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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

Mai 2012, verfasst von Reinhard Brandt

Nach dem Credo:

1.  Nun freut euch, lieben Christen g´mein,
Und laßt uns fröhlich springen,
Daß wir getrost und all in ein
Mit Lust und Liebe singen,
Was Gott an uns gewendet hat
Und seine süße Wundertat
Gar teur hat ers erworben.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

zwischen Glaubensbekenntnis und Predigt soll man dieses Lied singen, wird im Wittenberger Gesangbuch von 1524 angeregt.

Es ist sozusagen ein Deutelied: Was im Glaubensbekenntnis bekannt wird als die großen Heilstaten Gottes, das mögen wir singend deuten und es uns aneignen als Wahrheit über und für unser Leben. Singend meditieren wir, was das bedeutet: was Gott mit, an und für uns getan hat und tut.

Das Lied fängt mit einem Auftakt an: Der Auftakt zum Nachdenken über den Glauben! Der Auftakt zur Freude! In jeder Strophe neu der Auftakt, damit wir recht und mit Schwung hineinkommen in die Freude über Gottes Tun! Ein Wunder sind die Heilstaten Gottes! Und noch mehr ein Wunder ist es, dass all das ausgerechnet für uns geschehen soll: „Was Gott an uns gewendet hat!“

Darüber „freut euch, lieben Christen g‘mein“, ihr lieben Christen allgemein! Angesprochen ist in diesem Fall nicht die Gemeinde als solche - an die man nach schlechter Übung die Freude und das Singen delegieren könnte. (Nach dem Motto: Ich kann ja nicht singen, sollen die anderen!) Nein, das würde mit der Grammatik in der ersten Zeile gar nicht aufgehen. Angesprochen sind vielmehr Sie als jeder einzelne, die „gemeinen Christen“, also alle Christen allgemein: Jeder darf sich freuen, dass das Herz hüpft und springt vor Freude. Und jede und jeder darf und soll singen.

Das ganze Lied ist auf einen Ton der Freude gestimmt. Anders jedoch die nächsten beiden Strophen. Die handeln vom Menschsein, von „mir“, wie ich für mich selbst und von mir selbst aus bin.

Was und wie wird gesungen, wenn ich von mir singe? Der Text klingt in diesen Strophen nicht freudig, sondern eher wie: düster? wie eine dunkle Folie? abgründig? gar realistisch?

Doch auch dem müssen wir uns stellen, wenn die Freude dann wirklich freudig werden soll. Lassen Sie uns die Strophen 2 und 3 singen:

 

2.  Dem Teufel ich gefangen lag,
Im Tod war ich verloren,
Mein Sünd mich quälet Nacht und Tag,
Darin ich war geboren;
Ich fiel auch immer tiefer drein,
Es war kein Guts am Leben mein,
Die Sünd hat mich besessen.

 

3. Mein gute Werk, die galten nicht,
Es war mit ihn verdorben,
Der frei Will hasset Gotts Gericht,
er war zum Gut erstorben.
Die Angst mich zu verzweifeln treib,
Daß nichts denn Sterben bei mir bleib,
Zur Höllen mußt ich sinken.

 

Luthers eigene Erfahrung meldet sich hier zu Wort: Wie er sich in der Gefangenschaft der Sünde erlebte. „Sünde“ ist das, was man tut - das auch, aber mehr noch ist die Sünde das, was Macht über einen Menschen hat: Der Mensch als ein Spielball all der Einflüsse, die Macht über ihn ausüben. Das ist, in einem einzelnen Bild zusammengezogen, der Teufel: „Dem Teufel ich gefangen lag!“

Hat das noch Erschließungskraft für heute?

Ich wähle ein extremes Beispiel: Jener 18jährige, der Mitte März in Emden die 11jährige Lena umgebracht hat. Sie werden sich an die Nachrichten im Fernsehen und in der Zeitung erinnern.

Das ist ein junger Mann, der sich offensichtlich seiner Lage und seiner pädophilen Neigung bewusst ist. Eine Siebenjährige hatte er zuvor schon nackt fotographiert, dabei ertappt von seiner Mutter und dem Stiefvater samt entsprechender Meldung.

Der junge Mann ist in der Psychiatrie in Behandlung. Und er stellt sich seiner Situation, er zeigt sich selbst bei der Polizei an, in Begleiung seines Therapeuten. Was mehr hätte er tun können?

Und doch, obwohl er offensichtlich um sein gefährliches Potential weiß, gerät er „immer tiefer“ wie in einen Strudel hinein. Er kann sich nicht daraus lösen, er ist „so geprägt“, frühkindlich vielleicht (im Lied: “darin ich war geboren“). Nichts mehr ist gut. Er ist wie „besessen“! Er versucht, eine Joggerin zu vergewaltigen. Und dann misshandelt und tötet er das 11jährige Mädchen: Lena.

Wie eine Analyse dieser Geschichte wirkt Luthers Lied. „Es war kein Guts am Leben mein, Die Sünd hat mich besessen.“

Und das wird im Lied gar nicht als Vorwurf vorgebracht, schon gar nicht als Vorwurf an andere, an jenen 18jährigen. Nicht der ist der Teufel, auch wenn er manchem so scheinen mag (wie zuerst jener 17jährige, gegen den es Lynch-Aufrufe im Internet gab. Nein, kein Vorwurf, sondern eine allgemeine Bestandsaufnahme bietet das Lied. So ist der Mensch: einer teuflischen Neigung und Macht er „gefangen lag“! Ohne Vorwurf eine nüchterne Bestandsaufnahme, wie es ist: in jenem einen Fall überdeutlich, aber grundsätzlich immer in dieser Ambivalenz.

Ich nenne zwei, drei andere Beispiele: Ich gehe davon aus, dass Sie nach bestem Wissen und Willen versuchen, anständig und ökologisch bewusst zu leben.

  • Doch mit wie viel Energieaufwand sind Sie zum Beispiel in den Osterurlaub gereist? Ökologisch wirklich sauber?
  • Und wie war Ihr Eierkonsum über Ostern? Eier aus Bodenhaltung von gequälten Kannibalismus-Hühnern?
  • Und benutzen Sie ein Handy? Aus welchem blutigen Bürgerkrieg in Afrika stammen die Seltenen Erden, die darin verwendet wurden?

Ich zähle das auf ohne konkreten Vorwurf – und weiß, dass ich es nicht anders mache. Doch nicht wahr? Da nützt uns der beste Wille nichts! Wenn wir all diese üblen Verstrickungen nicht verdrängen (wie wir es meist tun), dann bleibt eigentlich nur, mit den besten Vorsätzen zu verzweifeln: „Die Angst mich zu verzweifeln treib“. Welcher Realismus in den Luther-Strophen!

Lassen Sie uns deshalb weiter singen: Strophe 4:

 

4.  Da jammert Gott in Ewigkeit
Mein Elend übermaßen,
Er dacht an sein Barmherzigkeit,
Er wollt mir helfen lassen.
Er wandt zu mir das Vaterherz,
Es war bei ihm fürwahr kein Scherz,
Er ließ sein Bestes kosten.

 

Gelobt sei die Quarte! Das ist das Feuerwehrintervall („ta-tü-ta-ta“), das Signal für gesteigerte Aufmerksamkeit.

Auf den Auftakt mit Aufforderung folgen in dem Lied gleich drei Quartensprünge: Anders als bei der Feuerwehr zuerst abwärts, auf den Boden der Realität: „da jammert“! Und dann gleich wieder aufwärts, und noch einmal aufwärts, c auf f und f auf b, doppelt aufwärts für eine noch mehr gesteigerte Aufmerksamkeit: Die richtet sich auf das, was dann folgt: „Er dacht an sein - Barmherzigkeit“! Darauf zielt die Melodie! Das ist das Ziel von Gottes Handeln und der Grund für unser Vertrauen und Singen: „Er dacht an sein Barmherzigkeit, Er wollt mir helfen lassen.“

Die nächsten Strophen erzählen von dieser Barmherzigkeit Gottes, und zwar zuerst in der Form eines Gespräches in Gott selbst, zwischen „Vater“ und „Sohn“, als innertrinitarisches Geschehen sozusagen die Strophe 5.

Und dann mit der Strophe 6 die Geschichte von der Menschwerdung Gottes als des Sohnes: „Der Sohn dem Vater ghorsam ward, Er kam zu mir auf Erden“.

Lassen Sie uns die Strophen 5 und 6 singen.

 

5. Er sprach zu seinem lieben Sohn:
Die Zeit ist hie zuˬerbarmen,
Fahr hin, meins Herzens werte Kron,
Und sei das Heil der Armen
Und hilf ihm aus der Sünden Not,
Erwürg für ihn den bittern Tod
Und laß ihn mit dir leben.

 

6.  Der Sohn dem Vater ghorsam ward,
Er kam zu mir auf Erden
Von einer Jungfrau rein und zart,
Er sollt mein Bruder werden.
Gar heimlich führt er sein Gewalt,
Er ging in meiner armen Gstalt,
Den Teufel wollt er fangen.

 

Luthers Wendung bei der Auslegung des Glaubens ist, dass er nicht von fernen Heilsereignissen spricht, sondern davon, was sie für mich bedeuten.

Zum Beispiel im Kleinen Katechismus bei der Auslgung des Glaubensbekenntnisses.

  • Wir bekennen im ersten Artikel Gott den Schöpfer - und Luther wendet das: „Ich glaube, dass Gott mich geschaffen hat samt aller Kreatur“.
  • Oder beim zweiten Artikel: „Ich glaube, daß Jesus Christus … sei mein Herr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat …“.

Eben das geschieht auch in dem Lied: dass „ich“, dass wir als Christusgläubige in das Heilsgeschehen mit einbezogen werden.

Das war schon in der gerade gesungenen Strophe so: „Er sollt mein Bruder werden“. Und es ist in den folgenden Strophen ist es wieder so: was für uns, für „mich“ geschieht: „Da will ich für dich ringen“!

Diese Strophen (7-10) stellen eine einzige große Rede dar, die Worte Christi an „mich“, die Anrede an die, die zu ihm gehören.

In Strophe 7 ist alles enthalten, was Luther zum Thema Glaubensgewissheit zu sagen hat. Mit den Worten der Christusanrede: „Halt dich an mich!“ Halt Dich an Christus! Blicke nicht auf dich selbst und auf das, was du schaffst oder nicht schaffst. Und halte dich nicht an andere Autoritäten, nicht einmal an die Kirche. Vielmehr: halte Dich „an mich“, an Christus, nur an ihn, das genügt: dann wird dir das Leben im Glauben gelingen, wie fragmentarisch und im „Ringen“ auch immer.

Wir singen Strophe 7:

 

7.  Er sprach zu mir: „Halt dich an mich,
Es soll dir jetzt gelingen;
Ich geb mich selber ganz für dich,
Da will ich für dich ringen;
Denn ich bin dein und du bist mein,
Und wo ich bleib, da sollst du sein,
Uns soll der Feind nicht scheiden.

 

Ist sie Ihnen aufgefallen? Die Liebeserklärung? So sprechen Verlobte miteinander: „Ich bin dein und du bist mein!“ Braut und Bräutigam sagen sich das und singen dabei: Liebeslieder natürlich.

So ist auch Luthers Lied von Herkunft und Melodie nach ein Liebeslied: die Melodie ein Ohrwurm, von den Mägden bei der Arbeit gesummt, von den Handwerksburschen auf der Kirchweih gesungen. Auf diese Melodie dichtet Luther den neuen Text, das Lied von der Liebe Gottes. Auf diese Weise singen wir die Liebeserklärung, nun mit den Worten Christi: „Denn ich bin dein und du bist mein“.

Was dem Menschen hier in der Kürzestform des Liedes gesagt wird, das hat Luther an anderer Stelle [Von der Freiheit eines Christenmenschen, Zum Zwölften] ausführlicher beschrieben: den fröhlichen Wechsel: Es „vereinigt sich die Seele mit Christo wie eine Braut mit ihrem Brautigam. (Daraus) folgt, dass Christus und die Seele ein Leib werden und … alle Dinge gemeinsam haben. Was Christus hat, das gehört auch der gläubigen Seele; und was die Seele hat, wird Eigentum Christi. Christus hat alle ... Seligkeit - die wird der Seele Eigentum; die Seele hingegen hat alle Untugend und Sünde auf sich, die werden Christi Eigentum.“

Oder dies in der Kurzform des Liebesliedes: „Denn ich bin dein und du bist mein“!

Bevor wir die nächste Strophe singen, muss ich noch einmal auf den Schluss der vorigen zurückkommen. Um den Feind geht es da, den „altbösen“, den Widersacher, von dem es am Ende jedoch heißt: „Uns soll der Feind nicht scheiden“.

Dieser Feind ist es, von dem Christus in der nächsten Strophe spricht: „Vergießen wird er mir mein Blut …“. Nicht Gott steht auf Blut, sondern der Feind, der Widersacher in Menschengestalt, Menschen stehen auf Blut.

Und das wird dann umgekehrt. Man singt es so schnell, dass man leicht darüber hinweg liest. In Christi Worten: „Den Tod verschlingt das Leben mein ...“ Also der Akkusativ, Subjekt und Objekt umgekehrt: der Tod ist derjenige, der verschlungen wird, das Christusleben verschlingt den Tod.

Lassen Sie uns Strophen 8 und 9 singen, die Strophen von Kreuz und Auferstehung, Himelfahrt und Pfingsten:

 

8 . Vergießen wird er mir mein Blut,
Dazu mein Leben rauben,
Das leid ich alles dir zu gut,
Das halt mit festem Glauben,
Den Tod verschlingt das Leben mein,
Mein Unschuld trägt die Sünde dein,
Da bist Du selig worden.

 

9.  Gen Himmel zu dem Vater mein
Fahr ich von diesem Leben,
Da will ich sein der Meister dein,
Den Geist will ich dir geben,
Der dich in Trübnis trösten soll
Und lernen mich erkennen wohl
Und in der Wahrheit leiten.

 

„Dich in Trübnis trösten soll“ der Heilige Geist, von dem wir gerade in der Strophe gesungen haben.

Trübsal und Trost in der Trübsal: das ist eine Grunderfahrung im Christenleben. Und im Jahr 1523, in dem Luther dieses Lied gedichtet hat, war dies eine spezielle Erfahrung.

In diesem Jahr sind die ersten beiden Märtyrer für den reformatorischen Glauben verbrannt worden, zwei Augustinermönche, die sich zur Lehre ihres Ordensbruders Luther hielten und sich standhaft weigerten, ihre reformatorische Überzeugung aufzugeben. Dafür wurden sie in Brüssel auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Das erste deutsche Lied, das Luther überhaupt dichtete, war ein Trutz- und Trostlied über diese beiden aufrechten Glaubenszeugen: „Ein neues Lied wir heben an“, Gott zur Ehre, den beiden Mönchen als aufrichtigen Bericht und allen Angefochtenen zum Trutz.

„Nun freut euch, lieben Christen g‘mein“ ist das zweite Lied, das Luther gedichtet hat, ohne den konkreten Anlass, aber eben auch gesättigt mit den Erfahrungen jenes Jahres und der Verheißung des Geistes, „der dich in Trübnis trösten soll“. Eine Anleitung zur Freude, die dem Trost entspringt!

Die Wirkung, die diiese Lieder gehabt haben, waren nach zeitgenössischen Berichten unglaublich: Jeder hat sie gesungen, die Menschen haben darin den „neuen Glauben“ gefunden und gelernt und sich angeeignet und bezeugt. „Auff das da durch Gottes wort und Christliche leere auff allerley weyse getrieben und geübt werden“ schreibt Luther im ersten evangelischen Gesangbuch, dem Achtliederbuch von 1523/24.

Der Auftrag, Gottes Wort weiterzugeben, und das sowohl trostreich als auch streitbar in der Unterscheidung, was Gottes Wort ist und was nur menschliche Satzung und Ordnung - dieser Auftrag ist am Ende selbst Teil des Liedes: „Was ich getan hab und gelehrt, Das sollst du tun und lehren.“

Das wollen wir tun, jede und jeder an seinem Ort - und hier gemeinsam in der Kirche, indem wir zusammen singen, noch einmal die erste und dann die letzte Strophe.

In Jesu Namen.   -  Amen.

 

1.  Nun freut euch, lieben Christen gmein,
Und laßt uns fröhlich springen,
Daß wir getrost und all in ein
Mit Lust und Liebe singen,
Was Gott an uns gewendet hat
Und seine süße Wundertat
Gar teur hat ers erworben.

 

10.  Was ich getan hab und gelehrt,
Das sollst du tun und lehren,
Damit das Reich Gottes werd gemehrt
Zu Lob und seinen Ehren.
Und hüt dich vor der Menschen Satz,
Davon verdirbt der edle Schatz,
Das laß ich dir zu Letze.“



Abteilungsdirektor bei der Diakonie Neuendettelsau, Dr. Reinhard Brandt
Weißenburg
E-Mail: reinhard.brandt@gmx.de

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