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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

, verfasst von Ulrich Wiesjahn

Liebe Gemeinde!

Das erste Erstaunen entstand bei Ihnen gewiss darüber, dass wir das allbekannte Adventslied
jetzt zur Frühlings- und Osterzeit singen. Aber das Thema, das Paul Gerhardt darin aufgreift"
gehört ja eigentlich zum Einzug Jesuin Jerusalem am Palmsonntag.

Das viel größere Erstaunen soll uns nun aber darüber ergreifen, dass wir gleichsam in der
ersten Reihe des Geschehens stehen. Ich, der Sänger oder die Sängerin, ich stehe in diesem
Lied mit meinem Ich zuerst einmal im Mittelpunkt. "Wie soll ich dich empfangen?", singe ich
da. "Undich will dir in Psalmen ermuntern meinen Sinn." "Mein Herze soll dir grünen." "Ich
lag in schweren Banden." "Nichts, nichts hat dich getrieben zu mir vom Himmelszelt als das
geliebte Lieben .. "

Das alles singen wir zwar gemeinsam, doch zuerst und vor allem als ein Ich, jeder Einzelne
mit seinem eigenen Atem. Und genaudas sollen und wollen wir spüren und begreifen: Ich
allein bin gemeint, ich ganz persönlich, ich ganz einmalig, ich ganz wichtig und unvertretbar
und unmittelbar. ich ganz glücklich und selig. Dieses wunderbare Lied macht mich zuallererst
auf mich selbst aufmerksam.

Und so ist es ja auch, dass die Frömmigkeit und Religiosität, die wir meinen und wollen, ganz
persönlich, ganz innig, ganz in mein eigenes Dasein. eingebettet sein soll, so dass ich darin
meiner selbst gewiss werden kann, auch in allen Turbulenzen des Lebens. Religiosität oder
Glauben, wie wir eher sagen, dient der Selbstvergewisserung.

Dass nun jemand schon vor 360 Jahren, unmittelbar nach dem furchtbaren 30jährigen Krieg,
der fast.alles zerstörthat, was man zerstören.kann.nämlich Häuser und Städte.Regierungs-
und Wirtschaftssysteme und vor allem das Denken und die Seelen der Menschen, dass da

~ einer so deutlich und aufrecht und selbstgewiss ;,lch" sagen-:kann, Qas ist das Wunder des.Paul=
Gerhardt, das Wunder des Protestantismus, das Wunder der Barockzeit. Ja, es ist zu allen
Zeiten eine große Entdeckung, das eigene Ich zu.finden und zu lieben. Martin Luther hatte es
schon in seinem Katechismus allen Kleinen und Großen ans Herz gelegt, "Ich" zu sagen. Und
wer es dazunoch singt, der tut es allein schon.mit seinem bewegten,lebendigenAtem.

Angeregt zu dieser fröhlichen und mutigen Entdeckung wird das Ich nun durch ein Du, und
es blüht durch dieses Du. so recht erst auf. Für Paul Gerhardtist dieses hoch geliebte Du.nun
Jesus, der Herzensfreund, der Heiland und Erlöser. ,,0 Jesu, Jesu, setze mir selbst die Fackel
bei. ""Da bist du. mein Heil, kommen und hast mich froh gemacht." .,,Du kommst und machst
mich groß und.hebst.mich hoch zu Ehren. "

Man kann das Mystik nennen, diese innige Vertrautheit miteinander. Paul Gerhardt nennt es
überschwänglich "das geliebte Lieben", dieses Aufeinanderzugehen und Sich-Umarmen. In
einem anderen Lied bezeichnet er das eigene Herz als die Krippe für Jesus. Hier nun steht er,
der Dichter..inmitten der jubelnden Menschen beim Einzug Jesu in Jerusalem.

Doch wie geschieht es heute, dass ein fröhliches Ich das Du Gottes oder das Du Jesu
umfangen und umarmen kann? Wie geht das, fragt mancher, wie macht man das? Immer wird
die Antwort darauf sein: im Gebet. Anstelle vieler tiefsinniger Gedanken lasse ich dazu ein
Wort der Heiligen Gertrud aus dem 13.Jahrhundert aufklingen:

"Das Gebet hat große Kraft, das ein Mensch verrichtet nach bestem Können. Es macht ein
bitteres Herz süß, ein trauriges froh, ein armes reich, ein törichtes weise, ein verzagtes kühn,
ein schwaches stark, ein blindes sehend, ein kaltes brennend. Es zieht den großen Gott in das
kleine Herz. Es trägt die hungrige Seele empor zu Gott, dem lebendigen Quell, und bringt
zwei Liebende zusammen: Gott und die Seele."

Und nun zurück zu unserem Lied. In seiner ersten Hälfte ging es um die Liebe zwischen mir
und Jesus. In seiner zweiten Hälfte wird nun dieses Liebeslied zur Predigt an die Gemeinde
oder an die, die uns sonst nahe stehen, die wir kennen und lieben, an die vor allem, die diese
Jesusliebe nötig haben. "Das schreib dir in dein Herze, du hoch betrübtes Heer." "Auch ihr
dürft nicht erschrecken." "Was fragt ihr nach dem Schreien der Feind und ihrer Tück?" Und
schließlich sowohl tröstlich als auch ernst ermahnend: "Er kommt zum Weltgerichte."

Da nimmt Paul Gerhardt das auf, was auch unser Glaubensbekenntnis als Ziel und Hoffnung
aller Glaubensaussagen benennt, nämlich Gottes und Christi letztes Wort über unser Leben.
Und das ist ein Doppelwort, ein Schöpfungswort in Bezug auf das Böse und auf das Gute.

Das letzte Wort Christi, das Weltgericht, beendet die Existenz des Bösen und Furchtbaren und
Vernichtenden und es befestigt und verwandelt das Gute in das ewige Licht. Darin beschwört
Paul Gerhardt gleichsam das leuchtende Angesicht Gottes, das der Segen am Ende eines jedes
Gottesdienstes über die Gläubigen herbeiruft, der alte Segen Aarons.

Bei Paul Gerhardt klingt das so: "Ach komm, ach komm, 0 Sonne, und hol uns allzumal
zum ewgen Licht und Wonne in deinen Freudensaal!"

Amen.

Pastor i.R. Ulrich Wiesjahn
Köppelsbleek 9
38640 Goslar
E-Mail: -

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