Kitamori konnte 1946 angesichts von Hiroshima und Nagasaki nicht anders als ganz menschlich vom Gottes  Zorn gegen den Sünder sprechen. Ihm steht  sein Schmerz der Vergebung gegenüber (K .Katumori, Theologie des Schmerzes Gottes, S. 37). So bleibt in dieser Spannung die Dimension der Liebe erhalten. Ob es das ist, was Jesus mit seiner Feststellung meint, die paradoxerweise alles offen lässt?

 Am Abgrund stehend kann davon gesprochen werden, wovon es keine Bilder gibt: in der Macht des Ungeheuers, in der ungeheuren Macht der Erde, in ihrer Tiefe birgt sich ein anderes Leben. Es leitet zur Umkehr und zur Weisheit, vielleicht auch zum Einklang mit der Natur. Es lässt am Ende vor allem erkennen, dass es mehr gibt, als das, was wir sind.

Wie es gemeint ist? Heute erhielten einige von uns diesen Brief von Elisabeth Huebler-Umemoto, Pastorin in Tokyo :

 

Liebe Geschwister an so vielen Orten!

Hier noch einmal eine Tagebuchnotiz aus Tokyo, gerne auch zum Weiterleiten.

Wir haben Strom, heute geht der Wind aufs Meer.

Heute Abend haben wir einen kurzen Gottesdienst in unserer Kirche.

6 Personen haben sich dazu angemeldet.

Dann schließen wir für 10 Tage.

Wir bangen, beten und hoffen weiter.

Aber wir sind und bleiben in Gottes Hand.

Amen.

 

Fürbittengebet aus Tokio

Gott, du hast die Welt geschaffen. Dafür waren wir immer dankbar.

Darauf haben wir immer vertraut, dass wir ein Teil deiner Schöpfung sind,

von dir gewollt und zu Gutem bestimmt.

Jetzt haben wir erlebt, dass deine Schöpfung auch ein anderes Gesicht hat,

wir haben erlebt, wie klein wir Menschen sind.

Manche von uns haben Stunden der Angst erlebt, Stunden der Unsicherheit

und Sorge. Die Menschen in der Erdbebenregion haben ihr Leben verloren,

ihre Angehörigen, ihre Existenz. Und der Schrecken ist noch nicht vorbei.

Das Kernkraftwerk Fukushima ist noch nicht sicher.

 

 

 



Pastor i.R. Wolfgang Petrak
Göttingen
E-Mail: w.petrak@gmx.de

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