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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Monatliche Liedpredigten zur Lutherdekade, 2012

, verfasst von Rainer Stahl

 

 

 Predigt über das Lied „Großer Gott, wir loben dich", EG 331

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
liebe Schwestern und Brüder,

„Großer Gott, wir loben dich;
Herr, wir preisen deine Stärke.
Vor dir neigt die Erde sich
und bewundert deine Werke"
(Strophe 1).

Mir ist die Herausforderung und Möglichkeit vorgelegt, diesen großen Text aus dem 18. Jahrhundert im 21. Jahrhundert zu predigen. Dabei ist bewusst zu machen, dass er auf dem altkirchlichen „Te Deum laudamus" des 4. Jahrhunderts fußt. Wir stehen also wirklich in einer gesamtkirchlichen Tradition im besten Sinne. Um uns dieser Tradition zu öffnen und selbst in positivem Sinne guter Teil dieser Tradition zu werden, sei zu Beginn eine Grundfrage gestellt:

Wann loben wir Gott?

Tun wir dies, wenn es uns gut geht? Wenn wir uns an kleinen Wundern am Wegesrand freuen? Wenn wir von Erfolg zu Erfolg gehen und nichts uns unmöglich scheint? Wenn wir aufbauen und in Neues vordringen? Wenn wir glücklich sind? Wenn wir die ganze Welt umarmen möchten?

Was aber, wenn uns Selbstzweifel, Angst und Unsicherheit übermannen? Wenn Fragen quälen, ohne dass Antworten dämmern? Wenn wir dem Leid unterworfen sind und nicht wissen, wann es überwunden sein mag - ja, ob je überhaupt? Wenn wir eine endgültige Trennung von geliebten Menschen verkraften müssen? Wenn alles sinnlos zu werden droht?

Viele Zeitgenossen - einfach auf der Straße nach diesen beiden Möglichkeiten befragt - werden antworten: eigentlich nie! Warum Gott loben? Welche Funktion soll das haben? Wenn es mir gut geht, fällt Gott mir nicht ein. Wenn ich zu klagen habe, dann rufe ich vielleicht danach, wo Gott sein mag - aber ihn loben? Wie kann man auf diese Idee kommen?

An dieser Stelle müssen wir uns der Gegenfrage stellen, ob uns vielleicht das Thema „Gott loben" in die „Sprache Kanaans" treibt und in ihr fesselt - gerade durch einen Text aus dem 18. Jahrhundert. Ich kenne heute „Lob" vor allem „von oben" - von Vorgesetzten, vom Staat. Aber „Lob" „von unten"? Das wird vielleicht darin deutlich, dass wir Politikerinnen und Politiker wieder wählen, dass wir Zustimmung äußern, dass wir Anerkennung zollen. Hier ist der Begriff „Lob" schon wenig angemessen. Und beim Übertragen auf Gott kommt uns das doch komisch vor. Was kann da gemeint sein?

Wer Gott „lobt", erkennt seine Macht an, obwohl er ihn und dessen Macht nicht sieht, nicht spürt. Wer Gott „lobt", billigt ihm seine Existenz zu, obwohl er ihn und dessen Wirklichkeit nicht sieht, nicht spürt. Ich glaube, dass wir das alte Wort, dass wir leben sollten, als ob es Gott nicht gäbe, dass wir also die Verantwortung in die eigenen Hände nehmen sollten, heute umdrehen müssen: Wir sollen leben, als ob es Gott gäbe. Gegen jeden Augenschein an Existenz und Wirksamkeit Gottes festhalten. Das eigene Leben in Verantwortung gegenüber Gott führen. Diese Grundhaltung durchhalten - gegen allen Augenschein -, das ist das Gebot unserer Stunde. Ein Leben entsprechend diesem Gebot führt uns zur grundlegenden Antwort auf die zweite, die nun nötige Frage:

Warum sollen wir Gott loben? - Weil es ihn gibt! Gott „loben" heißt, dies anzuerkennen, dass es Gott gibt und dass Gott handelt. Und dies nicht nur anzuerkennen, sondern es aus eigener Überzeugung gutheißen.

Unser Lied greift dazu auf eine biblische Idee zurück, die wir auch aus Texten kennen, die in Höhlen bei Qumran gefunden wurden, und die zu einer tragenden Überzeugung christlicher Gottesdienstlehre geworden ist: Weil das Lob Gottes, weil der Gottesdienst in der Dimension Gottes schon stattfindet! Weil wir das Lob Gottes nicht zu erfinden brauchen. Weil wir überhaupt nur einstimmen können in ein Lob Gottes, das unabhängig von uns schon erfolgt:

„... alle Engel, die dir dienen,
rufen dir stets ohne Ruh:
»Heilig, heilig, heilig!« zu"
(Strophe 2).

Ich möchte noch ein ganz anderes Argument vorbringen. Es stammt aus Erfahrungen der Beziehung zu anderen Menschen. Wenn eine Konfliktsituation aufkam - und so etwas passiert immer wieder bei bestem Wollen -, dann können sich in meiner Seele den anderen gegenüber Abwehr und Misstrauen einnisten. Wie daraus herauskommen? Mir hilft, dass ich dann bewusst für diese andere Person, mit der ein ungelöster Konflikt besteht, zu Gott bete, Gott bitte, dieser Person Gutes zu tun, sie vor Krankheit zu bewahren, ihr zu helfen, die beruflichen Herausforderungen zu meistern... Dann verändert sich auch meine Haltung ihr gegenüber. Die Probleme werden kleiner. Ich kann auf die andere Person wieder zugehen...

Diese Erfahrungen will ich nun auf unser Verhältnis zu Gott übertragen: In Schwierigkeiten, in Leid, in Schmerzen, nehme ich doch Gott als Feind wahr, der mir all das Böse zufügt. Auch hier müsste es mir gelingen, meine eigene Haltung zu ändern, sich verändern zu lassen. Nun kann ich natürlich nicht für Gott vor Gott beten. Das wäre wohl Unsinn. Aber ich kann doch trotz Problemen bei Gott etwas positiv bewerten, trotz meiner jetzigen schwierigen Erfahrungen bei ihm Gutes gelten lassen, doch noch Positionen finden, die es mir erlauben, ihn zu „loben":

„Dich, Gott Vater auf dem Thron,
loben Große, loben Kleine.
Deinem eingebornen Sohn
singt die heilige Gemeinde,
und sie ehrt den Heilgen Geist,
der uns seinen Trost erweist.

 Du, des Vaters ewger Sohn,
hast die Menschheit angenommen,
bist vom hohen Himmelsthron
zu uns auf die Welt gekommen,
hast uns Gottes Gnad gebracht,
von der Sünd uns frei gemacht"
(Strophen 5 und 6).

Das ist in der Kirche bewährt. Denn dieses Lied, die Hymne unserer römisch-katholischen Schwestern und Brüder in Deutschland, die Papst Pius XII. auswendig gekannt hat, haben verhaftete Priester bei geheimen Gottesdiensten im Konzentrationslager Dachau gesungen. An einem Ort der Herrschaft des Teufels, in der Situation der heidnisch-atheistischen Herrschaft des Bösen haben Glaubende widersprochen und mit den Worten dieses Liedes die wahre Macht Gottes bezeugt!

Ich selbst habe über dieser Predigt in einer Zeit existentieller Verunsicherung nachgedacht, in nicht leichter Therapie, deren Ziel aber echte Heilung ist. Dabei ist mir deutlich geworden, dass das Lob Gottes widersinnig scheinen mag, aber auf alle Fälle eines leistet: Es bestärkt die Überzeugung, dass die eigenen Probleme, das eigene Leid, nicht alles sind. Dass sie vielmehr von einer großen, von einer guten Welt umspannt, überwölbt werden, in die hinein Leid und Probleme münden werden.

Dasselbe aber gilt auch für Phasen und Zeiten und Momente von Glück und Freude. Wenn wir große Erfüllung erleben, wenn wir einfach harmonisch übereinstimmen mit unserer Arbeit, mit unseren Aufgaben. Wenn uns alles gelingt, was wir in Angriff nehmen - auch dann bleibt dies alles in unserer Vorläufigkeit und braucht die Hoffnung, dass es aufgenommen werden wird in einer letzten Seligkeit, in einem Zu-Hause, das nicht mehr vorläufig ist.

Die unter Schwierigkeiten anfangen, Gott zu loben - also Gottes Existenz anzuerkennen und mit seiner Macht und seinem Handeln zu rechen -, die in Erfüllung und Glückseligkeit beginnen, Gott zu loben - also Gottes Existenz anzuerkennen und mit seiner Macht und seinem Handeln zu rechen -, sie alle öffnen sich Fenster und Türen über diese Schwierigkeiten und über die eigene Sinnhaftigkeit hinaus:

„Alle Tage wollen wir
dich und deinen Namen preisen
und zu allen Zeiten dir
Ehre, Lob und Dank erweisen.
Rett aus Sünden, rett aus Tod,
sei uns gnädig, Herre Gott!"
(Strophe 10).

Und damit beginnt die Heilung unserer Seelen. Damit beginnt die Zuversicht zu dominieren. Damit gelangen wir aus unserer Enge in Weite und Freiheit.

Es gibt ein nicht einfaches Wort in schwierigem biblischem Zusammenhang, das aber auch ohne diesen Zusammenhang und für uns ganz direkt den Wandel zur Sprache bringt, den der Mut zum Lob Gottes bewirkt:

„So reißt er auch dich aus dem Rachen der Angst
in einen weiten Raum,
wo keine Bedrängnis mehr ist"
(Ijob 36,17 - so in der Fassung von Martin Luther).

 

„So wollte auch dich er dem Rachen der Bedrängnis entlocken, -
in eine Weite, an deren Statt es nie eng wird"
(so in der Fassung von Martin Buber und Franz Rosenzweig).

Solche „Weite" kann schon mitten in der Meisterung der Nöte, der Krankheiten, der Leiden, der Schmerzen erlebt werden. Solche „Weite" erleben wir schon in Erfüllung, in Glück, in Freude. Und dabei können wir uns als „Lobende" wieder finden:

„Heilig, Herr Gott Zebaoth!
Heilig, Herr der Himmelsheere!
Starker Helfer in der Not!
Himmel, Erde, Luft und Meere
sind erfüllt von deinem Ruhm;
alles ist dein Eigentum"
(Strophe 3).

Amen.

 



Pfarrer Dr., Generalsekretär des Martin-Luther-Bundes, Rainer Stahl
Erlangen
E-Mail: rs@martin-luther-bund.de

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