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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

, verfasst von Rudolf Rengstorf

 

Wie schön leuchtet der Morgenstern" (EG 70)

Wie schön leuchtet der Morgenstern
voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn,
die süße Wurzel Jesse.
Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm,
mein König und mein Bräutigam,
hast mir mein Herz besessen;
lieblich,
freundlich,
schön und herrlich,
groß und ehrlich,
reich an Gaben,
hoch und sehr prächtig erhaben.


2. Ei meine Perl, du werte Kron,
wahr‛ Gottes und Marien Sohn,
ein hochgeborner König!
Mein Herz heißt dich ein Himmelsblum;
dein süßes Evangelium
ist lauter Milch und Honig.
Ei mein
Blümlein,
Hosianna!
Himmlisch Manna,
das wir essen,
deiner kann ich nicht vergessen.



3. Gieß sehr tief in das Herz hinein,
du leuchtend Kleinod, edler Stein,
mir deiner Liebe Flamme,
daß ich, o Herr, ein Gliedmaß bleib
an deinem auserwählten Leib,
ein Zweig an deinem Stamme.
Nach dir
wallt mir
mein Gemüte,
ewge Güte,
bis es findet
dich, des Liebe mich entzündet.

4. Von Gott kommt mir ein Freudenschein,
wenn du mich mit den Augen dein
gar freundlich tust anblicken.
Herr Jesu, du mein trautes Gut,
dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut
mich innerlich erquicken.
Nimm mich
freundlich
in dein Arme
und erbarme
dich in Gnaden;
auf dein Wort komm ich geladen.


5. Herr Gott Vater, mein starker Held,
du hast mich ewig vor der Welt
in deinem Sohn geliebet.
Dein Sohn hat mich ihm selbst vertraut,
er ist mein Schatz, ich seine Braut,
drum mich auch nichts betrübet.
Eia,
eia,
himmlisch Leben
wird er geben
mir dort oben;
ewig soll mein Herz ihn loben.



6. Zwingt die Saiten in Cythara
und laßt die süße Musika
ganz freudenreich erschallen,
daß ich möge mit Jesulein,
dem wunderschönen Bräut‛gam mein,
in steter Liebe wallen.
Singet,
springet,
jubilieret,
triumphieret,
dankt dem Herren;
groß ist der König der Ehren.

7. Wie bin ich doch so herzlich froh,
daß mein Schatz ist das A und O,
der Anfang und das Ende.
Er wird mich doch zu seinem Preis
aufnehmen in das Paradeis;
des klopf ich in die Hände.
Amen,
Amen,
komm, du schöne
Freudenkrone,
bleib nicht lange;
deiner wart ich mit Verlangen.

 

Die „Königin der Choräle" wird dieses Lied oft genannt. Man braucht bloß das Schriftbild der zentrierten Zeilen vor Augen zu haben, um zu erkennen, wie kunstvoll der Dichter Philipp Nicolai vorgegangen ist. Mit den zwölfzeiligen Strophen stellt er uns jeweils einen Kelch vor Augen, im Ganzen sieben mal. Schon daran wird deutlich: In diesem Lied geht es durchweg um Hochheiliges, um die Vereinigung von Gott und Mensch, wie sie sinnenfällig im Abendmahl erfahrbar wird..

Die Schale des Kelches besteht jeweils aus zwei längeren getragenen Wortpartien, die in einer kürzeren - den Einschnitt der Schale und den Übergang zum Schaft markierenden - Wortfolge enden. Die „Leitsätze" thematisieren die Welt Gottes; die kürzeren Folgesätze betonen, was unten beim Menschen ankommt. Der Schaft, an dem der Mensch den Kelch ergreift, um sich das Heil einzuverleiben, besteht dagegen aus kurzen Ausrufen voller Schwung und Begeisterung. Der Fuß des Kelches kehrt im Stil an den Anfang zurück. Beruht doch das Heil des Menschen auf dem, was im Himmel ist.:

Dem entspricht die Melodie, die der Dichter für sein Lied selbst komponiert hat:Die „Leitätze" der Kelchschale klingen nach majestätischem Schreiten, die beiden Folgesätze gehen in einen tänzerischen Dreiertakt über. Der Schaft mit seinen eingängigen Wiederholungen findet musikalisch Ausdruck in einer Art Wiegenlied. Unversehens springt die Melodie am Fuß des Kelches nach oben und nimmt das feierliche Schreiten.wieder auf. Musik und Text sind also genauestens aufeinander abgestimmt, und das Schema - von oben von Gott ausgehend über und in den Menschen hinein zurück in die Welt Gotttes - wird in allen Strophen durchgehalten. .

Und schon beim ersten Überblick wird deutlich: Reformatorische Theologie erscheint in ganz ungewohnter Form. Nicht Lehrsätze und Bekenntnisse beherrschen das Lied. Es drückt sich vielmehr aus in der Sprache sinnlicher Liebe und entzückter Erotik.

Dabei war Philipp Nicolai, der Dichter und Komponist des Liedes, zunächst alles andere als ein Poet der Liebe. Aufgewachsen und ausgebildet in der zweiten Häfte des 16. Jahrhunderts, also zu der Zeit, als die Gegenreformation die Protestanten zurückzudrängen suchte und die Lutheraner sich zugleich im Abwehrkampf mit den Calvinisten befanden, gehörte Nicolai zu den entschiedensten lutherischen Theologen. Hochaggressiv und fundmentalistisch eifernd waren seine Streitschriften; seine Gegner bezeichnete er als „Brüllochsen" und „Wildschweine". Zweimal war der luthersiche Scharfmacher von seinen Gegnern schon aus Pfarrstellen vertrieben worden, als er - inzwischen 40 Jahre alt - 1596 eine Pfarrstelle in Unna erhielt. Kurz nach seiner Ankunft brach in Unna die Pest aus. Ein Drittel der Stadtbevölkerung fiel ihr zum Opfer. Das Pfarrhaus lag direkt neben dem Friedhof, auf dem Nicolai von morgens bis abends mit der Beerdigung von Pesttoten eingedeckt war.. Von allen Seiten griff der Tod nach ihm. Sein Amtskollege wurde hingerafft, ebenso seine Schwester, die ihm den Haushalt führte.

Er schreibt davon, dass "die gänzlich angefüllte Luft einen schädlichen Geruch verbreitete."

Das ist die Welt, in der die Königin der Choräle entstanden ist. Was ihn bisher beschäftigt und ausgefüllt hatte - die Auseinandersetzung mit theologischen Gegnern und der Kampf um die Reinhaltun der lutherischen Lehre - das fällt von ihm ab, wo ihm die Erde, die Welt, mit der wir mit allen Sinnen und Verstand verbunden sind, zu entgleiten droht.

Desto wichtiger wird nun die Welt Gottes,m in die er sich im Angesicht eines grässlichen und alles in sich hineinfressenden Todes mit einer Leidenschaft verliebt, wie wir sie sonst im Gesangbuch nicht wieder finden.

Die ja nur zu gut nachvollziehbare Sehnsucht nach der Gegenwelt ewigen Lebens von paradiesischer Schönheit macht sich fest in Christus, der sich der Welt des Todes mit Leib und Blut (Strophe 4) ausgesetzt und uns in göttliche Liebe hineingezogen hat (Strophe 5), wie ein Bräutigam seine Braut in die Welt der Liebe hineinzieht. Und er traut sich, das Bekenntnis, dass Gott die Welt, die Menschen liebt, dem Charakter wahrer Liebe entsprechend, persönlich zu nehmen und es ganz auf sich selbst zu beziehen. An die Stelle des unter Christen üblichen dogmatisch korrekten „Wir" tritt das Ich Nicolais mit allem, was in ihm steckt an Begeisterungsfähigkeit, Phantasie und dem Verlangen nach Zärtlichkeit, Nähe und Vereinigung.

Immer in dieser Form von und mit Gott zu reden - wie es in pietistischen Kreisen ja gerne getan wird -, wäre zum einen geschmacklos - Intimitäten gehören nicht in den Kontext des Alltags - und übergriffig, weil die Würde Gottes missachtend.. In Grenzsituationen aber, wo Mitmenschen und alles, was sonst Halt gibt, keine Rolle mehr spielen, will und kann Gott bei seinem Wort der Liebe genommen werden

Und so entsteht ein meisterhaftes geistliches Liebeslied, lange bevor es Mode wurde, die Welt der Liebenden dichterisch zu erschließen. Dass ausgerechnet ein Ausbund lutherischer Orthodoxie und bedenkenloser Polemik - dazu damals noch Junggeselle (später heiratete er die Witwe seines Amtskollegen) - zum Liebespoeten werden konnte, zeigt dass er aus einer Welt kommt, die sich in der Liebe gut und treffend zu artikulieren verstand.

Sehen wir uns das Strophe für Strophe an:

Strophe 1:

Der Morgenstern ist eine biblische Metapher für Christus. Wie der Morgenstern den kurz bevorstehenden Anbruch des Tages anzeigt, so gibt Christus die schon im Kommen befindliche Welt Gottes zu erkennen. Andere Metaphern - die süße Wurzel Jesse, Sohn Davids aus Jakobs Stamm, König, Bräutigam - treten dazu, ob die Bilder nun zu einander passen oder nicht. Darauf komm es in einer Dogmatik an. Im Liebeslied dagegen - und das prägt das Lied im Ganzen - wird nach immer neuen Ausdrücken gesucht, weil die Begeisterung für den Angehimmelten keine Grenzen kennt. Denn wes des Herzen voll ist... Entscheidend ist, dass Bilder gefun den werden, die zeigen, dass es den Geliebten, den Bräutigam zu seiner Braut drängt, die ihn dann mit sich ständig überbietenden Ausrufens des Entzückens bestaunt, ihn im Geist schon an ihr Herz drückt und zugleich vor ihm niederfällt.

Strophe 2

Der Hochgeborene und Erhabene ist die Krone der Braut, macht sie zu seiner Königing und stellt damit vollkommene Augenhöhe her. Was gibt es Größeres, Süßeres, Wellnesshafteres, als so ausgezeichnet und zu Ehren gebracht zu werden, wie es im Evangelium zugesagt und im Manna des Abendmahls verinnerlicht wird. . Damit sorgt der Bräutigam selber dafür, dass er bei seiner Braurt gar nicht in Veressenheit geraten kann.

Strophe 3

In jeder Strophe spielt das Herz eine zentrale Rolle, das Innere, das von Jesus besessen ist, ihn anspricht,

von ihm erquickt wird, ihn ewig lobt und auf ihn voller Verlangen wartet.In dieser Strophe wird deutlich: die Christusliebe ist nicht das Produkt einer von dieser Welt zutiefst enttäuschten Seele, die sich ein Wunschbild an den Himmel projiziert. Nein, die Christusliebe kommt daher, dass sie von Christus selbst ins Herz gegosen wird So unauflöslich die Verbindung zwischen dem Leib und seinem Glied, dem Zweig und dem Ast (ursprünglich spricht Nicolai hier von der „lebendigen Rippe") auch erscheint:

Alles hängt daran, dass Christus mit seiner Liebe mich ständig neu entzündet

Strophe 4

In die in Todesdunkel, Verzweiflung und Trauer liegende Welt kommt ein Freudenschein von Gott, weil du, Her Jesus, mir mit deinem freundlichen Blick zeigst, dass dir an mir liegt. Mit deinem Geist, Leib und Blut bringst du mich innerlich zu neuem Leben. Und nun lass mich deine Nähe und Wärme, deine schützende Liebe auch körperlich spüren. Nein, das ist keine Gefühlsduselei. Es ist das Wort Gottes, das; , das Innere derart anzieht und in Bewegung bringt.

Strophe 5

Schon vor der Erschaffung der Welt war ich einbezogen in Gottes Liebe zu seinem Sohn, der ja gekommen ist, sich mit mir zu vereinigen, wie sich der Bräutigam mit der Braut vereinigt. Was kann mich da betrüben, wenn ich, gewiegt von seinen Armen, das ewige Leben dort oben vor Augen habe. Und darin, dass ich ihn lobe, bin ich schon teil jender Welt

Strophe 6

Weil wir so etwas wie eine geistliche Hochzeit erleben, darf die zum Tanz aufspielende Musik natürlich nicht fehlen. Nur in dieser Strophe ist ungewiss, wo wir uns mit der Aufforderung an die Musikanten befinden. Denn die Gott zu Ehren bringende Musika verbindet Himmel und Erde. Kein Wunder, dass gerade diese Liedstrophe unter Komponisten einen vielfältigen Widerhall gefunden hat!

Strophe 7

Dass der Anfang des Lebens nicht im Ungewissen liegt uind sein Ende nich vom Tod verschlungen wird,

dass Christus A und O, anfang und Ende ist, macht das Herz bei aller Traurigkeit froh und lässt vor Freude in die Hände klatschen. (Wer ist eigentlich darauf gekommen, den Beifall aus der Kirche zu verbannen? Wieso wird Gott dieses eindrucksvolle Zeichen der Anerkennung versagt?). Und so endet

das Lied mit dem sehnsiuchtsvollen Ruf, mit dem auch die Bibel endet: Amen. Ja, komm, Herr Jesus!

Auf der Grenze zwischen vergehender Welt und anbrechendem Himmel ist dieses Lied entstanden. Und doch ist es auch für den „normalen" Gottesdienst geeignet. Weil es die Sensibilität dafür weckt und wach hält, dass wir nicht nur von dieser Welt sind und unser Leben allein daran hängt, dass der ewige Gott einen jeden von uns in seiner Nähe haben will. Amen.

 



Superintendent i.R. Rudolf Rengstorf
Hildesheim
E-Mail: Rudolf.Rengstorf@online.de

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