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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: 1. Korinther 13, 2011

1. Korinther 13, 4-7, verfasst von Elisabet Mester

 

Ich bin Pastorin im Annastift. Als Krankenhausseelsorgerin erlebe ich täglich, wie Patientinnen durch die „Aufmunterungsparolen" ihrer Familien und Freunde eher gekränkt als aufgebaut werden. Wo darf ich denn einmal so sein, wie ich bin (und sei es krank und schwach)?

Als geliebter Mensch darf ich sein, wie ich bin. Als Liebende kann ich andere so sein lassen, wie sie sind. Liebe ist für mich das Strukturprinzip Gottes. Sie lädt uns ein, daran teilzuhaben. Nicht zu kämpfen, zu „kriegen", nicht haben zu wollen, sondern zu sein, zu lieben und geben zu dürfen, und alles von Gott zu erbitten, was wir brauchen.

Das Verhalten der Liebe

Die Liebe ist langmütig und freundlich,  die Liebe eifert nicht,

die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,

sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre,

sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,

sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit;

sie erträgt alles, sie hofft alles, sie glaubt alles, sie duldet alles.

1 Kor 13, 4-7 rev. Lutherübersetzung 1984

 

„Muss Liebe schön sein", sagte das junge Mädchen, das in der Straßenbahn neben mir saß - halb spöttisch, halb sehnsüchtig.

Uns gegenüber hatte ein Pärchen Platz genommen. Sie küssten sich nun schon seit zwei Stationen, einigermaßen ununterbrochen.

„Muss Liebe schön sein" - Liebe ist schön, das ist wahr.

Sie ist aber auch schwer. Schwer durchzuhalten. Am Anfang ist sie immer wunderbar, die Liebe. Man geht Hand in Hand durchs Leben und spaziert wie auf Wolken. Die Welt um einen herum scheint zu verschwimmen, sie wird unwichtig. Man küsst sich in der Bahn, und es ist einem egal, was die anderen dazu denken mögen.

Einige Jahre später kann das ganz anders aussehen. Da regiert statt des „Schatz, was möchtest du?" oftmals ein „Nie tust du", oder „Immer machst du", oder „Damals hast du schon".

Wer einmal das Bühnenstück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf" gesehen hat, oder die berühmte Verfilmung mit Liz Taylor und Richard Burton, hat die passende Vorlage dazu im Kopf. Die sich früher geliebt haben, hacken jetzt aufeinander ein, ohne Rücksicht auf Verluste.

Wie kommt es nur, dass Menschen, die einmal gemeinsam im siebten Himmel waren, sich das Leben wenige Jahre später gegenseitig zur Hölle machen können?

„Die Liebe ist langmütig und freundlich", schreibt Paulus,

„die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig."

Nun hat er das ja nicht einem Paar von Liebenden gesagt, sondern einer Gemeinde: Den Christinnen und Christen in Korinth.

Wenn wir uns bei uns in der Gemeinde umschauen, können wir schnell feststellen, dass es auch hier Erscheinungen gibt, die denen einer kalt gewordenen Liebe recht ähnlich sind. Wer hier vor Jahren einmal begeistert angefangen und sich voller Freude in die Gruppen und Projekte eingebracht hat, hat irgendwann gemerkt, dass in unserer Gemeinde auch nur mit Wasser gekocht wird, bestenfalls. Manchmal ist auch nichts im Topf als heiße Luft. Da will die eine ehrenamtliche Helferin auf jeden Fall besser sein als die andere und trumpft an geeigneter Stelle mal so richtig auf. Da hat die Küsterin dem Handwerker aber heftig die Meinung gesagt und ihm vor allen anderen erklärt, was er nun wieder falsch gemacht hat. Und Frau X singt im Gottesdienst besser als Frau Y, haben Sie's schon gemerkt? Beide zusammen singen allerdings nicht halb so laut wie Herr Z, der alle übertönt, mit fröhlichem Schall.

„Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht,

die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,

sie verhält sich nicht ungehörig."

Paulus will seiner Gemeinde in der Hafenstadt Korinth Rat geben, guten Rat - langmütig und freundlich. Er hofft dabei, dass sie ihn annehmen und nun so miteinander umgehen, wie die Liebe es rät. So, wie sie sich verhält, könnten auch die Christen sich verhalten - das hofft er.

Nun ist das mit dem Ratgeben ja immer so eine Sache. Hoffentlich ist der Rat auch erbeten und gewollt. Ungebetener Rat nämlich kann so richtig sein, wie er mag. Er wirkt besserwisserisch. Niemand nimmt ihn gerne an.

Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal einen liebevollen Ratschlag erhalten haben. Irgendetwas im Sinne von „Lass dich nicht hängen!", „Kopf hoch!", „Schau nach vorn!", „Das wird schon wieder!". Wie fühlt es sich an, so etwas zu hören? Ehrlich gesagt, finde ich solche aufmunternd gemeinten Sprüche manchmal eher deprimierend. Die anderen, die mir Zuspruch geben möchten, wissen vielleicht gar nicht richtig, wie es um mich steht. Womöglich wollen sie's auch überhaupt nicht wissen. Sie wünschen sich bestimmt, dass es mir besser geht, soviel ist klar. Möglicherweise aber wünschen sie das hauptsächlich, um mich in meiner jetzigen Verfassung nicht mehr länger ertragen zu müssen.

Wollen sie, dass ich langmütig und freundlich bin, dass ich nicht eifere, nicht Mutwillen treibe, mich nicht aufblähe, mich nicht ungehörig verhalte, nicht das Meine suche, mich nicht erbittern lasse? Hoffen sie womöglich, dass ich alles ertrage, alles glaube, alles hoffe und alles dulde? Oder wollen sie selbst sich mir gegenüber so liebevoll verhalten?

Aus Liebe gebe ich anderen keine ungebeten Ratschläge. Ich spiele mich nicht auf und sage ihnen nicht, wie sie es besser machen sollten. Vielleicht frage ich sie eher, was sie jetzt brauchen, womit ich ihnen helfen kann. Aus Liebe mache ich auch keine schulterklopfenden „Wird-schon-wieder"-Bemerkungen. Da frage ich doch lieber, wie es dem Menschen geht, der einen Kummer auszustehen hat, lasse ihn erzählen und versuche zu verstehen.

Rat kann gelingen und tatsächlich gut sein, wenn er aus Liebe kommt. Leider kommt er mitunter auch aus Mutwillen und bläht sich einfach besserwisserisch auf. Paulus weiß das anscheinend nur zu gut.

Seine Bitte an die Gemeinde in Korinth lautet deshalb: Lebt in der Liebe. Lasst euch von ihr berühren. Lasst euch hinein nehmen in ihre Kraft und fangt an, euch so zu verhalten, wie es ihr entspricht.

Lebt in der Liebe - das erinnert mich an das junge Paar in der Straßenbahn, das nicht aufhören konnte, sich zu küssen.

Wie kann es aber möglich sein, so etwas zum Programm zu machen, es so in uns zu installieren, dass es wirkt, auf die Dauer? Ist das wirklich so einfach, dass man es weitergeben kann wie eine Gebrauchsanweisung?

Warum gibt es dann so viele Eheleute, die einander nicht viel anderes mehr bereiten als schlimme Vorwürfe, und so viele Kirchengemeinden, die mehr vom alltäglichen Hickhack geprägt sind als von der Botschaft der Liebe?

Es könnte sein, dass sie eine Frage des gut gemeinten Rats, sondern eine Sache der Verabredung ist, und auch eine des Einübens - die Liebe. In der Liebe zu leben, das ist ja mehr als ein Gefühl. Es ist eine Regung und Bewegung, die immer wieder neu angestoßen und dadurch unterhalten wird, dass wir das tun, dass wir das in die Tat umsetzen, was die Liebe uns rät und zeigt.

„Die Liebe ist langmütig und freundlich, sie sucht nicht das Ihre.

Wenn ich nicht das Meine suche, wenn ich nicht Ausschau halten nach dem, was ich gerade am liebsten will, sondern nach dem, was mein Gegenüber im Moment am nötigsten braucht, dann handele ich in der Kraft der Liebe. Leicht ist das nicht in jedem Fall. Zunächst muss ich mir darüber klar werden, was ich selbst jetzt gerne haben will, und mich dann in den anderen hineindenken, in ihn hineinfühlen, am besten, wenn's möglich ist, ihn fragen: Was brauchst du nun? Dann kann ich es wagen. Ich stecke, was meine eigenen Interessen betrifft, erst einmal zurück, und handle so, wie es dem anderen Menschen dient. Wenn er das erwidern kann und dasselbe im Gegenzug auch für mich tut, ist das eine großartige Sache. Frisch verliebte Paare erleben dieses Glück: Nicht erkämpfen zu müssen, was sie brauchen, sich nicht dafür einzusetzen mit aller Macht, sondern es wechselseitig geschenkt zu bekommen. Das, was ich haben will - da ist ein Mensch, der gibt es mir. Eine umwerfende Erfahrung ist das. Sie ist unvergleichlich.

Das einzige, woran sie mich erinnert, ist dies: Wie Gott mit mir umgeht. So vieles Gutes schenkt Gott mir jeden Tag. Manches, worum ich gebeten habe - anderes, worum ich nicht gebeten habe, und vieles, von dem ich gar nicht wusste, dass ich es jetzt gerade brauche. Langmütig und freundlich ist er mit mir. So, wie Jesus Christus alles für mich getan hat und mich teilhaben lässt an allem Guten; so, wie Gott mich beschenkt aus lauter Liebe, so darf ich auch mit meinen Mitmenschen umgehen. Mit Gottes Hilfe kann ich das tun, was ihnen dient. Auf die Dauer funktioniert das natürlich dort am besten, wo die Verabredung von beiden Seiten eingehalten wird: Wo alle sich immer wieder daran erinnern lassen, dass sie nicht beieinander sind, um vorrangig ihre eigenen Interessen gegen die anderen durchzusetzen, sondern dazu, die der anderen an die erste Stelle zu setzen. Die Liebe zwischen zwei Menschen kann ein Ort sein, wo das gelingt. Es gibt Paare, die daran arbeiten, ganz bewusst, immer wieder, und sich darin bestärken, stets aufs Neue wieder damit zu beginnen: Ich bin für dich da. Du bist für mich da. Jedes ist für das andere da. Jedes bekommt, was es nötig hat.

Das ist vollkommene Freude.

„Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig; sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern,

sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit,

sie freut sich aber an der Wahrheit".

Sich an der Wahrheit zu freuen, das heißt nicht: jederzeit derselben Meinung zu sein. Es heißt, nicht abzuweichen vom wahren Prinzip der Liebe, das sagt: Mach dich stark für den anderen Menschen. Gott will ihn stark machen für dich. Und wenn nicht ihn, dann vielleicht einen anderen - so, wie du es brauchst. Es funktioniert nämlich auch in Gruppen, dieses Prinzip der göttlichen Liebe.

Christliche Gemeinden sind Kreise von Menschen, die sich darauf verabredet haben, dass jede und jeder sich danach richtet: Ich sorge für dich. Gott sorgt für mich. Es muss nämlich nicht immer mein Gegenüber sein, das mir die Liebe zurückgibt, die ich ihm gerade geschenkt habe. Es gibt so viele Menschen, die von Gott zu mir geschickt werden können, wenn es darum geht, meine Bedürfnisse zu stillen, meine Wünsche zu erfüllen.

Eben habe ich gesagt, dass sie womöglich eine Frage der Verabredung ist, und eine des Einübens - die Liebe. Das stimmt wohl auch, teilweise. Sich immer wieder darauf zu verabreden, das ist nötig. Sich immer weiter darin zu üben, das tut gut. Sie ist noch mehr als das, die Liebe. Ein Geschenk von Gott ist sie, das uns heimsucht und ereilt, uns überrascht, sich uns zuwendet und uns immer wieder lebendig macht. Sie kommt von Gott, aus Gottes heiligem Herzen. Sie nimmt uns mit hinein in das göttliche Prinzip, in den täglich neuen Anfang des Lebens. Da brauchen wir nicht zu ringen und zu kämpfen - da werden wir versorgt mit allem, was nötig ist, ja, mit mehr als allem. Da sind nicht mehr wir selbst die verzweifelten Schmiede unseres Glücks, da fällt uns das Glück in den Schoß, ganz unverhofft. Das ist das Leben in der Liebe: So bewegt, so beschenkt zu werden.

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht,

die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,

sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre,

sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,

sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit;

sie erträgt alles, sie hofft alles, sie glaubt alles, sie duldet alles.

Sie kommt zu uns, von Gott.

Amen.

 



Pastorin Elisabet Mester
Hannover
E-Mail: Elisabet.Mester@ddh-gruppe.de

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