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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2013

Jahreslosung 2014: Psalm 73,28, verfasst von Dieter Splinter

 

 

 

 

 

„Gott nah zu sein ist mein Glück!"

I.

Liebe Gemeinde!

Wer so spricht, hat viel erlebt. Nicht bloß Freundliches und Gutes. Jedenfalls trifft das für den Beter des 73. Psalms zu. Aus diesem Psalm stammt die Jahreslosung: „Gott nahe zu sein ist mein Glück!" Wer so spricht, hat viel erlebt. Wer vom Glück redet, kennt das Gegenteil. Diesem Gegenteil setzt er etwas entgegen. Schon in der Sprache. Vor dem Vers mit der Jahreslosung wird diese Sprache laut, auch wenn vielleicht die Worte nur leise gesprochen werden: „Dennoch - dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an."

Wer so spricht, ist geführt worden. Durch sein Leben. Durch dick und dünn. Durch Freundliches, durch Schwieriges. Vertrauen ist gewachsen, unbedingtes Zutrauen entstanden. Der Lebensweg kann festen Schrittes gegangen werden, denn die Aussicht ist klar: „... du nimmst mich am Ende mit Ehren an." Mit dieser Aussicht im Herzen wird gewiss, was durch's Leben trägt: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil." Da weiß sich einer ganz uns gar geborgen. Darum: „Gott nahe zu sein ist mein Glück."


II.

Wer so spricht, hat viel erlebt. Die Gewissheit Gott nah zu sein sei ein Glück, kommt nicht von ungefähr. Der Weg zum Dennoch des Glaubens kann jedenfalls lang und beschwerlich sein. Er ist mit Zweifeln und Fragen gepflastert: Warum geht es denen, die von Gott nichts halten, so gut? Warum muss der Gerechte leiden, der Ungerechte aber nicht? Warum ist der Reichtum so ungerecht verteilt? Wie kommt es, dass es immer jene zu geben scheint, die den großen Reibach auf Kosten anderer machen - und trotzdem ungeschoren davon kommen? Und damit auch noch angeben? Der Beter des 73. Psalms hat die Zustände erlebt, die solche Fragen aufkommen lassen. Sie muten seltsam modern an. Schnell können einem da die allfälligen Beispiele in den Sinn kommen. Sie sind schon stereotyp und hängen alle mit Geld zusammen: Bankenrettung durch Steuergelder, Absprachen unter Banken zur Manipulation von Zinssätzen, schlechte, weil auf den eigenen Vorteil bedachte Beratungen bei Geldanlagen, Übervorteilungen im Geschäftsleben, Bestechung und Bestechlichkeit. Der Psalmbeter ereifert sich über diese Zustände - und die Menschen, die sie verursachen. Und so spricht der Beter darum (Psalm 73, 3-9; Zürcher Bibel 2007):

... ich ereiferte mich über die Prahler, als ich sah, dass es den Frevlern gut geht. Sie leiden keine Qualen bis zu ihrem Tod, und fett ist ihr Leib. Von der Mühsal der Sterblichen sind sie frei, sie werden nicht geplagt wie andere Menschen. Darum ist Hochmut ihr Halsgeschmeide, Gewalttat das Gewand, das sie umhüllt. Sie sehen kaum aus den Augen vor Fett, ihr Herz quillt über von bösen Plänen. Bösartig höhnen und reden sie, gewalttätig reden sie von oben herab. Sie reißen ihr Maul auf bis an den Himmel, und ihre Zunge hat auf Erden freien Lauf."

Das hat üble Folgen. Der Psalmbeter jedenfalls stellt fest: „Darum läuft sogar das Volk Gottes ihnen nach und lauscht begierig auf ihr Geschwätz. 'Gott merkt ja doch nichts!' sagen sie. 'Was weiß der da oben von dem, was hier vorgeht?'" Und darum stellt der Beter fest: „So sind sie alle, die Gott verachten; sie häufen Macht und Reichtum an und haben immer Glück." (Psalm 73, 10-12; Die Gute Nachricht 1982)


III.

Wer so spricht, hat viel erlebt. Wenn man will, kann man aus diesen Worten Verbitterung heraushören. Verbitterung und Wut. Die Ähnliches erlebt haben, können sich darin schnell wiederfinden. Mit Kopfnicken zustimmen. Und sich darüber wundern, dass es auch unter Glaubenden viel Bewunderung für wie auch immer erworbenen Reichtum geben kann. Wer Ähnliches erlebt oder zumindest beobachtet hat, kann aber noch ganz anders reagieren - und feststellen: Da nimmt einer die Zustände bloß in schwarz und weiß wahr, wenn er sagt: „So sind sie alle, die Gott verachten; sie häufen Macht und Reichtum an und haben immer Glück." Keineswegs sind jene, die ohne Gott leben, immer reich, mächtig und glücklich. Im Gegenteil. Auch sie kann das Schicksal hart treffen. Und noch mehr. Auch die, die nach Gottes Willen nicht fragen, von denen der Beter zunächst meint: „Von der Mühsal der Sterblichen sind sie frei, sie werden nicht geplagt wie die anderen Menschen." - auch die angeblich immer Glücklichen bleiben nicht verschont.

Dem Beter des 73. Psalms geht das im Haus Gottes, im Tempel, auf. „Warum geht es den Gottlosen immer gut?" Das ist die Frage des Beters. Zunächst kann er sie nicht beantworten: „So sann ich nach, ob ich es begreifen könnte, aber es war mir zu schwer, bis ich ging in das Heiligtum Gottes und merkte auf ihr Ende." Zu Gott gewandt sagt er: „Ja, du stellst sie auf schlüpfrigen Grund und stürzest sie zu Boden. Wie werden sie plötzlich zunichte! Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken."

Im Haus Gottes, in der Begegnung mit Gott, geht dem Beter diese Einsicht auf. Er lässt alle Verbitterung fahren und stellt fest: „Als mein Herz verbittert war und ich einen stechenden Schmerz in meinen Nieren spürte, da war ich wie ein Narr und hatte keine Einsicht...". (Zürcher Übersetzung, Psalm 73 , 21-22a)

In dieser Welt geht uns vieles an die Nieren. Manches kann uns bitter machen. Im Hause des Herrn aber wird so manche Einsicht möglich. Da mögen wir - wie der Beter des 73 Psalms - meinen, dass in dieser Welt nur die das Sagen haben, die keine Skrupel kennen. Da mögen wir - wie er - meinen, dass nur die Gewissenlosen glücklich sind. Da mögen wir - wie der Beter des 73. Psalms - meinen, dass nur die obsiegen, deren Macht und Einfluss keine Grenzen kennt. Doch im Haus Gottes werden wir eines Besseren belehrt.

Jedes Mal, wenn wir unseren Fuß über die Schwelle einer Kirche setzen, jedes Mal, wenn wir an einem Gottesdienst teilnehmen, tauchen wir ein in eine andere Welt. Wir treten ein in den Machtbereich Gottes. Wir werden daran erinnert, dass unsere Welt im Innersten von einer anderen Macht zusammen gehalten wird als die Macht des Geldes, des Reichtums und der Skrupellosigkeit. Es ist die Macht und die Kraft des einen, wahren und drei-einigen Gottes. Ihm nahe zu sein ist unser Glück, weil uns diese Nähe stark macht. Sie tut dir und mir, sie tut uns gut. So sagt es jedenfalls der hebräische Urtext: „Gott nahe zu sein, tut mir gut."


IV.

Wer so spricht, hat viel erlebt. Er weiß, was ihn trägt. Es ist das Dennoch des Glaubens. Der Weg dorthin mag manchmal lang sein, aber er lohnt sich. Er beginnt mit unserer Taufe. Wir sind im Namen des drei-einigen Gottes getauft. Ihm nahe zu sein, tut uns gut. Aber was bedeutet das - im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft zu sein?

Wir werden in diese Welt geboren, ohne dass uns jemand fragt, ob wir das wollen oder nicht. Wir werden in eine Familie geboren, die wir uns nicht ausgesucht haben. In ein Land, das wir nicht bestimmt haben. In einen Körper, den wir nicht gewählt haben. Wir können darin ein dumpfes Schicksal sehen, das wir hinnehmen müssen. Aber wir können das Leben auch als Gabe Gottes sehen und darin einen Auftrag entdecken, dass wir zur Freiheit der Kinder Gottes berufen sind. Darum sind wir wir im Namen des Vaters getauft.

Ein Kind, das geboren worden ist, ist auf die Liebe seiner Eltern angewiesen. Sie geben sie ihm. Sie vermitteln ihm Mut zum Leben. Aber dieser Mut wird immer wieder auf die Probe gestellt. Darum bekommen Christen einen Freund und Bruder zur Seite gestellt: Jesus Christus, der für uns gekreuzigt wurde und für uns auferstanden ist. So haben wir noch in den dunkelsten Stunden jemand, der uns nahe ist und uns Hoffnung gibt. Darum sind wir im Namen des Sohnes getauft.

In dieser Welt gibt es viel unguten, unheiligen Geist: Hass, Vorurteile, Kälte. Im Leben der Getauften aber soll ein anderer Geist begeistern und ihr Leben durchdringen: der Geist der Versöhnung und des Friedens, der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Darum sind wir im Namen des Heiligen Geistes getauft.


V.

Dem drei-einigen Gott nahe zu sein, tut uns gut. Seine Macht ist größer als jede Macht dieser Welt. Gerade wer viel erlebt und in die Abgründe der Welt geblickt hat, muss sich der Übermacht Gottes immer wieder vergewissern. Darum gibt es Gottesdienste. In ihnen, im Hause des Herrn, werden wir daran erinnert, dass Gott es ist, der die Welt im Innersten zusammenhält.

Diese Vergewisserung werden wir sicher auch im Jahr 2014 brauchen. Manches wird uns in diesem Jahr mit tiefer Freude erfüllen, manches wird uns zum Lachen bringen und fröhlich machen; manches wird uns erschrecken, manches wird uns kränken und verletzten - und manches werden wir sicher nicht gleich verstehen. Vieles werden wir wieder erleben. Gut, wenn wir uns dann, wie der Beter des 73. Psalms, sagen können:

Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil. ... Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte / und meine Zuversicht setze auf Gott, den Herrn, dass ich verkündige all dein Tun." Denn Gott nahe zu sein, ist mein Glück!


Amen.




Pfarrer Dr. Dieter Splinter
79249 Merzhausen
E-Mail: dieter.splinter@ekiba.de

Bemerkung:
Hinweis: Wenn nicht anders angegeben, werden die Bibelstellen nach der Lutherbibel (1984) zitiert.

Dr. Splinter ist Landeskirchlicher Beauftragter für den Prädikantendienst der Evangelischen Landeskirche in Baden an der Evangelischen Hochschule Freiburg


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