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ISSN 2195-3171

Kasualpredigten, 2011

Tauf- und Gemeindepredigt, Jes 41,13, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde!

Ich bin der Herr, dein Gott, der deine rechte Hand fasst und zu dir spricht: Fürchte dich nicht, ich helfe dir!“

Mit diesem Taufspruch haben wir gerade Lina auf den Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft. Damit ist das Kind in die christliche Gemeinde aufgenommen worden. So ist es zugleich ein weiteres Glied in der langen Geschichte unserer Kirche. Ja, darüber hinaus gehört auch ihre Vorgeschichte noch dazu, denn der Spruch stammt aus dem Alten Testament, aus dem Buch Jesaja. Der hat diesen Satz verkündet angesichts einer schwierigen Situation, in der sich das Volk Israel damals befand. Dessen Oberschicht war von den Babyloniern verschleppt worden, und es schien keine Aussicht zu bestehen, in die Heimat zurückzukehren. Offensichtlich fühlten die Menschen sich auch bedroht von den fremden Herren. Das ist der Grund dafür, dass es heißt: Fürchte dich nicht!

Auf die geschichtlichen Einzelheiten müssen wir jetzt nicht eingehen. Aber wichtig ist, dass wir das „Fürchte dich nicht!“ ernst nehmen. Einstweilen ist Lina noch keinen Gefahren ausgesetzt. Sie lebt im ungebrochenen Vertrauen zu ihren Eltern, sie wird mit allem versorgt, was sie braucht, und wenn sie Hunger hat, braucht sie sich nur zu melden. Aber so einfach wird es nicht bleiben. Schon wenn sie anfängt zu laufen, gibt es Gefahren. Da müssen die Eltern sie an die Hand nehmen, wenn sie über die Straße gehen wollen, um sie vor dem Verkehr zu schützen.

Das ist ein gutes Bild für das, was Gott für uns tut – nicht nur im Kindesalter, sondern lebenslang: „Ich bin der Herr, dein Gott, der deine rechte Hand fasst.“ Das Wort, das da im Hebräischen für „fassen“ steht, meint einen festen Griff, der nicht loslässt, keinen laschen Händedruck. Gott ergreift mit seiner Rechten die Rechte des Menschen. Das ist natürlich ein Bild, Gott ist ja nicht ein Mensch, der Hände aus Fleisch und Knochen hätte. Das Bild von der rechten Hand bedeutet: Wir können uns felsenfest auf das verlassen, was Gott da verspricht, so wie man sich in früheren Zeiten (jedenfalls im Normalfall) auf den Handschlag eines Menschen verlassen konnte, der eine vertragliche Abmachung besiegeln sollte.

Freilich verspricht uns Gott keine Idylle, kein Leben frei von Sorgen und Ängsten. Unsere Religion ist nicht weltfremd. Sie kann zwar durchaus aus der Dankbarkeit entstehen für die schönen Seiten des Lebens, für Freude und Frieden in der Familie und im ganzen Umkreis der Menschen, mit denen wir zu tun haben. Aber ihre eigentliche Bewährungsprobe muss die Religion, muss der Glaube regelmäßig dann bestehen, wenn wir an unsere Grenzen kommen. Das kann eine Krankheit sein, der wir, wie es scheint, schutzlos ausgeliefert sind. Oder ein anderer Mensch, der unser Vertrauen schrecklich enttäuscht hat. Oder auch das eigene Versagen, bis hin zu dem Gefühl, unser ganzes Leben sei vergeblich gewesen. Die Verzweiflung, in die wir dann geraten, mag bei verschiedenen Menschen unterschiedlich tief gehen, je nach Naturell und Temperament. Aber wohl jeder erwachsene Mensch kennt solche Phasen. Das kann so weit gehen, dass wir denken, Gott habe sein Versprechen gebrochen, oder er sei überhaupt nicht mehr da.

Es gibt also genügend Anlass für den Anruf: „Fürchte dich nicht!“ Das ist freilich nicht als Verbot gemeint. Es heißt nicht: Du darfst dich nicht fürchten – frei nach dem Motto: Reiß dich gefälligst zusammen. So etwas kann durchaus auch einmal nötig sein, aber als allgemeine Gebrauchsanweisung für echte Krisen taugt es kaum. „Fürchte dich nicht!“ als Anruf Gottes meint: Du brauchst dich nicht zu fürchten. Das gilt selbst dann, wenn wir das Gefühl haben, dass die Furcht uns geradezu auffrisst. Gott hält seine Hand auch dann über uns, wenn wir meinen, er habe sie endgültig abgezogen. Gott will uns vergeben, auch wenn wir meinen, unser Leben sei so verfahren, dass da nichts mehr zu vergeben sei. Das hat uns Gott durch Jesus zugesagt. Jesus ist für uns die Hand Gottes, die er zu uns ausstreckt und die unsere Rechte ergreift.

 

Das unseren Kindern zu vermitteln, also auch Lina, das ist christliche Erziehung. Es scheint nun so, als würde das eine ungeheure innere Anstrengung erfordern, Ja, auch dann, wenn alles seinen geordneten Gang geht und die Stimmung in der Familie einträchtig und liebevoll ist, scheint es oft nicht leicht zu sein, sich an Gottes Nähe zu halten. Denn dann kann einem das nur zu leicht ganz überflüssig vorkommen.

Es ist aber das Besondere an unserem christlichen Glauben, dass es gerade nicht die große innere Anstrengung ist, die ihn hervorbringt. Das steckt in dem Taufevangelium, das ich vorhin vorgelesen habe, wo Jesus sagt: „Lasst die Kinder zu mir kommen, denn solcher ist das Reich Gottes.“ Und weiter: „Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Das richtet sich an Erwachsene, also an Sie, die heute Ihr Kind zur Taufe gebracht haben, und genauso auch an uns andere. Natürlich wollte Jesus damit nicht sagen, dass wir kindisch bleiben oder werden sollten, dass wir all unsere Einsichten und Erfahrungen, unseren Willen und unsere Tatkraft über Bord werfen sollten. Völliger Unsinn, denn das alles ist ja für unsere Lebensführung unentbehrlich. Sondern er meinte damit: Mit all unseren körperlichen und geistigen Kräften, mit unserer Selbständigkeit als mündiger Bürger sollen und können wir uns letztlich genauso schlicht und unbedingt der Führung Gottes anvertrauen, wie ein kleines Kind das gegenüber seinen Eltern tut. Da tun wir nichts anderes als die Zuwendung Gottes dankbar entgegenzunehmen, ganz ohne irgendeinen Kraftakt - und  sogar dann, wenn unsere Lebenslage, menschlich gesehen, ganz dagegen spricht. Gerade so wird Ihnen die Kraft erwachsen, die Sie brauchen, um sich tatsächlich nicht zu fürchten.

Wenn es nun darum geht, dies einem anderen Menschen, insbesondere einem Kind, nahe zu bringen, dann geht das nicht nur und nicht einmal in erster Linie durch Belehrung. Die ist zwar auch nötig, denn ein stummes Beispiel, das die Quelle verschweigt, aus der es sich speist, kann leicht unverstanden bleiben. Aber die Hauptsache bleibt, dass Sie selbst mit Ihrem Kind aus der Kraft Gottes leben, in gesprochenem oder stummem Gebet, dass Sie also Ihr Kind an die Hand nehmen, so wie Gott uns alle an die Hand nimmt, mit festem Griff und dem göttlichen Versprechen: Du brauchst dich nicht zu fürchten, ich helfe dir. Auch wir anderen kennen ganz sicher Menschen, Kinder oder Erwachsene, die ganz ebenso darauf angewiesen sind, dass wir ihnen im Auftrag Gottes die Hand reichen. Gott fasst uns alle bei der rechten Hand, ohne Ausnahme. Lassen wir Seine Hand nicht fahren, sondern greifen wir zu. Denn nur dann kann aus unserem Leben etwas Gutes werden.

Amen.  

 



Prof.Dr. Dietz Lange
Göttingen
E-Mail: dietzlange@aol.com

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