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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionsandachten, 2013

Johannes 16,33, verfasst von Hans-Otto Gade

 

 

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

„Nenikekamen" (wir haben gesiegt!)


Liebe Gemeinde,

Im Jahre 490 vor Christus stand auf der Küstenebene bei Marathon westlich von Athen ein zahlenmäßig deutlich überlegenes Heer der Perser den Soldaten Athens gegenüber.

Dank ihrer besseren Kriegsausrüstung und der geschickteren Strategie gingen die Athener dennoch aus dieser Schlacht als Sieger hervor.

Der Historiker und Historienerzähler Plutarch, der selbst begeisterter Läufer und Olympia-Teilnehmer war, hat 500 Jahre später die folgende Anekdote an diese Schlacht bei Marathon angehängt:

Ein Bote namens Pheidippides sei zunächst von Athen aus die insgesamt fast 500 Kilometer nach Sparta und zurück gelaufen, um dort um Unterstützung für die Schlacht bei Marathon gegen die Perser zu bitten. Zurück in Athen lief er gleich weiter zum knapp 40 Kilometer entfernten Schlachtort Marathon, um den Athenern mitzuteilen, dass Unterstützung durch die Spartaner erst nach dem nächsten Vollmond zu erwarten sei. Vorher wären sich die Spartaner der Gunst der Götter nicht sicher. Als er jedoch in Marathon ankam, war die Schlacht bereits zu Ende. Zwar war die Schlacht gewonnen, doch hatten sich einige der besiegten Perser Richtung Athen aufgemacht, in der Hoffnung, die schutzlose Stadt doch noch einnehmen zu können. Dem bemitleidenswerten Pheidippides blieb deshalb keine Zeit, sich in Marathon auszuruhen, sondern er musste sofort wieder loslaufen: Für ihn hieß es, vor den Persern in Athen anzukommen, um die Bürger zu warnen und gleichzeitig den Sieg der Athener zu verkünden. Endlich in Athen angekommen, habe Pheidippides völlig ausser Atem nur noch hauchen können: „Nenikekamen" (wir haben gesiegt!), bevor er tot zusammengebrochen sei.

An diese Anekdote haben sich im antiken Mittelmeerraum sicherlich die Leser des Evangelisten Johannes erinnert, als sie das Wort Jesu Christi hörten: „Ich habe die Welt besiegt", im Griechischen „nenikeka".

So jedenfalls heißt dieser Satz nach dem altgriechischen Urtext: „In der Welt steht ihr unter Druck - aber seid getrost, ich habe die Welt besiegt!"

Es geht nicht um irgendein Gefühl der Angst oder eine latente Furcht vor der Zukunft - auch wenn diese Gefühle bei den Lesern und Hörern des Johannes eine Rolle spielen. Es geht um ganz handfeste Bedrohungen der Gemeinde und jedes einzelnen Gemeindegliedes.

Es geht um die Bedrohung und um den Druck, den die Welt ausübt, die Gesellschaft, in der die christliche Gemeinde lebt und gegen die sie sich behaupten muss.

Es geht um die Bedrohung durch feindlich eingestellte jüdischen Kreise, es geht um die Bedrohungen durch die römische Staatsmacht, die immer wieder Christen vor Gericht stellte und wegen ihrer Glaubenshaltung zu schwersten Strafen verurteilte.

Es geht aber auch um andere Bedrohungen der christlichen Gemeinden und der einzelnen Gemeindeglieder: Es geht um die Bedrohung, die durch den bei vielen (noch) nicht gefestigten Glauben ausgeht. Die Gefahr des Abfalls und des Rückfalls hervorgerufen durch mangelhaften Glauben bestand gerade in den Zeiten des Drucks durch die umgebende Welt ständig.

Also: „In der Welt werdet ihr bedrängt durch die Menschen die mit euch leben, ihr werdet unter Druck gesetzt durch die jüdischen Gemeinden und durch den römischen Staat. Aber habt keine Angst, ich, Christus, habe die Welt besiegt!"

So etwa könnte in Langform der Satz unseres Predigttextes lauten. Kurz und knapp lautet er im Johannes-Evangelium: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden."

Richtig, denn die Folge dieser Bedrängnisse und Bedrohungen, die Folge dieses Drucks von außen ist Angst.

Und auch die Angst davor, den Glauben aufgrund des Drucks von außen zu verlieren oder sogar zu verraten, war groß. Die Geschichte der Christen hat über die zwei Jahrtausende gezeigt, dass diese Angst vor dem Druck von außen und von innen - so will ich das mal ausdrücken - immer wieder die Gemeinden und einzelne Christen bedrängt hat.

„Ihr habt Angst - aber ich habe die Welt besiegt!" so Jesus Christus. Das bedeutete für Gemeinden des Johannes ganz real: Die Botschaft von der Auferstehung, der Sieg Jesu Christi über alles was kaputt und tot macht, diese Botschaft schenkt die Kraft für das Leben im Vertrauen auf Jesus Christus.

Jesus Christus sagt nicht „Habt keine Angst!". Die Angst, die Furcht ist nun einmal da und kann und soll nicht einfach weg gelöscht werden.

Die Geschichte der Jünger Jesu zeigt, dass die Angst nun einmal da ist und zum Leben eines Menschen - auch zum Leben eines Christen dazu gehört.

Diese Jünger hatten Angst auf dem See Genezareth, hatten Angst vor Verhaftung und Tod und sind deswegen nach Jesu‘ Verhaftung davon gelaufen.

Die Angst gehört zum Leben eines Christen dazu. Die Angst ist nun einmal da und sie wird nicht einfach weg geleugnet. Aber Jesus Christus gibt Mut für die Zukunft. Er zeigt seinen Jüngern damals und heute, dass er stärker ist als der Tod und alle Bedrohungen.

Vor vielen Jahren habe ich eine alte Dame in ihren letzten Stunden begleitet. Ich kannte sie schon von meiner Kindheit an und ich habe mich mit ihr sehr oft über den Glauben und die Kirche unterhalten. Immer wieder hat sie mich beeindruckt durch ihren festen Glauben, der sie getrost und ruhig den Verlust eines Sohnes, den Tod des Mannes, vier Herzinfarkte und andere Krankheiten ertragen ließ.

Sie sprach auch davon, dass sie nicht verstehen könne, dass andere Menschen Angst vor dem Tode hätten. „Wer richtig fest glaubt der hat keine Angst!" so ihre feste Meinung.

Wenige Stunden vor ihrem Tode packte sie mich ganz fest an den Händen und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an: „Ich habe Angst!" so presste sie hervor. Und mit diesem Satz war sie unendlich traurig darüber, dass ihr Glaube wohl doch nicht stark genug sei, um diese ihre Angst zu überwinden.

Wir haben lange über diese Angst gesprochen, und dann haben wir gemeinsam ihre Zeit und ihr Leben und ihre Angst im Gebet in Gottes Hände gelegt. Wenig später ist sie ruhig eingeschlafen.

Angst haben wir alle. Auch wenn heute der Druck auf die christlichen Gemeinden und auf die einzelnen Christen in Europa eher gering ist, so bleibt die Angst bestehen. Es geht heute um andere Dinge, die uns Angst machen und uns auch als Christengemeinde bedrängen - weil wir handeln müssen und/oder weil wir Stellung nehmen müssen. Oder weil wir Teil eines globalen Verbundes sind, in dem es keine Insel der Seligen gibt.

In diesen Tagen jährt sich zum zweiten Mal die Atomkraftwerkskatastrophe von Fukushima. Und am 26. April werden wir wieder an die Katastrophe von Tschernobyl erinnert. Immer wieder kann und wird so etwas passieren und irgendwann werden wir sehr persönlich und direkt die Leidtragenden sein.

Und wenn die Verrückten in Nordkorea wie jetzt geschehen den Waffenstillstand aufkündigen, dann geht das nicht nur Südkorea und die USA etwas an. Auch wir in Europa sind betroffen.

Denn heute ist „die Welt" nicht nur die direkte Umgebung der christlichen Gemeinden wie im römischen Reich. Heute ist „die Welt" wirklich die ganze Welt.

Und diese Welt bedrängt uns und bedrückt uns und macht uns Angst.

Was ist denn mit den Kriegen im Nahen Osten und in Afrika, bei denen wir direkt oder indirekt beteiligt sind? Was ist denn mit Konzernen und Banken und Lebensmittelproduzenten und Mineralölfirmen die meinen, die Welt unter sich aufteilen zu können?

Wir Christen müssen zu all dem Stellung nehmen und an der einen oder anderen Stelle auch sehr deutlich den Mund aufmachen und handeln. Und dann bekommen wir Druck von „der Welt".


In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.


Viele die diesen Satz hören, werden ihn auf ihre ganz persönliche Situation, auf das jeweils eigene, ganz persönliche Leid beziehen. Krankheit und Leid und Trauer und Unglück gehören zu der Welt, zu unserem Leben dazu.

Wer diese ganz persönliche Angst spürt, der wird einen Weg suchen, um mit der Angst fertig zu werden. Der wird einen Weg suchen, diese Angst um das eigene Leben oder das Leben der ihm Anvertrauten auszuhalten und zu ertragen.

Jesus Christus sagt: Ich helfe dir, deine Angst zu tragen und zu ertragen. Ich habe deine Angst mit an mein Kreuz genommen.

Und der Sieg Jesu Christi über den Tod ist auch ein Sieg über alles was uns Angst macht.

Wir wollen hoffen und beten, dass Gott uns den Glauben schenkt, auf diesen Sieg zu vertrauen.

Viele von uns denken jetzt an den Vers, den Paul Gerhardt in einer Zeit voller Angst geschrieben hat: im Dreißigjährigen Krieg:

„Er ward ins Grab gesenket,
der Feind trieb groß Geschrei;
eh er's vermeint und denket,
ist Christus wieder frei
und ruft Viktoria,
schwingt fröhlich hier und da
sein Fähnlein als ein Held,
der Feld und Mut behält"
(EG 112,2).

Amen



Pastor i. R. Hans-Otto Gade
21614 Buxtehude
E-Mail: hans-otto.gade@ewetel.net

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