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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

, verfasst von Ralf Reuter

Liebe Gemeinde,

ich möchte Sie mit einem alten Lied verzaubern. Heutzutage geht das wieder. Inzwischen ist die Fortschrittsorientierung gebrochen, wir leiden zunehmend an der Ökonomiesierung unseres Lebens, besuchen wieder alte Klöster, lieben auch historische Kirchen und können neben neuen auch wieder alte Lieder singen. Ein altes Lied im März, am Sonntag Lätare, dem kleinen Ostern in der Passionszeit, am Tag der Wahlen zum Kirchenvorstand in den Gemeinden der Hannoverschen Landeskirche. Es nimmt Bilder vom Pflügen auf, und vom Wetter und den Jahreszeiten, und verbindet uns in einer ganz sanften poetischen Sprache mit unserer eigenen Glaubensgeschichte.

Der „tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf und träuft, wenn wir heim gehen, Wuchs und Gedeihen drauf.“ Der Bauer, der nach dem Pflügen und Säen abends nach Hause geht, stellt fest, dass ein anderer für das Wachsen und Gedeihen der Saat sorgt. Stellen wir uns einen Moment lang vor, wie wir nach getaner Arbeit Feierabend haben, und über Nacht wird diese Arbeit irgendwie gut oder besser. Das ist ein bisschen so, als ob wir nach der Schule Freizeit haben, und morgen gelingt die Klassenarbeit. Oder: Heute predigen wir und morgen blüht die Gemeinde.

Bei allem Zweifel hat dies etwas Faszinierendes. Im Leben gibt es mehr als nur uns und unser Bemühen. Gelingendes Leben hängt nicht nur von uns ab, da braucht es etwas anderes, dass irgendwie „mild und heimlich“ dazu kommt. Was kann das sein? Er „wickelt seinen Segen gar zart und künstlich ein und bringt ihn dann behende in unser Feld und Brot“. Segen kann das sein. Dieses Wort verwenden wir außerhalb der Kirche seltener. Wir sagen zu unserer Arbeit, die war erfolgreich. Erfolg ist unser Wort. Erfolg durch Zensuren, durch Geld, durch die Zahl der Aktivitäten, auch in der Kirche.

Segen ist etwas anderes als Erfolg. Da kommt was von außen, was wir selber nicht machen, auch nicht machen können. Ist das vorstellbar, wir können etwas nicht machen, etwas ist nicht machbar? Davon erzählt unser Lied. Und nimmt uns mit in ein Denken, das nicht von unserem Erfolg ausgeht. Und daher auch nicht von unserem Scheitern. Wenn wir Erfolg haben, hat er seinen Segen „zart und künstlich“, also dezent und kunstvoll dazu gegeben. Wenn wir trotz Arbeit keinen Erfolg haben, dann hat er keinen Segen gegeben.

Das ist eine, so finde ich, sehr menschliche Sichtweise. Sie verurteilt nicht gleich, sie ist nicht so hart wie wir oft in unseren Urteilen sind. Zu uns selber, und zu anderen.  Das Leben hängt nicht nur an uns, es gibt einen anderen, der da entscheidend ist.  Und von dem ist dann weiter die Rede: „Von ihm sind Busch und Blätter und Korn und Obst von ihm, das schöne Frühlingswetter und Schnee und Ungestüm.“ Spätestens hier ist uns klar, es ist von Gott die Rede. Von Gott und seiner Schöpfung. Auch wenn wir die Büsche anpflanzen und selbst das Wetter beeinflussen, so gehört das zur Schöpfung.

Vor vielen Millionen Jahren ist durch ein göttliches Wunder diese Welt und die Erde entstanden, mit Pflanzen, Tieren und Menschen, und auf ihr leben wir heute. Wenn das von Gott kommt, wie hier besungen wird, dann gehört es nicht uns, sondern ihm. Dann ist uns das nur geliehen, auf Zeit. Wir sind zu Gast auf einem schönen Stern (Helmut Thielicke). Schöpfung führt das Leben auf Gott zurück. Das ist religiöses Denken. Wir beziehen das inzwischen wieder mit in unserem Handeln ein. Wer seine Herkunft kennt, hat Anhaltspunkte, wohin er geht. Wir erhoffen uns davon einen schonenden Umgang mit der Natur. Der Gedanke der Schöpfung bezieht sich so auch auf das gegenwärtige Schaffen Gottes. Davon berichtet die vierte Strophe:

„Er schenkt uns so viel Freude, er macht uns frisch und rot; er gibt den Kühen Weide und unsern Kindern Brot.“ Das ist absolut erstaunlich. Von Freude ist die Rede, von „so viel Freude“, die zu spüren ist. Und statt einer drohenden Burn-Out-Erfahrung in Beruf und Familie macht er uns „frisch und rot“, stattet uns also mit einer gesunden Gesichtsfarbe aus. Wir leben offenbar von Möglichkeiten, die mehr als unsere eigenen sind. Es sind Bilder eines aktiven göttlichen Schaffens, in die wir mit eingebunden sind und uns Schwung verleihen. Als ob wir in einem Rhythmus mitschwingen und sich das Leben nach vorne lebt. Mit frischer Weidemilch und Brot als Grundversorgung für Kinder.

Es sind Bilder der Schöpfung, die uns hier zugesungen werden, in die wir reinschlüpfen können. Es ist die Frage, ob wir diesen uns geschönt vorkommenden Bildern trauen und sie zum Leben nutzen. Sie sind ein keine Bilder der Gerechtigkeit, die uns wahrscheinlich viel mehr leitet. Gerechtigkeit fragt sofort, was ist richtig und was falsch. Da werden Bilder des Wachstums in den Grenzen des Wachstums gesehen, Bilder der Natur in aktueller Zerstörung, Wetter als Klimawandel, der Anbau von Früchten unter den Gefahren konventioneller Landwirtschaft, Ökonomie in Gut und Böse unterteilt.

Aber auch Kinder nach Handicaps beurteilt, Jugendliche nach AHDS und Asperger kategorisiert, Erwachsene nach ihrem genetischen Potential eingeordnet und Alte als Kostenfaktor verbucht. Die Augen der Schöpfung sehen mit einem ganz anderen Blick. Sie beurteilen nicht gleich, sondern nehmen staunend war, was da ist und welche Möglichkeiten zum Guten sich eröffnen. Kinder erhalten immer ein Lächeln („bambini“ sagen die Italiener), Jugendliche haben Potentiale, die erblühen, Erwachsene sind individuelle Originale und Alte voller Weisheit.

„Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm … und hofft auf ihn!“, der Refrain zieht uns in ein positives Denken hinein, ja in einen Überschwang an Lob und Dank des Schöpfers und seiner Schöpfung. Daraus speist sich menschliche Hoffnung und Mut zur Aktivität. Dieses Lied erzählt uns von unserer Mutter, unserer Glaubensherkunft. Wir können es auch in der weiblichen Sprache verfassen, Gott kann auch wie eine Mutter sein, die Bibel kennt auch dieses Bild. Aber wir springen aus unserer Geschichte, aus unserer religiösen Biographie, aus unseren Möglichkeiten, wenn wir das Leben ohne Gott denken.

Ich glaube, wir brauchen diese alten Lieder. Brauchen sie zum Leben auf dieser Erde, brauchen sie für die Gestaltung von Zukunft. Sie enthalten einen fast verloren gegangenen Schatz des Glaubens, der in ihnen eingewickelt ist und sich durch gemeinsames Singen enthüllt. Die Gerechtigkeit allein trägt das Leben nicht. Gerechtigkeit allein macht hart und unerbittlich. Leben ist nicht nur ethisches Handeln, Leben ist immer auch Glauben. Wer glaubt, der lebt, und wird dann Gerechtigkeit als einen Leitbegriff für das Handeln beachten. Ja, er wird auch dann die Gerechtigkeit nicht aufgeben, wenn sie ihn selber fordert. Denn er bezieht seine Kraft aus Glauben und kann sich verändern lassen.

Das Lied „Wir pflügen und wir streuen“ singt uns diesen Glauben neu zu. Nicht nur zum Erntedankfest, sondern gerade im beginnenden Frühjahr, wenn die Saat ansteht und auch die Felder des Berufes, der Familie, der Lebensphasen, der Gemeinde neu bestellt werden müssen. Es singt uns auch zur heutigen Kirchenvorstandswahl von der Herkunft des Glaubens und der Zukunft mit und in Gottes Wirken. Ja, auch die Gemeinden sind herkunftsorientiert, und nicht universal.  Und sie sind individuell, sie dürfen nicht gleichgeschaltet werden.

Manche wollen die Gemeinden abschaffen, alles ist dann nur Kirche. Doch Glaube wächst durch Gemeinden. Und wo nicht in der Ortsgemeinde, da in anderen Gemeinden, z. B. in den Klöstern, oder Gemeinden an bestimmten Orten oder in Gemeinschaften. Aber immer gehören wir zu einer Gemeinde, wie zu einer Familie. Manchmal auch zu zwei Gemeinden, wie zu zwei Familien. Aber nie sind wir nur irgendwie Kirche.  Gemeinde gestalten beginnt mit dem Staunen „es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott“. Beginnt mit dem sich gründen in den Glauben, und führt dann in ein Handeln nach ethischen Gesichtspunkten. Zur Gemeinde gehören immer Gottesdienste und Gemeindekreise. Und immer auch „was nah ist und was ferne“, wir sind auch für die da, die nicht kommen, und singen für die mit. Der Überschwang an Hoffnung, der uns von Gott zufliegt, den lassen wir auch anderen zukommen.

Gemeinde auf dem Weg in die nächsten sechs Jahre braucht neben all den einzelnen Aufgaben, die zu tun ist, solche Lieder. Die uns in all unserer Gegenwärtigkeit immer wieder verzaubern. Die uns erzählen von der Schöpfung Gottes, die uns den Himmel öffnen, er „tut den Himmel auf“, damit wir um so lieber und sinnvoller leben. Damit wir das Pflügen und Säen nicht vergessen, weder in der Familie, noch im Beruf, noch in der Neugestaltung unserer Lebensphasen, und schon gar nicht in der Gemeinde. Nachhaltigkeit in der Gemeinde heißt, heute Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht mit voller Hingabe zu machen, auch wenn wir diese Früchte selber nicht mehr ernten. Heute in ökologisches Gebäudemanagement investieren, auch wenn es sich erst später rechnet. Die nachfolgenden Generationen werden etwas davon haben. So vollzieht sich Gerechtigkeit durch Schöpfung.

Und nun wollen wir endlich singen, denn zum Text gehört auch die Melodie, erst sie spielt uns den Rhythmus zu, in dem sich unser Leben entfalten kann. „Wir pflügen und wir streuen…“, alle vier Strophen und jedes Mal mit dem Refrain „Alle gute Gabe...“.

Amen.



Pastor Ralf Reuter
Göttingen
E-Mail: ralf.reuter@evlka.de

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