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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: 1. Korinther 13, 2011

1. Korinther 13, 4-7 , verfasst von Barbara Manterfeld-Wormit

 

Das Verhalten der Liebe

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht,

die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,

sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre,

sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,

sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit;

sie erträgt alles, sie hofft alles,

sie duldet alles.

 

Im Sommer dieses Jahres erschien in einer großen Berliner Tageszeitung folgende Traueranzeige für eine 31jährige junge Frau und Mutter:

Im Mai verließ unsere schwangere Bewohnerin zuversichtlich und fröhlich unser Frauenhaus, um trotz ihrer Erfahrungen einen Neubeginn mit ihrem Ehemann zu wagen. Vier Wochen später ermordete er sie auf grausame Weise. Unsere Gedanken sind bei ihren zwei kleinen Kindern und allen Menschen, die Ulrike ein besseres Leben wünschten."1

Unterzeichnet war die Anzeige vom Frauenhaus Bora, einer diakonischen Einrichtung in Berlin: Zufluchtsort für von häuslicher Gewalt bedrohte Frauen und Mädchen.

Liebe endet manchmal in der Katastrophe. Davon wissen Mitarbeiter von Frauenhäusern ein trauriges Lied zu singen. Oftmals besteht ihre mühevolle Arbeit darin, den Frauen endlich den gebeugten und Rücken und die gedemütigte Seele zu stärken, wenn es darum geht, sich eben nicht mehr alles gefallen zu lassen, nicht mehr alles - bis hin zu seelischen und körperlichen Grausamkeiten - zu dulden, in der irrigen, oft vom gewalttätigen Partner genährten Hoffnung, es werde bestimmt nie wieder vorkommen, er werde sich ab sofort ganz bestimmt ändern und sie nie wieder schlagen.

Der Mann von Ulrike hat sich nicht geändert. Nicht lange nach der Rückkehr seiner Frau verfiel er wieder in die alten Verhaltensmuster. Es kam zum Streit. Diesmal endete er nicht nur mit blauen Flecken und Blutergüssen. Der Mann griff zum Messer und verletzte die werdende Mutter tödlich.

Ein extremer Fall. Gewiss. Vielleicht auch kein Fall von Liebe, sondern von Hörigkeit. Doch was bringt einen Menschen dazu, so zu handeln, sich wieder und wieder der Gewalt und Erniedrigung auszusetzen und an die Liebe zu glauben wider besseren Wissens?

Liebe duldet alles" - Sätze wie dieser aus dem sogenannten Hohelied der Liebe haben sich tief in unser christliches Bewusstsein geprägt. Schon in der Alten Kirche wurden an die „rechte Liebe" übermenschlich hohe Maßstäbe gelegt. So kombinierte Ambrosius die Worte des Paulus, als wären sie noch nicht anspruchsvoll genug, mit denen aus der Bergpredigt Jesu:

Ist die Liebe geduldig, schuldet sie auch dem Geduld, der sie schlägt; ist sie gütig, darf sie die Schmähungen nicht erwidern; sucht sie nicht das Ihrige, darf sie dem, der sie beraubt, keinen Widerstand entgegensetzen; eifert sie nicht, darf sie den Feind nicht hassen."2

Auf dem Hintergrund solcher Verhaltensmaßregeln gedeihen Abhängigkeitsverhältnisse besonders gut. Sie finden ihren beängstigenden Niederschlag heute in zahlreichen, empörenden Fällen von Missbrauch und Mobbing in der Kirche. Sie begegnen uns in Filmen wie „Das weiße Band" oder „Fanny und Alexander", wo Kinderseelen erbarmungslos gequält und erniedrigt werden im Namen der vermeintlich christlichen Liebe - in Gestalt von brutalen und herzlosen Geistlichen.

Extreme Beispiele, gewiss. Aber sie zeigen, dass etwas ursprünglich gut Gemeintes im Laufe der Kirchengeschichte in Schieflage geraten ist, dass der Weg vom rechten Gebrauch der Liebe hin zum Missbrauch nicht weit ist. Sie zeigen, dass Verhaltensmaßregeln für die Liebe Menschenseelen nicht nur formen sondern auch deformieren können.

Was also ist wahre Liebe eines Christenmenschen und wie äußert sie sich? An dieser Stelle lohnt ein Blick, der weiter reicht, als bis zur Bergpredigt und paulinischem Hohelied der Liebe! Das fand sich ja zuallererst im Alten Testament. Und siehe da: Vor allen Verhaltensregeln, die Liebe festlegen wollen und in Formen pressen, darf sie dort das sein, was sie ihrem Wesen nach ist: Ein tiefes Gefühl, gesteuert nicht von der Vernunft, sondern von der Leidenschaft. Unvernünftig, verzweifelt, maßlos hin und wieder, niemals perfekt. Sie speist sich aus der Beziehung zu Gott. Und selbst er hält nicht ein, was Paulus an Verhaltensweisen aufzählt:

Gottes Liebe ist eine Liebe, die sich durchaus auch einmal verzehrt und eifersüchtig ist, die ungeduldig und zornig ist, wenn sie enttäuscht wird:

Der HERR, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer und ein eifernder Gott! (Dtn 4, 24).

Es ist eine Liebe, die - wie Paulus - nach Ausdrucksformen sucht. Im Verhältnis Gottes zu seinem auserwählten und geliebten Volk Israel ist es der Bund, der dieser Liebe Form gibt in Gestalt der Tora: Verhaltensmaßregeln, die Leben schaffen und Liebe ermöglichen, nicht unterdrücken.

Dieser Bund beruht auf Gegenseitigkeit: Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern! (Ex 19, 5)

Liebe funktioniert nicht als Einbahnstrasse. Erwählung braucht Einwilligung. Kein Bund funktioniert dauerhaft ohne festen Partner.

Auf diesem Hintergrund erhalten die Worte des Apostel Paulus ein anderes Gewicht. Die Regeln der Liebe funktionieren nicht, wenn sie nur von einem eingehalten werden. Sie gelten nie nur einer Person allein, sondern immer auch dem Gegenüber und Partner. Gleich wie in einem Spiel halten sie die Kugel am Rollen, indem sie sie auf einer Platte vorsichtig hin- und her balancieren. Stellt nur einer seine Bemühungen ein, ist das Spiel zuende: Die Kugel rollt in die Tiefe. Kündigt einer einseitig die Vertragsinhalte, stürzt Liebe ins Bodenlose.

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften. Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! Es ist kein anderes Gebot größer als diese. (Mk 12, 30f.)

Liebe lässt sich nicht fassen, nur umschreiben: Mit Worten des Paulus, mit den Worten Jesu aus der Bergpredigt, mit dem höchsten Gebot, das Altes und Neues Testament vereint.

Erst auf dieser Folie wird durchsichtig, was Liebe ist, und entlarvt, was in Wahrheit nur Missbrauch von Gefühlen und Unterdrückung ist.

Es ist nicht schlimm, wenn die Kugel einmal vom Spielfeld rollt. Es lohnt, sie wieder aufzuheben und sein Glück erneut zu versuchen. Liebe ist langmütig und zum Spiel braucht es Geduld. Aber nur, wenn beide sich an die Regeln halten.

Gott schenke unserem Suchen nach Liebe Erfüllung.

Er sei geduldig mit all unseren unvollkommenen Liebesversuchen.

Er bewahre dabei unsere Achtung vor uns Selbst und vor unserem Nächsten.

Gott halte in Treue an seiner Liebe zu uns fest. Amen.

 Berliner Tagesspiegel 26.6.2011

2 zit. nach Sc1hrage, Wolfgang, EKK VII/3, Der erste Brief an die Korinther (1. Kor 11, 17-14, 40) Neukirchen 1999, 333.



Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
12249 Berlin
E-Mail: pfarrerin@bonhoeffergemeinde.de

Bemerkung:
1 Berliner Tagesspiegel 26.6.2011

2 zit. nach Sc1hrage, Wolfgang, EKK VII/3, Der erste Brief an die Korinther (1. Kor 11, 17-14, 40) Neukirchen 1999, 333.



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