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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: 1. Korinther 13, 2011

1. Korinther 13. 8-13, verfasst von Elisabeth Tobaben

Gemeindeversammlung in Korinth.

5-6 Jahre ist es inzwischen her, dass der Apostel Paulus selbst diese Gemeinde gegründet hat. Ungefähr 50 Leute gehören inzwischen dazu, aus den unterschiedlichsten Familien, mit ganz verschiedenen Berufen, ganz verschiedenen Biographien. Verschiedener Herkunft mit verschiedener Glaubensgeschichte. Kaufleute, Juden, Griechen, Frei und Sklaven - da ist das Zusammenleben nicht immer ganz einfach, manchmal gehen die Wogen ganz schön hoch. Wie gesagt: heute ist Gemeindeversammlung.

Gerade sagt der Gemeindeleiter: „Ich fasse noch mal zusammen: wir brauchen also endlich eindeutige Kriterien dafür, wer bei uns dazugehören kann und wer nicht. Da hatten wir folgende Vorschläge:

1. das Reden in Zungen, das würde also bedeuten, dass alle, die da nicht können oder wollen, eigentlich nicht..." Aber da springt auch schon aufgeregt ein lebhafter, dunkelhäutiger junger Mann auf und unterbricht ihn: „Das kann ja wohl nicht angehen! Wieso soll ausgerechnet das Zungenreden so wichtig sein?" „Eben," unterbricht ihn ein anderer. „Als ob es darauf ankäme! Viel wichtiger ist doch, dass wir endlich das bequeme und genusssüchtige Leben bekämpfen. Wer nicht asketisch lebt und sich quält...„ „Komm, hör auf," sagt der erste wieder. „Wir in unserem Hauskreis finden, dass es viel mehr darauf ankommt, die alten Propheten genau zu kennen, die Schriftrollen zu analysieren, die schwierigen Glaubenslehren und Gedankengebäude unserer Väter zu verstehen, sonst ist doch der Spekulation Tür und Tor geöffnet! Nein, wir brauchen ein festes Fundament für unseren Glauben, und die Wissenschaftlichkeit muss der Maßstab sein!" Triumphierend blickt er um sich, sucht nach Zustimmung in den Gesichtern, einige klatschen Beifall und rufen Bravo, auf der anderen Seite Kopfschütteln, aufgebrachtes Gemurmel. „Was ist denn?" fragt der Leiter, „könnt ihr es nicht laut sagen, damit wir alle was davon haben? Rufus, bitte!" Rufus steht zögernd auf, kommt langsam nach vorne und wagt kaum, den Blick zu heben. „Ihr wisst ja," sagt er schließlich ganz leise, „dass ich nur zu der Gruppe der Sklaven gehöre.  Ich habe zwar Lesen und Schreiben gelernt, weil ich den ganzen Schriftverkehr für meinen Herrn machen musste, aber Wissenschaft?  Wenn es jetzt darauf ankommen soll, dann werden wir ganz sicher sowieso bald hier rausgeworfen.  Ich dachte immer, das Vertrauen auf Jesus wäre das Wichtigste. Hat er nicht gesagt, dass der Glaube Berge versetzen kann?" „Danke für deinen Beitrag, Rufus," sagt der Gemeindeleiter. „Und keine Angst, keiner darf dich hier einfach so rauswerfen, dafür werde ich höchstpersönlich sorgen!"

„Das kannst du doch gar nicht!" ruft schon wieder einer dazwischen. „Da haben wir schließlich alle ein Wörtchen mitzureden, und wenn ihr nicht akzeptiert, dass die Zungenrede das einzige Kriterium ist für die Zugehörigkeit zur Gemeinde, dann spalten wir uns eben ab." „Jawohl," ruft ein anderer, „wir separieren auch! Schließlich sind wir noch von Apollos getauft worden." „Aber wir von Paulus!" versucht ihn ein anderer zu übertrumpfen.

Der Tumult wird immer stärker, sie versuchen, sich gegenseitig zu übertönen, der Gemeindeleiter scheitert kläglich mit seinen Beschwichtigungsversuchen. Keiner hat gemerkt, dass auf der Seite der Frauen die junge Mirjam aufgestanden ist. „Mirjam, das kannst du nicht machen!" die anderen wollen sie zurückhalten. Aber Mirjam ist nicht zu bremsen. „Doch", sagt sie „Lasst mich los, ich  muss etwas dazu sagen, seht ihr denn nicht, wo das sonst hinführt? Unsere ganze Gemeinde wird auseinander fallen!" Und mutig tritt sie in den Kreis der aufgebrachten Männer, nimmt dem Gemeindeleiter die Schriftrolle aus der Hand und fragt: „Habt ihr schon vergessen, was gerade vorhin gehört haben? Ich lese euch noch mal ein paar Sätze vor aus dem, was Paulus uns geschrieben hat:

„Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder scheppernde Pauke.  Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nütze es mir nichts."

So ähnlich könnte es vielleicht gewesen sein. Wir wissen nicht, wie dieser poetische Text damals in Korinth auf die Menschen gewirkt hat! Spannend finde ich, dass Paulus in einen solchen heißen Konflikt eben gerade keine Mahnrede schickt, auch keine ethische Abhandlung und auch keinen Entwurf für eine Gemeindesatzung, nein, er schickt ein Gedicht! Und zwar eins, aus dem die Korinther bestimmt einzelne Verse gekannt haben.

Das Hohelied der Liebe. Er überschlägt sich förmlich in der Beschreibung der Liebe:

„Die Liebe ist langmütig und gütig. Sie ereifert sich nicht. Sie prahlt nicht und bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, sie lässt sich nicht zum Zorn reizen, sie trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht am Unrecht, sie freut sich aber mit an der Wahrheit. Sie erträgt alles, sie glaubt alles, hofft alles und erduldet alles. Die Liebe hört niemals auf."

Dass die Liebe in höchsten Tönen besungen wird, das kennen wir,  aus den neusten Hits wie aus der klassischen Oper, ob Techno oder Volkslied,  im Chanson wie in der Arie:

„Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben", „Love is in the air" oder „Reich mir die Hand, mein Leben". Vielleicht ist ein Gedicht, ein Lied einfach die angemessene Form für das Thema „Liebe? Ich denke wohl, weil ein Gedicht immer eine klare Struktur hat, einen Rhythmus, im Deutschen auch wohl einen Reim. Eine Struktur, mit der man glaubt, das Ausufernde, Überschäumende des Themas „Liebe" ein bisschen bändigen kann, zu fassen kriegen.

Viele träumen in ihren Gedichten und Liedern von der unendlichen, alles übersteigenden, traumhaften, grenzenlosen Liebe.  Aber so wie Paulus übertreibt, das muss ihm erstmal einer nachmachen!  „...sie glaubt alles, hofft alles, duldet alles, hört niemals auf" - da muss man erstmal tief durchatmen!

Man fragt sich automatisch: Geht das überhaupt? Brauche ich nicht auch klare Grenzen, um nicht ausgenutzt zu werden?

Manchmal gibt es Brautpaare, die sagen: Für unseren Hochzeitgottesdienst bitte auf gar keinen Fall 1. Kor. 13!  Und das hat dann meist damit zu tun, dass sie diese Verse als Anspruch hören, als Appell: „So müsst ihr euch auch verhalten, dass ihr dieses Ziel erreicht."

Eben weil es in der Bibel steht, und Bibeltexte einfach oft durchgängig so verstanden werden: als eine Art Vorschrift, die man befolgen muss, als Meßlatte, die zu überspringen ist.

„Du musst vollkommen sein" wäre dann die Botschaft, die darin enthalten ist.

„Du musst das erreichen, perfekt und vollkommen sein!" Auch von Paulus selbst wissen wir, dass er ja lange Jahre versucht hatte, sein Leben so zu gestalten.

Als Pharisäer war er überzeugt gewesen, dass das Heil der Welt einmal von ihm abhängen könnte!

Wenn einmal ein Menschen auch nur einen Tag das ganze Gesetz einhält, dann kommt der Messias, glaubte er, dafür hatte er gekämpft und gearbeitet, Tag für Tag um Vollkommenheit gerungen.  Und vor diesem Hintergrund versteht man auch gut, dass er die neue Lehre bekämpfen muss, diese so genannten Christen, die einfach behaupteten:

Es ist schon alles gut, der Retter, der Messias ist schon da, du brauchst das nicht zu bewirken!

Er ist gekommen, ohne dass ein Mensch das angestrebte Ideal erreicht hätte, einfach so, aus Liebe!

Und was für eine ungeheure Befreiung, als Paulus das in Damaskus plötzlich begreift und für sich selbst annehmen kann:

„Ich muss gar nicht vollkommen sein!"

Ich glaube, dass es dieses Gefühl der Befreiung war, was er den Korinthern mitteilen wollte!

Alles ist Stückwerk, sagt er, die prophetische Rede, Sprache, all die klugen Erkenntnisse.

Es ist nicht vollkommen und wird das auch nie werden.  Nun wird manche/r vielleicht sagen: „Oh, das ist aber doch erst recht deprimierend! Stückwerk, Bruchstücke, was soll ich damit anfangen?  Was mache ich mit meiner Sehnsucht nach dem Guten, Wahren und Schönen, nach dem Vollkommenen?

Muss ich dann nicht völlig deprimiert sagen: es hat ja doch alles keinen Zweck?" Doch, die Träume und Visionen sind schon wichtig, wir brauchen Hoffnungsbilder für unser Leben, gerade weil wir permanent mit Bruchstücken zu tun haben.

Wir brauchen Lieder und Geschichten, um diese Hoffnung zu nähren, und die Bibel ist voll von solchen Hoffnungsgeschichten und Liedern.  Wichtig ist nur, nicht zu vergessen, dass wir diese Vollkommenheit nicht herstellen müssen!

Und: wir brauchen auch nicht so zu tun, als ob, die Vollkommenheit vortäuschen, wenn es mal wieder nicht gelungen ist.  Die rätselhaften, unklaren Umrisse im matten Spiegel ˆ Gott wird sie eines Tages erkennbar machen, vollkommen und heil.  Aber eben: Gott wird es tun!

Wer das von sich selbst erwartet, der glaubt, er müsse sein wie Gott.  Und wer es von einem anderen Menschen erwartet, verwechselt den mit Gott. Das macht frei, sagt Paulus, das Vollkommene wirklich nur von Gott zu erwarten.

Man kann die Welt und die Menschen so sehen, wie sie wirklich sind. Stückwerk. Wie Puzzleteile. Aber in jedem dieser Bruchstücke spiegelt gsich schon jetzt ein bisschen vollkommenes, gelungenes Leben.  Ein Puzzleteil ist ja auch immer nur ein winziger Ausschnitt aus einem großen Gesamtbild. Man kann versuchen, es sich vorzustellen, wenn man nur ein Teilchen hat, zu träumen vom ganzen Bild.  Und auch wenn das Original nachher ganz anders aussehen sollten: auch der Traum von meinem Bild von Wirklichkeit kann in mir etwas verändern, lebendig machen und frei. Und so ist meine Vision, meine Hoffnung und meine Liebe auch schon ein Stückchen vom Vollkommenen.

Und wo wir alle unsere Puzzleteile zusammenlegen als Gemeinde- wird vielleicht ein Stück mehr sichtbar Gottes Liebe.

 



Pastorin Elisabeth Tobaben
Juist
E-Mail: Tobaben.Juist@t-online.de

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