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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

, verfasst von Erika Reischle-Schedler

 

Der schöne Ostertag! Ihr Menschen kommt ins Helle! 

Osterpredigt über Lied EG. 117

 

Liebe Gemeinde!

Wer einmal erlebt hat, wie das ist, wenn alles draußen noch dunkel ist und dann in einem Osternachtgottesdienst in der noch fast vollständig dunklen Kirche die Osterkerze hereingetragen und an ihr die vielen, vielen kleinen Kerzen entzündet werden, die den Raum nach und nach hell werden lassen -  wer das schon einmal erlebt hat, der kann sich zumindest die Schwelle besser vorstellen, die uns das Osterlied einlädt, zu überschreiten.

Tatsächlich: vom Grabesdunkel, vom tiefen Dunkel des Karfreitag und Karsamstag, vom Dunkel menschlichen Leides, menschlicher Ohnmacht und Trauer, vom Dunkel aller Todeserfahrung hinüber in ein neues Licht - das ist der Osterweg. Nicht in ein künstliches Licht hinein, das wäre zu billig und würde nichts nützen, nein, hinüber zu dem einzigen Licht, das es wahrhaft in und um uns hell werden lassen kann: "Ihr Menschen, kommt ins Helle! Christ, der begraben lag, brach heut aus seiner Zelle!"

Das Unbegreifliche ist geschehen, was die Frauen am Ostermorgen nur in Furcht und Schrecken versetzen kann: Das Grab ist leer. Und dachten sie noch, mit dem Tod ist alles zu Ende, so müssen sie umdenken. Und so auch wir. Wenn wir uns darauf einlassen, dann ruft uns das Lied zu: "Laßt Euch mitnehmen vom Jubel, laßt Euch mitreißen von der Freude, von einer Freude, die Grund hat, die nicht ein flüchtiger Rausch, sondern Fundament des Lebenssein will!"

Ja, wenn es freilich nie Ostern geworden wäre, dann hätten alle die Recht, die Pessimismus und Lebensüberdruß auf ihre Fahnen schreiben: "Wär' vor'm Gefängnis noch der schwere Stein vorhanden, dann glaubten wir umsonst!" Ja, allerdings. Wäre Christus im Grabe geblieben, dann gäbe es keine Hoffnung. "Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden!" Schon Der Apostel Paulus hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was wäre, wäre Christus nicht auferstanden. Im 1. Kor. 15,17 ff. steht zu lesen: "Ist Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden; so sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die Elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind." "Doch nun ist er erstanden!" Hier kommt die Melodie des Liedes der Aussage zu Hilfe. Sie schraubt sich sozusagen von Ton zu Ton aufwärts:

Beim ersten Mal auf den 4. Ton über dem Grundton, beim 2. "Erstanden" auf den 5., beim 3. auf den 6., und erst beim 4. "Erstanden" schließlich auf den 8., den höchsten Ton der Melodie überhaupt. Mit ihm ist die Oktave erreicht, und die Oktave ist im Barock, aus dem die Melodie stammt,  immer ein Sinnbild für den ganzen Raum. Das All wird umfasst durch das österliche Geschehen, das Geschehen, das die Grenzen sprengt, die Grenzen jeglicher irdischen Ordnung, und daher ist die einzig angemessene Reaktion der Jubel, der dann auch in der Melodie unseres Liedes losbricht und uns mitnimmt in die Freude. Es ist gut, wenn wir diese Stelle noch einmal singen: "Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden." .

Gehen wir weiter zur nächsten Strophe. Der merkt man, aus welchen Gefilden das Lied ursprünglich kommt. Ein englischer Text, der wiederum eine holländische Vorlage hatte, ist hier ins Deutsche übertragen worden. "Was euch auch niederwirft, Schuld, Krankheit, Flut und Beben -" Wer nahe am Meer wohnt und Erfahrungen gesammelt hat mit Sturmflutkatastrophen, der weiß, was es bedeutet, wenn das Wasser höher und höher steigt, wenn alles, was einem lieb und teuer ist, in Gefahr gerät, wenn Menschen umkommen - und wir sehen, wie schnell ein solches Bild dann auch im übertragenen Sinne gut zu verstehen ist für uns, die wir nicht unmittelbar von den Wasserfluten betroffen sind. Wir sagen ja auch: Das Wasser steht uns bis zum Hals, wir versinken darin, wir haben keinen Grund mehr unter unseren Füßen. "Was Euch auch niederwirft, Schuld, Krankheit, Flut und Beben -"

Da ist das nächste Bild. Bei einem schweren Erdbeben schwankt der Grund, der Boden, alles bewegt sich auf einmal, und dann stürzt das feste Haus, von dem wir meinten, es gebe uns Sicherheit und Geborgenheit, wie ein Kartenhaus über uns zusammen. Menschen werden heimatlos, sind Hunger und jeglichem Wetter ausgesetzt - und wieder merken wir, wie problemlos sich das Bild übertragen lässt: Die Erschütterungen, denen unser Leben ausgesetzt ist, sind das Thema der Liedstrophe. Niemand sagt, und das Neue Testament schon gar nicht, dass all diese Erschütterungen an uns als Christen spurlos vorübergehen werden - aber, wenn wir die Liedstrophe weiterlesen, dann heißt es: "Er, den Ihr lieben dürft, trug Euer Kreuz ins Leben!" Damit wird all das, was unser Leben beschwert, belastet, bewegt, verunsichert, zusammengenommen in den einen Begriff: "Dein Kreuz". Das alles gehört zu Deinem Anteil am Kreuz Christi, den Du trägst. Ostern heißt: "Der Gekreuzigte Jesus von Nazareth - wir hörten es vorhin aus dem Markusevangelium - der gekreuzigte Jesus von Nazareth ist auferstanden." Und für uns heißt es: "Er trägt Euer Kreuz ins Leben hinein!" Ein ungeheuerlicher Satz, er hat mich, als ich ihn las, getroffen wie ein Blitzschlag. Das heißt, wenn ich das ernst nehmen darf, dass kein Leiden, kein scheinbar noch so sinnloses Leiden vergeblich ist. Dass aus dem Sinnlosesten noch Sinn erwachsen kann, dass auch der dürr gewordene Baum auf einmal wieder anfängt, Früchte zu tragen. Die berühmt gewordenen Sätze Martin Luther-Kings gehören für mich hierher: "Wenn unsere Tage verdunkelt sind und unsere Nächte finsterer als tausend Mitternächte, so wollen wir stets daran denken, dass es in der Welt eine große, segnende Kraft gibt, die Gott heißt. Gott kann Wege aus der Ausweglosigkeit weisen. Er kann das dunkle Gestern in ein helles Morgen verwandeln, zuletzt in den leuchtenden Morgen der Ewigkeit." Tag um Tag, Stunde um Stunde, will Christus unser Kreuz immer wieder aufs Neue ins Leben hineintragen. Es wird nirgends gesagt, dass wir nicht unseren Kampf ausfechten müssten - jeder Mensch muss es, und Christus allen voran - aber eben, es wird gesagt, dass alle Kämpfe, die wir austragen müssen, nicht vergeblich sein sollen: Alle Kämpfe um unseren aufrechten Gang durchs Leben, alle Kämpfe um den Lebensmut und die Lebensfreude, die wir uns erhalten müssen und wollen. All diese Kämpfe sind nur "Nachfolge" im wahrsten Sinn dieses Wortes, "Nach-Folge" dessen, der voranging: "Läg' er noch immer, wo die Frauen ihn nicht fanden, so kämpften wir umsonst. Doch nun ist er erstanden!"

Es war eine besondere Freude für mich, den Übertrager oder besser Gestalter dieses Osterliedes in unserer deutschen Sprache, Prof. Jürgen Henkys, persönlich kennenlernen zu dürfen. Vom Lesen kannte ich ihn lange, bevor er mir als Liedgestalter und -übertrager bekannt wurde. Ich stellte mir einen sprachgewandten, möglicherweise wohl auch mehr oder weniger unnahbaren Menschen vor. Das Gegenteil war der Fall. Vom ersten bis zum letzten Gespräch, ob im großen Plenum einer Fachtagung oder im persönlichen Gegenüber erlebte ich ihn als Seelsorger, der sich bis in sein Alter hinein die Fähigkeit bewahrt hat, sich wirklich und tief bewegen zu lassen von menschlichen Schicksalen und menschlichem Leid; und der nach Kräften bemüht ist, Menschen zu helfen, wo er dies kann. So spricht denn auch aus seiner 3. Liedstrophe die Erfahrung dessen, der weiß, was es heißt, Sterbende in ihren Ängsten und Zweifeln zu begleiten: "Muss ich von hier nach dort - er hat den Weg erlitten. Der Fluss reißt mich nicht fort, seit Jesus ihn durchschritten." Der Strudel der Ängste kann allerdings vergleichbar werden einem reißenden Fluss, der für einen Nichtschwimmer den sicheren Untergang bedeuten müsste. Im Bild vom reißenden Fluss, dem gegenüber der Mensch in seiner Ohnmacht hilflos dasteht, schwingt noch etwas nach von der Betroffenheit der Psalmen, z. B. PS.69,2,3: "Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle. Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist; ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen." Oder PS.42,8: "Deine Fluten rauschen daher, und eine Tiefe ruft die andere; alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich hinweg!" Und was bleibt da am Ende übrig? Bleibt die sich ins Namenlose steigernde Todesangst? Bleibt  der Wahnsinn als letzter Ausweg aus allzu schwerer menschlicher Bedrängnis? Bleibt die Verzweiflung als letzte Konsequenz eines Menschenlebens? Nein! Er hat den Weg bereits erlitten. Und darum kann mich, wenn ich mich denn an ihn halte, der Fluss nicht mit sich fortreißen. Wer einen festen Halt hat, um den her können die Wellen toben. Im Glauben wird es uns zugesagt: "Er ist stärker als Deine Angst! Wär' er geblieben, wo des Todes Wellen branden, so hofften wir umsonst. Doch nun ist er erstanden!"

Amen

 

Wir wollen uns freuen am "schönen Ostertag" und zum Schluss das ganze Lied nochmals singen.



Erika Reischle-Schedler
Göttingen
E-Mail: e.reischle-schedler@t-online.de

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