Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171

thematisch, 2013

, verfasst von

Wie denken wir über die guten Werke in unserer lutherischen Kirche? Sollen wir uns nicht von der Werkgerechtigkeit fernhalten und allein auf die Gnade vertrauen?

               Zu wem spricht die Bibel? Geht es da um allgemeine Überlegungen über das Hören und Handeln und den Glauben im Allgemeinen? Oder ist die Bibel direkte Anrede an mich? Und an Dich?

               Und wie steht es mit der Vergesslichkeit? Wen behalten wir im Gedächtnis, und wen vergessen wir?

               Wir wollen die Fragen eine Weile im Raum stehen lassen.

               Um den Hut abzunehmen vor Søren Kierkegaard, dessen 200sten Geburtstag wir heute feiern.

               Für das Jubiläum hat man außerordentlich gründlich vorgeheizt.

               Im Februar wurde die Edition aller seiner Werke und Papiere mit zughörigen Kommentaren vollendet – fast 20 Jahre hat die Arbeit gedauert, und für die Bände braucht man 2 Meter Bücherregal.

               Die Zeitungen sind überfüllt mit Feuilletons und Interviews über den Literaten, Philosophen, Theologen, Provokateur Kierkegaard, und ein wahrer Strom von Büchern über Kierkegaard, sein Leben und seine Zeit und seine Bedeutung hierzulande und international ergießt sich in diesen Monaten aus der Feder von Autoren und aus den Toren von Verlagen.

               Man wundert sich nicht. Kierkegaards Schriften sind neben den Märchen von H.C. Andersen in der ganzen Welt bekannt.

               Ich habe es selbst erlebt, als ich Pastor in Terslev und Ørslev war. Es ist nun wohl 20 Jahre her. Ich hatte in unserem örtlichen Kirchenblatt einen kleinen Artikel über Kierkegaard geschrieben. Das Blatt hatte dann in Haslev in der Bibliothek ausgelegen, und hier hatte ein Professor aus Japan, Hidehito Otani aus Mirimatu, das Heft gesehen, als er sich zu einem Studienbesuch in Dänemark befand. Er hatte Dänisch gelernt, um Kierkegaard lesen zu können. Und jetzt hatte er auch im weiteren Sinne an der dänischen Volkskirche Interesse gewonnen, mit der Kierkegaard seinerzeit so hart ins Gericht gegangen war. Professor Otani schrieb uns einen Brief und fragte an, ob er unser Kirchenblatt abonnieren könne. Das konnte er selbstverständlich ohne weiteres, und etwa 10 Jahre lang konnten wir voller Stolz erzählen, dass das Kirchenblatt von Terslev–Ørslev Abonnenten in Übersee hatte, und wir waren dankbar und froh über die 1000 Kronen, die er jedes Jahr auf das Konto des Blattes überwies, und über seine sehr höflichen und im Dänisch der dänischen Romantik formulierten Grüße.

               In Kirchen und Gemeindehäusern ist der Name Kierkegaards in den Programmen dieser Zeiten nahezu allgegenwärtig.

               Es nimmt sich ein wenig paradox aus, wenn man das im Lichte der heftigen Kritik sieht, die er am Ende seines Lebens gegen die Volkskirche richtete, und im Lichte des Schweigens, das sich in den Jahren nach seinem Tod im Jahre 1855 über ihn und sein Wirken gesenkt hat.

               Vielleicht ist es richtig, dass Kierkegaard sich in seinem Grab auf dem Assistensfriedhof in Kopenhagen umdrehen würde, wenn er erführe, wie ihm an seinem 200sten Geburtstag gehuldigt wird auch in und von der Kirche, die er in Grund und Boden kritisiert hat. Vielleicht sitzt er in seinem Himmel und vergnügt sich an der allgemeinen Festivitas, zu der er selbst der Anlass ist, und an uns und unseren Versuchen, ihn zu verstehen und ihn als kritische Inspiration in unser Leben und unsere Zeit hinein zu interpretieren.

               Ich hoffe auf das Letztere und habe mich zu seinem Geburtstag durch seine kleine Schrift aus dem Jahr 1851 inspirieren lassen, die den Titel trägt: „Zur Selbstprüfung. Der Gegenwart anbefohlen“.

               Zur Zeit Kierkegaards war es – jedenfalls in Kopenhagen – üblich, bei Abendgottesdiensten über die Epistel des Sonntags zu predigen.

               Seine Schrift „Zur Selbstprüfung“ leitet Kierkegaard mit einer Predigt ein, die nie gehalten worden ist – und die sich wohl auch kaum dazu eignen würde, da sie 38 Druckseiten umfasst – und zwar einer Predigt über den Episteltext des Tages, die starken Worte des Jakobusbriefes: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein“, und die Worte darüber, sich im Spiegel des Wortes zu spiegeln und sich damit in das vollkommene Gesetz der Freiheit zu vertiefen.

               „Die Zeiten sind unterschiedlich“, beginnt Kierkegaard mit scharfem Humor, „und mag es auch oft mit den Zeiten  gehen wie mit einem Menschen: er wird ein ganz anderer – aber es geht genauso verkehrt, bloß in einem neuen Stil: es ist gelichwohl doch wahr, dass die Zeiten unterschiedlich sind;  und unterschiedliche Zeiten heischen Unterschiedliches.“ (Gesammelte Werke 27/28/29, 49f.)

               Die neckenden Formulierungen sind eine Art Kommentar zu der Tatsache, dass Luther den Jakobusbrief einen „Strohbrief“ genannt hat, den er – Luther – in der Bibel gern entbehren würde. Vielleicht weil darin nicht viel von der Heilstat Christi steht, von seinem Leiden, seinem Tod und seiner Auferstehung. Vielleicht weil Jakobus auf der Bedeutung der Werke beharrt.

               Es sei richtig, sagt Kierkegaard, dass man zu Luthers Zeiten Gott „in kleinlicher Selbstquälerei … gleichermaßen kleinlich gemacht“ hatte (50). Das Evangelium, die Gnade war in den Schatten der Knechtschaft der Kirche und des Gedankens vom Verdienst der Werke geraten. Luther fand zurück zum Glauben und zur Gnade. Aber was sollte man mit den Werken machen? Für Luther war es eine klare Sache: die guten Werke meldeten sich ganz von selbst, wo das Licht der Gnade für Menschen aufgegangen war. Aber wie ist es seitdem gegangen? Kierkegaard meint, die Mitwelt habe den Glauben seines Ernstes beraubt. Man denkt: glücklicherweise sind wir jetzt ganz und gar frei von der Sorge um gute Werke, wir halten uns an die lutherische Lehre und geben uns mit Vergnügen der Weltlichkeit hin. „ Weiber, Wein, Gesang“.

               Dem setzt Kierkegaard Luthers Klosterkampf entgegen: die Unruhe des Glaubens und das Entsetzen der Anfechtung. Er will seine Zeit aufrütteln, dass sie den Ernst des Evangeliums begreift, den Ernst, der darin zum Ausdruck kam, dass der Glaube tatsächlich viele von den ersten Christen das Leben kosten sollte.

               Kierkegaard will uns, seine Leser, in die Richtung der „Verinnerlichung“ stoßen.

               Stell dir vor,“ sagt er, „Luther in unsrer Zeit vor, aufmerkend auf unsern Zustand; meinst du nicht, er würde sagen, wie er in einer Predigt sagt: ‚Die Welt ist wie ein trunkner Bauer, hebt man ihn von der einen Seite aufs Pferd, so fällt er zur andern wieder herab!’ Meinest du nicht, er würde sagen: der Apostel Jakobus muss ein wenig hervorgeholt werden, nicht für die Werke gegen den Glauben, nein, nein, das war ja auch nicht des Apostels  Meinung, sondern um des Glaubens willen, um, womöglich, zu bewirken, dass das Bedürfnis nach Gnade tief empfunden werde in demütiger Innerlichkeit.“ (59)

               Kierkegaard will, dass wir das Evangelium mit derselben Leidenschaft zu uns nehmen wie der Liebende, der einen Brief von seiner Geliebten empfängt. Es geht darum, Gottes Wort als persönliche Ansprache zu hören. Es taugt nichts, mit gelehrten Interpretationen das Wort Gottes in eine passende Ungefährlichkeit wegzuschieben.

               Und jetzt greift er zu einer Reihe von biblischen Berichten, wobei er mit der Erzählung von David und Batseba beginnt. Ihr erinnert euch sicher, wie David sich in eine schöne junge Frau vergafft, die leider mit dem Offizier Urias verheiratet ist. David schwängert Batseba und, um seine Dummheit zu vertuschen, sorgt er dafür, dass Urias im Krieg fällt. Jetzt taucht der Prophet Nathan auf und erzählt von einem armen Mann, der ein einziges Lamm besaß, während sein reicher Nachbar massenweise Vieh besaß, aber allzu geizig war, eines seiner eigenen Tiere zu schlachten, als er Gäste hatte. Er nahm deshalb das eine Lamm des armen Mannes. David wird wütend und verlangt, dass der Mann zur Rechenschaft gezogen wird. Und Nathan sagt: „Du bist der Mann!“ Und so sagt Kierkegaard: „Wenn du Gottes Wort lesen sollst, um dich im Spiegel zu sehen, so musst du während des Lesens in einem fort zu dir selbst sagen: ich bin es,  zu dem gesprochen wird, ich, von dem gesprochen wird.“ (76)

               So ist es auch, wenn wir die Erzählung vom barmherzigen Samariter hören. Der Überfallene: das bin ich. Der Priester, der vorübergeht: das bin ich. Und ebenso der Levit. Schließlich kommt ein Samariter hinzu. „Damit du es nicht müde wirst, fort und fort zu sagen: ‚das bin ich’,“  schreibt Kierkegaard, „kannst du hier der Abwechslung halber sagen: ‚das dürfte nicht ich sein, ach, nein, so bin ich nicht!  - Wenn alsdann das Gleichnis sein Ende hat und Christus zum Pharisäer sspricht: ‚gehe hin und tu desgleichen’, so sollst du zu dir selbst sagen: ‚ich bin es, zu dem gesprochen wird, nun gleich los’.“ (77f.)

               Und Kierkegaard fasst zusammen: Du sollst „eine Furcht, ein Zittern in deine Seele lesen, so daß es dir mit Gottes Beistand gelingen wird, ein Mensch zu werden, eine Persönlichkeit, erlöst davon jenes grauenvolle Unding zu sein, in das wir Menschen – zum Bilde Gottes erschaffen – verzaubert worden sind: ein unpersönliches, ein objektives Etwas.“ (80)

               Schließlich reflektiert Kierkegaard über die Worte des Textes über den, der sich im Spiegel sieht, aber sogleich vergisst, wie er aussah. Die Vergesslichkeit ist eine menschliche Grundeigenschaft, gefördert durch die Unrast und den Lärm der Zeit. Wir können es nicht lassen zu vergessen, aber wir können im Gedächtnis behalten, dass wir vergesslich sind. Aus diesem Grund müssen wohl auch die Allervergesslichsten unter uns einmal wöchentlich in die Kirche gehen! Um Ruhe zu finden und das Wort wieder zu hören.

               Und um den Prediger zu trösten, schreibt Kierkegaard: „Wenn du nun also von hinnen gehst … , so sei nicht eifrig, die Rede und den Redner zu beurteilen… Nein, – und doch, vergiß  die Rede und den Redner; lies aber, wenn du nach Hause kommst, für dich selbst, und womöglich laut, die Epistel des Tages – o, tu es aber gleich! Nichtwahr, das wirst du tun? Hab Dank.“ (82)

               Zum Schluss nur noch dies zu den Werken, ganz auf eigene Kosten: Kierkegaard folgt der Gedankenbewegung des Jakobusbriefes über die Bedeutung der Werke für den, der sie tut: „er soll selig sein mit dem, was er tut“. Aber ist das nicht einseitig, ja vielleicht sogar schief? Ist hier nicht etwas verkehrt, wenn sich der Gedankengang um den Reflektierenden selbst krümmt sowohl im Jakobusbrief als auch bei Kierkegaard? Die Werke sind doch wohl in erster Linie aus der entgegengesetzten Perspektive zu sehen: von denjenigen aus, an die sie sich richten, von denjenigen aus, denen sie nützen sollen. Ist das nicht gerade die Umkehr, von der Jesus spricht? In meinen Augen ist es eben die Umkehr der Perspektive, die der Glaube für uns eröffnet. Die Gnade macht uns frei. Dass wir das Evangelium hören: du bist Gottes Mensch, gekannt und geliebt, wie du bist – trotz allem. Das kann unsere Aufmerksamkeit von uns selbst und unserem mehr oder weniger missglückten Leben und Taten weglenken – und auch von unserer eigenen Angst und Unruhe und Ernst. Es richtet den Fokus auf die anderen, auf die, die uns und unsere Hilfe nötig haben, auf diejenigen, die im Zusammenleben und im Gespräch neue Perspektiven auch für uns aufschließen können.

               So hat Gott uns geschaffen. Jesus hat sein Leben dafür eingesetzt, dieses Leben für uns von neuem zu öffnen, ein Leben, in dem wir aus der Gemeinschaft Nahrung ziehen und zur Gemeinschaft beitragen. Als Menschen, die erfahren, dass sich das Leben zwischen uns entfaltet und dass das Evangelium davon lebt, dass es geteilt wird.

               Darüber hat Kierkegaards Zeitgenosse N.F.S. Grundtvig mehr zu sagen, aber damit müsen wir auf eine andere Gelegenheit warten.

Amen





E-Mail:

Zusätzliche Medien:
medien


(zurück zum Seitenanfang)