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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

, verfasst von Sibylle Rolf

Predigt über das Lied: "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" (EG 317)

Liebe Gemeinde,

Heute dürfen Sie große Töne spucken: Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren. Dieses Lied ist heute unser Predigttext. Kaum ein Lied ist so bekannt. Kein deutsches Kirchenlied ist in so viele Sprachen übersetzt worden. Lobe den Herren, das geht immer, bei Trauungen und Taufen, selbst bei Beerdigungen.

Die großen Töne sind vielleicht manchem zu groß. Wie kann ich große Töne singen, wenn es in meinem Leben viel mehr Gründe zum Klagen gibt? Wenn ein Mensch andere in einem Kino erschießt? Wenn Menschen in einem Land wie Syrien unter anderen Menschen leiden? Wenn ich einen Menschen verloren habe, oder meine Gesundheit angegriffen ist?

Für die großen Töne in diesem Lied brauche ich einen langen Atem. Der Melodiebogen ist so lang wie in wenigen anderen Liedern. Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren - 18 Erhebungen. Große Töne mit einem langen Atem. Über große Töne kann ich nicht nur nachdenken. Ich muss sie singen. Wir singen die erste Strophe.

 

1) Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren,

meine geliebete Seele, das ist mein Begehren.

Kommet zuhauf, Psalter und Harfe, wacht auf,

lasset den Lobgesang hören!

 

Lobe den Herren. Das ganze Lied ist eine Anrede an „meine geliebte Seele". Der Dichter führt ein Gespräch mit seiner Seele. Und wir machen mit, wenn wir singen. So wie im biblischen Psalm 103: Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen. - Wer ist das, die Seele?

Die Seele, das bin ich selbst. Aber nicht, wenn ich stark bin. Die Seele, das bin ich in meiner Bedürftigkeit. In meinem Hunger nach Anerkennung und Liebe. Meine Seele, das bin ich selbst in meiner Verletzlichkeit. Wenn ich mich einem anderen zeige, so, wie ich bin. Meine Masken fallen lasse. Mich verwundbar mache. In den Psalmen ist oft von der Seele die Rede. Da heißt es zum Beispiel: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?" (Ps 42,6.12). Von der unruhigen Seele weiß ich ein Lied zu singen. Meine unruhige Seele wird atemlos. Viele Stimmen hört sie: Regle dies, kümmere dich um das. Hast du endlich das Projekt abgeliefert? Hast du dich um den Einkauf für die kommende Woche gekümmert? Hast du die E-Mail geschrieben, auf die dein Kollege seit vorgestern wartet? Hast du bei der Erzieherin nachgefragt, weil deine Tochter immer so müde aus dem Kindergarten kommt? Hast du? Denkst du an? - Wenn sie so viele Stimmen hört, wird meine Seele atemlos. In ihrem Hunger nach Liebe geht ihr manchmal die Puste aus.

Meine Seele, das bin ich selbst in Beziehung. Auch in Beziehung zu Gott. Meine Seele ist mein Glaubens-Ich. Meine Seele verlangt nach dir, Gott. So haben wir vorhin gebetet (Ps 63,2). „Meine Seele ist still und ruhig, wie ein kleines Kind bei seiner Mutter." Auch das steht in den Psalmen (Ps 131,2). Manchmal vergisst die Seele, dass sie bei Gott zur Ruhe kommt. Sie verliert sich in ihrem Hunger nach Liebe und Anerkennung. Sie verliert den langen Atem in all den Dingen, die zu tun sind. Das Loben gibt ihr neuen Atmen. Langen Atem, den sie braucht. Im Loben findet die Seele zur Ruhe. Im Loben spricht sie ihre Muttersprache. Manchmal muss sie daran erinnert werden. Der Dichter des Liedes tut das. Lobe den Herren, meine Seele. Denn im Loben bist du ganz du selbst. So, wie du gemeint bist. Lobe und werde du selbst. Wir singen die zweite Strophe.

 

2) Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret,

der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet,

der dich erhält, wie es dir selber gefällt;

hast du nicht dieses verspüret?

 

Auch mit der zweiten Strophe haben wir große Töne gesungen. Von Gott, der alles herrlich regiert. Und der nicht nur die ganze Welt regiert, der auch mein Leben erhält. - Loben, das lässt mich aufatmen. Es ist die Kunst der Unterscheidung.

Martin Luther hat einmal gesagt: wir sollen Menschen sein und nicht Gott. Loben heißt: ich unterscheide zwischen mir und Gott. Ich halte inne und mir wird bewusst: mein Leben liegt in Gottes Hand. Ich halte inne und mache mir bewusst: er führt und erhält mein Leben, wie er alles so herrlich regiert. Darin steckt eine Entlastung. Mein Leben liegt nicht in meiner Hand, sondern in Gottes Hand, der es gut mit mir meint. Ich brauche nicht für mich selbst zu sorgen. Meine Seele vergisst das ab und an. Indem sie lobt, erkennt sie, wo oben und unten ist. So muss es Paulus und Silas ergangen sein: als sie ins Gefängnis geworfen worden sind, haben sie Gott gelobt. Sie haben ihr Leben in Gottes Hand gelegt: dorthin, wohin es gehört. Und als sie lobten, haben sie Zuversicht geschöpft (Apg 16,23-34).

Wenn ich Gott lobe, atmet meine Seele auf. Meine Seele kommt zur Ruhe, wenn sie zwischen mir und Gott unterscheidet. Wenn sie das Leben aus Gottes Hand nimmt und in Gottes Hand legt. Im Loben geschieht Seelsorge. Ich brauche diese Seelsorge, denn im Getriebe meines Alltags vergesse ich viel zu oft, was meiner Seele gut tut. Mir geht die Puste aus. Ich brauche diese Seelsorge, um zu erkennen, wo oben und unten ist. Wir singen die dritte Strophe.

 

3) Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet,

der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet.

In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott

über dir Flügel gebreitet!

 

Die dritte Strophe ist die einzige Strophe, in der angedeutet wird: im Leben ist es nicht immer leicht. Es gibt Zeiten der Not. Aber auch hier hat Gott seine schützenden Flügel über meine Seele gelegt. Bei all diesen großen Tönen könnte man denken, dass der Lieddichter auf der Sonnenseite des Lebens stand. Hat er überhaupt echte Not erfahren?

Das Lied stammt von Joachim Neander. Joachim Neander wuchs Mitte des 17. Jahrhunderts in Bremen auf und studierte dort Theologie. Nach seinem Studium war er als Erzieher in Heidelberg und in Frankfurt/Main. Dort lernte er unter anderem Philipp Jacob Spener kennen, den Begründer des Pietismus, und mit ihm Männer, denen es darum ging, dass der Glaube an Gott Früchte trägt. Dass der Glaube nicht nur eine Kopfsache ist, sondern auch unsere Herzen und Hände bewegt. Joachim Neander war begeistert, und er begann selbst, Predigten zu halten. Der kirchlichen Verwaltung gegenüber war er kritisch, viele Kirchenobere waren ihm zu lax. 1674 wurde Neander Rektor der Lateinschule in Düsseldorf und Hilfsprediger. Die Kirchenleitung verlieh ihm wegen seiner Kirchenkritik keine eigene Pfarrstelle. Er verdiente nicht viel Geld. Auch in Düsseldorf hielt er Predigten. Er schrieb Texte und Lieder. Weil er in einem Tal in der Nähe von Düsseldorf Menschen um sich versammelte, wurde dieses Tal das „Neandertal" genannt - dasselbe Tal, in dem später Knochenreste des Neandertalers gefunden worden sind.

Joachim Neander hat es in seinem Leben nicht leicht gehabt. Er stand nicht auf der Sonnenseite. Eine lange Wanderzeit, keine finanzielle Absicherung, keine berufliche Perspektive. Weil er so wenig Geld hatte, konnte er keine Familie gründen, denn er hätte sie nicht ernähren können. 1679 ist Neander Hilfsprediger in Bremen geworden. Er stand immer noch finanziell schlecht da. In dieser Zeit hat er das Lied „Lobe den Herren" gedichtet, und nur kurz darauf, an Pfingsten 1680 ist er in Bremen, wahrscheinlich an der Pest, gestorben. Er ist nur 30 Jahre alt geworden, nur wenig älter als Jimi Hendrix.

Obwohl er es in seinem Leben nicht leicht gehabt hat, findet Neander große Töne, um Gott zu loben. Die Psychologen nennen das Resilienz. Resilienz, das ist die Fähigkeit, mit Widrigkeiten des Lebens umzugehen und trotzdem die Hoffnung nicht zu verlieren. Vielleicht war Joachim Neander ein resilienter Mensch. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er einen anderen Blick für das hatte, was im Leben wichtig ist. Loben ist ein Augenöffner. Der lange Atem des Lobens gibt mir einen langen Atem fürs Leben. Das Loben lehrt mich, Dinge in einem anderen Licht zu sehen: Gottes Fürsorge zu entdecken, was ich auch immer erlebe. In den Aufgaben, die mir manches Mal viel zu schwer sind, zu entdecken, dass ich gesund genug bin, sie zu meistern. Und auch in Krankheit, in finsteren Tälern, in Abschieden, Trennungen und Krisen, zu entdecken, dass ich in diesen Zeiten nicht allein war, sondern begleitet wurde - unter den Flügeln des gnädigen Gottes.

Sören Kierkegaard hat unser Leben mit einem Ruderboot verglichen. Wir leben vorwärts, aber wir verstehen rückwärts. So wie der Ruderer das, worauf er zu rudert, im Rücken hat. Er kann es nicht sehen, aber im Rückblick ergibt sich vor seinen Augen ein Bild. Manchmal erlebe ich Dinge, die ich nicht verstehe. Manchmal gehe ich durch tiefe Täler. Im Nachhinein können solche Zeiten einen Sinn ergeben, weil sie mich besonders haben reifen lassen. Oder ich begreife diese Zeiten als Phasen in meinem Leben, in denen Gott mir besonders nahe war. Oder ich schätze sie im Nachhinein besonders wichtig, weil ich mich auf eine ganz neue Weise kennen gelernt habe. Es hat weh getan, und ich hätte es mir nicht freiwillig ausgesucht, aber im Rückblick war es wichtig. In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet! Wir leben vorwärts, aber, wenn wir Gott loben, verstehen wir rückwärts.

Das Loben gibt eine Sprachhilfe für das Zurückschauen. Wenn ich lobe, erzähle ich von meiner Not. Und ich staune darüber, dass Gott doch da war - auch wenn ich ihn erstmal gar nicht gespürt habe. Das Loben gibt mir einen anderen Blick und einen langen Atem. Es lässt mich auf den schauen, von dem alles Gute kommt. Und es gibt mir Hoffnung, dass Gott mich auch in meiner Not jetzt nicht verlassen wird. Sei doch dessen gewiss, liebe Seele: Gott meint es gut mit dir! So wie mit Paulus und Silas im Gefängnis.

Joachim Neander hat große Töne gefunden, Gott zu loben. Und obwohl er ehe- und kinderlos bleiben musste, lobt er Gott dafür, dass Gott seinen Stand sichtbar gesegnet hat. Ich finde das stark und bemerkenswert. Gotteslob vergleicht sich nicht mit anderen. Ich bin nicht glücklich, weil es mir besser geht als anderen. Ich schiele nicht auf die, die bevorzugt scheinen. Gotteslob lässt die Seele aufatmen und aufschauen. Aufschauen zu dem, von dem uns Hilfe kommt. Meine Seele muss immer wieder daran erinnert werden. Im Loben, liebe Seele, kommst du zu Atem und schöpfst neue Kraft. Vergiss es nicht!

Wir singen die letzten beiden Strophen des Liedes und schließen das Gespräch mit unserer Seele mit Amen: so sei es.

 

4) Lobe den Herren, der deinen Stand sichtbar gesegnet,

der aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet.

Denke daran, was der Allmächtige kann,

der dir mit Liebe begegnet!

 

5) Lobe den Herren, was in mir ist, lobe den Namen.

Alles, was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen.

Er ist dein Licht, Seele, vergiss es ja nicht.

Lob ihn in Ewigkeit!  Amen.

 



Pfrin. PD Dr. Sibylle Rolf
Heiligkreuz/Oberflockenbach
E-Mail: sibylle.rolf@kblw.de

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