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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: 1. Korinther 13, 2011

1. Korinther 13, 8-13, verfasst von Stefan Knobloch

 

Unvergänglichkeit der Liebe

Paulus hat nichts dem Zufall überlassen, schon gar nicht im 13. Kapitel des ersten Korintherbriefes. In den drei deutlich unterscheidbaren Abschnitten in 1 Kor 13,1-3; 13,4-7 und 13,8-13 verwendet er je dreimal das griechische Wort „agape", das Wort für Liebe. Allein daran ist erkennbar, noch bevor man sich mit einzelnen Sätzen befasst, dass in 1 Kor 13 die Liebe das zentrale Thema ist. In 1 Kor 13,8-13 erreicht es seinen Gipfelpunkt in der Ansage der Unvergänglichkeit der Liebe. Sie bestehe darin, dass die Liebe - im Gegensatz zu Glaube und Hoffnung - diesen Äon, den Raum und die Zeit der irdischen Wirklichkeit, überdauere und insofern „größer" sei als Glaube und Hoffnung.

Bei dieser Schlusspointe scheinen Paulus die Möglichkeiten der Sprache Grenzen aufgezeigt zu haben. Denn im Grunde meinte Paulus etwas anderes als den quantitativen Unterschied zwischen Glaube und Hoffnung auf der einen und Liebe auf der anderen Seite, er meinte den qualitativen Unterschied. Die Liebe, von der er spricht, ist nicht einfach nur „größer" als Glaube und Hoffnung, sie ist von einer anderen Qualität. Sie wird nicht, wie Glaube und Hoffnung, mit dem Ende der irdischen Wirklichkeit hinfällig. Sie hat in der kommenden Herrlichkeit gewissermaßen erst ihre volle „Zeit".

Die Selbstverständlichkeit, mit der Paulus hier mit Glaube, Hoffnung und Liebe und dann mit dem fundamentalen Unterschied zwischen beiden Kategorien hantiert, mag uns fremdartig berühren. Ja, überhaupt schon seine Begriffswelt, die sicher nicht, vorsichtig gesagt, ohne weiteres die unsere ist. Allein schon der einleitende Satz, genau genommen die These des Paulus, die er im Nachfolgenden begründet und erklärt, kann uns Schwierigkeiten machen. Wie kann Paulus die Behauptung aufstellen, die Liebe höre niemals auf? Lehrt uns die Erfahrung nicht das genaue Gegenteil? Paulus' These stimmt eben nur innerhalb seines hermeneutischen Rahmens. Liebe meint bei ihm hier nicht einfach das, was wir unter Liebe verstehen, menschliche Liebe, die so oft an Grenzen stößt, ausgebootet von den Egoismen und den Härten des Lebens. Unsere Erfahrungen möchten Paulus entgegen halten: Paulus, du irrst. Möglicherweise bist du zu dir selber nicht ganz ehrlich, wenn du schreibst, die Liebe höre niemals auf. Aber da werden wir auf die entscheidend andere Perspektive gestoßen, unter der Paulus denkt und schreibt. Es geht ihm nicht auch nur eine Sekunde lang um die fromme Lebenslüge, wir könnten ununterbrochen aus den Motiven der Liebe heraus denken, reden und handeln. Nein, diese Liebe unterbrechen wir in der Tat pausenlos. Und manche Leben machen den Eindruck, als hätte Liebe darin überhaupt keinen Platz.

Paulus spricht von jener Liebe, die Gott in unser Herz gesenkt hat und die, auch wenn wir sie in unserem Leben kaum zur Geltung bringen, die alles bestimmende Maßgabe der ewigen Herrlichkeit sein wird. Das freilich heißt nicht, ja, wenn das so sei, dann habe es ja mit der Liebe in diesem Leben gar nicht viel auf sich: Für das „Jenseits" sei sie in jedem Fall garantiert. Denn die Liebe höre niemals auf!

Hier allerdings gilt es zu unterscheiden. Paulus sagt nicht, die Liebe fange überhaupt erst in der Ewigkeit an, vorher sei von ihr nicht eine Spur da. Das genau nicht. Sie höre nie auf! Das heißt, sie bestimmt schon bzw. soll unser Leben bestimmen, die Art und Weise, wie wir in den familiären, beruflichen, sozialen und sonstigen Kontakten miteinander umgehen, ja darüber hinaus, wie die Weltgesellschaft die brennenden sozialen Fragen des Lebens, den Hunger in der Welt, die Wasserknappheit, vorenthaltene Gerechtigkeit, Formen der Unterdrückung usw. bewältigt. Wir ahnen es, die Liebe will schon jetzt die Grundkraft unseres Lebens sein. Aber dies eben nicht aus rein ethisch-menschlichen Erwägungen. Für Paulus ist die Liebe, von der er spricht, verankert in Glaube und Hoffnung. Ja, sie ist beider Frucht.

Kurzformeln sind es, in denen Paulus hier spricht. Mit Glaube meint er die lebensmäßige (und nicht nur glaubensmäßige) Übernahme und Annahme der Botschaft Jesu, dass sie zur gelebten und nicht nur geglaubten Botschaft werde. Glaube meint unser Vertrauen in die Gegenwart Gottes im Raum der Welt, und nicht bloß im Raum der Kirchen. Glaube meint Feststehen in der Botschaft, dass Gott die Welt mit sich versöhnt hat. Dass die Welt nicht vor die Hunde gehen wird und letztendlich keinerlei andere Hoffnungsperspektive hätte als die, die ihr die Menschen einräumen. Der Glaube an die Wirklichkeit der Gegenwart Gottes und die darauf gesetzte Hoffnung sind der Nährboden der Liebe, so sieht es Paulus.

Für uns mag das alles schnell den Charakter blasser, geradezu hohler und wohlfeiler Worte annehmen. Als hätte Paulus das geahnt bzw. diese Haltung bereits bei seinen Zeitgenossen vermutet. Denn er formuliert Sätze, die nicht von der Unvergänglichkeit der Liebe wegführen wollen, sondern eher über leichter verständliche „Umwege" zu ihr hinführen sollen. Dabei dürfen wir von der prophetischen Rede, gar von der so genannten Glossolalie, der Zungenrede, einfachheitshalber absehen, nicht aber von dem, was Paulus zur menschlichen Erkenntnis sagt. Er spricht hier wie ein Pädagoge, den man sofort versteht. Als Kinder waren wir eben Kinder, bewegten uns in kindlichem Horizont. Als Erwachsene denken und handeln wir als Erwachsene. Aber so einfach ist es nicht. Von vielen Bereichen des Lebens und der Wirklichkeit, so Paulus, machen wir uns nur ungefähre Vorstellungen. Als aktuelles Beispiel, an dem sich allerdings die Generationen scheiden: Wer versteht als Älterer schon, wie i-pad oder i-phone funktionieren? Für Paulus wird unsere Wahrnehmung in rätselhaften Umrissen zu einer Brücke, die zu einer wichtigeren Einsicht hinführt: Unserem Begreifen, unserem Verstehen, unserer Glaubenssprache von der Botschaft Jesu, von Gott, haftet erst recht eine bleibende Rätselhaftigkeit an.

Wir machen es uns selten bewusst - und daraus resultieren dann möglicherweise Glaubensprobleme und eine vermeintliche Abkehr von Glaube und Kirche -, wir machen es uns selten bewusst, dass unsere menschliche Sprache, auch unsere Glaubenssprache, die Welt der Botschaft Jesu, die Welt des Glaubens, immer nur auf menschliche Weise zur Sprache bringen und in Worte fassen kann. Sie wird der offenbarten Wahrheit nie eins zu eins gerecht. Wenn wir auf der Basis der Offenbarung Gott als Gott bekennen, dann haben wir Gott immer im Maß unseres menschlichen Gottesbildes vor Augen. Nicht eines Bildes allerdings, das wir uns mutwillig ganz allein zusammengesetzt hätten. Sondern eines Bildes, das sich der göttlichen Offenbarung verdankt, das aber gleichwohl nie der Begrenzung entgehen kann, die es durch unsere glaubende Aufnahme erfährt. Das ist der Grund, weshalb die Feministische Theologie schon seit Jahren vorschlägt, G*tt oder „Gott" zu schreiben. Nicht um von Gott Abstand zu nehmen, sondern um bewusst zu machen, dass auch der offenbarte Gott der unfassbar Größere, Andere, alle menschlichen Maßstäbe Brechende ist. Dies gilt es zu bedenken, bei allen Glaubensaussagen, schon bei der Sprache der Bibel, die gleichwohl inspiriert ist, bei den Glaubensbekenntnissen der ersten christlichen Jahrhunderte, bei den Dogmen, erst recht bei der Sprache der Kirche und der Theologie.

Vielleicht haben wir von Gott zu viel gewusst. Wir haben ihn zu Gott nach unseren Maßstäben gemacht, bis dahin, dass das „Gott mit uns" auf den Koppelschlössern der Soldaten eingeprägt war. Wir sehen nur rätselhafte Umrisse, damit wollen Paulus und die heutige Theologie Glaube, Hoffnung und Liebe nicht ad absurdum führen, sondern den Blick dafür öffnen, dass Glaube, Hoffnung und Liebe einen Bereich berühren, der sich als verlässliche Wirklichkeit Gottes uns nie ganz erschließen kann, so lange wir auf Erden leben.

Das aber darf nicht negativ gesehen werden und gewissermaßen als Motiv missverstanden werden, von Glaube, Hoffnung und Liebe ganz die Finger zu lassen. Im Gegenteil löst sich daraus der Appell zur Aufmerksamkeit, Gott in den Zeichen der Zeit zu vernehmen, in denen er heute zu uns spricht, uns herausfordert und unsere manchmal allzu sicheren Vorstellungen von ihm in Frage stellt.

Glaube, Hoffnung und Liebe. Es wird deutlich, dass wir Glaube, Hoffnung und Liebe in „irdenen Gefäßen" in Händen halten. Aber das ist eben nichts, sondern es ist das mögliche Maß, in welchem wir mit Gott und Gott mit uns zu tun bekommen, auf dem Weg einer Liebe, die unser Leben in der Herrlichkeit Gottes bleibend überstrahlt.

Am größten ist die Liebe - in ihrer Unvergänglichkeit. Denn sie hört nie auf.



Prof.Dr. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: Dr.Stefan.Knobloch@t-online.de

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