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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionsandachten, 2013

Johannes 16,33, verfasst von Eberhard Busch


Aber seid getrost

Jesus spricht: „In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost. Ich habe die Welt überwunden."

In einer Welt voller Angst und Bedrohung und dunklen Aussichten wird es hell wie beim Sonnenaufgang nach finsterer Nacht - bei dem, was Jesus da spricht: „Seid getrost!" Das leuchtet wundervoll. Und das sprach er nicht allein damals zu seinen Jüngern, das sagt er auch uns heute und sagt er uns allen: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost!" Und er sagt es nicht bloß, so wie manche jemandem flüchtig „Guten Morgen" sagen, ohne ihn dabei auch nur anzuschauen, sondern er sagt es so, dass es uns angeht: Jawohl, er hat uns nicht aus den Augen verloren! wir dürfen getrost sein! Er sagt es so, dass es durchdringt eben wie ein schönes, tröstliches Licht beim Sonnenaufgang nach der Nacht. Das hilfreich tröstlich sagen, das kann im Grunde nur ER. Aber darauf dürfen wir uns verlassen.

Wenn wir etwas Entsprechendes zu sagen versuchen, dann tönt es gewöhnlich so: „Jetzt reiß dich zusammen. Es tut uns ja auch leid, aber wir können es auch nicht ändern. Also suche nun, es zu vergessen und darüber hinweg zu kommen." Wie man es deutschen Knaben in den vierziger Jahren, einer Zeit voller Schrecken, beibrachte „Ein deutscher Junge weint nicht!" Und so konnte man sich an den Schrecken beteiligen und viele zum Weinen bringen. Doch wenn wir einmal jenes andere hören aus dem Mund Jesu „Seid getrost", merken wir es, wie ohnmächtig, wie trostlos jene Sprüche sind. Sie heilen den Schaden nicht, sie decken ihn nur zu oder machen ihn tatsächlich nur größer. Sie reparieren das Zerbrochene nicht, sie überkleistern es nur. Und wer jemals Kummer und Angst erlitten hat, weiß es ja, wie wenig ihm da solche Sprüche geholfen haben. Da ist das Herz wie umgeben von dicken Mauern, und all diese Sprüche sind viel zu schwach, um durch diese Mauer zu dringen.

Aber jetzt kommt ein ganz anderer und sagt uns „Seid getrost!" Spüren wir nicht, wie das ein ganz anderes ist, was er sagt, im Unterschied zu jenen Redensarten? Es ist ein ganz anderes, weil ein ganz anderer hinter diesen Worten steht. Es ist der, der mit großer, heilsamer Macht durch dickste Mauern der Angst und der Not, durch Wände von Jammer und Elend hindurchzubrechen vermag. Und weil Er es ist, der hinter diesen Worten steht, darum haben sie Gewalt. Darum ist sein Zuspruch „Seid getrost!" nicht bloß ein Bemänteln, sondern ein Heilen des Schadens, nicht bloß ein Vertuschen, sondern ein Vertreiben der Angst. Weil Er da zu uns spricht, darum sind seine Worte sogar stark genug, um unser Herz zu erreichen, so dass es uns hell und erfreulich aufgeht: Ich darf getrost sein, und sei es unter Tränen. Ich bin ja nicht allein gelassen in meiner Angst und Sorge. Ich komme über diese und diese Beklemmung nicht hinweg? - ich muss es auch gar nicht. Er kommt zu mir, und so hilft Er mir darüber hinweg. Wie es in einem Lied heißt: „Kein Angststein liegt so schwer auf mir, / er wälzt ihn von des Herzens Tür."

Aber das ist nun allerdings sehr die Frage: Ist das nicht allzu laut dahergesagt? Können wir denn wirklich angstfrei leben, ganz getrost und zuversichtlich? Geht das überhaupt? Müssen wir nicht sogar fragen, ob nicht auch die Botschaft Jesu zu schwach ist, um unsere Ängste zu stillen? Denn es gibt doch gewaltige Hindernisse, die unserem Getrostsein im Wege stehen - so wie der Teufelstein beim Straßenbau in der Innerschweiz im Wege stand. Und Jesus selbst räumt ein, dass es solches Erschreckendes gibt, und sagt: „In der Welt habt ihr Angst." Das Wort Angst kommt von dem Wort „Enge". Angst ist so etwas wie schmerzhaftes Eingeklemmtsein, von dem man loskommen will, aber nicht loskommt. Angst ist Bedrücktsein, das auf einem lastet eben wie ein zu großer Stein, den man nicht von sich abwälzen kann. Angst ist, „wenn wir in höchsten Nöten sein und wissen nicht, wo aus noch ein." Jesus tadelt uns deswegen nicht. Er stellt nur eben fest: So ist es. In der Welt habt ihr Angst. Auch die Großen und Starken, alle!

Es gibt vielerlei Ängste, wohl auch vorübergehende und unbegründete Besorgnisse, wo es sich einmal herausstellt, dass sie unnötig waren. Aber es gibt auch andere Ängste, die nicht vorübergehen, ja, bei denen es sich in zunehmendem Maße zeigt, wie sehr man dazu Anlass hat. Ängste von Kindern können weggesteckt werden, sie können durch freundliche Aufklärung beseitigt werden. Aber je älter man wird, desto mehr sehen und spüren wir, wie sehr man sich fürchten muss, und gerade wache, aufgeklärte Menschen kennen das. Jede Tageszeitung, die Nachrichten in den Medien legen einem das nahe, wenn man nur etwas aufmerksam ist. Wenn man heutzutage Todesnachrichten liest, merkt man da nicht, wie trostlos im Grunde die Menschen dem ausgeliefert sind und dem nicht entgehen können? Ängste, die man eine Zeitlang überspielen kann, durch Muskelspiele, laut Schreien, Ängste, die aber die heimlich in uns stecken und auf einmal unheimlich hervorbrechen.

Man darf allen Ernstes fragen, ob die Ängste der Menschen - die Angst voreinander, die Angst vor sich selbst, die Angst vor dem Leben und die vor dem Tod -, ... ob diese Ängste nicht mitsamt all den Versuchen, ihnen zu entfliehen, geradezu die Wurzel sind alles Bösen in der Welt? Ist die Angst, zu kurz zu kommen, nicht der Grund für so viel bösen Neid und Geiz? Ist die Angst, wir könnten etwas verpassen, nicht der Grund für unser verantwortungsloses Ausbeuten der Naturschätze und für das Verseuchen der Umwelt? Trotz aller Mahnungen und Warnungen ganz und gar blind bei der Frage, wie wohl einmal künftige Generationen leben sollen! So dass es zu solchen unheimlichen Vorgängen wie Verdrecken der Meere und Abholzen der Urwälder, der Lungen der Erde, in gigantischem Ausmaß kommt! Und ist nicht die Angst, der Andere könnte mein Feind sein, die Wurzel für all das massenhaft zum Fenster hinausgeworfene Geld zum Produzieren von immer teuflischeren Waffen? Ist nicht die Angst vor dem Tod die Wurzel für soviel unbesonnenes In-den-Tag-Hineinleben? War nicht schon die Angst, Gott könne es vielleicht nicht gut mit ihnen meinen, Anlass für die Sünde von Adam und Eva im Paradies? Wie sich schon da zeigte, ist die Angst eine schreckliche Macht in unserer Welt und unserem Leben. Schrecklich genug, um zu fragen, ob ihr gegenüber die Botschaft Jesu „Seid getrost!" hilflos ist.

Aber Jesus ist auf diesen Einwand gerüstet. Er kommt dieser unserer Frage zuvor. Zum vornherein stellt er fest: In der Tat ist es so, selbst wenn ihr das überspielt, „in der Welt habt ihr Angst". Er ist durch diese Frage nicht nachträglich gleichsam aus dem Sattel geworfen. Er hat auf diese Frage eine Antwort parat, eine, die zufrieden stellt, eine, die uns den Frieden bringt. Derselbe, der es weiß, wie es um uns steht, der sagt zu uns: „Ich habe die Welt - diese Angstwelt - überwunden." Diese Welt, in der wir bewusst oder unbewusst leben, in der wir drin sind und die in uns drin ist, der habe ich allen Wind aus den Segeln genommen. Ist sie noch da, dann nur noch als ein Überbleibsel aus einer gestrigen Zeit, nur noch wie ein Pflanze, deren Wurzel verdorrt.

Jesus ist anders als all die herrschenden Mächte in unserer Welt. Er hat uns Menschen nicht Angst gemacht mit seiner Herrschaft. Seine Herrschaft erwies sich darin, dass er unsere Angst selber erlitten hat. Er, der Sohn Gottes, wollte darin unser Herr sein, dass er mitten in diese Welt hineinkam, in der wir Angst haben. Am Vorabend seines Todes heißt es von ihm: „Und Jesus fing an zu trauern und zu verzagen und sprach: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod." Und am Karfreitag schrie er es in letzter Angst: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen." Da hat er die Ängste der Menschen, die Lebensangst und Todesangst, selber durchgemacht. Ja, er hat sie sich an ihm austoben lassen, um sie uns abzunehmen. Er hat da so teilgenommen an den Ängsten von uns Menschen, so dass es nun keine Angst mehr gibt, wo wir nicht sagen dürfen: er ist jetzt auch da drin, er ist jetzt bei uns. Ist er aber bei uns, so darf es jetzt hell werden bei uns. Ist Er in der tiefsten Dunkelheit bei uns, so kann sie uns im tiefsten Grund nichts mehr anhaben. So ist sie im Kern „überwunden". So hat sie ihre Macht verloren, so ist sie ihrer Kraft beraubt - nämlich ihrer Kraft, uns von Gott zu trennen. Was sie auch sonst noch vermag, das kann sie nicht mehr.

Beachten wir es wohl, dass Er uns hier nicht vertröstet auf einen St. Nimmerleinstag. Er sagt vielmehr: „Ich habe die Welt überwunden". Also nicht: „ich möchte das gern tun" - aber nachher kann er es vielleicht doch nicht. Sondern Er hat es getan. Und zwar geschah dies, als er ganz zuletzt am Kreuz des Karfreitags sprach: „Es ist vollbracht." Johann Sebastian Bach hat in seiner Passionsmusik diesen Satz zurecht so ausgelegt, dass er auf diesen Seufzerschrei hin jubelnd singen lässt: „Der Held aus Juda siegt mit Macht, und schließt den Kampf. Es ist vollbracht!" Der Ostertag kann diese Siegesmeldung eigentlich nur noch unterstreichen. Es ist geschehen, was die Welt mit all ihren Finsternissen nicht mehr ungültig machen kann. Es gilt. Nämlich dies, was der jetzt vor 450 Jahren verfasste Heidelberger Katechismus gleich im ersten Satz erklärt: Das ist mein gewisser Trost, „dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben, nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre."

In der Dankbarkeit dafür können wir getrost und zuversichtlich sein. Trotz aller Rückfälle in die alte Angstwelt, von denen wir wohl immer noch bedroht sind, können wir trotz dem tief aufatmen. Daraufhin können wir auch die Bosheiten sein lassen, die aus der Angst folgen, und können tapfer unsere Schritte tun, solange Gott uns noch dazu Zeit lässt. Solche Schritte sind wohl nötig. Denn gerade wenn uns von Gott nichts mehr trennen kann, werden wir eine neue, andere Angst kennen lernen, eine, die wir nicht mehr verlieren sollten - Angst um die Menschen um uns her, die bedroht sind von soviel Torheiten, von so vielen Leiden und von Unterdrückungen.

Das schärft uns ein: dass wir doch nicht einsam für uns allein getrost sein können. Das gehört zur Nachfolge Jesu, dass wir uns darin einüben, auch unsererseits es anderen verständlich zu machen: Sei getrost! Es ist tatsächlich so: wir können nur mit anderen zusammen getrost sein und werden darum auch andere trösten, froh, dass auch andere uns trösten. In dieser Weise dürfen wir, soviel wir vermögen, all dem Verkehrten widerstehen und dürfen den Verletzten unter die Arme greifen, gerade im Vertrauen darauf, dass nichts, keine Schwachheit und kein Dunkel uns von der Liebe Gottes scheiden kann - von der Liebe, in der es keine Furcht gibt. Denn „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus" (1. Joh. 4,18). Wir sind Boten dieser furchtlosen Liebe.



Prof. Dr. Eberhard Busch
37133 Göttingen
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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