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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: 1. Korinther 13, 2011

1. Korinther 13, 1-3, verfasst von Albrecht Westphal

 

Nichtigkeit von Lob und Glaube ohne Liebe

(1) „Hört auf, an mir herumzuerziehen", schleudert der Heranwachsende seinen Eltern entgegen. „Ihr habt immer was zu meckern. Aber meine Freunde - die finden mich total o.k. Um fremden Menschen zu gefallen, soll ich mich ändern? Nie! Ich bin wie ich bin."

Kennen Sie das? Sicher, das ist Pubertätssprache. Da darf das auch mal sein. Aber eigentlich...ist es unreif.

Als Erwachsene haben wir begriffen: das Leben verlangt von uns, dass wir uns ständig ändern, immer dazu lernen, uns vervollkommnen - so lange wir leben.

(2) Wenn wir aber in ständiger Weiterentwicklung sind - was steht fest? Wie heißt der Maßstab, nach dem wir uns richten?

Genau um diese Frage ringt Paulus mit der Gemeindeführung in Korinth. Er kennt die Gemeinde, war selbst lange dort. Fühlt sich verbunden. Doch inzwischen hat eine Gruppe von Leuten dort das Kommando ergriffen - die fahren einen Kurs, den Paulus scharf kritisiert.

Es ist kaum anzunehmen, dass die Gemeindeleiter in Korinth die paulinischen Sätze gern gelesen haben. Zu sehr waren sie überzeugt von sich und von ihrer spirituellen Kompetenz. In der Tat gab es in ihrem Gemeindeleben einige Besonderheiten. Das sind doch Zeichen - so dachten sie und sagten sie - Zeichen, wie weit wir schon vorgedrungen sind auf dem Weg zur Vollkommenheit - und damit zu Gott!

(3) Was zunächst in Korinth auffiel, war das Zungenreden. Die Betenden gaben in exstatischer Entrückung nie gehörte Laute von sich. Für die Zuhörenden klang das wie eine unverständliche Geheimsprache. - Noch heute noch gilt das Zungenreden, die Glossolalie in manchen Kirchen als Zeichen dafür, dass ein Mensch eine besondere Weihe durch den Heiligen Geist empfangen hat und dass seine Seele lobend mit Gott redet. Die Meinung des Paulus ist klar: In der Gemeinde soll nur so geredet werden, dass andere es verstehen können. Immer muss unser Gottesdienst so sein, dass auch ein Fremder hineinkommen kann und dass er nicht sagen muss: „O, was die da machen, finde ich befremdlich. Ich bin hier fehl am Platz. Schnell raus." Vielmehr soll der Hinzugekommene in seinem Inneren gepackt werden, er ( oder sie) soll sich zutiefst angesprochen, überführt und überzeugt fühlen können - und zum Glauben an Christus kommen.

Ich habe mich oft gefragt: Wie ist das denn bei uns? Sind wir nicht auch oft in der Gefahr, an Gottesdiensten mitzuwirken, die auf Neulinge fremd und ausgrenzend wirken müssen? Gut, für die Liturgie und für die Auswahl der Lieder ist meistens der Pastor zuständig. Aber wenn die Texte der Choräle zu altmodisch klingen, dann kann man den Verantwortlichen schon mal etwas Kritisches sagen. Es gibt genug Strophen im Gesangbuch, die für heutige Menschen verständlich sind! - Und wie steht es überhaupt mit der Offenheit, mit der Gastfreundschaft in unserer Gemeinde? Öffnen wir beim Abendmahl den Halbkreis auch für die, die etwas schüchtern hinter uns stehen? Gehen wir - etwa beim Kirchenkaffee ( falls es das gibt) auf die zu, die neu und unsicher wirken und sprechen sie an?

Paulus sagt es klar: Was zählt, ist die Liebe. - Und zwar nicht nur die Liebe im engen Kreis derer, die sich regelmäßig treffen ( die ist auch sehr viel wert!), sondern auch die herzliche, den andern wahrnehmende Freundlichkeit gegenüber dem Fremden.

(3) Die Korinther hatten es nicht nur mit der Glossolalie, sondern waren auch sonst Freunde des Redens. Paulus spricht auch das an. Er macht das das geschickt so, dass er nicht sagt: Ihr seid so! Sondern: wenn ich das täte: „Wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis..." Was muss es da für tiefgehende Seelsorgegespräche und was für aufwühlende Predigten geben! Offenbar können manche dieser „Ober-Christen" anderen so ins Gewissen reden, dass die sich durchschaut und zur Umkehr gerufen fühlen - und wieder andere wissen Gottes Heilsplan darzulegen - und dann gibt es noch die, die sich in den höheren Sphären auskennen, in denen böse und gute Mächte ihr Wesen treiben. So fühlen sich die Gemeindeglieder bestens gewappnet für ihren Weg hinauf ins Göttliche. Was sind dagegen schon die simplen Menschen, deren Gedanken sich um das Irdische drehen!

Die Wissenden nennen das Erkenntnis Gottes. - Wer dazu noch erzählen kann, wie sein starker Glaube anderen geholfen hat, sie vielleicht zu Christus geführt hat weg von heidnischen Götzen - oder sie gar geheilt hat - ja, so jemand wird bewundert in der Gemeinde. Der ist weit aufwärts gekommen auf der Glaubensleiter - und in der Gemeindehierarchie auch.

Ich vermag nicht zu sagen, ob Sie dies oder jenes wieder erkannt haben - ob in Ihrer Gemeinde ansatzweise so etwas vorkommt. Aber wie auch immer: Christen sind nicht frei von der Sucht, die man schon unter den Jungen in der Grundschule sieht: Ranking. Wer ist größer, angesehener wichtiger als der andere? Natürlich gelten im religiösen Umfeld andere Maßstäbe als auf dem Schulhof. Körperliche Stärke zählt da weniger. Doch die Verletzungen, die gemeindliche Ranking-Kämpfe hinterlassen, können sehr schmerzhaft ausfallen..zumal alles aufgeladen wird durch die Frage: Was sagt Gott dazu? - Paulus ist sich sicher, was Gott dazu sagt: „Ohne Liebe ist das alles nichts."

(4) Paulus geht weiter: Manche scheinen sich nicht nur ihrer geistig-spirituellen Höhenflüge zu rühmen, sondern ihrer diakonischen Freigebigkeit. Die Habe den Armen geben: der reiche Jüngling, dem Jesus selbst das nahe legte, konnte es nicht. Können wir es? Sicher ist: tätige Nächstenliebe kostet Geld. Da sind wir heute genau so gefordert wie die damals. Jesus wusste wohl von den Gefahren, die auch hier lauern. Darum sagte er: „Wenn du gibst, soll die linke Hand nicht wissen, was die rechte tut." Das Gegenbeispiel ist jene ( wahre!) Geschichte von der Nachtschwester, die aufopferungsvoll ihren Dienst tat. Als ein Kranker ( der Theologe Helmut Thielicke)sie fragte, wie sie ihren schweren Dienst durchhalten könne, antwortete sie" Jeder Nachtdienst ist ein Edelstein in meiner himmlischen Krone..."

Paulus weiß: Nichts, was Menschen tun ist gefeit gegen die Gefahr, damit etwas für das eigene Ego herausholen zu wollen, Lob zu suchen und Anerkennung. Wer aber so sehr auf sich und sein geliebtes Ich starrt - wie kann der noch liebevoll auf seinen Nächsten blicken?

(5) Und sogar das äußerste Opfer...das Martyrium...kann von der Eigensucht bestimmt sein. In der ersten Christenheit gab es tatsächlich einen Bischof, der schilderte seinen Gemeinden, wie sehr er sich danach sehnte, von den wilden Tieren ( im Zirkus) zermalmt zu werden. - Diese Geilheit, sich selbst in einer spektakulären Aktion zu opfern, ist heute von beklemmender Aktualität durch die Untaten der Selbstmordattentäter. Auch wer die Worte des Paulus nie gehört hat, empfindet hier: Zu so etwas kann Gott nicht Ja sagen. Denn hier fehlt die Liebe!

Wir wissen es von Eiferern, Inquisitoren und Kreuzzüglern, von Frömmlern und solchen, die anvertraute Menschen schänden: Religion lässt sich missbrauchen. Gott wird hintergangen, wenn Menschen nur eins im Sinn haben: unter Berufung auf ihn groß herauszukommen.

(6) Der Apostel setzt auf die Liebe. Diese Liebe sollen wir zwar anstreben, suchen und um sie beten , aber sie bleibt immer unverdient, ein Geschenk. Zwar benutzt Paulus die Worte: „...und hätte die Liebe nicht", aber er weiß wohl: Haben tun wir sie nie. Sie - die Liebe, die nicht Eros ist, sondern Agape, Nächstenliebe, sie lässt sich finden in der Liebe Jesu. Wer „in Christus ist", der wird von Liebe angetrieben.

Gott schenke uns, dass wir uns immer mehr in diese Liebe hineinziehen lassen!

 



Superintendent i.R. Albrecht Westphal
Hildesheim
E-Mail: akwestphal@htp-tel.de

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