Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Taufe, 2011

3. Nikodemus: Johannes 3,1-8 für den Sonntag Okuli, verfasst von Gottfried Brakemeier


Liebe Gemeinde!

Dass jemand bekennt, sich in einem bestimmten Augenblick wie neu geboren gefühlt zu haben, ist nicht ungewöhnlich. Sei es nach einem Autounfall, den man gegen alle Wahrscheinlichkeit mit nur wenigen Kratzern überstanden hat, sei es, dass einem das eigene Kind nach schwerer Krankheit erneut geschenkt worden ist, die Rede von der Wiedergeburt ist in solchen Fällen nachvollziehbar. Sie bringt zum Ausdruck, dass sich das Leben gewandelt hat. Dinge, die einem selbstverständlich erschienen, sind es plötzlich nicht mehr. Man lernt das Staunen, die Dankbarkeit, das Gespür für das Unverdiente und Wunderbare. Eine Wende ist eingetreten, die als nochmalige Chance begriffen werden will. Das Leben kann noch einmal beginnen. Etwas ist neu geworden.

Im Grunde aber ist Wiedergeburt etwas Unmögliches. Auf dieser banalen Wahrheit besteht auch Nikodemus. Als er Jesus in jener denkwürdigen Nacht aufsucht, dreht sich das Gespräch um eben dieses Thema. Wie es dazu gekommen ist, wird nicht gesagt. Wir hören nur, dass Nikodemus ein angesehener Gelehrter war, Pharisäer, Mitglied des Hohen Rates, ein Lehrer Israels. Die Neugier hat ihn zu Jesus getrieben. Und weil er seinen Besuch geheim halten will, besucht er ihn im Dunkel der Nacht. Normalerweise kommen die Leute zu ihm. Aber dieser Jesus von Nazareth ist kein Kunde, der sich Rat einholen will. Im Gegenteil! Er zieht die Menschen an, und sie laufen ihm nach. Nikodemus will das Geheimnis dieses Menschen ergründen. Er weiß von dessen Wundertaten, die ihn als Mann Gottes ausweisen. Das sagt er auch und ist gespannt, wie Jesus darauf reagiert.

Aber Jesus überrascht seinen Besucher. Er sagt: „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes eingehen." Hatte Nikodemus danach gefragt? Gewiss, auch ihm ging es von Anfang an um das Heil. Wenn man von jemandem sagt, dass er von Gott kommt, erwartet man von ihm Segen, Heilung, Lebenserfüllung, Ausweg aus Bedrängnissen, Aussicht auf Zukunft selbst über die Todesschranke hinaus. Aber anstatt zu sagen, ob er ein Heilsbringer ist, spricht Jesus von der Bedingung, die es zu erfüllen gilt, um am Heil teilzuhaben. Wer das Reich Gottes sehen will, muss von neuem geboren werden. Anders gesagt: Wer heil werden will, muss ein neuer Mensch werden.

Nikodemus hält das für unmöglich. Er denkt in biologischen Kategorien. Niemand ist zum zweiten Mal von seiner Mutter zur Welt gebracht worden. Das gibt es nicht. So weit hat es auch die Gentechnologie noch nicht gebracht. Allerdings verbirgt sich dahinter ein alter Menschheitstraum: Noch einmal jung sein, noch einmal die Chance haben, von vorne zu beginnen, natürlich mit den jetzigen Erkenntnissen. Wir sind schließlich klüger geworden. Das ist ein verlockender Gedanke. Man würde manches anders machen und die Chancen besser nutzen. Natürlich ist das reine Fiktion. Niemand kann das Rad der Geschichte zurückdrehen. Und trotzdem weiß ein jeder, dass der Mensch sich ändern muss. Ist der Mensch eine Fehlkonstruktion der Evolution? Angesichts der Torheiten und Verbrechen, die der Mensch in seiner Geschichte begangen hat und noch begeht, legt sich dieser Schluss nahe. Es gibt viele, die so denken. Der Mensch muss neu erfunden werden. Und wenn das nicht anders möglich ist, dann eben durch Genmanipulation. Jedenfalls, so wie er ist, darf er nicht bleiben.

Der Traum vom neuen Menschen ist uralt. Manchmal hat er Hochkonjunktur gehabt wie im Marxismus, manchmal hat man ihn begraben wie im augenblicklichen Kapitalismus, der die Raffgier hofiert. Angeblich soll der menschliche Egoismus etwas Gutes sein und am Ende der Gesellschaft als Ganzer Wohlstand bringen. Leider hat die Gier bislang nur Wirtschaftskrisen und soziale Ungleichheit erzeugt. Eben deshalb lebt der Traum vom neuen Menschen weiter, vielleicht unterschwellig, aber doch sehr kräftig. Wann wird die Menschheit endlich vernünftig, ordnet die privaten Interessen denen der Allgemeinheit unter, sorgt für Frieden, Gerechtigkeit und für eine auch in Zukunft bewohnbare Welt? Wann unternimmt sie die entscheidenden Schritte zur Bewahrung unseres Planeten vor Zerstörung und vermeidbaren Katastrophen?

Der Mensch muss wiedergeboren werden. So sagt es Jesus. Und sofern man das nicht missversteht, so wie Nikodemus das tut, hat diese Forderung durchaus Plausibilität. Der Mensch muss die Bestie in sich überwinden. Die ist in manchen Menschen besonders ausgeprägt. Wir haben es jetzt gerade wieder in Libyen erlebt und in Abgründe der Grausamkeit und Verblendung geschaut. Immer wieder gibt es Gründe zum Entsetzen über die Gräueltaten und die Dummheiten, zu denen Menschen fähig sind. Wie sagte der Dichter Gottfried Benn? „...die Krone der Schöpfung, der Mensch, das Schwein." Es gibt besonders abscheuliche Schweinehunde, und manche haben Geschichte gemacht. Aber gibt es Grund genug, nicht nur auf andere zu zeigen, sondern uns selbst an die Brust zu schlagen. Wir gehören ja zur selben Gattung. „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein", hat Jesus an anderer Stelle gesagt.

Nach christlicher Tradition geschieht die Wiedergeburt in der Taufe. So steht es hier. „Wenn jemand nicht durch Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen." Damit ist die Taufe gemeint, die deswegen auch das „Bad der Wiedergeburt" genannt wird (Titus 3,5). Das mag auf den ersten Blick enttäuschend sein. Wie kann dieser Ritus eine derartige Wirkung haben? Es erheben sich Einwände besonders angesichts der langen Tradition der Kindertaufe. Die Säuglinge nehmen ja die Taufe gar nicht wahr. Es wird an ihnen gehandelt, ohne ihre Meinung eingeholt zu haben. Wie will die Kirche es verantworten, den Kindern die Taufe einfach überzustülpen? Und selbst im Fall der Erwachsenentaufe bleibt der Zweifel, ob die Wiedergeburt denn tatsächlich stattgefunden hat. Woran will man das erkennen?

Das Unbehagen hat dazu geführt, dass man sozusagen eine zweite Taufe eingeführt hat, die Taufe mit dem Geist. Man hat unterscheiden wollen zwischen der Wasser- und der Geisttaufe. Meistens ist man nicht so weit gegangen und hat die Abschaffung der Wassertaufe gefordert. Aber man hat gemeint, sie ergänzen zu müssen. Die Taufe mit dem Geist müsse hinzukommen. Ohne Bekenntnis des eigenen Glaubens und ohne Anzeichen, vom Geist berührt zu sein, sei die Taufe nicht vollständig. Wer zum Reich Gottes gehören will, müsse charismatische Erfahrungen und Zeichen des neuen Lebens nachweisen. Wiedergeburt müsse sich in konkreter Lebensführung äußern. Gibt es zwei Taufen, die mit dem Wasser und die mit dem Geist?

Die frühe Christenheit hat das kategorisch abgelehnt. Bei der Taufe im Namen des dreieinigen Gottes ist der Heilige Geist immer dabei. Er wird ja ausdrücklich angerufen. Dabei ist es nicht unnütz, daran zu erinnern, dass Geborenwerden immer ein passives und unbewusstes Erlebnis ist. Niemand kann sich an seine Geburt erinnern, bei der die Mutter aktiv gewesen ist und nicht das Kind. So auch die Wiedergeburt. Wir werden wiedergeboren von Gott, dem Geist „von oben", wie es hier heißt. Das bedeutet nicht, dass wir passiv bleiben sollen. Wir sollen die uns geschenkte Wiedergeburt annehmen und sie aktiv gestalten, so wie das Leben, das wir unserer Mutter verdanken. Aus dem Lebensgeschenk folgt die Pflicht zur Lebensgestaltung. Das gilt auch für die Taufe.

Und was ist nach der Taufe anders? Ich würde so sagen: Wir haben eine neue Würde erhalten, die es uns erlaubt, Gott mit „Vater unser" anzurufen und damit auch als Mutter zu betrachten. Wir sind nicht mehr nur Kinder unserer leiblichen Eltern. Wir sind Gottes Kinder geworden, und zwar ohne unser Verdienst und Zutun. Gott hat uns die verlorene Kindschaft zurückgegeben. Dafür ist die Taufe das eindrückliche Zeichen. Natürlich hat Gott auch andere Mittel, um Menschen zu seinen Kindern zu berufen. Unser Taufen entscheidet nicht über die Seligkeit der Menschen. Das ist allein Gottes Sache, in der uns kein Urteil zusteht. Aber wir sind an die Taufe gewiesen als Ort, an dem unsere Zueignung an Gott geschieht. Gott legt seine Hand auf uns und erklärt uns zu seinem Eigentum. In Zukunft sollen wir so leben, wie es „Gotteskindern" zukommt.

Dafür brauchen wir den Beistand des Heiligen Geistes. Er wird uns in der Taufe zugesagt, und wir dürfen ihn kräftig beanspruchen. Freilich, der Geist äußert sich vornehmlich in ganz unspektakulären Dingen wie Liebe, Glaube, Hoffnung. Ob wir daran reich sind oder nicht, entscheidet über geistliches oder bloß vegetatives Leben. Wir bitten den Geist, er wolle unserer Schwachheit aufhelfen.

Amen!



Pastor Dr. Gottfried Brakemeier
Nova Petrópolis, RS, Brasilien
E-Mail: gbrakemeier@gmx.net

(zurück zum Seitenanfang)