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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Paul Gerhardt, 2007

Die güldne Sonne voll Freud und Wonne, verfasst von Anton Seeberger

Die güldne Sonne voll Freud und Wonne

(Paul Gerhardt, erstveröff.: Ebeling, 1666; GL 912, Str. 1, 2, 3, 8; EGB 449 alle 12 Str.)

Wir - Christen - sind Kinder der Sonne. Wir sind hervor gegangen aus dem ersten Tag der Woche, der bei uns Sonntag heißt. Wir sind Schwestern und Brüder des göttlichen Kindes, dessen Geburtstag unsere Vorfahren im Glauben auf den Tag der unbesiegbaren Sonne gelegt haben. Wir sind als Glaubende zum Leben erweckt worden an jenem ersten Tag der Woche, an dem die Frauen zum Grab kamen, als eben die Sonne aufging (Mk 16,12). Und viele von uns treffen sich an jedem Sonntag, um die unerschaffne Sonne zu feiern, sein Wort zu hören und sein Mahl zu halten. Vom Ursprung her sind wir Kinder der Sonne, Töchter und Söhne des Lichts - wie der Evangelist Johannes sagen würde, von dem eine Lichttheologie ausgeht, die Eingang gefunden hat ins Nizänum, in dem wir Christus bekennen als Licht vom Licht.

Ob wir sonnige Gemüter sind - beseelt, erleuchtet, licht - wie es uns eigentlich zukommt, da bin ich mir nicht so sicher. Jeden von uns streift ja zuweilen die Dunkelheit, das Finstere, die Nacht. Von Paul Gerhardt (1607- 1676) wäre es, glaube ich, unpassend zu sagen, er sei ein sonniges Gemüt gewesen. Obwohl er in seine Liedern 31 Mal das Gleichnis der Sonne aufnimmt, wie ein kluger Interpret gezählt hat. Die Bilder, die es von diesem bedeutenden Mann gibt, zeigen ihn als einen ernsten und gesammelten Mann, vielleicht mit etwas
hintergründigem Lächeln. Er hat in seinem Leben genug Dunkelheit erfahren - der Dreißigjährige Krieg, die Pest, der Verlust seiner Kinder, seiner Frau, die Kämpfe um sein Bekenntnis mit dem Kurfürsten haben sich wohl tief in seine Seele eingegraben. Man darf wohl schon sagen, dass er sich mit viel Dunkelheit auseinandersetzen musste. Die bange Frage nach dem Licht (Nun ruhen alle Wälder 38,2)

Wo bist du, Sonne, blieben?
Die Nacht hat dich vertrieben,
Die Nacht, des Tages Feind;

nimmt man ihm gerne ab. Sie war nicht als rhetorischer Trick gestellt, sie wurde ihm existenziell zugemutet und er hat seine gläubige Antwort darauf gefunden, die uns Heutigen ebenso lässig wie kühn erscheint:

Fahr hin! Ein ander Sonne,
Mein Jesus, meine Wonne,
Gar hell in meinem Herzen scheint.


Manchmal weiß man in seinen Liedern gar nicht, ob er von der Sonne, dem Gestirn des Himmels, spricht oder von der Christus-Sonne des Glaubens - manchmal sind die Übergänge so subtil, dass man die Sonne wärmend im Gesicht oder auf dem Rücken spürt, während er gerade vom Geheimnis des Christus spricht. So das Geheimnis des Christus verkündigen, dass einem die Sonne auf den Rücken scheint, das konnte nur er.

In unserem heutigen Lied Die güldne Sonne da preist er das Licht des Morgens und das munter und fröhliche Aufstehen nach der Ruhe der Nacht. Aber er schreibt das Lob des Morgens und der Sonne so, als ob hinter dem Dichter und hinter uns Sängern der auferstandene Christus stände, der uns herzerquickend zulacht, weil er eben aus dem Tod, dem Bruder des Schlafes, aufgewacht ist. Im Licht der Sonne preist der Dichter die Größe der Schöpfung und sieht zugleich ihren Zerfall. In das Licht der Sonne stellt der Dichter den Menschen, dessen inneres Leuchten sichtbar wird, aber auch alle seine Schattenseiten. Er kann es, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben!  Ins Licht der Sonne stellt er die Mühseligkeiten des Tages, die Vergänglichkeit, den Geiz, die Eile, den Neid wie alle Schuld. Im Licht der Sonne besingt er die Größe des Schöpfers, dessen Licht eben auch dort leuchtet, wo kein geschaffenes Licht mehr durchdringen kann.

Paul Gerhard war beseelt vom Licht der Sonne als dem Bild für Christus. Es kann ja nicht anders sein als dass er dieses Bild in sich getragen hat, dass es ihn von innen her erleuchtet und gewärmt hat in all der Dunkelheit seiner Zeit und seines Lebens. Vermutlich ist die Sonnen-Metaphorik zu ihm gekommen über einen seiner spirituellen Lehrer: Johann Arndt (1555-1621). In dessen Vier Büchern vom wahren Christentum, zuerst veröffentlicht 1605, geht es im vierten Buch Von den sechs Tagewerken der Schöpfung insgemein ausführlich mit dem Bild der Sonne um:  Wem hat Gott die Sonne geschaffen? Nicht für sich selbst. Er bedarf keiner Sonne und keines erschaffenen Lichtes. Er selbst ist das ewige unendliche Licht. Darum hat er die Sonne uns geschaffen. Sie leuchtet uns. Darum leuchtet Gottes Liebe aus der Sonne.
Um dann in wunderbaren Analogschlüssen die Erfahrung der Sonne mit der Kraft des gläubig angenommenen und im inneren erlebten Christus zu vergleichen: rein wie das Licht der Sonne; überflüssig - also im Überfluss vorhanden - wie das Licht der Sonne; unparteilich allen geschenkt wie das Licht der Sonne; Wärme und Klarheit aus ihrem innersten Wesen - so stellt es Arndt in Aussicht und Paul Gerhard hat die Erfahrung in Verse gefasst.

Aber Arndt hat das Bild der Sonne zur Beschreibung der inneren Erfahrung des Glaubens auch aus älteren Quellen geschöpft. Es reicht zurück in die spätantike Philosophie und wurde in der Erleuchtungslehre des Augustinus ausformuliert, aufgegriffen von Hildegard von Bingen (1098-1179), Franz von Assisi (1181-1226) in seinem Sonnengesang, Meister Eckhardt (um 1260-1328) bis zu Jakob Böhme (1575-1624). Die gotterfahrenen Menschen, die von Christus beseelten Menschen, schöpfen alle aus dem gleichen Strom des Glaubens, da geht es ums Erfahren und nicht ums Rechthaben! So konnte Paul Gerhard unbefangen die Bilderwelt und Glaubenserfahrung der mystisch begabten Zisterzienser aufnehmen und zum Klingen bringen, wo man theologisch gerade dabei war die Beute von Reformation und Gegenreformation zu verteilen! Was Christus in einem Menschen wirkt, ist immer ein und dasselbe, auch wenn wir es manchmal vergessen zwischen den konfessionellen Unterschieden.

[Die Sonne war zur Zeit Paul Gerhards ja nicht gerade unumstritten: Johannes Keppler, der die Planetenbewegungen entdeckte war Zeitgenosse (1571-1630); Galileo Galilei musste 1633 gegenüber der Inquisition seiner Erkenntnis, dass die Sonne der Mittelpunkt des Planetensystems ist und nicht die Erde, abschwören!]
 
Die Sonne geht für Paul Gerhard auf am Anfang des Christuslebens; und am Anfang des Christenlebens. Darum hat er die Sonne in sein Weihnachtslied gepackt, für mich die schönste Sonnenstrophe:
 
Ich lag in tiefster Todesnacht,
Du warest meine Sonne,
Die Sonne, die mir zugebracht
Licht, Leben, Freud und Wonne.
O Sonne, die das werte Licht
Des Glaubens in mir zugericht´t,
Wie schön sind deine Strahlen!
                                            
Ich steh an deiner Krippen hier 6,4

Diese Sonne kann man bedenken. Aber Paul Gerhard ist es darum, die Strahlen dankbar wahrzunehmen. Nicht jeder Mensch hat die Gabe des Glaubens, nicht jede hat das Christusgeheimnis als Licht erfahren, nicht jeden hat der Lichtstrahl der Christus so erreicht, dass er leuchtet und wärmt, ins Leben ruft und etwas zum Wachsen bringt. Wenn wir es mit leuchtenden Augen und lichtem Herzen sagen können: Wie schön sind deine Strahlen, dann haben wir richtig Zeugnis abgelegt.

Dieser Anfang des Glaubens unter dem Strahl der Sonne geleitet den Dichter, geleitet uns durch das dunkle Tal des Todes, das uns ängstigt, weil wir es nicht kennen. In unserem Lied wird es einem ganz gewiss, dass zuletzt über allen die Sonne leuchtet:

Kreuz und Elende,
Das nimmt ein Ende;
Nach Meeresbrausen
Und Windessausen
Leuchtet der Sonnen gewünschtes Gesicht.
Freude die Fülle
Und selige Stille
Hab ich zu warten
Im himmlischen Garten;
Dahin sind meine Gedanken gericht.
                                             
Die güldne Sonne 37,12

Die Sonne scheint heute. Wir müssen sie nicht fromm pietistisch aufgehen lassen. Sie ist schon da: Über uns, wenn auch vielleicht verborgen. In uns, auf jeden Fall verborgen. Wir sind Kinder der Sonne. Und wenn ich dem großen Paul Gerhard eine Zeile aus unserer Gegenwart hinzustellen dürfte, von der ich glaube, dass sie ihm sicher gefallen würde. Dann würde ich ihm einfach die schöne Zeile von Ingeborg Bachmann sagen, als Freund der Sonne und der Christus-Sonne:

Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein ...                     Amen.



Anton Seeberger
Stuttgart
E-Mail: AntonSeeberger@t-online.de

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