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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: 1. Korinther 13, 2011

1. Korinther 13, 4-7, verfasst von Eberhard Busch

 

 

Ein Text zum Staunen und zum Aufmerken, ein Text aufgeschrieben uns zum Trost und uns zur Freude, aber auch für uns zum Lernen und Einüben. Denn das, wovon der Text redet, kann man nicht von selber. Aber es kann eintreten: Mitten in einer trotz und in allem Religiösen menschenfeindlichen Welt blüht eine neue Welt, kommt hervor wie der Aufgang der Sonne nach langer, dunkler Nacht - eine Welt voll von Liebe, und sie ergreift uns. Es ist eine Liebe, die nicht weh tut, sondern jedermann gut tut. Es ist eine Liebe, die sich nicht in bloßen Worten erschöpft, sondern die in aufrichtenden und zurechthelfenden Taten besteht. Es ist nicht eine Liebe, die Liebe nur vortäuscht, sondern eine, die echt Liebe ist. Und sie ist Liebe nicht bloß in einem privaten Zirkel, sondern sie erneuert die Welt, so wie sie von Gott gewollt und von Gott geschaffen ist. Es ist eine Welt, in der nichts drin ist als Liebe, voll von Nähe Gottes und Menschlichkeit, eine Welt, in der der viel missbrauchte Begriff der Liebe zu einer eindeutig leuchtenden, beglückenden Wirklichkeit sein wird.

Wir hören heute auf den mittleren Abschnitt in dem Hohen Lied der Liebe des Paulus in 1. Korinther 13. Er nennt hier am Anfang des Abschnitts zwei Wesensmerkmale dieser wundervollen Liebe. Zunächst, sie hat einen langen Atem, der durchzuhalten vermag. Wörtlich: sie ist „langmütig". Gemeint ist keine Eselsgeduld, die blindlings alles hinnimmt und selbst Verkehrtheiten und Bosheiten ungerührt und unwidersprochen passieren lässt. Gemeint ist aber auch keine Liebe, die ein bloße Gefühlsaufwallung ist und die dann nach einer Weile wohl gar ins Gegenteil umkippt, keine Liebe, deren Licht bald einmal verlöscht und sich erschöpft. Es geht um eine Liebe, die die nicht loslässt, die sie liebt. Es geht um eine beharrliche Liebe, die auch bei widrigen Sturmwinden nicht aus der Fassung gerät. Sie ist langmütig.

Und sie ist „freundlich", so hören wir weiter. Das bezeichnet uns in der Zuwendung zu Anderen. Liebe ist die Eigenschaft eines Menschen, dem es nicht genug ist, in sich selbst gut zu sein. In ihr lebt der Mensch überhaupt so, dass er nachgerade darin aufgeht, über sich selbst hinauszugehen. Liebe ist ein Herauskommen und Heraustreten aus der Einsamkeit, in der ich für mich allein bin. In solcher Einsamkeit bin nur ich mir selbst der Nächste. In ihr bin ich des Anderen Feind oder ist er mir gleichgültig, nützlich nur, sofern er mir nützt. In der Liebe ist der Mensch vielmehr - eben freundlich. Freundlich ist er dann nicht bloß in seiner Gesinnung und in seinen guten Absichten, sondern in seiner Zuwendung zu bestimmten Anderen, in seiner Verbindung mit ihnen, in seiner Hingabe an sie - und zwar in der Hingabe an den Schöpfer und Geber aller Anderen und darum in der Hingabe an konkrete Mitmenschen neben uns. Freundlich ist er als Freund - als Gottesfreund und Menschenfreund. So, in der Zuwendung zu ihnen lebt er selbst, ist er selbst Mensch.

Doch nun stellen sich solcher Liebe Hindernisse quer in den Weg. Sie kann deswegen ins Stolpern und Trudeln geraten. Wir merken das daran, dass Paulus jetzt mitten in seinem Reden von der Liebe acht Mal hintereinander das Wort „nicht" bringt, und er zeigt damit an, was in der Liebe nicht geschehen darf und in der rechten Liebe auf keinen Fall geschieht. Wer in der Liebe lebt, hat offenbar zu begreifen: Wir haben uns in unserem zeitlichen Dasein wieder und wieder damit auseinander zu setzen, was die Liebe von vielen Seiten her bedroht, um sie zum Verlöschen zu bringen. Allerdings wird sie weithin so bedroht, dass sie zu scheinbar nur kleinen Abweichungen verlockt wird. Sie wird dabei anscheinend ja gar nicht bedroht, indem sie eingeklammert und eingeschränkt wird auf den privaten Raum und auf Mußestunden. Man spricht dann, vermutlich mit uns einleuchtenden Gründen: Nicht Liebe, sondern „Geld regiert die Welt" da draußen. Oder. „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil". Oder: „Wer nicht hören will, muss fühlen." Ist das Leben in der Liebe nicht gänzlich weltfremd, undurchführbar? Aber die von Paulus gepriesene Liebe lässt es sich nicht gefallen, sie aus unserem Alltag abzuschieben. Das achtmalige Nein richtet sich gegen solche Abschiebung.

Die Liebe setzt sich auseinander zunächst mit Lieblosigkeiten, wie sie vornehmlich uns selbst im Blut liegen. Es ist ja bei Fehlern allemal hilfreicher, zuerst vor der eigenen Türe zu wischen, statt vor den Türen Anderer. Also, hören wir gut zu: Die Liebe „eifert" nicht, das heißt: sie ist nicht bloß gutgemeint, aber in ihrem Gehabe arg kratzbürstig. Und sie treibt nicht „Mutwillen", will sagen: sie ist kein Verhalten, in dem ich mir meiner Vorzüge aufdringlich bewusst bin. Und weiter: sie „bläht" sich nicht auf; sie sucht nämlich die Anderen zur Geltung zu bringen und betrachtet dabei nicht heimlich sich selbst, wie gut sie damit dasteht. Und sie stellt sich nicht „ungebärdig", sie tut also nichts Unpassendes, stellt den Anderen, mit dem sie zu tun hat, nicht bloß, demütigt ihn nicht mit ihrem Liebesbeweis. Kurz: Sie sucht nicht das Ihre. Nachdem Paulus so vom Unrecht gesprochen hat, das ein Christenmensch auch selbst vollbringt, redet er von dem Unrecht, das er von Anderen zu erleiden hat und wohl besonders von denen, die sich selbst doch auch Christenmenschen nennen. Jawohl, gerade auch von ihnen kann ich schmerzliches Unrecht erfahren. Was tun in solcher Erfahrung? Dies, „die Liebe lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse in deren Taten ihnen nicht an." Ich lebe auch unter Christen nicht unter lauter Engeln. Ich lebe da unter solchen, die alle auch allzu offensichtlich der Vergebung ihrer Sünden bedürftig sind.

Zuletzt heißt es in der Reihe dieser Auseinandersetzungen: „Die Liebe freut sich nicht über Unrecht, sie freut sich aber über die Wahrheit." Verstehen wir jetzt unbedingt das Wichtige: Liebe ist keine Weichheit, die wohl oder übel Unrecht geschehen lässt. Liebe ist keine Schwäche, die Bosheit und Verkehrtheit nur so hinnimmt. Und Liebe ist nicht gleichgültig, wenn es Menschen nicht recht geht. Echte Liebe ist Liebe zur Gerechtigkeit. Es freut sie ganz und gar nicht, sie wird tief verletzt, wenn Erniedrigten und Beleidigten etwa nicht geholfen wird. Vielmehr - so fährt Paulus jetzt fort: Die Liebe „freut sich über die Wahrheit". Echte Liebe ist also zugleich Wahrheitsliebe und Wahrheit in Liebe. Wahrheitsliebe ist nötig, um Unrecht ans Licht zu bringen. Denn Unrecht sucht immer wieder sich zu verstecken, sich herauszureden. Und wenn es damit nicht klappt, sucht es Unrecht so umzudeuten, dass es als recht ausgegeben wird. Unrecht braucht die Lüge, um Anerkennung zu finden. Doch die Liebe hat keine Freude daran. Sie ist interessiert daran, dass das Unrecht wahrheitsgemäß aufgedeckt wird. Aber ihr geht es darum nicht in einer Lust zum Anklagen und Verurteilen. Ihr geht es darum in der Lust und im freundlichen Willen, Verkehrtes zurechtzubringen. - -

Wir hörten: in der rechten Liebe werden wir allemal in Auseinandersetzungen geraten. Aber nun sagt uns das Bibelwort sogleich auch dies: Wenn sie nur recht Liebe ist, werden wir in jedem Fall in solchen Auseinandersetzungen siegreich sein. Das ist gemeint mit dem, was Paulus sagt: „Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles." Aller Widerstand, aller Widerspruch, alle Widerlichkeit kann das Licht der Liebe nicht auslöschen. Das liegt nicht einfach auf der Hand. Es ist ja nicht bloß so, dass die Liebe sich auseinander zu setzen hat mit den mancherlei Gestalten von Lieblosigkeit. Es ist auch so, dass sich gegen die Liebe Mächte der Ablehnung und Zerstörung erheben. Sie schreien es nur manchmal ganz direkt heraus, aber in der Regel sagen sie es eher verhalten: Nein, Liebe kann oder darf nicht die Welt regieren! So sieht denn die „Macht der Liebe" weithin gar nicht machtvoll aus. Wo wir Liebe üben, da wird es daran nicht fehlen, dass wir einiges zu schlucken, wenn nicht gar zu leiden bekommen. Doch rechte Liebe lässt sich nicht unterkriegen. Sie siegt über solche Anfechtung und siegt auf ihre Weise: sie erträgt alles an Widerstand, sie duldet alles an Widerlichkeit, ohne den Glauben und die Hoffnung zu verlieren. Sie ist offenbar schwach, aber sie gibt nicht auf.

Sagen wir es jetzt direkt: Die Liebe siegt, weil nicht wir siegen, sondern der Eine siegt, der der Sieger ist. Nicht „ich" siege, sondern, wie der alte Satz lautet: veritas vincit, das heißt: die Wahrheit siegt. Und eben der siegt, der von sich gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit und das Leben" (Johannes 14,6). Er hat gesagt: „So wie mich Gott, der Vater, liebt, so liebe ich euch. Bleibet in meiner Liebe!" Seine Macht ist anders und verfährt anders als sonst alle Gewalten auf Erden. Seine Macht ist die Macht der Liebe. In ihr ist er den in unserer Welt herrschenden Gewalten scheinbar unterlegen. Aber in Wahrheit ist er in seiner Liebe allen überlegen. Denn in seiner Liebe erträgt er alles, glaubt er alles, hofft er alles und duldet alles. Und es kommt der Tag, an dem das ans Licht tritt, dass er in solcher Liebe stärker ist als alles Andere. Das ist so wahr, wie dem Karfreitag der Ostertag gefolgt ist. Indem wir dorthin blicken und daraus unsere Hoffnung schöpfen, nehmen wir teil an seinem Sieg. Damit haben auch wir in aller Bedrängnis einen längeren Atem als die, die sich sonst so in den Vordergrund drängen. Damit haben wir trotz all unserer Sünden einen festeren Boden unter den Füßen als die, die sich gegenwärtig auf die Reichtümer dieser Welt verlassen. Das stimmt, so wahr wir uns auf den verlassen, in dem der allmächtige Gott uns sein liebendes Herz aufgeschlossen hat.

Daraufhin heißt es jetzt in unserer Bibel: „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt" (1. Joh. 4,19). Und er hat nicht nur uns geliebt, sondern so wird es in der Bibel ja auch gesagt: „So sehr hat Gott diese Welt geliebt, dass er seinen Sohn gab, damit alle an ihn glauben und in ihm das Leben haben" (Joh. 3,16). Das bedeutet: Die Liebe Gottes zu uns kommt bei uns an nicht bloß wie ein Päckchen, das dann bei uns sozusagen als den Endverbrauchern liegen bleibt. Sondern Gottes Liebe ist die Kraft und die Weisung und die Befreiung, dass wir selbst aktiv tätig werden. Seine Liebe setzt uns instand zur Teilnahme an seiner Liebe zu allen Menschen, und sie gibt uns dabei die Kraft zu glauben, zu hoffen und zu dulden. Sie beruft uns zu Boten seines guten Willens. Sie sendet uns zu allen, die einen Gruß vom lieben Gott nötig haben - zu unseren Mitmenschen in der Nähe und in der Fremde. Hin zu ihnen mit einem solchen heilsamen Gruß in Worten und Taten, mit einem Gruß, der sie aufrichtet und auffrischt! Also: „Lasst uns lieben!" Wen? Wen denn nicht?



Prof. Dr. Eberhard Busch
Göttingen
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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