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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: 1. Korinther 13, 2011

1. Korinther 13, 1-3, verfasst von Manfred Gerke

 

Auf dem Weg zum Himmel

Liebe Gemeinde, es waren einmal viele Tiere auf dem Weg zum Himmel. Ein Weiser mit dem gleichen Ziel schloss sich ihnen an und fragte sie nach ihrem Leben. Da zählte ein Fuchs seine Abenteu­er auf, ein Eichhörnchen berichtete von seinem beweglichen Dasein, eine Schleie schwamm ihr Leben in großen Zügen vor, ein Hahn tat sich wichtig mit seinen Pflichten, ein Re­genwurm murmelte dunkle Dinge, und ein Floh wusste viel Menschli­ches.

Als es aber an der Eidechse war zu reden, schwieg sie. Der Weise war­tete, die Eidechse schwieg, der Wei­se gab ihr gute Worte, die Eidechse schwieg, der Weise bot seine ganze Weisheit auf, die Eidechse schwieg noch immer. Schließlich, als sie schon dem Himmel nahe waren, züngelte sie ein bisschen, blinzelte einmal und sagte: „Ich habe mich gesonnt."

Klasse, diese Eidechse! Sie prahlt nicht. Sie erzählt nicht, was sie Besonderes geleistet hat. Sie sagt schlicht und einfach: Ich habe mich gesonnt.

So geht es doch vom Kindergarten bis zum Seniorenkreis: Jeder berichtet gern von dem, was er oder sie gut kann, was gelungen ist. Ist ja auch nicht schlimm. Warum sollen wir nicht auch ein bisschen stolz sein? Doch oft läuft es auf ein Vergleichen hinaus, ein Sich-messen, auf den großen Wettbewerb: Wer ist der Größte, der Beste, der Schnellste, der Klügste...?

Modellgemeinde Korinth

So war das auch in der Gemeinde in Korinth. Schade, dass wir da nicht Mäuschen spielen und so ein Stück Alltag live erleben können. Da war was los. Korinth, eine wichtige Hafenstadt, hier pulsierte das Leben. Menschen aus aller Welt.

Und eine christliche Gemeinde mit Format und Ausstrahlung. Sicherlich wenig Prominenz, viele Sklaven, Hafenarbeiter, Menschen aus unteren sozialen Schichten, aber Menschen, die begeistert waren vom neuen Glauben, sich anstecken ließen, mitmachten und besondere Gaben und Fähigkeiten entfalteten.

Kurzum, eine Gemeinde voller Leben. Und doch, wenn man hinter die Kulissen schaut, sieht man auch das eine oder andere: es gibt Streit, Rechthaberei und Konkurrenz. Nicht nur einzelne Verfehlungen. Selbst die Abendmahlsfeier, das Zentrum der Gemeinde, droht zu zerbrechen. Es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Und so entwirft der Apostel Paulus in seinem Brief den Traum von einer Gemeinde. Eine Gemeinde, die zusammenhält und zusammenpasst. Sie ist wie ein Leib mit vielen Organen und Gliedern - und alles gehört zusammen. Hier ist Platz für die einzelnen Gaben, hier im Leib Christi können sie sich entfalten.

Doch mitten in seinen Ausführungen hält Paulus inne und schreibt: „Aber ich will euch einen weitaus besseren Weg zeigen..." Und dann kommt's. Ich lese 1 Korinther 13,1-3:

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.

Christen mit Format

Da führt uns der Apostel Paulus gestandene Größen aus der jungen Christenheit vor Augen, Menschen mit besonderen Gaben und Fähigkeiten, bestaunt, bewundert, geachtet. Menschen, die sich verdient gemacht haben. Schauen wir sie uns einmal genauer an.

Da ist einer, der redet mit Menschen- und mit Engelzungen, nicht irgendwo, sondern im Gottesdienst. Der hat die besondere Gabe des Zungenredens. Die stand in Korinth hoch im Kurs. Für uns ist das eher fremd. Heute wird nur noch in manchen charismatischen Gemeinden in Zungen geredet.

Auch Paulus selbst beurteilt das eher kritisch. Denn wer in Zungen rede, den könne man nicht verstehen, der rede in Geheimnissen. Für Menschen, die neu in die Gemeinde kommen, wirke das eher abstoßend. Er, Paulus, könne zwar auch in Zungen reden, bevorzuge aber lieber die verständliche Sprache.

Also, da ist einer, der redet mit Menschen- und Engelzungen. Paulus kannte sicherlich noch nicht den Satz, dass Musik die Sprache der Engel sei. Aber vielleicht dachte er auch daran: da ist jemand so begabt, so talentiert, wenn der singt oder musiziert, dann spürt man Gottes Nähe.

Stark, solche Menschen! Und jetzt stellt sich dazu einer, der hat die besondere Gabe der Prophetie. Damit ist nicht unbedingt gemeint, dass jemand die Zukunft vorhersagen kann, sondern dass er die besondere Gabe der Predigt habe, dass er Menschen ansprechen, wachrütteln, ermuntern und stärken kann.

Paulus spricht nicht nur von irgendeinem Prediger. Sondern von einem, der Menschen in Bann zieht, sie fasziniert. Sie kommen von weit, um diesen Mann oder diese Frau zu hören und den Worten zu lauschen.

Gut, dass es solche Leute gibt! Und dazu tritt ein Dritter: Der weiß alle Geheimnisse und verfügt über tiefe Erkenntnis. Mit dem kann ich über Fragen des Glaubens und des Lebens reden. Der kann mir die Augen öffnen und Klarheit schenken. Ein Mensch mit Verstand, Einsicht und Horizont.

Und jetzt tritt dazu ein weiterer: der hat einen Glauben, der Berge versetzt. Der hat einen so starken Glauben, dass ihm Wundertaten nachgesagt werden. Der hat Zerstrittene versöhnt, Traurige aufgerichtet und Kranke geheilt.

Ich staune. Aber das ist noch lange nicht alles. Jetzt kommt einer, der gehörte zu den Reichen in der Gemeinde, der war anerkannt in der Gesellschaft und hatte es zu etwas gebracht. Und der hat alle seine Habe, seinen ganzen Besitz einfach verkauft und verteilt, hat Armen geholfen, Verwaiste unterstützt, Not gelindert. Was Jesus jenem jungen Mann sagte, hat er wörtlich umgesetzt: „Gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und dann komm und folge mir nach."

Ich werde immer kleiner. Doch Paulus setzt noch einen drauf, lässt als letztes jemand aufmarschieren, der verurteilt wurde - wegen seines Glaubens. Er hat nicht einen Augenblick gezögert. Als er vor dem Richter stand, ist er nicht zurückgewichen. „Jesus ist der Herr!" hat er bekannt, klar und deutlich. Das Urteil wird noch heute vollzogen: Tod auf dem Scheiterhaufen.

Da stehen sie vor uns, Menschen mit festem Glauben, mit besonderen Gaben, Menschen, die ihre Gemeinde gestärkt, die Gottesdienste bereichert, Kranke geheilt und Armen geholfen haben. Da stehen sie vor uns und Paulus sagt:

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.

Was für großartige Menschen werden uns vor Augen gestellt! Aber jedes Mal heißt es: ich, ich, ich. Seltsam, alle diese Gaben können sich verselbständigen, können hochmütig und selbstgerecht machen. Und deshalb jedes Mal am Ende ein vernichtendes Urteil: so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle - wie ein Gong, der zum Opfer ruft, oder die gellende Zimbel, die zusammenschlagenden Metallbecken. So wäre ich nichts! So wäre mir's nicht nütze.

Denn worauf es ankommt, das Entscheidende: das ist die Liebe. Nur die Liebe zählt! Sie ist das Pluszeichen, das allem anderen seinen Wert gibt. Und ohne diese Liebe ist alles, selbst der größte Glauben, selbst die aufopferndste Hilfeleistung nichts. Nur die Liebe zählt.

Liebe ist Macht

Was ist das für eine Macht: diese Liebe?! Ja, in der Tat, eine Macht! Davon singt auch Marius Müller-Westerhagen in seinem Song „Durch deine Liebe". Sie haben den Text vor sich. Wir wollen uns das Lied ganz anhören. Zum Schluss hat man den Eindruck, es sei zu Ende und es würde nur noch geklimpert. Doch achten Sie mal darauf, wie sich die Melodie verdichtet und was ganz am Ende kommt

Du machst Blinde sehn
Du machst Lahme gehn
Durch deine Liebe
Durch deine Liebe
Kann es geschehn

Machst aus Wasser Wein
Bist der Sonne Schein
Durch deine Liebe
Durch deine Liebe
Kann es so sein

Ich hab dich unterschätzt
Hielt dein Wort für Geschwätz
War schon zu oft verletzt
Zu oft verletzt
Durch deine Liebe

Durch deine Liebe
Durch deine Liebe
zu oft verletzt

Du küsst Tote wach
Du machst stark was schwach
Durch deine Liebe
Durch deine Liebe
Liebe ist Macht

Ich hab dich unterschätzt
Hielt dein Wort für Geschwätz
War schon zu oft verletzt
Zu oft verletzt
Durch deine Liebe

Durch deine Liebe
Durch deine Liebe
Tödlich verletzt

Liebe ist Macht
Liebe ist Macht

(aus Müller-Westernhagen, Radio Maria, Warner Music)

Liebe Gemeinde, wie ist es Ihnen ergangen mit dem Schluss? Haben Sie gespürt, wie es sich langsam zuspitzt, wie alles auf die letzten Worte hinausläuft, erst un­deutlich, leise, und dann vernehmbar: Liebe ist Macht! Liebe ist Macht!

Was für einen langen Atem diese Liebe hat! - Ein starker Song, der mehr ist als ein Lied. „Du" ist das erste Wort, diese Anrede, zu dem dann auch das „ich" kommt. Doch erst einmal das „du". Und es wird schnell deutlich, dass hier nicht irgendein Mensch gemeint ist.

Dass Blinde sehen, Lahme gehen, aus Wasser Wein wird, ja, dass Tote wach geküsst werden - das hören wir nur von einem. Da spüren wir diese Liebe. Liebe, die mehr ist als Ge­schwätz. Liebe, die zu ihrem Wort steht. Liebe, die es ernst meint. Liebe ist Macht. Und was für eine Macht!

Ja, so weit geht seine Liebe. Er lässt sich verletzen, tödlich verletzen. Ich weiß nicht, ob Müller-Westernhagen das auch so meint in seinem Lied. Doch anders kann ich es nicht verstehen. Sicherlich, manchmal tut auch er mir weh, doch es ist im­mer seine Liebe, die mich umfängt, die Liebe, die ihn bis in den Tod treibt, damit das Leben triumphiere, unser Leben für immer an seiner Seite.

„Bist der Sonne Schein", singt Müller-Westernhagen und fügt hinzu: „durch deine Liebe". Ja, wo er auftaucht, wo seine Liebe mächtig wird, da muss die Finsternis weichen, da wird es hell.

Geschenkte Liebe

Das haben Menschen immer wieder erlebt: der Lahme, der geht, der Blinde, der wieder sieht, die Freude über die Fülle des Weins und über den Toten, der von Jesus wach geküsst wurde. Liebe ist Macht!

Und das nicht nur damals. Wer sich von dieser Liebe an­stecken lässt, der erfährt sie, in dem wird diese Macht le­bendig. Paulo Coelho erzählt:

In Brasilia habe ich unlängst in einer Zeitung einen Be­richt über ein Kind gelesen, das von seinen Eltern brutal zusammengeschlagen wurde. Danach konnte es sich nicht mehr bewegen und auch nicht mehr hören und sprechen.

Im Krankenhaus wurde es von einer Krankenschwester gepflegt, die täglich „Ich hab dich lieb" zu ihm sagte. Ob­wohl die Ärzte ihr versicherten, es könne sie nicht hören, ihre Bemühungen seien nutzlos, sagte die Krankenschwester weiterhin täglich zu ihm: „Ich hab dich lieb, vergiss das nicht."

Drei Wochen später konnte sich das Kind wieder bewe­gen. Vier Wochen später konnte es wieder sprechen und lächeln. Die Krankenschwester hat nie Interviews gege­ben, und die Zeitung gab ihren Namen nicht preis - aber hier sei es noch einmal niedergeschrieben, damit wir es nie vergessen: Die Liebe heilt.

Ja, diese Liebe ist Macht, eine ganz besondere Macht. Der Apostel deutet das schon durch seine Wortwahl an. In der griechischen Sprache gibt es verschiedene Begriffe für „Liebe" mit unterschiedlichen Akzenten: Sympathie, Freundschaft, menschliches Wohlwollen, Eros.

Doch Paulus gebraucht das Wort „agape", typisch für das Neue Testament. Mit diesem Wort beschreibt er das unbegreifliche Wunder, dass Gott uns Menschen liebt, dass er Himmel und Erde in Bewegung setzt, damit wir Menschen leben können, nicht nur irgendwie, sondern an seiner Seite.

„Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin", so schreibt er im Römerbrief, „dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren." So beschenkt uns Gott, so überreich. So liebt er uns - ohne Grund, einfach so. Und von dieser Liebe kann uns nichts trennen.

Und um diese Liebe geht es hier. Eine Liebe, die verändert, umgestaltet. Eine Liebe, die uns nicht mehr „ich, ich, ich" sagen lässt, sondern „du". Eine Liebe, die aus vielen einzelnen kleinen und großen Gaben etwas Gemeinsames fügt. Eine Liebe, die mich nicht prahlen und angeben lässt, sondern mir hilft, meinen Platz zu finden - in der Gemeinde und in der Welt.

Nein, diese Liebe habe ich nicht aus mir selbst. Diese Liebe kann ich mir nur schenken lassen. Wie die Eidechse, die sich in die Sonne legt, bestrahlen lässt und aufgewärmt wird. Gottes Liebe ist wie die Sonne, die uns bestrahlt und aufwärmt.

Nur die Liebe zählt

Sie hieß Miriam, die Bitternis, aber sie war ein Sonnenschein. Sie war mit einem Down-Syndrom behindert, aber sie hatte mehr Herz und Gefühl als viele andere Menschen. Sie war klein im Wuchs, aber groß in der Zuneigung und Empfindsamkeit. Sie hatte ihre Gren­zen, aber sie hatte das Größte, was Menschen brauchen und erfah­ren: Sie wusste sich von Gott, ihren Eltern und Freunden wirklich ge­liebt. Sie wurde nur 21 Jahre alt, aber sie hat mehr gelebt als viele mit 91 Jahren. Ihr Leben war kurz, aber wesentlich, richtig und in­tensiv.

Ihre Lebensgeschichte war eine Erfolgsgeschichte besonderer Art: Sie konnte lesen und schreiben, musizieren und basteln, schwimmen und Rad fahren, Ski- und Rollschuhlaufen, in die Stadt fahren und ein­kaufen, sich behaupten und orientieren. Aber ihre Lebensgeschichte war noch mehr: eine Liebesgeschichte.

Auf einem großen Blatt Papier hatte sie - von 35 Herzen umrahmt - die Summe ihres Lebens aufgeschrieben: NUR DIE LIEBE ZÄHLT! Miriam schrieb mitten in die Herzen die Personen, denen ihre Liebe galt, ihren Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern - „Ich liebe meine Klassenkameraden, so wie die sind!" -und dazu das Wichtigste, was Menschen je wissen, sagen und weiter­geben können: „Nur die Liebe zählt!" Sie war ein krankes Kind und starb früh an einer Infektion, aber sie war erfüllt von der Liebe.

Hunderte Menschen zeigten bei der Trauerfeier, wie sehr sie Miri­am in ihr Herz geschlossen, wie viel sie mit ihr verloren und wie viel sie von ihr empfangen hatten: „Nur die Liebe zählt!"

Mirjam hat sich bescheinen lassen von der Sonne, beschenken lassen von der Liebe Gottes, jener Macht, die allen kleinen und großen Gaben oder Leistungen erst ihren Wert gibt.

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.

Nur die Liebe zählt. Amen.

 



Pastor und Präses des Synodalverbands Rheiderland der Evangelisch-reformierten Kirche Manfred Gerke
Stapelmoor
E-Mail: Gerke.Manfred@t-online.de

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