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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Die Bergpredigt , 2013

Anrede an die Jünger aus Mt. 5,13 – 16 , verfasst von Michael Frhr. Truchseß


 


13 Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man's salzen? Es ist hinfort zu nichts nütze, denn das man es hinausschütte und lasse es die Leute zertreten.


14 Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. 15 Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. 16 Also lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.


Diese vergleichsweise kurze Stelle innerhalb der Bergpredigt hat es in sich, denn sie ist alles andere als selbsterklärend! Erst kommen die Seligpreisungen und nach unserem Text die Auseinandersetzung mit den Geboten. Wir hören also zunächst, was nötig ist, um „selig“ zu werden, also vor Gott bestehen zu können, und dann folgt eine intensive Auseinandersetzung mit dem was „geboten“ ist – deutlicher, ausführlicher und radikaler als bereits in den zehn Geboten beschrieben.


Warum dann also – ich möchte fast sagen – unvermittelt oder ohne Vorwarnung mitten im Text diese Akklamation: Ihr seid….und - an wen adressiert Jesus Christus diese Feststellung?


Gehen wir zurück zur Einleitung der Bergpredigt; diese beginnt mit: „Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat den Mund auf und lehrte sie und sprach: Selig sind …….“


Jesus spricht vor allen (Volk und Jüngern), also öffentlich, aber „seine Jünger traten zu ihm und er lehrte sie (die Jünger) und sprach zu Ihnen“. Adressaten sind also seine Jünger im Angesicht des Volkes. Es geht um sie, um ihren öffentlichen Auftrag ihr Selbstverständnis, ihr Wirken, ihre Ausstrahlung – letztlich um ihre geistliche Legitimation.


Denn seine Jünger und deren zukünftig erwartetes Wirken sind zweifelsfrei der Anfang und der Grundstock seiner Kirche, Neudeutsch der starting-point der Kirche Jesu Christi. Juristisch können wir diesen Einschub – unseren Bibeltext - als eine Verfügung über den Todesfall (von ihm Jesus Christus) hinaus einordnen. Er macht seine Jünger also zu Testamentsvollstreckern, denn es geht ihm in der Bergpredigt um Wirkungstiefe, aber auch zugleich um Wirkungsdauer dieser fundamentalen Grundsatzerklärung, seines Programms. Und daher auch die verpflichtende persönlichen Ansprache: Ihr seid…


Zwei Ansprüche werden sichtbar: Zum einen die angesprochenen Dimensionen eines gottgerechten Lebens für jeden einzelnen Jünger, zum anderen aber der kollektive und vor allem weiterführende Auftrag, den Inhalt dieses Programms fühlbar oder schmeckbar (Salz) und sichtbar (Licht) in die Welt zu tragen. Ihr seid das Salz…Ihr seid das Licht.


Die überraschende direkte Ansprache - Ihr seid…..- lässt keinen Interpretationsspielraum. Das ist kein vager Wunsch oder eine unbestimmt Zielvorgabe, nein Ihr seid bereits jetzt und heute Salz und Licht diese Welt. Es gibt keinen Rückzug im Sinne einer Unsicherheit oder eines jeden Zweifels! Nein, dies ist ohne wenn und aber eine bereits gültige Feststellung mit verbindlichem Anspruch.


Anspruch gegenüber seinen Jüngern und damit auch nach zweitausend Jahren noch gültig Anspruch uns gegenüber als seiner Kirche. Das führt zu der unausweichlichen Frage, wie wir mit diesem Auftrag in unserer modernen Welt umgehen? Um es gleich vorweg zu nehmen, aus meiner Sicht verdienen wir bei wohlwollender Betrachtung allenfalls die Note ausreichend.


Wolfgang Huber hat in seiner Zeit als Ratsvorsitzender der EKD mit dem Projekt „Kirche der Freiheit“ einen bemerkenswerten Impuls gesetzt, den Versuch gewagt einen Blick in die Zukunft zu werfen und mit zwölf sog. Leuchtfeuern Anregungen und Gedanken eines Arbeitskreises zur Weiterentwicklung der Kirche zur Diskussion zu stellen. Und diese Diskussion ist von ihm auch auf einem Kongress in Wittenberg begonnen worden, aber außer ein paar Themen, an denen heute noch gearbeitet wird, ist von der Grundidee und einer damals spürbaren Aufbruch-Stimmung nicht viel übrig geblieben. Der Anspruch des Papiers war, aus einer Milieu-verengten innerkirchlichen Welt auszubrechen, gegen den Strom zu wachsen, neue Formen der Gemeinde zu erproben und kirchliche Strukturen in Frage zu stellen, um weiterhin Kirche in unserer Welt zu spüren (Salz der Erde) und das Licht (der Welt) des Evangeliums strahlen zu lassen. Kirche der Freiheit eben.


Wir haben darauf mit dem klein-klein des Menschlichen reagiert. Von hoffnungsvollen Umsetzungen (Nordelbien und Mitteldeutschland) abgesehen, keine Rede davon, dass wir uns über die Grenzen der Landeskirchen hinaus gezielt um arbeitsteiliges Wirken bemühen, dass wir bei schwindenden Ressourcen Handlungsfelder überdenken oder Strukturen in Frage stellen. Wir entscheiden nicht mutig und klar, wir werkeln lieber mit linearen Kürzungen, die bei allen Beteiligten den destruktiven Eindruck hinterlassen, wir hätten kein Geld mehr und seien pleite, dabei verwalten wir gewaltige jährliche Etats in Millionenhöhe.


Wir haben keine wirkliche Strategie, wie wir dem seit Jahren andauernden Schwund unser Mitglieder begegnen und wie und womit wir neue Mitglieder gewinnen können; wie wir den sonntäglichen Gottesdienst für mehr als die verbliebenen 2% der teilnehmenden Gemeindemitglieder wieder attraktiv machen können und wie wir den Beruf und die Arbeit des Pfarrers und der Pfarrerin wieder ins rechte Licht (schon wieder unsere Bibelstelle) setzen können, wie wir für Berufsanfänger Attraktivität ausstrahlen und vieles mehr.


Und wie wir es bei allen Absonderlichkeiten der Organisation Kirche schaffen, auch ohne Weisungsbefugnis unsere Kirchenleitungen auf allen Ebenen mit den Pfarrern zu einer Gemeinschaft zusammen zu wachsen, die durchdrungen ist vom Auftrag, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. Wir sind nicht wirklich eines Geistes und die aufgebauten und kultivierten Distanzen zwischen den Handelnden sind erstaunlich und deutlich intensiver, als ich dies in Jahrzehnten als Führungskraft in der Finanzindustrie je erlebt habe. Das in der Wirtschaft längst etablierte hierarchieübergreifende Arbeiten in Projekt-Teams, die Anerkennung spezifischer Fachkompetenz (auch und gerade bei ´Untergebenen‘) und die Begeisterung gemeinsam (!) gesetzte Ziele zu erreichen, schaffen Motivation, Team-Geist, Engagement, Identifikation mit der Aufgabe und unerwarteten Erfolg. Es fehlt in der Kirche letztlich an der Bereitschaft zur Delegation und am Mut, Verantwortung abzugeben und leider besonders auch am Vertrauen in die Kompetenz Anderer.


Letztlich ist auch das Wirken zwischen Synode, Kirchenleitung und Kirchenverwaltung vorsichtig ausgedrückt antiquiert und unprofessionell. Es werden unglaubliche Ressourcen in Ausschüssen und Verwaltung gebunden, die Abstimmungsschleifen und die zu bewältigenden Vorlagen sind von berufstätigen Menschen im Ehrenamt (und das ist die Mehrheit der Synodalen) vom Umfang her unzumutbar und somit kaum leistbar. Die beteiligten Pfarrpersonen und Mitarbeiter der Verwaltung – in all den Gruppierungen stark vertreten - fehlen in ihren eigentlichen Aufgaben. Dies ist alles andere als effizient; alle wissen dies, aber es geschieht viel zu wenig, um diese Prozesse zu verändern.


Was könnten wir z.B. für Verkündigung, Seelsorge oder Diakonie an Mitteln freizusetzen, wenn wir unsere Prozesse gründlich verschlanken würden. Telefon- oder Videokonferenzen und weitgehend elektronische Kommunikation sind heute allgemeiner Standard – nur nicht in der Kirche. Die Papierberge für Sitzungen und Synoden sind beachtlich, die Verwaltungsaufgaben bis hinunter in die Gemeinden eine lästige administrative Bürde. Pfarrern geht es da nicht besser als Synodalen, um so mehr, wenn sie in beiden Funktionen unterwegs sind.


Die Führung einer Behörde – und das ist der organisatorische Rahmen unserer Kirchen als ‚Körperschaft des öffentlichen Rechts‘ - ist notwendige Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Verwaltung – einverstanden; aber sie ist genuin kein Selbstzweck kirchlichen Wirkens (weder Salz noch Licht)! Haben wir das auf allen Ebenen unserer Kirche in unserem Tagesgeschäft eigentlich vor Augen?


Und ich sage als Christ und synodal gewähltes Mitglied einer Kirchleitung bewusst wir, denn nach protestantischem Selbstverständnis ist Kirche nicht nur und ausschließlich die verfasste Institution, sondern jeder Einzelne von uns (Priestertum aller Gläubigen). Und jeder Einzelne steht in der Verantwortung Salz der Erde und Licht der Welt zu sein – nicht nur die Haupt- und Ehrenamtlichen in unserer Kirche.


Es ist banal und nicht unbedingt überraschend festzustellen: Vom (christlichen) Salz der Erde ist in unserer Gesellschaft nicht mehr viel zu fühlen (Prof. Michael Herbst, Greifswald, spricht sogar vom Abbruch der Kommunikation mit der Gesellschaft) und unser Licht ist wohl auch eher ein blasses Lämpchen, als ein strahlender Leuchter. Es steht entgegen der Bergpredigt tatsächlich eher unter dem Scheffel. Und das ist ausgesprochen schade, denn wir haben ja durchaus etwas zu bieten.


Christlicher Glaube als „anti-fatalistische Heilslehre“ (Petra Bahr), Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Trauer, Grundlagen ethischen Verhaltens im Berufsleben, Spiritualität als Beheimatung meiner Seele – nur um ein paar aktuelle Themen zu nennen – wir sind da überall lieferfähig, aber liefern wir? Pilgern, Kloster auf Zeit und Retraiten haben Konjunktur, aber wer kümmert sich um das ‚follow up‘ bei den Teilnehmern?


Es steht uns als Kirche Jesu Christi gut an, Anwalt der Armen und Schwachen zu sein. Unbestritten, aber das allein reicht nicht. Wir sind als Kirche für alle da, auch für das Bildungsbürgertum, die Intellektuellen, selbstständigen Unternehmer, die (tatsächlichen oder nur vermeintlich) Reichen und Starken. Haben wir zu diesen Gruppen Zugang, bemühen wir uns auch auf deren Wünsche und Sorgen einzugehen und sind wir für diese Gruppe überhaupt sprechbereit und sprachfähig? Da wirkt es schon ausgesprochen befremdlich, wenn es Bereiche unserer Kirchen gibt, die bewusst nicht bürgerlich sein wollen!


Leider muss man auch immer wieder in Erinnerung gerufen werden, dass wir als Organisation davon leben, dass unser ‚Vereinsbeitrag‘ (fälschlich Steuer genannt) als Prozentsatz auf die Einkommenssteuer gerechnet wird, d.h. vergleichsweise wenige Kirchenmitglieder finanzieren nach der Logik der Steuerprogression große Teile unserer kirchlichen Haushalte. Mit Blick auf unsere Aufgaben als Kirche verlangt schon wirtschaftliche Vernunft, dass wir dem in unseren Angeboten, in unserer Gesprächsbereitschaft und in unserer Rücksichtnahme allen Mitgliedern gegenüber angemessen begegnen. Die Pflege von Feindbildern ist das Gegenteil der Botschaft der Bergpredigt!


Wie bewerben wir die anspruchsvolle Gruppe der leider überwiegend kirchenfernen oder zumindest -kritischen Intellektuellen und Facheliten in unserem Land? Diese sind theologisch ausgesprochen interessiert und deutlich suchend unterwegs, aber in kirchlichen Gremien viel zu wenig vertreten. Wie organisieren wir systematisch Gesprächsplattformen, Kamingespräche, seelsorgerliche Kontakte u.s.w. zwischen Kirchenvertretern und den Entscheidern in unserer Gesellschaft, damit wir aktiv Salz verstreuen können, dort wo in unserer Gesellschaft die Weichen gestellt werden?


Bildlich gesprochen können wir im Mahl des täglichen Lebens nur als Salz wirken, wenn wir auch Zugang zu den Koch-Töpfen haben, damit kirchliches Wirken mit jedem Bissen wahrgenommen wird. Wenn wir wieder gesellschaftliche Relevanz gewinnen wollen, dann müssen wir versuchen Alle zu erreichen und niemanden auszuschließen. Gesellschaftliche Verantwortung (eines unser großen Handlungsfelder) wird nicht durch Broschüren und Pressestatements wirksam, sondern besonders durch zuverlässigen Zugang und belastbare Verbindungen zu den entscheidenden Akteuren des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen öffentlichen Lebens.


Und nicht nur mit dem Salz, auch mit dem Licht hat es so seine Tücken. Es steht geschrieben, dass wir nicht in eitler Selbstbespiegelung unsere guten Werke preisen sollen, sondern unser Licht sichtbar werden lassen durch das was wir tun und wofür wir uns engagieren. In der Diakonie ist dies wahrnehmbar, aber in Sachen Verkündigung und Seelsorge auch? Oder um auf uns persönlich zu kommen, leuchten wir in Sachen Nächstenliebe, Sanftmütigkeit, Friedfertigkeit, Gerechtigkeit oder mit reinem Herzen? Wirksam wird nicht was im Schaufenster oder im Internet steht, sondern unser Licht, was jeder auch im Vorbeigehen erstrahlen sieht und den unverkennbare Geschmack des Salzes, dass wirksam wird, wenn ein Christenmensch in seinem Umfeld im Sinne der Bergpredigt agiert.


Dafür, dass uns dies fröhlich und zuversichtlich weiterhin und zusehends besser gelingt, möge uns der dreieinige Gott stärken und bewahren. Amen.




Michael Frhr. Truchseß
Niederflorstadt
E-Mail: michaeltruchsess@gmx.net

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