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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionsandachten, 2013

Matthäus 26,36-45, verfasst von Heinz Behrends

 

Angst macht eng

 

Er ging sorglos zur Vorsorgeuntersuchung. „Ah, die Ader gefällt mir nicht", sagt der Arzt im Blick auf das Bild vom Ultraschall. Wir machen eine genauere Aufnahme unter dem MRT. Wir haben da ein neues Gerät, das macht genauere Bilder. Nur zur Vorsicht. Dazu müssen sie ins Krankenhaus unserer Nachbarstadt gehen. Ich mache Ihnen gleich einen raschen Termin".

3 Tage später liegt er in der Röhre, das Rattern des Echo-Gerätes verstärkt seine Unruhe. Aber da wird wohl nichts sein. „Kommen Sie, wir schauen uns die Bilder mal gemeinsam an", sagt der Arzt, ein ausgewiesener Fachmann in der Region. „Sehen Sie, hier und hier und dort und hier, alles schwer verkalkt. So was habe ich lange nicht mehr gesehen." Er begreift noch gar nicht, was er da hört, es zieht an ihm vorbei. „Nehmen Sie die Bilder und zeigen sie die Ihrem behandelnden Kardiologen. Ich fürchte, da wird nur noch schwer was zu machen sein". Die Angst jagt ihm in die Knochen, die Muskeln verhärten sich. Fast wie besinnungslos fährt er mit dem Auto nach Hause.

Zu Hause angekommen, ist nichts mehr wie es war. Er erzählt seiner Frau, was er gehört hat. Weinend fallen sie sich in die Arme und verharren lange in ihrer Umklammerung.
Er war gerade so richtig mitten im Leben angekommen. Der Erfolg fiel ihm in den Schoß.
Jetzt ist alles bedroht. Vorher hatte er nie einen Herzschaden gespürt. Jetzt tat ihm alles weh. Die Luft wird knapp, das Treppensteigen wird schwer.
Wieder bei seinem Facharzt angekommen, wiegelt der ab. „Da ist noch was zu machen." Er bestellt ihn zu weiteren Untersuchungen, redet gut zu. Aber die Angst weicht nicht. Morgens wacht er schweißgebadet auf, mitten in der Arbeit schießt ihm alles durch den Kopf. Dann ist er wie abwesend. In einer anderen Welt.
Fast noch schlechter geht es seiner Frau. „Was soll ich machen, wenn ich plötzlich alleine sein sollte. Wir sind gerade erst hierher gezogen. Ich habe hier niemanden". Kinder haben sie leider auch nicht. Bald ist es klar. Eine große OP steht bevor. Nun verstärkt sich der innere Kampf zwischen Hoffnung und Angst. Er sieht sich auf dem OP-Tisch sterben, sie sieht sich als Witwe. Dann sieht er sich bald wieder an seinem geliebten Arbeitsplatz und sie kann es nicht glauben.
Die Angst macht das Leben eng, sie vertreibt jeden Anflug von Freude, der sich auf sie niederlassen möchte. Manchmal bricht eine Zuversicht durch, die das Herz leicht macht, die Schultern weitet und die Beine lockert. Seine Frau weicht nicht von seiner Seite, sie könnte ihn ja verlieren.
Sterbensangst. Angst, verlassen zu werden. Sie breitet ihre Macht über die beiden aus, auch wenn Freunde gut zureden.
Angst kannst du einem Menschen nicht ausreden. Am besten, Du sagst: Ja, so ist es. „Deine Seele ist betrübt bis in den Tod."

 

Trösten ist „da sein"

Ich bleibe bei dir. Trösten im Hebräischen bedeutet in seinem Wortsinn: da sein. Die indogermanische Sprache nimmt die Bedeutung auf. Trost kommt von „treu".
Wer bei einem Verängstigten bleibt, schenkt Gewißheit von Nähe, Verlässlichkeit Der Gedanke ist noch im englischen Trust aufbewahrt: Vertrauen. Wer tröstet, hilft, Vertrauen ins Leben wieder zu gewinnen.
Die Jünger Jesu in Gethsemane sind da, aber sie schlafen. Seine engsten Freunde sind erschöpft. Das gibt es, dass man sich vor Erschöpfung in den Schlaf flüchtet.
Nichts ist schlimmer in der Angst, als wenn jemand da ist und doch nicht da ist. Ich wache nachts auf, meine Prostata-OP stand vor gut zwei Jahren bevor, die Angst überkommt mich. Meine Frau liegt eng neben mir, aber sie schläft. Ich möchte sie nicht wecken und tue es nicht. Da liege ich zwei Stunden hellwach, allein, die Angst schnürt mir meine Kieferbacken zu, ich beiße auf den Zähnen. „Du hättest mich doch wecken müssen", sagt meine Frau am nächsten Morgen. „Ich wollte es dir nicht zumuten".
Jesus ist allein in Gethsemane, seine Freunde schlafen.
So beten sie auch nicht für ihn, nicht mit ihm. Er ist in tiefer Einsamkeit.
Es bleibt ihm allein das Gebet.

 

Beten ist einüben in den Willen Gottes

So betet er sich dann in den Willen Gottes hinein. Dreimal. Er nähert sich dem Willen seines Vaters. „Ist möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber". Beim zweiten Mal „Ist's nicht möglich, dass dieser Kelch an mir vorüber gehe."

Ich habe so viele Darstellungen der Gethsemane-Szene in Kirche gesehen, in Holz auf Altären geschnitzt, auf Leinwand gemalt. Sie rühren mich immer wieder an. Das Ringen Jesu mit beiden Armen, ausgestreckt zum Kelch auf der Felsenspitze. Der Evangelist Lukas, der am meisten von allen an der Beschreibung der Gefühle interessiert ist, erzählt: „Er rang mit dem Tode und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen."

Beten ist, sich einüben in den Willen Gottes.
Beten schützt vor Anfechtung, vor der Versuchung, sich in der Angst von Gott zu trennen.
Beten ist Kämpfen. Am Ende ist Stille.

Seit 1985 bereite ich jedes Jahr in meiner jeweiligen Gemeinde die Karwochen-Andachten mit einer Gemeindegruppe vor. Wir beginnen gleich nach Neujahr, die Passionsgeschichten eines Evangelisten zu lesen, sie in Andachten umzusetzen. Die Geschichte von Gethsemane rührt immer wieder an. Es ist die tiefste Tiefe, in die Christus hinabsteigt. Nirgendwo ist er so sehr Mensch wie in diesem Garten.

 

Ich bin da

Seitdem ist er Trost für viele, denen in Ängsten eng ums Herz wird. Wenn Jesus freiwillig die Not der Angst erfährt, dann weiß er wie es mir geht, wenn ich Angst habe. Nicht als der Besserwisser, der wichtigtuerisch oder beschwichtigend sagt: Ja, das kenne ich auch.
Sondern der sagt: „Ich weiß wie es Dir geht."

 



Superintendent Heinz Behrends
37154 Northeim
E-Mail: Heinz.Behrends@evlka.de

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