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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

Juni 2012, Predigt über das Lied "Gelobet sei der Herr" (EG139), verfasst von Jennifer Wasmuth

Liebe Gemeinde,

»De Dei misericordia numquam desperare«, so heißt es bei Benedikt von Nursia. »Niemals sollst du an der Barmherzigkeit Gottes verzweifeln!«

Der Satz steht in der Regel, die Benedikt im 6. Jahrhundert für seine Klostergemeinschaft auf dem Monte Cassino formuliert hat und die zu der grundlegenden Regel für das Mönchtum im Abendland werden sollte.

»Niemals sollst du an der Barmherzigkeit Gottes verzweifeln!« Der Satz geht mir nach. Seit ich ihn gelesen habe, begleitet er mich, von früh bis spät. Benedikt hat ihn an den Schluss eines ganzen Kataloges an Geboten gestellt: »Du sollst nicht töten, nicht die Ehe brechen, nicht stehlen … du sollst Arme bewirten, Nackte bekleiden, Kranke besuchen… du sollst Rachegefühlen nicht einen Augenblick nachgeben, keine Arglist im Herzen tragen… niemanden hassen…«, und dann dieser Satz, gleichsam als Zusammenfassung aller anderen: »Niemals sollst du an der Barmherzigkeit Gottes verzweifeln!«

Ich nehme den Satz mit in den Tag ich versuche ihn zusammenzubringen mit dem, was in der eigenen Familie geschieht, in der Gemeinde, in unserer Stadt, in unserem Land. Ich sehe vieles, was mich dankbar sein lässt, aber ich kann auch nicht über die Schatten hinwegsehen, die mich an der Barmherzigkeit Gottes vielleicht nicht verzweifeln, sie aber zumindest doch anzweifeln lassen: schwere Krankheit in jungen Jahren, die alles aus dem Takt bringt, das sicher geglaubte Leben auf einen schwankenden Boden stellt; Streit in Familien, der sich wie ein Fluch über das Haus legt und Eltern wie Kindern gerade das nimmt, was Familie doch eigentlich sein soll: ein Hort der Geborgenheit; soziale Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit; traumatisierte Soldaten, die von »humanitären« Einsätzen in Kriegsgebieten zurückkehren.

»Niemals sollst du an der Barmherzigkeit Gottes verzweifeln!« Benedikt wusste wohl, warum er dieses Gebot ans Ende stellte es scheint das Gebot zu sein, das am schwersten zu befolgen ist. Benedikt hat seine Mönche allerdings nicht allein mit der Forderung gelassen, er hat ihnen vielmehr ganz konkret Wege aufgezeigt, wie sie ihr nachkommen können: durch Erinnerung an die Barmherzigkeit Gottes, wie sie in Gebet und Gottesdienst geschieht.

Heute feiern wir, liebe Gemeinde, Trinitatis, das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit. Heute erinnern wir uns an Gott und seine Taten, an jenes unbegreifliche Geheimnis, dass der eine Gott zugleich Vater, Sohn und Heiliger Geist ist.

Ein lutherischer Theologe aus dem 17. Jahrhundert, Johannes Olearius, wollte nun nicht, dass wir bei dem Geheimnis anbetend stehenbleiben, den dreieinen Gott als fern wahrnehmen, als eine Größe, die nichts mit unserem Leben zu tun hat. Und deshalb hat er ein Lied gedichtet, das wir gleich singen werden. »Gelobet sei der Herr« heißt es und steht bei uns im Gesangbuch unter der Nummer 139.

Olearius, der ein bekannter Lieddichter seiner Zeit war, hat das, was ihm wichtig war, in fünf Strophen zusammengefasst. In einfachen wie eindringlichen Worten führt er hier vor Augen, dass Gottes Wesen in nichts anderem als in seiner Barmherzigkeit besteht:

In der ersten Strophe erinnert er uns an Gott, unseren Schöpfer, der uns wie ein fürsorglicher Vater beschützt und uns von Mutterleib an immer wieder Gutes getan hat; in der zweiten Strophe an Jesus, seinen Sohn, der uns durch sein Leben und Sterben erlöst hat; in der dritten Strophe an den Heiligen Geist, der uns in aller Not Rat, Trost und Hilfe schafft. Die letzten beiden Strophen lässt er schließlich in das große Loblied Gottes einmünden, wie es die Engel singen: »Heilig, heilig… gelobet sei mein Gott in alle Ewigkeit!«

Auffällig ist, wie stark Olearius das »für mich« betont: mein Gott, mein Licht, mein Leben… mein Vater, der mich schützt… des Vaters liebster Sohn, der sich für mich gegeben, der mich erlöset hat…. des Vaters werter Geist, der mir mein Herz erquickt, der mir gibt neue Kraft.

Noch deutlicher wird das »für mich« in der Vertonung des Liedes durch Johann Sebastian Bach. Anlässlich Trinitatis hatte Bach die Kantate »Gelobet sei der Herr, mein Gott« komponiert. Den Text von Olearius hat er unverändert übernommen, die musikalischen Akzente aber stärker gesetzt. Denn bei Bach wird die erste Strophe vom Chor gesungen, ein vielstimmiges Schöpferlob. Die zweite und dritte Strophe hingegen werden von Solisten vorgetragen und eben damit das »für mich« unterstrichen. Die vierte Strophe wird ebenfalls von einem Solisten gesungen, der Beginn des Lobliedes eines Einzelnen, das mit der fünften Strophe, einer Choralstrophe mit fulminanter Orchesterbegleitung, in ein allgemeines Loblied mündet.

»Für mich« - das war eine zentrale reformatorische Einsicht, und Olearius wollte sie mit seinem Lied weitergeben. »Für mich« das gelingt gerade dadurch, dass das Lied den Blick zunächst einmal von uns selbst weglenkt, von unseren alltäglichen Sorgen, dass es uns gewissermaßen herumdreht und uns zu dem dreieinen Gott aufschauen lässt: »Gelobet sei der Herr«.

In diesem Gott erkennen wir dann aber nicht ein finsteres, richtendes, gleichgültiges Wesen, sondern zunächst den Vater und damit Gott, den Schöpfer, der uns gewollt hat, wie wir sind. Fragen nach dem Sinn, nach dem Woher und Wohin finden hier ihre Antwort, ruheloses Kreisen um sich selbst wird aufgebrochen: Hier dürfen wir uns angenommen fühlen wie ein Kind, grundsätzlich geliebt, umfassend geborgen.

Hier erkennen wir sodann den Gott, den Sohn, der uns nicht verurteilt, uns nicht in unseren Angst- und Schuldgefühlen bestärkt, der sich vielmehr selbst hingibt, in die Bedrängungen und Verfehlungen unseres Lebens hinein, um uns da herauszuführen. Wir sollen und brauchen nicht mehr fixiert zu sein auf das, was uns nicht gelingt, auf unser Versagen und Ungenügen, wir brauchen uns nicht mehr zu zermürben an uns selbst und unserer Unzulänglichkeit. Gott, der Sohn, er schenkt uns Freiheit.

Und schließlich Gott, der Heilige Geist: Das ist Gott, der Gegenwärtige, das ist Gott, mein Trost, mein Leben. Der Heilige Geist ist nicht eine Metapher für gute Stimmung und harmonisches Miteinander. Der Heilige Geist, das ist Gott, konkret erfahren als Hilfe in unserem Leben, als derjenige, der wieder heil macht, was auseinandergebrochen ist, der neue Wege aufzeigt, wo es scheinbar nicht mehr weitergeht. Der Heilige Geist, der lässt uns mit unserem Schmerz, unserer Einsamkeit nicht alleine, der schickt uns Menschen, die an unserer Seite stehen, Ideen, wie wir etwas anders und besser machen können. Der Heilige Geist, er lässt es niemals ganz finster werden, sondern er, des Vaters werter Geist, den der Sohn gegeben, bringt uns das Licht, das unserem Leben Ziel und Richtung gibt.

Aus dieser Erkenntnis des dreieinen Gottes heraus erwächst das Loblied Gottes, Olearius hat deshalb die letzten beiden Strophen als reinen Lobgesang komponiert. Aus dieser Erkenntnis Gottes heraus aber erwächst auch Dank, weshalb es ein wunderbarer Einfall war, unseren Liedtext mit einer Melodie zu verbinden, die schon damals zu einem uns auch heute noch bekannten Text gesungen wurde: »Nun danket alle Gott«. Wenn wir das Lied von Olearius also singen, dann besingen wir den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, erinnern uns gegen alle Anflüge von Zweifel an seine Barmherzigkeit, und tun das zugleich mit der Melodie eines Dankliedes. Ganz in diesem Sinne lasst uns nun einstimmen in Lob und Dank und gemeinsam »Gelobet sei der Herr« singen.

[Es folgt in unmittelbarem Anschluss das Lied EG 139,1-5.]



Dr. Jennifer Wasmuth
Berlin
E-Mail: wasmuthj@cms.hu-berlin.de

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