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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionsandachten, 2013

Matthäus 26,36-46, verfasst von Wolfgang Petrak

 

Da kam Jesus mit ihnen zu einem Hofe, der hieß Gethsemane, und sprach zu seinen Jüngern: Setzet euch hier, bis dass ich dorthin gehe und bete. 37 Und nahm zu sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen. Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibet hier und wachet mit mir!
   39 Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! 40 Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Könnet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? 41 Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallet! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.
   42 Zum andernmal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist's nicht möglich, dass dieser Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille! 43 Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voll Schlafs. 44 Und er ließ sie und ging abermals hin und betete zum dritten Mal und redete dieselben Worte. 45 Da kam er zu seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Ach wollt ihr nur schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist hier, dass des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird. 46 Stehet auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät!

 

 

Liebe Gemeinde,

 

ja, er ist am Ende da gewesen. Der ihn verriet. Und die anderen auch. Gemeinsam hatten sie zu denen gehört, die er namentlich berufen hatte. Denn Glaube will gemeinsam gelebt, der Weg der Gerechtigkeit will gemeinsam gegangen und Hoffnung will unter einander geteilt sein. Auch ihre Hände hatten in seinem Namen getragen, gesegnet und geheilt. Er hatte Petrus, Jakobus und Johannes (die Söhne des Zebädeus) mit auf jenen Berg genommen, der zum Ort eines Geschehens geworden war, das nicht in Worte gefasst werden konnte und durfte. Aus seiner Hand hatten sie zusammen mit allen anderen, auch mit ihm, Brot empfangen und aus dem Kelch zur Vergebung der Sünden getrunken, sodass sich die Augen und das Herz hätten öffnen können für eine Zeit, die vor allen liegen wird. So aber hatten sie mit ihm dieses große Grundstück betreten, das sich bis ins Tal erstreckt, dessen Dunkelheit am Abend unaufhaltsam nach oben steigt und schnell an Höhe gewinnt. Ist aus der Gemeinschaft der Glaubenden die der Schuld geworden?

Ja, er ist allein gewesen. Der verraten worden ist. Er hatte die drei ja gebeten, nicht weg zu gehen, zu bleiben. Mit ihm zu wachen. Verlassensangst? Vielleicht wäre die Sprache ihrer Hände leicht zu entschlüsseln gewesen als die der wenigen Worte; es ließe sich vorstellen, wie sich die Hände entkrampften, noch einmal sich wärmend aneinander rieben, ihre Gesicht stützen, die Stirn, die Augen, dann sich über dem Bauch zusammenfalteten, um ganz bei sich zu sein in jenem Ausdruck der wohligen Geborgenheit, die in Schlaf übergeht, selbst wenn man auf Steinen liegt. Ich kenne das. Und der Wille ist längst ausgeschaltet, wenn die Augenlider zufallen. Der Schlaf ist des Todes Bruder. Oder heißt es umgekehrt? Die zu lebende Gemeinschaft verengt sich zum gemeinsamen Schweigen. Ist aus diesem Fels die Gemeinde gebaut? Furchtbar.

Ja, er, der anders ist, ist allein gewesen. Denn seine Bitte um Bleiben und Wachen, hervorgerufen aus der Tiefe des Traurig-Seins und der Angst, musste ohne ihre Antwort bleiben. Doch es ist die Sprache, die unabhängig von ihnen und von uns diesem Menschen die Möglichkeit gibt, die Tiefen der Angst in Worte zu fassen. So heißt es in den Schriften, die uns gegeben sind:

Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir; Deine Fluten rauschen daher, dass hier eine Tiefe und da eine Tiefe brausen; alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich. 10 Ich sage zu Gott, meinem Fels: Warum hast du mein vergessen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt? 11 Es ist als ein Mord in meinen Gebeinen, dass mich meine Feinde schmähen, wenn sie täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott? 12 Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir"?(Ps42,8.10-12)

Ja, wenn Hände auch diese Worte übersetzen wollten, dann würden sich die Finger wohl nicht in einfältiger Demut zusammenfalten, würden sich auch nicht spreizen und geschlossen an den Finger an den Fingerkuppen sich berühren, um Konzentration und Spannung zu wahren, sondern sie würden alles Bewahrende aufgeben, sie würden sich, wenn es um den Mord geht, zusammenkrampfen und zu Fäusten ballen, um diese drohend den Feinden entgegen zu recken: Wut gegen die Gottlosigkeit, weil die Frage: „Wo ist denn nun dein Gott"? das eigene Fundament angesichts der Häme und der selbst geahnten Beweisnot zerbröseln lässt. Unruhig müssten deshalb die Hände sein, mit zittrigen Fingern hin und herfahren, so als ob sie die Unruhe der Seele aufhalten würden, zerrissen die Haare raufen und nach oben recken, auf das, was über einen einstürzt. Die Hände nach oben, über den Kopf hinaus, eine andere Richtung einnehmend: ja, so kann einer nur reden, wenn er nicht gesehen wird. Dieses Gebet muss die Sprache des Einzelnen bleiben. Von Hilde Domin gibt es ein Gedicht, das die Sprache der Hände in der Einsamkeit aufnimmt:

 

Die schwersten Wege

Die schwersten Wege
werden alleine gegangen
die Enttäuschung, der Verlust.
das Opfer,
sind einsam.
Selbst der Tote der jedem Ruf antwortet
und sich keiner Bitte versagt
steht uns nicht bei
und sieht zu
ob wir es vermögen.
Die Hände der Lebenden die sich ausstrecken
ohne uns zu erreichen
sind wie die Äste der Bäume im Winter.
Alle Vögel schweigen.
Man hört nur den eigenen Schritt
und den Schritt den der Fuß
noch nicht gegangen ist aber gehen wird.
Stehenbleiben und sich Umdrehen
hilft nicht. Es muss
gegangen sein.

 

Ja, es ist eigenartig, wie sehr Worte Stille und Erstarrung einfangen können: Schweigen der Vögel und Geäst im Winter, das der Sprache der Hände entspricht. Und doch gibt es aus der Einsamkeit heraus von Anfang an die Bewegung des Einzelnen, seine Schritte, die in der Sphäre des Vergangenen, des Todes also waren, und die weiter gehen werden. Weil sie von einem Muss, einem Willen nach vorn bewegt werden.

Ja, es ist der Herr, der Angst hat. Vor der Sphäre des Todes. Nur für sich allein spricht es aus, nicht um zu belehren oder sich als Vorbild anzudienen, sondern weil er selbst an die Grenze seiner Möglichkeit gekommen ist. Weil er nicht mehr weiter gehen kann, muss was anderes gehen: „Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch von mir"(26,39). Es ist der Kelch gewesen, den er Jakobus und Johannes und vor allem ihrer Mutter vorgehalten hatte, denn sie war es gewesen, die für ihre beiden Sprösslinge ganz irdisch-mütterlich den Weg nach oben bahnen wollte. Den Kelch des Leidens zu trinken meint aber eine andere Nachfolge. Es ist der Kelch gewesen, den er den Seinen gegeben hat, damit sie daraus trinken, weil es das Blut des Neuen Bundes ist, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden (Mt 26,27); er selbst aber weiß um die Bedeutung seines Opfertodes und um die Perspektive des Neuen. Deshalb stellt er der Begrenzung seiner Möglichkeit den Willen des Vaters gegenüber: „Doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst"(Mt 26,39). Stehen bleiben und sich Umdrehen hilft nicht. Es muss gegangen werden. Und deshalb sagt Hilde Domin weiter:

 

Nimm eine Kerze in die Hand
wie in den Katakomben,
das kleine Licht atmet kaum.
Und doch, wenn du lange gegangen bist.
bleibt das Wunder nicht aus,
weil das Wunder immer geschieht,
und weil wir ohne die Gnade
nicht leben können:
die Kerze wird hell vom freien Atem des Tags
du bläst sie lächelnd aus
wenn du in die Sonne trittst
und unter den blühenden Gärten
die Stadt vor dir liegt,
und in deinem Hause
dir der Tisch weiß gedeckt ist.
Und die verlierbaren Lebenden
und die unverlierbaren Toten
dir das Brot brechen und den Wein reichen -
und du ihre Stimmen wieder hörst
ganz nahe
bei deinem Herzen.

 

Ja, es ist so, dass er am Ende da gewesen ist. Der ihn verriet. Und die anderen auch. So müde, was gar nicht so unglaublich ist, weil der Geist ja so willig, um nicht so sagen gutwillig ist bei all denen, die sich der Gemeinschaft der Glaubenden zurechnen. Doch das Fleisch ist schwach. Die drei, nein die vier, nein, wir alle leben in dieser Müdigkeit, in der scheinbar von selbst die Augen vor dem Leiden anderer zufallen. Wir sollten wissen, dass in der Sprache der Schriften das Fleisch für die Macht der Sünde und des Todes steht. Ohne Gnade können wir nicht leben. Wir sollten hoffen, dass am Ende der da ist, der uns befreit. Mit seinem Willen zu rechnen, seinen Ruf der Freiheit zu hören und ihm auf dem Weg der Gerechtigkeit nachzufolgen: das heißt, nicht liegen zu bleiben, sondern aufzustehen.

Ja, so soll es sein.Amen

 



Pastor a.D. Wolfgang Petrak
37077 Göttingen
E-Mail: w.petrak@gmx.de

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