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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2012

Jahreslosung 2013, Hebräer 13,14, verfasst von Nikolaus Schneider

Liebe Gemeinde!

Wer möchte bei längerem Nachdenken wirklich unsterblich sein?

Wer möchte wirklich bis in alle Ewigkeit hier auf der Erde leben?

 

Sicher, es gibt Augenblicke, da wünschen wir uns die Erfahrung von Ewigkeit:

-        wenn wir intensives Liebesglück erleben,

-        wenn wir etwa auf einem Familienfest unser Leben als von Gott und Menschen gesegnet fröhlich und unbeschwert feiern,

-        wenn  uns ein Projekt gelingt, an dem wir mit viel Energie und Herzblut gearbeitet haben.

In solchen Augenblicken bewegt uns die Sehnsucht nach Beständigkeit.

Dann möchten wir, dass alles so bleibt, wie es gerade ist.

Dann, in diesen glückserfüllten Augenblicken, fällt es uns manchmal schwer, uns mit der Vergänglichkeit alles Irdischen abzufinden.

 

Und doch:

Bei längerem Nachdenken wir uns klar, dass es gerade die Vergänglichkeit ist, die unser Glück und unser Leben so kostbar macht.

 

Wie aber können wir mit der Erfahrung und der Einsicht von Vergänglichkeit leben,

-        ohne rastlos nach immer neuen Möglichkeiten von Glücksmomenten und nach einer möglichst optimalen Selbstverwirklichung zu suchen?

-        und ohne den Rat von Bert Brechts Gedicht „Gegen Verführung“ zu unserer selbstsüchtigen Lebensmaxime zu erheben?

Bert Brecht dichtete:

 

„Lasst euch nicht verführen!

Es gibt keine Wiederkehr.

Der Tag steht in den Türen;

Ihr könnt schon den Nachtwind spüren:

Es kommt kein Morgen mehr.

 

Lasst euch nicht betrügen!

Das Leben wenig ist.

Schlürft es in schnellen Zügen!

Es wird euch nicht genügen,

Wenn ihr es lassen müsst! …“

 

Die Jahreslosung für das heute beginnende Jahr 2013 steht dem Gedicht von Bert Brecht in dem realistischen Blick auf die Vergänglichkeit des irdischen Lebens nicht nach. Aber sie legt uns eine andere Lebensmaxime ans Herz. Im Hebräerbrief heißt es:

 

„Wir haben hier

keine bleibende Stadt,

sondern die zukünftige

suchen wir.“  (Hebräer 13, 14)

 

„Wir haben hier keine bleibende Stadt“ –

Weder im Blick auf unser persönliches Leben noch im Blick auf die nahe und ferne Weltpolitik lässt sich die Einsicht verdrängen:

-        Nichts Irdisches ist vor Zerstörung sicher.

-        Nichts von dem, was Menschen planen und reden, pflanzen, bauen und gestalten, erkämpfen und erstreiten, bleibt für die Ewigkeit.

 

Wir müssen mit dieser Perspektive der Endlichkeit und der Vergänglichkeit leben. Immer wieder neu müssen wir Abschied nehmen und uns im Loslassen üben.

Jeder und jede von uns kennt die Erfahrungen von Vergänglichkeit, Zerstörung und Verlust:

Wir müssen uns von Menschen und Orten trennen, an denen unser Herz hängt.

Uns zerbrechen Lebenspläne und Lebensentwürfe.

Wir müssen uns der Konfrontation mit unserem alternden Körper und mit schwindenden Körperkräften stellen.

Wir sehen tagtäglich erschreckende Bilder von zerstörerischen Naturkräften und von tödlicher Gewalt, die Menschen einander antun.

 

Wie Bert Brecht so will auch die Jahreslosung uns Menschen mit dieser realistischen Einsicht in Bewegung setzen – allerdings nicht in eine Bewegung, die Genüsse des Lebens in möglichst schnellen Zügen zu schlürfen.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ – 

Die Jahreslosung aus dem Hebräerbrief will Menschen dazu bewegen, schon hier, in unserer Gegenwart nach der zukünftigen Stadt Gottes zu suchen.

 

Die biblische Rede von der Suche nach der zukünftigen Stadt Gottes führt  Menschen nicht zu selbstsüchtiger Genusssucht und auch nicht in eine verantwortungslose Weltflucht.

In Gottes zukünftiger Stadt, so erzählt es uns die Bibel, wird Gott alle unsere Tränen abwischen, wird es keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen. Und keine gefühlte und erlittene Gottesferne. Denn: Gott selbst wird mitten unter uns, seinen Menschen wohnen. (vgl. Offenbarung 21,3f).

Jesus Christus hat diese zukünftige Stadt Gottes mit seinem Leben, Sterben und Auferstehen schon jetzt als eine Kraftquelle untrennbar mit unserer irdischen Wirklichkeit verbunden. In der Nachfolge Jesu Christi scheint uns aus der zukünftigen Stadt Gottes schon hier und jetzt ein Orientierung schenkendes Licht mitten hinein in die Wirrnisse und Krisen unserer Städte und unseres Lebens.

Dieses Licht des Himmels schafft auf der Erde keine leid- und konfliktfreien Räume, in denen sich Christinnen und Christen bis zur Vollendung des Gottesreiches verkriechen könnten. Christenmenschen leben, glauben, lieben und hoffen an Orten, an denen gestritten und gekämpft, gelitten und gestorben wird. Das führt uns der Kontext der Jahreslosung im Hebräerbrief vor Augen:

 

„Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“(Hebräer 13, 12-14).

 

Draußen vor dem Tor der heiligen Stadt Jerusalem ist Christus für uns Menschen gestorben und auferstanden.

„Draußen vor dem Tor“, das sind die unheiligen Orte, an denen Menschen auch heute kreuzigen und gekreuzigt werden.

Das sind die Orte, an denen Menschen sich auch heute von Menschen verraten und von Gott verlassen fühlen.

Das sind die Orte, an denen Menschen nach Gott und nach mitmenschlicher Hilfe schreien.

Unser Weg mit Christus zur zukünftigen Stadt Gottes

-        ist ein „Weg hinaus“ zu diesen Orten,

-        ist ein Weg des Mit-Leidens,

-        ist ein Weg der Suche nach Frieden und Gerechtigkeit,

-        ist ein Weg der tätigen Liebe und Barmherzigkeit.

 

Wir haben es gerade in der Evangeliumslesung gehört:

Jesus Christus selbst identifiziert sich und seinen Weg mit dem Wort des Propheten Jesaja:

„Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen…“

(Lukas 4,18 nach Jesaja 61,1f)

Wer Christus nachfolgen will, der muss mit ihm auf dem Weg zu Leidenden und Zerschlagenen sein.

Nur auf diesem Weg geht es in die zukünftige Stadt Gottes.

 

Liebe Gemeinde,

gerade die Vergänglichkeit ist es, die menschliches Glück und menschliches  Leben auf der Erde so kostbar macht. Der Jahreswechsel und Beginn eines neuen Jahres ist eine gute Gelegenheit, für einen dankbaren Blick zurück und für einen zuversichtlichen Blick nach vorn.  

Weil Gott in Jesus Christus unsere irdische Vergänglichkeit an seine himmlische Ewigkeit gebunden hat, können wir mitmenschlich und hoffnungsvoll mit der Erfahrung und der Einsicht von Vergänglichkeit leben,

Wir leben in der Gewissheit, dass für uns nach der Nacht unseres Todes noch ein Morgen kommt.

-        Deshalb müssen wir nicht rastlos nach immer neuen Möglichkeiten von Glücksmomenten und nach einer möglichst optimalen Selbstverwirklichung  suchen.

-        Deshalb können wir im Licht der zukünftigen Stadt Gottes nach dem Besten für unsere irdischen Städte suchen.

-        Deshalb können wir unsere Augen, unsere Herzen und unsere Hände für die Not und für die Bedürfnisse unserer Mitmenschen öffnen.

Unser Herr und Heiland Jesus Christus hat uns den Weg eröffnet und gewiesen, in allen Städten dieser Welt „selig“, also von Gott begleitet, zu leben und zu sterben und im Himmel unsere ewige Heimat zu finden – Gott sei Dank!

Ein gesegnetes Jahr des HERRN 2013!

Amen



Ratsvorsitzender, Präses Nikolaus Schneider
Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin
E-Mail: nikolaus.schneider@ekir.de

Zusätzliche Medien:
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