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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

August 2012, verfasst von Ulrich Wiesjahn

 

Predigt über das Lied "Die güldne Sonne" (EG 449)


Liebe Gemeinde!

Kennen Sie das hübsche, heitere Sommergedicht von Theodor Fontane? Es ist überschrieben mit „Guter Rat":

            An einem Sommermorgen,   da nimm den Wanderstab,
            es fallen deine Sorgen   wie Nebel von dir ab.
            Des Himmels heitere Bläue   lacht dir ins Herz hinein
            und schließt wie Gottes Treue   mit seinem Dach dich ein.

            Rings Blüten nur und Triebe   und Halme, von Segen schwer.
            Dir ist, als zöge die Liebe   des Weges nebenher.
            So heimisch alles klinget   als wie im Vaterhaus,
            und über die Lerchen schwinget   die Seele sich hinaus.

Ja, das wäre auch für uns jetzt ein guter Rat in dieser schönen Sommerzeit. Denn wir hier in der Kirche sind schließlich ganz normal empfindende Leute, die das genießen, was uns fröhlich umgibt. Wir ahnen wie Fontane, dass der Genuss des Sommers, der Ferien, des Urlaubs, des Blühens und der Ernte unbedingt noch einen tieferen Sinn hat und für uns zu einem Glaubensbekenntnis werden kann, wenn unser Herz nur weit genug und fröhlich ist.

In genau diesem Sinne wenden wir uns heute unserem berühmtesten evangelischen Liederdichter zu, der 200 Jahr vor Fontane den Anfang zu unserer Naturfrömmigkeit gemacht hat. Fontane hat Paul Gerhardt sehr genau gekannt, wie wir in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" nachlesen können.

Heute also singen wir sein schönes Morgenlied, das durch die Anrufung der Sonne zugleich einen sehr sommerlichen Charakter hat. Schlagen Sie jetzt das Lied Nr. 449 auf und lassen Sie uns sehr bewusst die Strophen 1-4 singen.

Gesang

Was hat uns, liebe Gemeinde, dieser Paul Gerhardt von 1666 zu sagen und was haben wir uns selbst dabei zu sagen? Nun, wir sollten unsere üblichen, alltäglichen Erfahrungen bewusst begreifen. Wenn die goldene Sonne aufgeht, dann wird auch heute noch der traumgeplagte, leicht depressive Mensch glücklich und souverän. Dann quält er sich nicht mehr mit seinen Befürchtungen herum, sondern erlebt die Großartigkeit der Schöpfung in ihrer Ordnung. Und die ist so wunderbar, dass sie sowohl den Aufwachenden als auch den Sommerwanderer zuerst mit den Augen irdisch beglückt und danach wie überirdisch seinen Geist ergreift. Wenn Gott uns etwas Sichtbares wunderbar gewährt, dann gewährt er uns damit unbedingt auch noch etwas Unsichtbares, nämlich das Paradies. Unser Glücksgefühl, so behauptet Paul Gerhardt, ist ein geradezu überirdisches Erlebnis. Übrigens gehörte schon bei den alten Griechen die Schönheit zu einem religiösen Grundempfinden.

Seit 350 Jahren also ist das Glücksgefühl in der Natur ein Argument gegen einen öden Atheismus, der sich hinter den Naturwissenschaften verschanzt. Denn immer stehen wir im Zwiespalt, ob wir denn unseren Augen trauen sollen oder nicht. Ist der Sommer denn nun schön oder bloß langweilige Wiederholung des ewig Gleichen?

Paul Gerhardt traute einfach seinen beglückten Augen, und sie gingen ihm dabei über. Er beobachtete mit ihnen den Sonnenaufgang nach einer üblichen Dunkelnacht, aber auch nach der so furchtbaren Todesnacht, die er nach dem frühen Sterben seiner vier Kinder kannte. Er beobachtete dabei Gott, in welchem sowohl Licht wie auch Finsternis sein kann. Ach, und wir selbst kennen aus unserer eigenen Erfahrung ja auch beides: das Licht und die Dunkelheit. Deshalb singen wir wohl auch so leicht und zustimmend die Lieder unseres größten Gesangbuchdichters. Auch mit ein bisschen Augenzwinkern und aktueller Übertragung stimmen wir jetzt in die Strophen 5-8 ein.

Gesang

Was bedeutet es, liebe Gemeinde, wenn wir hier in einer Kirche über unser eigenes Leben nachdenken und zugleich über das Ergebnis unserer persönlichen Frömmigkeit? Paul Gerhardt, der Dichter und Theologe, der anscheinend auch seine unsichere Seite hatte, doch theologisch so unbeirrbar war, dass er sogar dem Kurfürsten widerstand, Paul Gerhardt wählte für seine wichtigsten Aussagen die Form der Bitte: „Gott, meine Krone, vergib und schone", „Willst du mir geben", „Willst du mich kränken" usw. Das klingt nach Psychologie, nach Einsicht in die kleine menschliche Eigenart, nach Wahrheit und göttlicher Geborgenheit. Paul Gerhardt sieht die Bedingungen des Lebens im Licht Gottes - und wir, wenn wir können und singen, auch. Da geht die Sonne frühmorgens auf und holt uns aus der Trübsal der Nacht, da ist das Wort Gottes aus der Heiligen Schrift, dem wir wie ein Kind Glauben schenken, und da ist die einfache alltägliche Einsicht, dass es neben der Freude und dem Glanz auch noch den Neid, die Konkurrenz und den Tod als lästige und elende Mitspieler gibt. Da könnte man, wenn man missgestimmt ist, überall die widerliche Fratze des Lebens entdecken, wie wir sie aus unseren Medien nur zu genau kennen.

Aber wir können ja noch ein zweites Mal hinsehen und das Schöne, das Glückliche, den Sommer und die gute Schöpfung entdecken:

            „Rings Blüten nur und Triebe   und Halme, von Segen schwer.
            Dir ist, als zöge die Liebe   des Weges nebenher."

Es kommt ja für uns, solange wir noch denken können, immer auf den Blickpunkt an, den wir bewusst einnehmen wollen. Wer immer nur Kriminalfilme ansieht, der findet unsere Welt natürlich nur schrecklich. Wer aber mit Fontane und Paul Gerhardt durch den Sommer wandert, der erlebt die Welt unbedingt als wunderbar, als Heimat und als Vaterhaus. Das berühmteste Wort der frühen Romantik stammt von dem jungen Dichter Novalis. Es lautet: „Wohin gehen wir?" - „Immer nach Hause!"

Paul Gerhardt, der Dichter und Theologe, steht mit seinem empfindsamen Herzen am Anfang einer sehr modernen Lebens- und Glaubensanschauung. Denn wer dichtet oder komponiert, ist unbedingt ein Glaubender, Liebender und Hoffender, ein irgendwie Begeisterter. So lehrt und Paul Gerhardt zuerst singen, dann um uns blicken und nachdenken, dann glauben, hoffen und leiben. In dieser Reihenfolge stimmen wir jetzt noch die letzten Strophen seines Liedes an. Auch in ihnen finden wir viele altmodische Gedanken, die durchaus neumodische Gedanken sein können, wenn wir sie uns zu Eigen machen. Und genau das wäre und ist unsere Aufgabe. Wir rufen Gott an, damit er regiere, er, dem wir die Namen „der Größte, der Schönste, der Beste, der Süßeste und der Allergewisseste" geben. Dieser möge uns die Bitterkeiten des Lebens erklären und dazu einen Ausblick auf die Zukunft gewähren. A m e n.

Und nun singen wir die Strophen 9-12 möglichst als ganz persönliches Gebet.

Gesang



Pastor i.R. Ulrich Wiesjahn
38640 Goslar
E-Mail:

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