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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

März 2012, verfasst von Paul Kluge

Liebe Gemeinde,

Zu einem Spaziergang möchte ich Sie einladen, zu einem Spaziergang zunächst in das Örtchen Wandsbeck bei Hamburg im Jahre 1783, und dann zu einem Spaziergang mit einem berühmten Wandsbecker Einwohner, mit Matthias Claudius:

Das kleine Gutsdorf Wandsbeck hatte in den vergangenen zwanzig Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Dem Gutsherrn war es gelungen,  Mühlen, Brauereien, Handwerks- und Gewerbebetriebe anzusiedeln. Allein 1.500 Arbeiter fanden ein Auskommen in der Baumwollverarbeitung. Durch diese Entwicklung war auch die Einwohnerzahl stark gewachsen, an neuen Straßen waren neue Häuser entstanden. Alt- und Neu-Wandsbecker waren stolz auf ihren Ort.

Einer, der die Entwicklung eher skeptisch beobachtete und kritisch beurteilte, war der Schriftsteller und Journalist Matthias Claudius. Er war der Natur sehr verbunden und konnte sich über eine gelbe Rose oder einen roten Apfel mehr freuen als über ein Oberhemd aus Baumwolle. Allerdings war er auch nicht böse, dass der von ihm herausgegebene „Wandsbecker Bote“ nun deutlich mehr Leserinnen und Leser hatte.

Doch um seiner großen Kinderschar die Sinne für Gottes Schöpfung zu öffnen, musste er nun größere Spaziergänge machen. Und nicht immer waren die Kinder davon begeistert, erst recht nicht, wenn er sie nach den Namen von Blumen und Bäumen fragte oder sie einen Vogel am Gesang, ein Getreide an der Ähre erkennen sollten.

An einem ungewöhnlich warmen Märztag hatte Claudius wenigstens seine Jüngsten mit Hilfe eines versprochenen Picknicks bewegen können, mit ihm hinaus ins Grüne zu ziehen. Kaum hatten sie den Ort hinter sich gelassen, begannen die Kinder herum zu tollen. Claudius freute sich über diese befreiende Wirkung der freien Natur.

Hinter einer Biegung des Weges sahen sie zwei Pferde vor einen Pflug stehen, ein Mann saß am Feldrand und kaute an einem Stück Brot. „Moin, Herr Claudius“, grüßte der den Spaziergänger, und der grüßte mit „Tach, Petersen“ zurück und schob ein „Das richtige Wetter heute, was?“ hinterher. „Das kann man wohl sagen“, klang es zurück, „doch was nützt das schönste Wetter, wenn wir es nicht nutzen!“

Inzwischen hatten die Kinder sich um ihren Vater gesammelt, den älteren aus der Schar hatte der Bauer erlaubt, die Pferde zu streicheln. „Wollt ihr das wohl sein lassen!“ rief der Mann etwas laut, und Claudius folgte seinem Blick: Seine beiden Jüngsten hockten vor einem Sack und wühlten mit den Händen darin herum. Dabei fiel natürlich etliches auf die Erde. Der Vater ging zu ihnen, hockte sich nieder und begann, das verschüttete Saatgut wieder einzusammeln.

Dabei erzählte er den kleinen, dass aus jedem dieser Körnern große Halme würden, an denen dann wieder ganz viele Körner wüchsen, aus denen ihre Mutter dann schließlich Brot backen könne oder Kuchen.

Die Kleinen staunten, wollten mehr wissen und liefen zu dem Bauern; Claudius folgte. „Tja, also,“ begann der Bauer langsam; er wusste zwar die Folge der nötigen Schritte, hatte sie aber noch nie in Worte fassen müssen. „Also,“ echote er, „erst muss ich pflügen, dann eggen-“ „Was ist das?“ fragte das Jüngste und bekam das bereit liegende Gerät gezeigt und kurz erklärt. „Ja,“ fuhr der Bauer fort, „dann wird gesät. Also, ich streue die Körner auf den Acker. Schön gleichmäßig. Dann muss ich noch einmal mit der Egge drüber, damit die Vögel nicht die ganzen Körner fressen.“ – „Und dann?“ fragte ein anderes Claudius-Kind, worauf der Bauer nach einer Denkpause sagte: „Dann kann ich lange warten und andere Dinge tun. Das hier wächst dann von alleine.“

„Oder auch nicht,“ ließ Claudius sich vernehmen. Ihm gefiel nicht, dass der Bauer nur von seinem Tun erzählte. Der blickte ihn fragend, fast verständnislos an. „Deine Arbeit, Petersen, ist das Eine. Und das ist wichtig und richtig, ohne das geht es nicht. Aber es geht auch nicht ohne das Andere: Dass nämlich Gott das Seine dazu tut.“

Der Bauer gab einen Grunzton von sich, der eher nach Widerspruch als nach Zustimmung klang. „Genau betrachtet, ist es sogar umgekehrt,“ fuhr Claudius fort, „Gott hat uns die Voraussetzungen geschaffen und erhält sie. Unser Teil daran ist nur gering.“ Der Bauer wischte sich den Mund, stand auf und stapfte zum Pflug. Dabei murmelte er – laut genug, dass Claudius es hörte: „Zwölf Stunden und mehr am Tag ist nicht gerade wenig.“

Claudius zog mit seiner Kinderschar weiter, bis er einen passenden Platz für das versprochene Picknick entdeckte. Was seine Frau ihm eingepackt hatte, breitete er nun aus, und bevor die Kinder zulangen durften, betete ihr Vater „Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Vöglein trinkt von dir; hast auch meiner nicht vergessen, lieber Gott, ich danke dir.“

Während Saft und Kuchen den Kindern schmeckte, erzählte Claudius ihnen die Schöpfungsgeschichte. Wie Gott Himmel und Erde gemacht hatte, Sonne, Mond und Sterne, Erde und Meer, die Pflanzen, die Tiere und schließlich die Menschen. Erzählte, wie pfleglich Gott mit seiner Schöpfung umgehe und alles tue, um sie zu erhalten. Erzählte, wie Gott stets darauf bedacht sei, dass es den Menschen und den Tieren gut gehe und dass man dies am warmen Sonnenschein ebenso erkennen könne wie an Sturm und Gewitter, an der kleinen Ameise ebenso wie an den größten Gebirgen. „Papa, was ist Gebirge?“ fragte das jüngste der Kinder, und weil er keine Antwort wusste, fragte Claudius in die Runde: „Na, wer weiß es?“ Alle schwiegen.

„Nun seht euch das einmal an,“ rief Claudius begeistert und zeigte in eine Richtung; die Kinderaugen folgten seinem ausgestreckten Arm. Ein kleines Häufchen schwarzer Erde lag auf dem noch blassen Gras und wurde wie von Geisterhand größer und größer. Claudius legte den Finger auf die Lippen, doch die Kinder blickten ohnehin still und gebannt auf das Geschehen. „Ein Maulwurf,“ flüsterte eines der Älteren, „gleich kommt er heraus!“

Da kam er auch schon und lief auf die Kinder zu; Claudius fing ihn mit einem geschickten Griff. Nach kurzem Zappeln war das Tierchen ganz ruhig, und der Vater erklärte seinen Kindern das Wunderbare dieses blinden Geschöpfes Gottes und wie er es eingerichtet hatte, dass das Tierlein unter der Erde leben kann. Als die Kinder das weiche Fell streichelten, wehrte sich das Tier mit einem Biss in Claudius’ Hand. Der ließ es los, der Maulwurf lief davon und begann, sich einzubuddeln. Die Kinder staunten, welche Kraft in den Schaufeln lag.

Nach diesem Erlebnis packten sie ihre Sachen und begaben sich heimwärts. Der Bauer war nun dabei, den gepflügten Acker zu eggen. Er hielt die Pferde an und kam in großen Schritten an den Weg gestapft. „Herr Claudius“, begann er, „ich war vorhin etwas unfreundlich. Eigentlich haben Sie ja recht: Die ganze  Schöpfung haben wir geschenkt bekommen. Alles ist da, was wir für unser täglich Brot brauchen. Was wir tun können, ist wirklich recht wenig.“ – „Das aber“, antwortete Claudius, „das Wenige, dass müssen wir tun, sonst gibt es kein Brot!“

Sie lächelten einander zu, sie hatten sich verstanden. Die Claudiusschar zog weiter, und der Vater erzählte seinen Kindern, er wolle für das Erntefest auf dem Gutshof ein Singspiel schreiben. Das Gesinde solle es aufführen und der Gutsherr seine Freude daran haben. Er dachte einen Augenblick nach, dann deklamierte er:

„Am Anfang war’s auf Erden noch finster, wüst und leer;

und sollt was sein und werden, musst es woanders her.
So ist es zugegangen im Anfang, als Gott sprach;
und wie es angefangen, so geht’s noch diesen Tag.“

Nach kurzer Pause setzte er fort:

„Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand:
der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf
und träuft, wenn heim wir gehen, Wuchs und Gedeihen drauf.“

Zuhause angekommen, setzte er sich an seinen Schreibtisch, schrieb noch weitere vierzehn Strophen, solo zu singen, und für einen Chor der Bauern den Refrain „Alle gute Gabe kam oben her, von Gott, vom schönen blauen Himmel herab!“ Den Organisten von Wandsbeck wollte er später um eine gefällige, einfache Melodie bitten.

Amen

 




 

 

 



Landespfarrer für Diakonie a.D Paul Kluge
Leer (Ostfriesland)

E-Mail: paul-kluge@t-online.de

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