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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionsandachten, 2013

Psalm 31, 9b-15, verfasst von Wolfgang Schillak

 

 

 Das Leuchten hinter der Angst

 

Oh, jetzt wird's eng!

Das sagen wir mitunter, wenn der Druck steigt, die Bedrohung wächst - vor dem Examen, im Wartezimmer des Zahnarztes, im Konflikt mit dem Abteilungsleiter, angesichts vermehrter Stress-Symptome. Dies Gefühl, eingezwängt zu sein in Zusammenhänge, denen so unmittelbar nicht zu entrinnen ist, die eventuell sogar bedrohlich empfunden werden, solche gefühlte Enge erleben wir als Angst (lat.: angustia). Auch körperlich ist sie zu spüren: in der Stimmung, in der Brust, im Kopf. Der Blutdruck steigt, wenn die Angst wächst.


Psalm 31 beschreibt das so:

„...mir ist angst!
Mein Auge ist trübe geworden vor Gram, matt meine Seele und mein Leib.
Denn mein Leben ist hingeschwunden in Kummer
und meine Jahre in Seufzen.
Meine Kraft ist verfallen durch meine Missetat,
und meine Gebeine sind verschmachtet.
Vor all meinen Bedrängern bin ich ein Spott geworden,
eine Last meinen Nachbarn
und ein Schrecken meinen Bekannten.
Die mich sehen auf der Gasse, fliehen vor mir.
Ich bin vergessen in ihrem Herzen wie ein Toter;
ich bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäß."


Angst ist ein Alarmsignal: Du wirst bedroht! Dies Signal ruft ein archaisches Verhaltensmuster auf: fight or flight - Flüchten oder Standhalten! Zugleich mobilisiert dieser Angstimpuls alle verfügbaren eigenen Kräfte gegen die erwartete Aggression von außen.

Weitaus schwieriger ist die Lage, wenn die gespürte Aggression von innen kommt: Wohin fliehen vor der inneren Bedrohung, vor Schuldgefühlen, vor dem Gewissen? „Mein Auge ist trübe geworden vor Gram, matt meine Seele und mein Leib ... Meine Kraft ist verfallen durch meine Missetat". Diese treffend beschriebene Eintrübung der psycho-vegetativen Konstitution kennen wir heute als depressive Gestimmtheit, in ihrer manifesten Ausprägung eine der am häufigsten diagnostizierten Erkrankungen in Betriebs- und Hausarztpraxen.


Es ist eine komplexes Passions-Geschehen, das sich da entfaltet: die soziale Angst, dass sich Beziehungen zurückentwickeln oder gar brechen, vergessen in ihrem Herzen - wie heute etwa unter vielen Langzeitarbeitslosen; die Gewissensangst, die geschehene Missetat als unumkehrbar und dadurch belastend, ja Leben zermürbend empfindet Gebeine verschmachtet und die Existenzangst, vor Gram, matt meine Seele, die heute zu viele in den Alkohol treibt oder auch nahe an suizidale Absichten - also an den Fundamenten der Existenz rüttelt: wertlos zu sein, leer. ‚Das macht doch alles keinen Sinn mehr!‘ Diese Angst ist seelische Verdunklung, die mit ermatteter Stimme schreit: ‚ICH ZERBRECHE MIR!‘


Aufhorchen lässt mich dabei nicht allein die Parallelität der Lebenserfahrung. Aufrüttelnd, zum Selbstfinden auf-rüttelnd finde ich die Art, wie der Psalmist mit dieser psycho-sozialen Leidenssituation umgeht. Er hebt den Kopf, richtet den Blick nach oben: „HERR, sei mir gnädig!"

Was erwartet er von Gott? Wie könnte er Gnade erleben?


Gnade ist zuallererst Beziehung, mir gestiftete Beziehung. Sie ist das eindeutige, zweifelsfreie klare Ja Gottes zu Deinem eigenen, unverwechselbaren Leben, so wie Du es leben kannst. Das heißt nicht, dass alles richtig ist, was Du tust oder sagst! Aber Du bist vor allem anderen, vor Deiner Leistung und Deinem Ruf, vor Deinem Erfolg und Deinem Versagen zu allererst ein von Gott geliebter, so wie Du bist akzeptierter Mensch! Da braucht's keine religiösen moralischen extra Klimmzüge oder entbehrungsreiche Exerzitien.

Gnade vergewissert mich, zu wem ich gehöre. Sie hält geborgen, wenn ich mir zerbreche. Sie hellt auf, wo mir das Leben sich verdunkelt.

Ein mir sehr einleuchtendes biblisches Bild dazu ist im aaronitischen Segen enthalten: „Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig!" (Num.6,25) Wenn auch die Angst Dir so viel Kraft und Licht raubt, dass sie Dir am Fundament Deiner Existenz rüttelt, an dem Vertrauen darauf, dass Gott Dir (noch) zugewandt ist: Das Leuchten ist auf Dich gerichtet. Das Leuchten bleibt auf Dich gerichtet!

Das heißt aber zugleich: Da wir Leben und Beziehung nicht in der Hand haben trotz aller Anstrengung: Ein mögliches Scheitern ist uns eingepflanzt. Wir Christen leben aus diesem Glauben, dass uns erneuertes Leben durch Christi Barmherzigkeit möglich wird durch alle Brüche hindurch.

Das ist Gnade, erlebte, erspürte Gnade.

Und das ist etwas Kostbares: Gott bleibt von Angesicht zu Angesicht Dein Partner, Gesprächspartner, Lebenspartner, Klage- und Zorngegenüber, Verzweiflungsschulter auch, an die Du Dich lehnen kannst im ratlosen Ermatten... ein seelischer Schatz, den Dir niemand zerstören kann.


Ja, das tut gut, in der beängstigenden Lage zu erinnern: Gott „hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben... Wir haben aber diesen Schatz nur in zerbrechlichen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns." (2Kor4,6f)


Das leuchtend segnende Angesicht wird zum Aufschein in Deinem Herzen. Das ist es, was Du zu erwarten hast; worauf Du Dich einlassen kannst. So kann sich christliche Existenz beschreiben: Bruchstücke lebe ich, eingehüllt vom Leuchten der Gnade! Der angsterfüllte Psalmbeter ist das zerbrechliche Gefäß, umfasst und gehalten von dem Leuchten der liebevollen Zuwendung Gottes.

Für uns kommt noch, um Lebens-Angst aushalten zu können, der Blick auf Christus dazu: Überwinden der Angst kann sich entwickeln im Übereinstimmen mit der Verheißung Gottes, wo ich mich im Einklang finde mit der Zusage Gottes: Du bist mein geliebtes Kind - und mit der Verheißung Christi: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden." (Joh.16,33)


Wie aber erlebst Du, dass Er überwunden hat?


Christus bezeugt, dass trotz Angst und Leiden - bis zum Aufgeben des Lebens - die Beziehung zu Gott nicht verloren geht, sein liebevoll barmherzig leuchtender Blick weiter auf Dich gerichtet ist und bleibt. Erst durch das Leiden und Sterben Jesu Christi führt uns unser eigenes Misslingen nicht in unglückliche Sackgassen; erst durch die Auferstehung Jesu bekommt unser zerbrechliches Gefäß einen dauerhaften Zusammenhang und -halt; erst in der Gegenwart des Auferstandenen können wir lernen, dass Leiden an der Angst ein Durchgangsstadium ist, dass Er unsere Füße aus der Enge heraus wieder auf weiten Raum stellen wird (vgl. Ps.31,9b!).


So ist Gnade Rückhalt und Intervention zugleich, vermittelt Geborgenheit und Ermutigung. Sie weitet die angstvolle Enge. Sie befähigt zu ermutigtem Zerbrechlichsein. Leiden an der Angst kann den hoffnungsvollen Blick schärfen auf das Gesicht jenseits der Enge.

HERR, ich hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott!" (Ps.31,15)

 

Amen



Pfarrer Dr. Wolfgang Schillak
37176 Nörten-Hardenberg
E-Mail: wolfgang.schillak@evlka.de

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