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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2012

Jahreslosung 2013, 2.Kor.12,9, verfasst von Nikolaus Schneider

Dunkelheit und Licht, Schwachheit und Kraft, Verzweiflung und Zuversicht, zerstörerisches Wüten und schöpferisches Gestalten – die Erfahrungen unseres Lebens und die Erfahrungen in unserer Welt sind von Gegensätzen und Kontrasten bestimmt. Das gilt auch für Menschen, die an Gott glauben und dem Wort Gottes vertrauen.

Gottesglaube und Gottvertrauen sind keine Bollwerke gegen Anfechtungen und Zweifel. Und auch keine Absicherungen gegen Schwachheit, Krankheit, Unglück und Versagen.

Das hat auch der Apostel Paulus leidvoll erfahren müssen:

Paulus leidet unter einer Krankheit, die er als „Pfahl im Fleische“ (2. Korinther 12, 7)

bezeichnet. Er versteht sein Leiden als ein satanisches Wüten gegen ihn. Dreimal fleht er Gott an, dass er ihn heile (vgl. 2. Korinther 12, 8). Doch Gott schlägt diese Bitte ab. Gottes Antwort an Paulus ist die Jahreslosung für das Neue Jahr 2012:

„Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2. Korinther 12, 9)

Gib dich mit meiner Gnade zufrieden! – Was für eine Antwort auf das Gebet eines Leidenden!

Unbeantwortet bleiben alle Fragen nach dem „Warum?“ der Krankheit und des Leidens.

Mit dieser Enttäuschung musste der Apostel damals – vor fast zwei Jahrtausenden – weiter leben, weiter glauben und weiter das Evangelium verkündigen.

Und auch wir heutigen Christinnen und Christen müssen häufig mit der Enttäuschung leben, dass Gottes Wort uns keine Antwort auf unsere existentiellen „Warum-Fragen“ gibt:

Warum leide gerade ich unter dieser unheilbaren Krankheit?

Warum stirbt jetzt gerade der Mensch, den ich doch so liebe und brauche?

Warum erhört Gott denn nicht mein inständiges Gebet?

Gottes Wege und Gottes Walten auf dieser Welt und in unserem Leben bleiben uns oft erschreckend fremd und befremdlich. Gott begegnet auch den Menschen, die ihr Leben an sein Wort gebunden haben, nicht allein als der „liebe Gott“.

Und manches Mal mag uns wohl auch Unverständnis und Zorn überkommen, wenn wir feststellen müssen:

Den Frommen geht es in dieser Welt nicht besser als den Ungerechten. Ja, Ungerechtigkeit lohnt sich auch noch!

So mögen sich damals in Korinth zur Zeit des Apostel Paulus genau wie heute am Beginn des Jahres 2012 Menschen fragen:

Macht es eigentlich überhaupt Sinn an Gott zu glauben, wenn ein von Gott gesegnetes Leben nicht auch körperliche Heilung und irdisches Glück der Glaubenden mit einschließt?

Was lehrt oder hilft Christenmenschen, die Wirkmächtigkeit von Gottes Gnade zu spüren und zu glauben – gerade dann, wenn sie Ohnmacht in sich oder in ihrem Umfeld erleben?

 

Für den Apostel Paulus können Menschen auf diese Fragen nur dann eine tragfähige Antwort finden, wenn sie auf Jesus Christus blicken, auf sein Leiden, Sterben und Auferstehen.

Und ich denke, auch heute hilft allein der Blick auf Jesus Christus, um angesichts aller Leid- und Todeserfahrungen auf Gottes Liebe und Gottes Macht in dieser Welt zu vertrauen.

Um Gottes Kraft in der Schwachheit zu erkennen.

Den Blick auf Jesus Christus hat der Apostel Paulus der jungen Gemeinde in Korinth ans Herz gelegt. Und diesen Blick möchte ich auch Ihnen heute ans Herz legen.

Den Blick auf Jesus Christus im Garten Gethsemane nach dem Abendmahl mit seinen Jüngern und vor seiner Gefangennahme:

Hier – in der Nacht vor seinem Kreuzestod –  wird uns Gottes Kraft offenbar, wie sie gerade in Schwachheit mächtig ist. Jesus Christus schämt sich seiner Schwachheit nicht. Er zeigt seine Angst vor dem eigenen Leiden und Sterben und fleht im Gebet um Verschonung.

Zugleich aber weiß er sich auch in seinem Flehen getragen von der unzerstörbaren Kraft Gottes, um seinen Wege zu gehen. Deshalb vermag er zu beten: „Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“ (Markus 14, 36).

Und dann, einen Tag später:

Da hängt Jesus am Kreuz, verraten und gequält. Und er bittet um Vergebung für seine Henker, spricht seinem Nächsten das Paradies zu und lässt sich mit all seinen Erfahrungen der Todesangst und gefühlter Gottverlassenheit in Gottes Hände fallen.

Jesus erfährt und bezeugt Gottes Kraft mitten in seiner Schwachheit, mitten in seinen Ängsten, mitten in seinem Leiden und in seinem Sterben.

Und Gottes Kraft, die in seiner Schwachheit mächtig ist, trägt Jesus Christus durch den Tod hindurch in das unvergängliche Leben im Gottesreich.

An Jesu Kreuz und Auferstehung können wir sehen:

Die Erfahrungen von Leiden und Sterben, Krankheit, Unrecht und Gewalt gehören zum Leben von Menschen auf dieser Welt – auch die Erfahrungen von unerfüllten Wünschen und unerhörten Gebeten. Aber diese Erfahrungen behalten nicht das letzte Wort.

Gott hat Jesus Christus auferweckt von den Toten.

Und Gott will und kann auch uns auferwecken zu neuem, unvergänglichen Leben in seinem ewigen Reich.

 

In diesem vertrauensvollen Blick auf das Leiden und auf die Auferstehung Jesu Christi erkennen wir Gottes Gnade als eine wirkmächtige Kraft gerade in unserer Schwachheit und in den schweren Zeiten unseres Lebens.

In unserem Blick auf Jesus Christus wird Gottes Wort an Paulus zu einem „Wort der Gnade“ für uns heute:

 „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ 

Paulus hat in und mit seiner Krankheit durch die Zusage Gottes zu einem ganz neuen Selbstbewusstsein gefunden. Das „Sich-Begnügen-Müssen“ mit Gottes Gnade wird ihm zu einem wirklichen „Genug-Haben“. Er erkennt, dass sein Leben mit den körperlichen Einschränkungen in Gottes Augen ein voll-wertiges und voll-gültiges Leben ist, wenn er in seiner Schwachheit nicht auf sich selbst, sondern auf Gottes Gnade und Gottes Kraft vertraut. Die Zumutung Gottes, sein Flehen um Heilung nicht zu erhören, wird ihm im Blick auf das Leiden Jesu Christi in paradoxer Weise zu einem Gottesgeschenk: „Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.“(2. Korinther 12, 9b).  

Auch in dem vor uns liegenden Jahr 2012 werden die Erfahrungen von Gegensätzen und Kontrasten unser Leben bestimmen. Das Miterleben und das Selbst-Erleiden von Krankheit und Schmerzen, von Schuld und Versagen, von Unglück und Gewalt werden uns nicht erspart bleiben. Aber gerade auch für diese dunklen und schweren Zeiten will die Jahreslosung stärken:

Gott lässt uns in unserer Schwachheit nicht allein. Gerade, wenn wir uns nicht mehr auf unsere eigenen Kräfte verlassen können, sind unsere Hände frei, um seine Kraft zu empfangen!

Ein gutes und gesegnetes Jahr 2012! 

 



Ratsvorsitzender der EKD, Präses Dr. Nikolaus Schneider
Düsseldorf
E-Mail: bianca.schamp@ekd.de

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