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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

Oktober 2012 , verfasst von Matthias Rein

Die Kirche ist voll, voller als sonst. Viele sind zum Festgottesdienst gekommen, auch solche, die sonst selten in der Kirche zur sehen sind. Na klar, ein großes Fest wird gefeiert und alle sind dabei.  Lange wurde an der Kirche gebaut. Nun ist alles fertig. Das muss gefeiert werden.

Musik gehört dazu: Posaunen, Orgel, Chor. Dann singen alle. Beim ersten Lied noch zaghaft, nur die Insider sind zu hören. Dann aber singen alle mit: „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren!“ Irgendwie kennen alle dieses Lied, auch die Kirchenfernen. Und sie singen mit, laut und aus vollem Herzen:  „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, meine geliebete Seele, das ist mein Begehren.“

Was ist das Geheimnis dieses Liedes?  Warum wird dieses Lied, dessen Text im Jahr 1680 veröffentlicht wurde, heute im Jahr 2012 gern gesungen, gerade an Festtagen:  zur Konfirmation, zur Hochzeit, zur Goldenen Hochzeit, zum Gemeindefest, zur Kirchweih, zu Erntedank? Wie gelingt es dem Lied, mich zum Mitsingen zu bewegen? Was macht es mit mir?

Wir singen die erste Strophe vom Lied „Lobe den Herren“.

„Lobe den Herren meine Seele!“ Ich halte Zwiesprache mit mir selbst. Ich spreche meine Seele an und fordere sie auf, zu singen und Gott zu loben. Und ich lade andere ein mitzusingen, Musikinstrumente zum Klingen zu bringen, gemeinsam zu musizieren und Gott zu loben: „Kommet zu hauf, Psalter und Harfe wacht auf …“

Gemeinsam geht es besser, Gott zu loben. Der und die andere inspirieren mich, die Gemeinschaft trägt mich, die Gemeinschaft hilft mir, in das Lob einzustimmen.  Und ich finde aus meinen eigenen Zwiespältigkeiten heraus. Habe ich genug  Grund, Gott zu loben? Steht dem nicht zu viel entgegen: die eigene Erfahrung, die dunklen Seiten des Lebens, die ganze Welt eigentlich?

Aber nein, jetzt nicht. Jetzt singe ich mit und lasse ein Loblied über meine Lippen kommen.

Wir singen die zweite Strophe vom Lied „Lobe den Herren“.

„Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret.“ Das ist ein Bekenntnis des Lehrers, Theologen und Liederdichters Joachim Neander. Gott regiert alles: die Welt, die Natur, das Zusammenleben der Menschen, mein Leben. Ein Blick auf die Welt, die Natur und die Geschichte allein genügt nicht, um solches so bekennen. Zu wechselhaft und zu verworren scheint alles. Auch die Natur kann erbarmungslos töten. Kriege und Hunger, Krankheit und Streit stehen dem Bekenntnis zu Gott, der alles herrlich regiert, entgegen.  Gottes Herrschaft zu sehen in der Welt ist nicht selbstverständlich.  Dazu gehört ein bestimmter Blickwinkel, eine bestimmte Perspektive. Aus diesem Blickwinkel erscheint die Welt in einem besonderen Licht. Und aus diesem Blickwinkel heraus wird sichtbar, wie Gott oft verborgen und unscheinbar, aber doch wirkmächtig regiert.

Ich selbst kann das spüren, habe es gespürt und spüre es jetzt neu. Ich schaue zurück auf wichtige Lebensstationen, auf das letzte Jahr, auf Zeiten, in denen ich Krankheit, Krisen und Not erlebt habe. Und ich kann doch sehen, dass es da Führung gab in meinem Leben. Ich bin bewahrt worden, es hat sich manches zum Guten gewendet. Ich bin durch Notzeiten hindurch gegangen und im Nachhinein sehe ich: Wie auf den Flügeln eines Adlers habe ich gesessen. Und wurde bewahrt. In der Stunde der Not habe ich dies nicht sehen können, aber jetzt, im Nachhinein wird es sichtbar. Gott hat mich bewahrt und gehalten, so wie es mir selber gefällt.

Dankbar kann ich in diese Strophe einstimmen und kann zugleich diese Sicht auf die Welt als Ganzes und auf mein unscheinbares Leben lernen.

Wir singen Strophe 3 unseres Liedes.

„In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet?“ So dichtet Joachim Neander, eigentlich Neumann. Er wurde 1650 in Bremen als Kind eines Lehrers einer angesehenen Stadtschule und einer Kantorentochter geboren. Er absolvierte die Schule in Bremen und studierte dort Theologie. Die pietistischen Bekehrungsprediger Theodor Undereyck und Philip Jakob Spener beeindrucken ihn. Er wird Lehrer von fünf Kaufmannssöhnen in Frankfurt und Heidelberg. 1674 übernimmt er als Rektor die Leitung der reformierten Lateinschule in Düsseldorf. 1679 kehrt er nach Bremen zurück und wird Hilfsgeistlicher. Zu seinen Aufgaben gehört, Gottesdienste um 5 Uhr morgens für die Knechte, Mägde und Fischer zu halten. 1680 stirbt er in Bremen im Alter von 30 Jahren. Ein Chronist schreibt:  „Er ist niemals ordiniert gewesen, hat niemals eine Pfarrstelle innegehabt, war nie verheiratet, hat keine Kinder.“

Aber aus seiner Feder stammen schöne  Lieder in unserem Gesangbuch:  Tut mir auf die schöne Pforte (EG 166); Wunderbarer König, Herrscher von uns allen (EG 327); Himmel, Erde, Luft und Meer (EG 504). 

Zwei Glaubensgedanken sind ihm wichtig: Gott schließt immer wieder einen Bund mit den Menschen und mit der Welt. Dies beginnt bei der Schöpfung, setzt sich fort im Bund Gottes mit Noah, mit Abraham, mit Mose und mündet in den Gnadenbund mit Christus. Gott verbündet sich mit uns Menschen allein aus Gnade. Und dies kann der Einzelne in seinem Leben erfahren. Diese Gedanken hat Joachim Neander aufgenommen und davon erzählt er in seinen Liedern.

Joachim Neander hat Notzeiten erlebt. Er musste von kargem Gehalt leben, er geriet in Streit mit verschiedenen Gemeinden, seine Bewerbung um eine  gut dotierte Pfarrstelle in Düsseldorf scheitert. Dennoch spricht er von freundlichem Geleit und Bewahrung in Not. Aus der Sicht des Glaubens und mit Blick auf Gott kann er sein Leben so sehen. Und er lädt uns ein,  in unserem Leben Bewahrung und freundliche Begleitung durch Gott zu entdecken.

Wir singen  die vierte Strophe unseres Liedes.

Joachim Neander hatte die Worte des 103.Psalm im Sinn, als er sein Lied dichtete.

 

„Lobe den Herrn, meine  Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!

Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat:

Der die alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen,

der dein Leben vom Verderben erlöst,

der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit,

der dein Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler.“

Der Psalm singt von der Königsherrschaft Gottes und bezieht sie auf die Lebenserfahrungen des Einzelnen: Der Mächtige und Gütige tut mir Gutes, er vergibt meine Sünde, er heilt meine Gebrechen, er erlöst mich vom Verderben, der macht mich fröhlich und jung, er krönt mich mit Gnade und Barmherzigkeit.

Dies alles fasst der Psalmdichter in einem Bekenntnis zusammen: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“ Dieser formalhafte Satz findet sich noch öfter im Alten Testament.

Und der Psalm formuliert einen interessanten Gedanken: Ich, der ich voller Freude singe, lobe Gott und segne ihn. Ich lenke meine vitalen Kräfte, die ich von Gott als meinem Schöpfer bekommen habe, auf Gott zurück. Gott ist nicht von meinem Segen abhängig, aber er freut sich über mein Lob und meinen Segen. Gott segnen – eine große Möglichkeit, die mir der gnädige und barmherzige Gott schenkt.

Wir singen die letzte Strophe des Liedes „Lobe den Herren.“

Welche Stelle im Text ist Ihre Lieblingsstelle? Wo werden die Gedanken schwer und weit? Wo geht das Herz auf? Vielleicht bei: „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott …“, oder „... der aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet.“, oder „Er ist dein Licht, Seele, vergiss es ja nicht.“?

Joachim Neander hat uns ein schönes Lied geschenkt: ein Lied, das uns zeigt, wie unser Leben im Licht des Wirkens Gottes aussieht, ein Lied, das uns auf Gottes Bewahrung aufmerksam macht, ein Lied, dass uns neu sehen lehrt, wie gütig uns Gott begleitet.

Eine schöne Geschichte ist von Joachim Neander noch zu erzählen. Er hat wohl öfter ein Tal in der Nähe von Düsseldorf besucht. Ihm zu Ehren wurde dieses Teil seit etwa 1800 Neandertal genannt. Just in diesem Tal fand Johann Carl Fuhlgott 1856 Skelettreste eines vorgeschichtlichen Menschen.  Dieser Menschen wird bis heute als homo sapiens neanderthalis bezeichnet – der Neandertaler.

Was will uns Gott mit diesem Zusammenhang sagen? Gibt es da ein hintergründiges Wirken Gottes? Ich weiß es nicht. Aber vielleicht werden wir eines Tages verstehen, warum uns Gott den Namen Joachim Neanders auf diese Weise bis heute in lebendiger Erinnerung hält. Denn: „Er regiert alles so herrlich!“

Amen



Senior des Evangelischen Kirchenkreises Erfurt Dr. Matthias Rein
Erfurt
E-Mail: matthias.rein@evangelischer-kirchenkreis-erfurt.de

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