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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

, verfasst von Sven Keppler

Gemeinde: Christ ist erstanden (EG 99)

Liebe Gemeinde,

I. Es ist tiefe Nacht. Heimlich schleichen einige Männer in den Salzburger Dom, verhüllt in schwarze und weiße Gewänder. Der Vollmond ist zwar schon im Abnehmen, aber er gibt der Gruppe dennoch genügend Licht. Ein kalter Wind pfeift zwischen dem Kloster und dem Dom. Vor zwei Wochen hat der Frühling begonnen, der Schnee ist erst vor kurzem geschmolzen.
Aber die Männer nehmen die nächtliche Kälte kaum wahr. Sie sind zu erregt. Denn sie wollen zum „Heiligen Grab“, das sich im Dom befindet. Am Karfreitag war dort der Gekreuzigte bestattet worden. Die Mönche hatten ihn in das Grab gelegt und mit Leinentüchern verhüllt. Tief ernst hatten sie dazu gesungen: „Ecce quomodo moritur iustus“ – seht, so stirbt der Gerechte.
Die Szene ereignet sich am Ende des 12. Jahrhunderts. Die Männer, die in den Dom schleichen, sind nicht irgendwer. Voran geht der Vorsteher des Domklosters. Er wird begleitet von den Ältesten der Mönchsgemeinschaft. Im Mondlicht erreichen sie das „Heilige Grab“.
Sie heben den Gekreuzigten aus seiner Gruft. Wickeln ihn aus den Leinentüchern. Dann erheben sie den Gekreuzigten, eine schwere Holzfigur. Sie verneigen sich. Geben sich gegenseitig den österlichen Kuss. Und sagen einander das kaum Glaubliche: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden.“
Danach rufen sie die anderen Mönche in den Dom. Und nicht nur sie. Sondern das ganze Volk soll dazukommen. Sie feiern die Matutin, den ersten Gottesdienst des Osterfestes. An dessen Höhepunkt werden die Ereignisse des Ostermorgens nachgespielt:
Die drei Frauen kommen zum leeren Grab. Auch Petrus und Johannes. Sie finden die leeren Leinentücher und zeigen sie der Gemeinde. Der Gekreuzigte ist nicht mehr da. Der Chor singt auf Latein: „Er ist auferstanden, wie er gesagt hat“. Und das Volk antwortet mit dem Gesang in deutscher Sprache: Christ ist erstanden von der Marter alle. Des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.

Orgel: Choralbearbeitung

II. Die Ereignisse im Salzburger Dom sind uns durch eine alte Liturgieordnung überliefert worden. Schon diese Quelle aus dem 12. Jahrhundert bezeugt das Osterlied „Christ ist erstanden“. Eines der ältesten uns bekannten Kirchlieder in deutscher Sprache.
Es ist immer wieder variiert worden. Im Verlauf der Predigt hören Sie drei dieser Bearbeitungen. Auch Martin Luther ließ sich davon zu seinem Osterlied „Christ lag in Todesbanden“ anregen. Die Fassung, die wir singen, stammt aus dem reformatorischen Wittenberg des Jahres 1529.
Der Beginn des Liedes führt uns direkt hinein in die Ostergeschichte. Die Frauen und auch Petrus und Johannes haben das leere Grab entdeckt. Sie sind tief erschrocken. Können sich nicht erklären, was geschehen ist. Haben die Römer den Leichnam entfernt? Ist am Grab gefrevelt worden? Oder ist ein unbegreifliches Wunder geschehen? Ein Jüngling erzählt ihnen das Unerhörte: Jesus von Nazareth ist auferstanden!
Natürlich können sie das nicht glauben. Dann kommt Maria von Magdala zu den Jüngern. Sie ruft „Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Ich habe ihn gesehen!“ Aber niemand glaubt ihr. Danach kommen die Emmausjünger. Sie erzählen das gleiche: „Christ ist erstanden! Und hat mit uns gegessen!“ Die anderen glauben jedoch auch ihnen nicht.
Am Abend kommen dann auch die Jünger zu der Gewissheit: „Christ ist erstanden. Er hat mit uns gesprochen und uns den Auftrag gegeben, es allen weiterzusagen.“ Und so verbreitete sich der Osterglaube in alle Welt. Ins mittelalterliche Salzburg. Auch wir erzählen ihn weiter, wenn wir wie viele Generationen vor uns singen: „Christ ist erstanden!“
Im Wort „erstanden“ ist beides eingeschlossen: der Tod und das Leben. Wir singen ja nicht: „Christ lebet weiter. Wir haben uns geirret. Er war gar nicht wirklich tot. Eingebildet war die Not.“ Sondern: Er ist vom Tod erstanden. Ins neue Leben kann nur kommen, wer zuvor gestorben ist. Deshalb gehört auch die Erinnerung an den schrecklichen Freitag immer zum Osterfest dazu: Christ ist erstanden von der Marter alle.

Orgel: Choralbearbeitung

III. Es ist kein Wunder, dass dieses Lied über so viele Jahrhunderte überliefert und gesungen wurde. In herrlicher Klarheit fasst es den Kern der Osterbotschaft zusammen. Und immer wieder macht es den Sinn des Osterfestes deutlich: Es zeigt, was die Ereignisse am leeren Grab mit uns zu tun haben.
Immer, wenn wir etwas von Christus erfahren, erfahren wir auch etwas von uns:
Wir sollen froh sein, dass Christus erstanden ist.
Unser Trost will er sein durch seine Auferstehung.
Wir wären vergangen, wenn er nicht erstanden wär.
Und wir loben Gott, seit Christus erstanden ist.
Wenn die Auferstehung mit uns nichts zu tun hat, dann bleibt sie bedeutungslos. Sie kann uns gar nicht erreichen, denn sie ist dann unglaubwürdig. So ging es ja allen am ersten Ostertag: Die Frauen fürchteten sich, zitterten und waren entsetzt am leeren Grab. Der Jüngling am Grab konnte ihnen noch so einfühlsam sagen, dass Christus lebt – sie konnten es nicht glauben.
Dann erlebt Maria von Magdala ganz persönlich, dass ihr Erlöser lebt. Sie spürt seine Nähe. Und sie bekommt die Gewissheit, dass er weiterhin für sie da ist. Dass sein Leben auch für sie neues Leben eröffnet. Da kann sie glauben.
Ebenso die Emmausjünger. Sie sind noch ganz gefangen in den schrecklichen Ereignissen des Karfreitags. Ihnen begegnet ein Mann und erklärt ihnen, dass schon die alten Propheten den Tod des Gerechten voraussagten. Aber erst als er mit ihnen isst und sie seine Gemeinschaft erleben, erkennen sie den Auferstandenen. Auch die Apostel glauben am Abend erst an ihn, als er ihnen einen persönlichen Auftrag gibt.
Ohne persönliche Beziehung bleibt die Auferstehung ein Spekulationsobjekt. Es stellen sich lauter spannende Fragen, über die man endlos diskutieren kann: War das Grab wirklich leer? War der Lebendige wirklich tot? Was sagt die Naturwissenschaft dazu? Was das moderne Weltbild?
An der Auferstehung kann man jedoch schon ohne modernes, naturwissenschaftliches Weltbild zweifeln. Selbst Jesu Vertraute konnten nicht an dessen neues Leben glauben. Bis sie merkten, was es mit ihnen zu tun hat: Es geht um meinen Tod und meine Hoffnung, um mein Leben und meine Zukunft. Des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.

Orgel: Choralbearbeitung

IV. Die Menschen, die den Nachtgottesdienst im Salzburger Dom besuchten, waren die meiste Zeit stumme Zuschauer. Überhaupt war das normale Volk im mittelalterlichen Gottesdienst kaum beteiligt. Gesang und Gebete, Liturgie und Predigt waren den Priestern und Mönchen vorbehalten.
Nur an einzelnen Stellen wurde das Volk einbezogen. Etwa wenn es merken sollte: Die Botschaft hat auch mit mir zu tun. Dann wurden zum Beispiel die so genannten ‚Leisen’ gesungen. Lieder in der Volkssprache, mit denen die Gemeinde auf die Gesänge des Klerus antwortete. Leise heißt so ein Lied nicht, weil die Leute besonders leise singen mussten. Sondern weil diese Lieder auf Kyrieleis enden – wie auch die Strophen von Christ ist erstanden.
Ich frage mich jedoch: Was bedeutet dieses Kyrieleis in unserem Lied? Alle drei Strophen enden ja mit diesem Ausruf. Wenn wir in der Liturgie „Kyrie eleison“ singen, bitten wir: Herr, erbarme dich. Aber passt das zu unserem Lied? Die Pointe der Osterbotschaft ist doch gerade ihre Endgültigkeit.
Christ ist erstanden, wir dürfen froh und getröstet sein. Endgültig. Ein für allemal. Ohne wenn und aber. Kyrieleis kann deshalb auch noch mit einem anderen Akzent übersetzt werden, nämlich als Anrede: Großer Erbarmer, wir huldigen dir. Mit diesen Worten wurde schon dem römischen Kaiser zugejubelt. So können wir auch unserem Herrn zujubeln, der uns vom Tod erlöst: „Kyrieleis – Großer Erbarmer, wir beten dich an.“
Dass wir uns zu Christus bekennen, darauf läuft alles hinaus. Es geht nicht darum, nackte Tatsachen festzustellen. Dass das Grab leer war, zum Beispiel. Sondern wir sollen erkennen, dass Jesus uns selbst den Weg in ein neues Leben eröffnet hat. Dass er uns vorausgegangen ist, durch den Tod hindurch in die Gegenwart Gottes. In ein Leben, das frei ist von Krankheit, Unglück und Tod. Auf diese frohe Botschaft dürfen wir antworten, indem wir uns zu Christus bekennen.
Alle drei Strophen machen dieselbe Bewegung. Sie ist die Grundbewegung des Osterfestes. Die Grundbewegung unseres Glaubens. Wir hören und erleben, was durch Christus geschehen ist. Wir erkennen, was das mit uns zu tun hat. Und wir antworten, indem wir uns zu Christus bekennen. Am besten, indem wir singen.

Amen.

Gemeinde: Christ ist erstanden

 



Pfarrer Sven Keppler
Versmold
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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