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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2011

Johannistag, verfasst von Manfred Wussow

Joh. 3,22-30

Danach kam Jesus mit seinen Jüngern in das Land Judäa und blieb dort eine Weile mit ihnen und taufte. Johannes aber taufte auch noch in Änon, nahe bei Salim, denn es war da viel Wasser; und sie kamen und ließen sich taufen. Denn Johannes war noch nicht ins Gefängnis geworfen.

Da erhob sich ein Streit zwischen den Jüngern des Johannes und einem Juden über die Reinigung. Und sie kamen zu Johannes und sprachen zu ihm: Meister, der bei dir war jenseits des Jordans, von dem du Zeugnis gegeben hast, siehe, der tauft, und jedermann kommt zu ihm.

Johannes antwortete und sprach: Ein Mensch kann nichts nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist. Ihr selbst seid meine Zeugen, dass ich gesagt habe: Ich bin nicht der Christus, sondern vor ihm her gesandt. Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber, der dabeisteht und ihm zuhört, freut sich sehr über die Stimme des Bräutigams. Diese meine Freude ist nun erfüllt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.

 

Predigt

Spannung in der Luft

Sie kennen Anon, nahe bei Salim? Noch nie gehört? Macht nichts - viel interessanter ist, dass hier Welten auf einander stoßen. In der Einöde. Im Niemandsland. Die Geschichte ist schnell nacherzählt:

Johannes tauft. Wie schon seit langem. Er ist in der Gegend bekannt. Als Bußprediger. Eine markige Erscheinung. Jedenfalls hat sich ein Kreis um ihn gebildet. Er hat sogar Jünger. Menschen, die sich von ihm angezogen wissen, die seine Botschaft aufgesogen haben, die jetzt nichts auf ihn kommen lassen.

Mit Argusaugen machen sie ihren Meister darauf aufmerksam, dass sozusagen in der Nachbarschaft ein anderer in ihrem Teich fischt. Kein Unbekannter, kein Fremder. „Meister, der bei dir war jenseits des Jordan, von dem du Zeugnis gegeben hat, der tauft, und jedermann kommt zu ihm". Erstaunen? Entsetzen? Jedenfalls verräterisch:

Er war bei dir, du hast von ihm Zeugnis gegeben - aber jetzt kommt jedermann zu ihm. Sie wissen, von wem die Rede ist? Jesus! Jesus ist mit seinen Jüngern hier. Zwar nur auf Durchreise, aber immerhin: Er predigt, er tauft. Die Spannung liegt in der Luft. Jesus contra Johannes? Jünger gegen Jünger? Wort gegen Wort? Merkwürdigerweise bekommen wir nichts von Unterschieden mit. Liegt es womöglich nur an den „Meistern"? An ihrer Ausstrahlung, ihrer Aura? Oh, ich höre schon die Flöhe husten. Ich kenne viele Geschichten mit diesem Strickmuster - Geschichten, die nicht gut ausgehen.

Eine wahre Geschichte

Der Evangelist Johannes aber - nicht zu verwechseln mit dem Täufer gleichen Namens -

führt uns nach Anon, nahe bei Salim. Er deutet das Ende des Täufers an: Gefängnis - und Tod. Die Leser wissen schon! Manchmal reicht eine kleine Andeutung. Dann ist alles klar. Die Zeit Johannes und seiner Jünger läuft ab. Trotzdem lässt der Evangelist die Spannungen durchscheinen. Auch die Trennungen zwischen dem Täufer und Jesus, zwischen den Jüngern, zwischen den Fan-Gemeinden. Ganz behutsam wagt sich der Evangelist daran. Alles mag er nicht erzählen. Es reicht, hier und da anzutippen. Es reicht, Spuren zu legen. Es reicht, unterschiedliche Wege sichtbar zu machen.

Ich kenne die Versuchung, sozusagen hinter den Worten des Evangelisten die „wahre" Geschichte zu suchen. Alles, was mit Streit verbunden ist, interessiert die Leser. Manches muss sogar zu einem Streit gemacht werden, um wahrgenommen zu werden. Wir kennen die Spielarten und Kunststücke der Kommunikation. Aber als ob der Evangelist das geahnt hat: Er zeigt den Täufer in seiner größten Rolle - in der Rolle des Wegbereiters, des Gesandten. Diese Rolle hat er vielleicht nicht gesucht, aber gefunden. Diese Rolle war ihm nicht von Anfang an auf den Leib geschrieben, aber es wurde seine Paraderolle. Reden wir von Jesus, müssen wir auch von ihm reden. Alles andere als abfällig. Nennen wir ihn Vorläufer - schmälert das seinen Weg? Nimmt es seinen Worten das Gewicht? Lässt es sein Gesicht verblassen? Nein, die „wahre" Geschichte ist, dass Jesus sich von Johannes abnabeln muss (und Johannes von ihm!), um seinen eigenen Weg zu gehen. Der Evangelist hält fest:

„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, auf das alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben" (3,16).

Trotzdem: Es ist gut, auch Spannungen zu sehen, wo sich so viel Harmonie ausbreitet - oder auch so viel Harmonie erwartet wird. Schließlich wissen wir, wie unterschiedlich Wege sind - und auch sein dürfen. Abnabelungsprozesse kennen wir auch - jede, jeder von uns hat sie schon durchgemacht. Dass wir diese Seiten auch im Evangelium sehen - ein Glücksfall. Der Evangelist hat nicht alles verstecken können. Gut so. Wir brauchen auch Vorbilder. Wir brauchen Figuren, an denen wir uns abarbeiten können. Wir brauchen - Gesprächspartner.

In Anon, nahe bei Salim, sehen wir den Täufer in seiner großen Rolle. Wir hören ihn sagen:

„Ihr selbst seid meine Zeugen, dass ich gesagt habe: Ich bin nicht der Christus, sondern vor ihm her gesandt."

Ein wichtiger Punkt: vor - ihm - her - gesandt. Fragen wir dann, von wem gesandt, stoßen wir ständig darauf, dass es Gott ist, der für seinen Weg unter Menschen Boten braucht. Dabei kommen alte, älteste Versprechungen an ihr Ziel: Menschen werden getröstet und aufgefangen. Menschen bekommen einen Weg geschenkt. Menschen machen einen neuen Anfang. Die Herrschaft der Himmel ist nahe. Bereitet dem Herrn den Weg! Ursprünglich ist das sogar ein Wort aus der - Wüste.

Wachsen und Abnehmen

Über einen Satz im Evangelium habe ich mich sehr gefreut: „Diese meine Freude ist nun erfüllt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen." Wer ist „er"? Jesus. Der also, der gar nicht weit von der Stelle mit dem tiefen Wasser als Konkurrent des Täufers auftaucht - eine „Weile", wie der Evangelist weiß. Johannes wird klein. Johannes weiß das. Johannes bejaht das nicht nur - es muss so sein. Es muss für die Menschen so sein, für die Welt. In diesem „letzten" Wort verlässt Johannes der Täufer seine kleine Welt und steht ganz für Jesus ein.

Was macht einen Menschen groß? Dass er immer und ausschließlich an seiner eigenen Bedeutung arbeitet? Sich sonnt, um andere in den Schatten zu stellen? Sich hervortut, um niemanden neben sich zu dulden? Der Satz aus dem Mund des Täufers ist alles andere als fromm und gemütlich - er stürzt so ziemlich alles um, was wir in unserer kleinen Welt als Denkmäler, Statuen und Lebensläufe errichten. Andererseits: wir sehen hier einen Menschen, der frei wird. So frei, dass er „ja" sagt zu seinem Weg - und „ja" sagt zu dem Weg, den der andere gehen wird. Dass Jesus auf dem Weg zum Kreuz ist, wusste er da noch nicht. Erlebt hat er es auch nicht mehr. Vorher wurde er ins Gefängnis geworfen - und sein Kopf als Trophäe auf silbernem Tablett serviert.

Abnehmen ist ein Modewort. Wir reden von der Bikini-Figur, vom Waschbrettbauch. Wir möchten einem Ideal entsprechen, uns ein Ziel setzen - oder einfach nur: uns vorbereiten. Es gibt vieles, was uns - auch an uns - stört. Wir mögen uns nicht anschauen. Wir möchten anders sein.

In Anon, nahe bei Salim, werden wir zu Zeugen, was mit „Abnehmen" vor allem gemeint ist: Klein werden, um einen anderen groß zu machen. Und dabei durchaus zu wissen, einen Stab weiterzureichen.

Ach so, wenn wir schon einmal dabei sind, die großen Linien zu verknüpfen: Wissen Sie, warum wir diese Geschichte heute, am 24. Juni, hören? Zufällig? Aber: Ab heute werden die Tage wieder kürzer. Sie nehmen kontinuierlich ab. Am 24. Dezember aber werden wir Weihnachten feiern. Ab da werden die Tage wieder länger. Sie nehmen kontinuierlich zu. Ganz bewusst feiern wir die Geburt Jesu in der längsten und tiefsten Nacht, um in den heller werdenden Tag aufzubrechen. Darum müssen wir am 24. Juni dieses Wort hören: „Diese meine Freude ist nun erfüllt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen."

Wir nennen den Tag heute Johannistag. Es hat sich sogar viel Brauchtum um ihn herum entwickelt, regional sehr unterschiedlich. Viele Gemeinden, viele Kirchen heißen St. Johannis. An manchen Orten gibt es noch Johanniter. Und mancher Johannes feiert heute seinen Namenstag.

Ich werde jetzt erst einmal nachschauen, wo Anon nahe bei Salim ist. Dass in diesem Nest große Geschichte geschrieben wurde, ist mir bisher doch glatt durchgegangen!

Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre unsere Herzen und Sinne

in Christus Jesus,

unserem Herrn



Manfred Wussow
Aachen

E-Mail: M.Wussow@gmx.de

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