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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2012

Jahreslosung 2013, Hebräer 13,14, verfasst von Friedrich Weber

Hebräer 13,14: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir

Liebe Gemeinde,

wenn man in diesen Tagen, an denen es draußen gar nicht richtig hell werden will und der Himmel trüb und tief hängt, durch die Straßen läuft, kriecht einem die nasse Kälte leicht in die Knochen und das Schreien der Krähen trägt dazu bei, sich unbehaust und ungemütlich zu fühlen. Das weihnachtliche Geglitzer mag das ein bisschen kaschieren, aber davon seitab können einem im Gehen Zeilen eines Gedichtes von Friedrich Nietzsche in den Sinn kommen, das 1884 erschienen ist. Nietzsche, der zu  diesem Zeitpunkt erst 35 Jahre alt war, befand sich wegen seiner Migräne, dem ewigen Magenleiden und den schlechten Augen bereits in Pension und lebte, weil er 1869 auf die preußische Staatsbürgerschaft verzichtet hatte, staatenlos und getrieben von der Suche nach einem bekömmlichen Klima. Wenn man dazu seine private Lebenskonstellation zwischen Mutter, Schwester und unglücklichen Liebensbeziehungen bedenkt, dann war er vermutlich isolierter und einsamer als es einem Menschen guttun kann. In dieser Lebensphase schrieb er folgendes Gedicht:

Die Krähen schrein / Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt: / Bald wird es schnein, / Wohl dem, der jetzt noch Heimat hat.

Nun stehst Du starr, / Schaust rückwärts, ach! wie lange schon! / Was bist du Narr / Vor Winters in die Welt entflohn?

Die Welt – ein Tor / Zu tausend Wüsten stumm und kalt! / Wer das verlor, / Was du verlorst, macht nirgends Halt. …

Die Krähen schrein / Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt: / Bald wird es schnein, / Weh dem, der keine Heimat hat.“

Man hört die Krähen, spürt die Kälte und den einsamen Menschen, der – wie das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern – auf der Straße vor sich hintreibt.

Wer so schreibt, gehört nicht dazu. Er ist und bleibt fremd. Hinter keinem der hellerleuchteten Fenster wird man ihn erwarten. Nirgends ist für ihn mitgedeckt. Wer so schreibt und fühlt, hat hier keinen Ort, keine bleibende Stadt. Wer so schreibt, der spürt bis in den letzten Herzmuskel, wie weh es tut, nicht ankommen und bleiben zu können. Weh dem!

Nietzsche war ein Meister der Sprache und ein Unglücklicher dazu. Die meisten unter uns sind beides wohl eher nicht in solchem Maß wie er. Aber wir kennen das auch: Den Schmerz des Abschieds und die bittere Erfahrung der Endlichkeit. Wir wissen etwas davon, wie weh es tut, zurückzubleiben und kennen etwas von der Leere, die bleibt, wenn jemand, den wir lieben aus unserem Leben verschwindet. Es gibt Momente, da hält uns nichts, da haben wir hier keine bleibende Stadt.

Deshalb ist die Jahreslosung 2013 zunächst vor allem eine bittere Diagnose: Nichts bleibt. Keiner der Menschen, die wir geliebt haben und nichts von den Dingen oder Orten, die uns etwas bedeutet haben. Nichts bleibt. Auch nicht von uns.

Das also steht über dem neuen Jahr und ist - gelinde gesagt - ein eigentümlicher Zuspruch. Wir kommen ja in Aufbruchsstimmung und voller Erwartung, was das Neue bringen wird. Der Zauber des Anfangs liegt über dem eben begonnenen Jahr und  dass es vorbeigehen wird, verwehen, bedenken wir zu anderen Zeiten. Nicht umsonst hat der Hebräervers seinen Sitz im Leben eher am Ende des Kirchenjahres und bei Beerdigungen.

In Ostdeutschland hatte das Wort am Ende der DDR dazu eine politische Konnotation. Ausreisewillige feierten damals Bittgottesdienste unter diesem Bibelvers und erkannten sich und Ihresgleichen darunter. Deren zukünftige Stadt lag allerdings nur ein paar Kilometer weiter westwärts

Wenn unsere Jahreslosung hingegen zu Beerdigungen oder am Ewigkeitssonntaglaut wird, dann klingt etwas anderes mit: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ –Das ist nicht nur der Schmerz, dass hier alles zuende geht, da ist auch die Hoffnung drin, heimkommen zu dürfen. Vielleicht ist das ja die Art, wie wir uns am ehesten Auferstehung vorstellen können: wir kommen nach Hause und irgendwie sind dorthin vorneweg gegangen und aufgehoben, die uns hier fehlen. So können wir denken, was für uns eigentlich zu groß ist. Dass wir dabei die ganze Dimension der Ansage auf unsere individuelle Perspektive eindampfen, nehmen wir in Kauf.

Um Letzteres sich wenigstens bewusst zu machen und den Horizont wieder aufzureißen, kann es nicht schaden, wenn dieser Text über einem ganzen Jahr steht. Er zwingt uns nämlich, noch einmal genauer und anders hinzusehen. Wenn wir das tun, wird uns auffallen, wie eigentümlich angesichts dessen, dass alles vergeht, all unsere Versuche  sind, doch irgendwie zu bleiben: Politiker deklarieren Entscheidungen als historisch, Künstler schaffen das eine große Werk, das alles überdauert und wir ganz normalen Menschen dazwischen bauen wenigstens ein Haus, pflanzen einen Baum oder setzen einen Grabstein. Eben damit irgendwas von uns überdauert.

Vielleicht ist das ja ein Ausdruck von Trotz, Unverstand oder Hochmut. Aber könnte es nicht sein, dass sich in darin Sehnsucht spiegelt?

Wenn sich alles verändert, wenn alles unbeständig ist und nichts bleibt, wie es war, dann möge es doch wenigstens irgendetwas geben, das gilt und bleibt.

Wir sehnen uns nach einer stabilen Grundlage und hoffen auf ein glückliches behütetes neues Jahr. Wir sehnen uns nach Halt und Geborgenheit und hoffen auf ein neues Jahr, in dem die, die wir lieben und an denen wir hängen, heil an Leib und Seele bleiben. Wir sehnen uns nach Orientierung und Klarheit, damit es im neuen Jahr nicht so scheußlich kreuz und quer durcheinandergeht.

Weil diese Sehnsucht uns treibt, kommen wir an den Schwellen unseres Lebens und an der Schwelle zum neuen Jahr hierher. Hier vor Gottes Angesicht suchen wir danach, was trägt und bleibt.

Wir suchen! 

Ja, tatsächlich: wir suchen.

Denn hier haben wir keine bleibende Stadt, aber die künftige suchen wir.

Das sagt diese Jahreslosung auch nicht zuletzt! Sie beschreibt nicht nur eine bittere Diagnose, sondern vor alem eine ganz aktive Haltung. Zukunft, Ankommen, Heimat und all das was wir damit verbinden und ersehen, fällt uns nicht in den Schoß, ist nicht schon längst bequem ins Trockene gebracht.

Die zukünftige Stadt suchen wir.

Und es wird eine andere Art der Suche sein als das verlorene Treiben unter kaltem Himmel, wenn die Krähen schrein. Wer jetzt noch keine Heimat hat und beginnt zu suchen, dem sagt diese Jahreslosung doch:

Es gibt eine künftige Stadt auch wenn hier alles vergeht.

Es gibt Zukunft und Heimat, wenn wir die Augen offenhalten, wenn wir suchen und uns finden lassen.

Es gibt Orientierung und Halt, wenn wir zu Gott hin denken – egal, wie groß die Fragen um uns herum auch sein mögen und  was auch immer das neue Jahr bringen wird.

Diese Jahreslosung eröffnet einen weiten Horizont.

Es muss nicht so bleiben wie es ist. Es kann anders, neu und richtig werden.

Die Sehnsucht danach ist uns längst ins Herz gepflanzt, denn „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“.

Amen

 

 

 

 



Präsident, Landesbischof Prof.Dr. Friedrich Weber
Wolfenbüttel
E-Mail: http://www.landeskirche-braunschweig.de/ http://www.leuenberg.net/

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