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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2012

Jahreslosung 2013, Hebräer 13,14, verfasst von Elisabeth Parmentier

"Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir".

(Perikopentext: Jos 1, 1-9).

Hätte die Kirche einen Personalausweis, so würde sie mit dieser Losung eine jugendliche Identität zeigen, die in „Bewegung" bleiben will. Sie würde der heutigen Welt entsprechen, in der alles „mobil" ist. Wir sind Passanten - immer vernetzt, immer in Bewegung. Ganz gleich, wo mein Gesprächspartner sich aufhält, wenn ich ihn auf dem Handy anrufe, wenn er per Email antwortet ? Wichtig ist nur, dass wir trotz der Distanz in Kontakt sind, und mit der ganzen Welt und den verschiedensten Personen vernetzt bleiben! Mit einem Klick. Kein Festnetz schränkt die Bewegung ein.

Auf diesem Ausweis der Kirche gäbe es auch kein Visum mehr. Denn wenn keine Stadt bleibt, dann ist auch kein Ort heilig. Weder Jerusalem, noch Rom, noch Wittenberg wären « heilige » Städte - es sollte keine Ausrede mehr geben für « heilige Kriege » wegen Heiligtümern, und kein „gelobtes Land" sollte von einer Nation oder einem Volk allein beschlagnahmt werden ! " -Die Gläubigen wären nur « unterwegs ». Christlicher Glaube bräuchte keine Dome, denn der Weg selbst wäre eine christliche und interkulturelle Pilgerschaft.

« Das ist aber nicht die Wirklichkeit!", regt sich Samson auf, der ohne Familie, ohne Kontakte, ohne Bleibe aus Togo kam. „Für Euch ist „unterwegs sein" einfach. Den Ausweis und das Visum verlangt man uns, den Menschen mit der anderen Hautfarbe! Ihr wisst nicht was es heisst, „draussen" zu sein!

„Hinaus": Was würden die sagen, die mit diesen Worten hinausgeworfen wurden, oder die schon immer „draussen" waren? Das freiwillige Exil zu idealisieren, entfernt Euch noch mehr von denen, die um ihr Überleben kämpfen müssen!

Wisst Ihr, wie es sich anfühlt, „draussen" zu sein? Kennt Ihr das Heimweh derer, die sich fremd fühlen in ihren Familien und ihren Häusern oder sogar in ihren Gemeinden, weil man nicht mehr mit ihnen rechnet?

Könnt Ihr Euch die Angst der Flüchtlinge, der Migranten vorstellen? Oder die Hoffnungslosigkeit der Ausländer, denen man sagt: Bleibt draussen, es gibt keinen Platz für Euch?

Es geht nicht nur um die Not derer, die weit weg von zu Hause sind. Auch mancher, der „vor die Tür gesetzt" wurde, weiss, was es heisst, „nicht mehr gut genug", oder „zu alt" zu sein: am Arbeitsplatz, in den Beziehungen, in der Gesellschaft. Das ist keine Mobilität, sondern die Hoffnungslosigkeit derer, die ihrer Familie keine Zukunft sichern können.

„Keine bleibende Stadt", das ist keine Lebensweisheit. Es ist die Urangst der Opfer, die den Rhythmus der heutigen Welt nicht einhalten können. Es ist die Einsamkeit derer, die abgefertigt wurden. Sie rufen: „Wo ist mein Platz? Wird jemand mich sehen, mich anhören, gibt es irgendwo eine "Heimat", ein „Zuhause" für mich?"

Ist jemand da draussen, wo ich vor die Hunde gehe? Ist jemand da, der mich anhört?"

 

Gerade da wird die Kirche erwartet! Ekklesia, das sind „die Herausgerufenen". Aber das bedeutet nicht, dass wir obdachlose Nomaden werden sollen. Im Gegenteil, wir brauchen Häuser, Tempel und Dome, um die Bedürftigen zu beherbergen, um ihnen ein „Zuhause" zu bieten. In vielen Ländern haben die kleinen Kirchen keine eigene Bleibe. Diese Christen ohne Räume versammeln sich in einer Schule, in einer Bibliothek, in einem Schusterladen, immer mit der Sorge, hinausgeworfen zu werden.

„Unterwegs sein", wie es der Text meint, sollte nicht verstanden werden als die Leichtigkeit der Mobilität! Im Gegenteil, mobil sein ist ein Luxus, den allein die Gutsituierten sich leisten können, weil ihre Güter gesichert sind! Die modernen Kommunikationsmittel erlauben es, seine Sicherheiten nicht aufgeben zu müssen. Es ist nicht nötig, dem „anderen" wirklich zu begegnen, weil man ja mit seiner Welt „vernetzt" ist! Vielleicht geht es uns Christen der reichen Ländern auch auf spiritueller Ebene so: Auch wenn wir uns engagieren, „kostet" es uns nicht viel, denn wir verlassen nie wirklich unsere sichere Bleibe. Wie können wir wirklich „hinausgehen" ?

Das Herz der Losung ist die „Suche" nach der zukünftigen Stadt. Aber sie ist kein Ort. Die Verse davor erklären, dass die Gläubigen hinausgerufen sind zu Jesus, aber nicht zu dem Glorreichen, sondern zu dem Ausgesetzten, der von den Seinen ausgestoßen wurde, der gelitten hat „draussen vor dem Tor". Der Vers13 gibt den Reiseplan an: „So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager".

 

Philippe, ein Dominikaner aus Irak, hat eine dramatische Situation erlebt: „Außerhalb des Lagers, das kann im Gegenteil bedeuten: an Ort und Stelle! Ich habe es selbst, trotz der Angst um's Überleben, am eigenen Leib gespürt, und ich bin kein Held!. In meiner Stadt, in Mossul, nahm die Gewalt gegen die Christen überhand. Drohungen, Häuser in Brand, Strassenkämpfe, Tote, das haben wir alles erlebt. Viele Christen sind geflüchtet. Meine Brüder, die Dominikaner, mussten nach Bagdad, wo viele Familien Schutz suchten. Ich blieb allein im Kloster, um die Christen von Mossul nicht zu verlassen. Nur die Tür des Klosters schützte mich. Mit jeder Nacht kam die Angst - unmöglich zu schlafen, unmöglich zu arbeiten. Das Gebet der Brüder und der Christen in Bagdad hat mich gehalten, sie haben mit mir am Telefon Wache gehalten, ich habe gebetet und mit Bangen gewartet, bis der Morgen kam. Ich habe es ausgehalten, weil ich bei denen, die mir anvertraut waren bleiben musste".

Die Identität der Kirche, die die zukünftige Stadt sucht, ist nicht ihre Mobilität, sondern ihr Ziel. Sie ist in Wirklichkeit die Kirche, die standhält, die fest bleibt, weil sie im Glauben weiß, dass sie mit Christus wacht. „Draußen ausharren", das ist nicht die Resignation derer, die „out" sind. Es ist auch nicht die Rebellion derer, die bewusst die sozialen Einschränkungen verlassen. Es ist vielmehr die bewusste und freie Entscheidung, bei den „Aussätzigen" zu sein, bei den Überforderten, den Alleingelassenen, den Entmutigten, bei all denen, für die die Zukunft keinen Sinn mehr macht.

Da ist der Platz der Christen, da führt ihr Lebensweg vorbei: Sie schenken ein „Zuhause", ein hörendes Ohr, eine hilfreiche Hand, sie wachen mit denen, die keine Zukunft sehen.

Die Mitte der Hoffnung gibt den Reiseplan an: die „zukünftige Stadt" suchen, die Stadt, in der Gott regiert. Aber für die Gläubigen baut nicht die Kirche diese Zukunft, sondern erhält sie von Gott. Dieses wahre „Zuhause" suchen heißt erkennen, dass Gott selbst es schon in seinem Sohn erbaut hat. Durch ihn zeigt er uns, dass wir niemals verlassen sind, was auch kommen möge.

Auch „draußen", in der Unsicherheit und der Sorge um den kommenden Tag, können wir ein „drinnen", ein „Zuhause" erfahren, das uns „in Christus" schon geschenkt ist.

Heimat ist der Heiland.

Dieses Zuhause, in dem die zukünftige Stadt Gottes erscheint, feiern wir im Gottesdienst, wo wir nach draußen zusammengerufen werden, , um zusammen erbaut zu werden als Leib Christi, der zu unserem „Zuhause" wird.

Als Beschenkte gehen wir den Weg weiter, in das neue Jahr. Auf unseren Lebenswegen, so arm, verloren oder klein sie auch sein mögen, kam uns Gott entgegen. Wir haben seine Herrlichkeit in der Verletzbarkeit des Kindes in der Krippe gesehen.

Das wahre „Zuhause" hat uns gefunden ! Dieses Zuhause ist in Christus, und die zukünftige Stadt kündigt sich an in der Krippe!

Wir haben erkannt, dass Gott selbst seine königliche Identität verlassen hat! Er ist „hinausgegangen" aus seinem heiligen Lager, aus dem Himmel, aus dem Tempel, aus dem Grab, uns entgegen! Viel näher als wir es hätten erträumen können! Welcher Gott hätte dies gewagt: die göttlichen Privilegien verlassen um sich der menschlichen Kleinigkeit zu nähern? Er wollte seinem Volk folgen, unter dem Zelt und auf den Straßen, mit uns sein, bis in den Tod, um uns aus dem Grab zu befreien.

Im Glauben, vertrauensvoll, können wir froh und spontan wie Kinder Gottes ihm entgegengehen... Und trotzdem so kreativ und intelligent wie Unternehmer, die menschliche Häuser zu bauen haben. Wir folgen einer Spur, die nicht himmelwärts führt, sondern Jesuswärts, auf der Erde. Auf einfachen Wegen und nicht auf Wolken „eilen wir mit Geduld", wie es der Hebräerbrief beschreibt: weder passiv noch voreilig, sondern voller Vertrauen, das uns erlaubt, auch irdische Bleiben zu bauen in der Hoffnung auf das Reich Gottes.

Wir können gehen, wie wir sind. Im Licht des Glaubens geht kein Lebensweg in der Nachfolge Christi in die Irre.

Zwischen Krippe und Kreuz hoffen wir auf die Zukunft des Segens, wie er Josua einst vor dem Einzug in das neue Land gegeben wurde: „Lass Dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, Dein Gott, ist mit dir in allem" (Jos 1/9).

Mit diesem Zuspruch, und dieser Kraft, die uns für alle Wege nach „draußen" mit Christus gegeben sind, können wir so zu leben, dass, wenn wir gefragt werden, wohin wir gehen, wir antworten können: „Immer nach Hause!"



Prof. Dr. Elisabeth Parmentier
Strasbourg
E-Mail: parment@unistra.fr

Zusätzliche Medien:
medien


Bemerkung:
Gemeinsam mit den Studierenden des Homiletikseminars:
Lalie, Claude, Patrick, Sylvie, Bernard, Jean, Martin, Jean-Louis, Madeleine, Philippe, Hélène, Jean-Luc, Pauline, Soloarison, Cindy, Raphaël

Faculté de théologie protestante
Université de Strasbourg


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