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ISSN 2195-3171

thematisch, 2007

Gott und Geld, verfasst von Konrad Stock

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder in Christus!

I

„Ohne Moos nix los" - der Volksmund weiß das nur zu gut. Und niemand wird bezweifeln, daß der Volksmund recht hat. Ohne „Moos" ist weder in unseren privaten Haushalten noch in der Wirtschaft, weder in den Städten und Gemeinden und den Staaten noch im Sport, weder in der Kunst noch in der Kirche „was los". Aber wie wir mit dem „Moos" - mit dem Geld und den Finanzen und den Steuern, mit dem Eigentum und mit dem Reichtum umgehen, damit „was los" sei - darüber wird gestritten und darüber muß gestritten werden. Der Glaube streitet in dieser Frage mit. Die Gemeinschaft des Glaubens überläßt diese Frage nicht dem Belieben oder der Willkür. Sie antwortet ja dem Wort der Wahrheit; sie achtet auf das menschliche Wort oder besser gesagt auf die mannigfachen menschlichen Worte der Bibel, die Gottes Wahrheit bezeugen. Sie will der persönlichen Verantwortung, die wir alle für das größere oder geringere „Moos" in unserem privaten und in unserem öffentlichen Leben tragen, eine Orientierung geben. Wie kommt das, was der Volksmund weiß, in der Bibel, also in den mannigfachen menschlichen Zeugnissen von Gottes Wahrheit, vor?

II

„Es erhob sich aber um diese Zeit eine nicht geringe Unruhe über die neue Lehre. Denn einer mit Namen Demetrius, ein Silberschmied, machte silberne Tempel der Artemis und wandte denen vom Handwerk nicht geringen Gewinn zu. Diese nun und die dabei beschäftigten Arbeiter versammelte er und sprach: Ihr Männer, ihr wißt, daß wir großen Gewinn von diesem Gewerbe haben; und ihr seht und hört, daß nicht allein zu Ephesus, sondern fast in der ganzen Landschaft Asia dieser Paulus viel Volk beredet und abwendig gemacht hat, indem er sagt, was mit Händen gemacht werde, das seien keine Götter. Aber es ist nicht nur Gefahr, daß dieses unser Geschäft in Verruf kommt, sondern auch, daß das Heiligtum der großen Göttin Artemis für nichts geachtet und künftig sogar ihrer Majestät Abbruch getan wird, die doch ganz Asia und der Erdkreis verehrt. Als sie das hörten, wurden sie voll Zorn , schrien und sprachen: Groß ist die Artemis der Epheser..." (Apg 19, 23-28).

„Ohne Moos nix los" - das sagt sich schon der Silberschmied Demetrius in der Erzählung, die Lukas in die Apostelgeschichte eingeschaltet hat. Der Silberschmied muß es schließlich wissen. Sein Geschäft floriert. Er ist ein gemachter Mann, ein wohlhabender Unternehmer, der seinen Arbeitern Lohn und Brot verschafft. Er profitiert von einem großen Standortvorteil; denn Ephesus zieht die Leute an, die immer wieder gerne ihre Wallfahrt zu dem Heiligtum und zu dem Tempel der Göttin Artemis unternehmen.

Was ist das für eine Gottheit? Nun, Artemis wird in antiker Zeit ursprünglich als die Herrin der Tiere verehrt. Sie ist jene gottheitliche Macht, die das Tier schützt: zunächst das Wild - Bären, Luchse, Hirsche - und dann das gezähmte Tier - Rinder, Pferde, Ziegen. Sie schützt das Tier, indem sie über das Jagen und über das Schlachten wacht. Denn wenn wir Menschen schon vom Leben der Tiere leben müssen, wenn wir für unser Leben auf das Leben der Tiere angewiesen ist, dann sind wir wenigstens dazu verpflichtet, das Tier möglichst sanft und schonend zu jagen und zu schlachten. Artemis steht für das Wissen, daß das Tier kein Ding und keine Ware ist. Artemis verkörpert die elementare sittliche Regel, die das Tier vor menschlicher Gier und Grausamkeit schützen will, und sie droht mit ihrem Zorn und mit ihrer Rache, wenn man den Tieren Schmerz antut. Daß die Verehrung dieser gottheitlichen Macht noch immer anrührend und noch immer aktuell ist, das kann uns die Erinnerung an den Schmerz der Tanzbären und der gewilderten Elefanten, an den Schmerz der Versuchs-Affen und der Versuchs-Kaninchen lehren.

Also strömen die Leute zum Heiligtum der Artemis und zu ihrem Tempel. Sie erbitten sich von ihr das Leben der Tiere, und sie möchten ihren gerechten Zorn besänftigen und ihre Rache abwenden, wenn sie gefehlt haben. So bringen sie die vorgeschriebenen Opfer dar und werfen einen scheuen Blick ins Innere des Tempels auf die Statue, auf der sie thront: eine jungfräuliche Erscheinung von unnahbarer Schönheit, in das vornehmste Gewand gekleidet, das sich nur denken läßt.

Und wenn die heilige Handlung zu Ende ist, schlendern die Leute am Geschäft des Silberschmieds Demetrius vorbei und kaufen sich für gutes Geld ein schönes Andenken. Und vielleicht gehen sie noch einige Schritte weiter und schauen nach, ob es auf dem Markt einen starken gesunden Sklaven oder eine junge fesche Sklavin zu kaufen gibt. Für das Leben, für die Freiheit, für die Würde der Sklaven ist die große Artemis der Epheser in ihrer unnahbaren Schönheit nämlich nicht zuständig. Sklaven gelten nicht als Tiere, sondern als Sachen. An ihnen endet die Macht der Göttin. Ihre Gerechtigkeit ist begrenzt. Leider hat die klassische Schwärmerei der Goethe, Schiller, Winckelmann und Hölderlin für die Götter Griechenlands und Roms diesen düsteren und bedrückenden Hintergrund übersehen.

Das Evangelium von Jesus als dem Christus Gottes des Schöpfers, das Paulus in der pulsierenden Großstadt Ephesus und in ihrem religiösen Zentrum verkündet, übersieht diesen düsteren und bedrückenden Hintergrund nicht. Die Gemeinschaft des Glaubens weiß von Gottes Gottheit nur in einem einzigen Sinn. Auch wenn es gut 1800 Jahre gedauert hat bis zur Ächtung der Sklaverei, weiß die Gemeinschaft des Glaubens von Anfang an, daß wir Menschen alle vor dem einen, vor dem schöpferischen und dem versöhnenden und dem erlösenden Gott gleich sind. Deshalb ist eine Wirtschaft, die auf Sklaverei beruht, wesentlich gegen den Willen Gottes. Und deshalb richtet sich die Religionskritik des Glaubens gegen eine Religion, die das Tier schützt und den Menschen zur Sache machen läßt. Der Silberschmied Demetrius hat das sehr gut verstanden.

III

Szenenwechsel. Wir sind uns in der Gemeinschaft des Glaubens dessen wohl bewußt, daß der gelebte Glaube selbst mit dem Thema „Gott und Geld" zu tun hat. Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß das Thema schwelt und brennt. Und wir wissen aus eigener Erfahrung, daß uns das Geld und das, was man mit Geld kaufen kann, zum Gott werden kann. Eine dramatische Szene in der Geschichte Israels, des Volkes Gottes, zeigt das.

„Als aber das Volk sah, daß Mose ausblieb und nicht wieder von dem Berg zurückkam, sammelte es sich vor Aaron und sprach zu ihm: Auf, mach uns einen Gott, der vor uns hergehe! Denn wir wissen nicht, was diesem Mann Mose widerfahren ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat. Aaron sprach zu ihnen: Reißt ab die goldenen Ohrringe an den Ohren eurer Frauen, eurer Söhne und eurer Töchter und bringt sie zu mir. Da riß alles Volk sich die goldenen Ohrringe von den Ohren und brachte sie zu Aaron. Und er nahm sie von ihren Händen und bildete das Gold in einer Form und machte ein gegossenes Kalb. Und sie sprachen: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat! Als das Aaron sah, baute er einen Altar vor ihm und ließ ausrufen und sprach: Morgen ist des HERRN Fest. Und sie standen früh am Morgen auf und opferten Brandopfer und brachten dazu Dankopfer dar. Danach setzte sich das Volk, um zu essen und zu trinken, und sie standen auf, um ihre Lust zu treiben."(Ex 32,1-6).

 

In der Erzählung vom goldenen Kalb bleibt Mose aus. Der Mittler, der Zeuge, der Offenbarer Gottes und des Gott entsprechenden Lebens, fehlt. Der Lebenssinn, den er erschlossen hat, verschwindet. Die Erinnerungen an eine Lebenslehre, die doch heilsam war, werden blaß und blässer. Vielleicht haften sie noch an Festen und an Ritualen, die man lieb hat und deren Bedeutung man doch gar nicht mehr versteht. Aber was die Bibel als das menschliche Wort von Gottes Wahrheit zu sagen hat, geht unter im Getriebe und im Tempo und in der Hektik des Alltags. Mit Mose verlieren die Leute das, was im Sinne Gottes ist, aus den Augen.

Doch ohne irgendeinen Lebenssinn, ohne irgendein Wozu, ohne irgendeine Orientierung geht es nicht. Und so zeigt die Erzählung, als wäre sie heute geschrieben, wie sich die Leute auf das allereinfachste und allergreifbarste Wozu verständigen können. Während Mose ausbleibt, erfindet Aaron für Gottes Volk einen neuen Gott, eine neue Religion, einen neuen Altar: das goldene Kalb. Das Gold ersetzt den Glauben. Die Wirtschaft ersetzt die Religion. Das Volk meint, Grund zum Feiern zu haben.

Für seinen Wohlstand arbeitet das Volk hart und schwer und ziemlich oft auch schwarz. Es will seinen Wohlstand genießen. Es fährt in langen Kolonnen - von Stau zu Stau - in die Berge oder an die Meere, oder es wartet in Engelsgeduld auf den Flughäfen, um nach Florida oder nach Neuseeland zu fliegen. Aber das Volk will seinen Wohlstand auch sichern, und so fordert es von seinen Parlamenten und von seinen Regierungen, die Netze der sozialen Sicherheit immer noch ein bißchen enger zu knüpfen. Aber was ist, wenn diese Netze reißen?

Also hat das Volk Schulden. Der Bund ist überschuldet. Die Länder sind überschuldet. Die Städte und die Gemeinden sind überschuldet. Ungezählte private Haushalte sind überschuldet. Um mit den Schulden fertig zu werden, läßt das Volk fast alles mit sich machen und ist das Volk bereit, fast alles dafür zu geben. Es reißt sich die goldenen Ringe von den Ohren.

Das Volk sieht zu, wie das, was der Bombenkrieg von seinen Innenstädten übrig ließ, zerstört wird. Es sah zu, als das Frankfurter Westend zerstört wurde. Es sieht zu, wie Leipzig Stück um Stück seiner alten gediegenen Bau-Substanz in gläserne Einkaufs-Meilen verwandelt. Das Volk geht durch gesichtslose, durch erinnerungslose Städte, wenn es nur irgendwo ein Schnäppchen in einem 1 Euro - Laden erwischen kann.

Das Volk, das seinen Schulden zum Trotz seinen Wohlstand genießen und sichern will, zieht sich aus der politischen Mündigkeit zurück. Es wählt nicht mehr. Es meint zu wissen, daß es nicht mehr weiß, was es noch zu wählen gebe. Es gibt Stück für Stück seine politische Verantwortung auf. Das Volk versteht nur doch die Sprache ökonomischer Identität. Es opfert sich selbst dem goldenen Kalb.

IV

Szenenwechsel. Am Anfang der Passionsgeschichte erzählt das Evangelium nach Matthäus von einem Eklat:

„Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß um der Wechsler Tische und die Stühle der Taubenkrämer und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: ‘Mein Haus soll ein Bethaus heißen'; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus." (Matth 21,12-13).

Auf diesen Eklat beziehen sich die beiden Zeugen, die in der Verhandlung vor dem Hohen Rat gegen Jesus auftreten: „Er hat gesagt: Ich kann den Tempel Gottes abbrechen und in drei Tagen aufbauen." (Matth 26,61). Eine Provokation! Warum?

Nun, wir sind in einem Hungerland. Im Hungerland des alten Palästina ist der Tempel zu Jerusalem das einzige Unternehmen, das wirklich funktioniert. Er gibt Tausenden von Priestern ihr tägliches Brot. Er gibt Zehntausenden von Bauarbeitern ihren Lohn. Er birgt einen immensen Tempelschatz. Und weil er fast so sicher wie die Bank von England ist, verwahren die Leute gern ihr Geld und ihren Schmuck hinter seinen festen Toren. Wer auch nur im Traume daran denkt, diesen Riesenbau abzubrechen, legt seine Hand an die Ressourcen der Heiligen Stadt. Wer ihn in Frage stellt, und sei es nur in einer ohnmächtigen symbolischen Gebärde, der stellt eine Religion in Frage, die zur Wirtschaft geworden ist. Jesu Wort ist ein Affront, und der Hohe Rat, der Hüter der Heiligen Stadt, hat ihn nur zu gut verstanden.

Aber hat er ihn wirklich verstanden? Was meint Jesus mit diesem unerhörten Spruch, wenn er sagt, er werde den abgebrochenen Tempel in drei Tagen aufbauen? Welcher Tempel soll da neu entstehen?

Nun, ich denke: als der Mensch, in dem Gottes Wahrheit, Gottes Weisheit ganz zur Sprache kommt, will Jesus zeigen, daß es ein richtiges und ein vernünftiges Verhältnis gibt zwischen Gott und Geld, zwischen Religion und Wirtschaft, zwischen Gebet und Arbeit, zwischen Kontemplation und Aktion, zwischen Tempel und Stadt. Jesus bestimmt in diesem übertriebenen Spruch dieses Verhältnis so, wie es uns Menschen in unserem Leben hier auf der Erde und im Blick auf den Himmel angemessen ist. Und er bestimmt dieses Verhältnis nicht nur - er begründet es. Jesus begründet dieses Verhältnis, indem er die Gemeinschaft des Glaubens dazu inspiriert, je in ihrer Zeit nach dem richtigen und dem vernünftigen Verhältnis zwischen Gott und Geld, zwischen Religion und Wirtschaft, zwischen Gebet und Arbeit, zwischen Kontemplation und Aktion, zwischen Tempel und Stadt zu suchen.

Zwei Leitgedanken mögen uns heute dazu anregen, je für uns selbst in unserer eigenen Lebenszeit dieses richtige und vernünftige Verhältnis zu erkunden. Beide Leitgedanken gehen davon aus, daß wir Menschen nicht nur Seele und nicht nur Leib, sondern Seele und Leib zusammen und zugleich sind; beide Leitgedanken nehmen das große Wort aus dem Hebräerbrief ernst, daß wir hier - auf dieser Erde - keine bleibende Stadt haben, sondern die zukünftige suchen (13,14).

Der erste Leitgedanke: weil wir Menschen Seele und Leib zusammen und zugleich sind, bedürfen wir eines Hauses des Gebets (Jes 56,7). Wir bedürfen tatsächlich eines Ortes, an dem wir miteinander beten und feiern, aber auch sprechen und diskutieren, lehren und lernen, fragen und manchmal auch schweigen können. In der Gemeinschaft des Betens und des Feierns, des Sprechens und des Diskutierens, des Lehrens und des Lernens, des Fragens und des Schweigens geht es wirklich ums Ganze: es geht um das, was tatsächlich Sinn und Ziel, Grund und Hoffnung unseres Lebens ist und was uns deshalb wirklich Gnade und Hilfe, Lehre und Trost sein kann. Was uns hier miteinander innerlich und deshalb auch auf unsichtbare Weise verbindet, das kann sich nur ergeben und entfalten an einem wie auch immer gebauten und gemauerten Raum und zu einer wie auch immer verabredeten Zeit.

Und daraus folgt der zweite Leitgedanke. Weil wir Menschen Seele und Leib zusammen und zugleich sind, hat das Haus des Gebets in jeder Hinsicht eine kritische und orientierende Bedeutung für die Wirtschaft. Der Volksmund weiß es nur zu gut: „Ohne Moos nix los". Ohne Arbeit, ohne Verteilung, ohne Konsum, ohne Geld, ohne Wohlstand, ohne soziale Sicherheit, ohne Wirtschaftsrecht, ohne Theorie der Wirtschaft wäre wirklich „nix los". Selbst ohne Reichtum wäre „nix los". Aber das Wirtschaften und das, was dabei herauskommt, kann unmöglich Sinn und Ziel, Grund und Hoffnung dieses sterblichen Lebens sein. Sinn und Ziel, Grund und Hoffnung dieses sterblichen Lebens kann nur sein, was Jesus in der Gleichniserzählung vom barmherzigen Samariter als das Wesentliche des göttlichen Willens erklärt: das selbstbewußte Leben in der Liebe zu Gott und in der liebevollen Sorge um die Lebensmöglichkeiten des Nächsten. Diesem Leben dient das Wirtschaftsleben, diesem Leben dient auch und gerade der wirtschaftliche Erfolg. Dient er diesem Leben nicht, dann korrumpiert er. Und weil das selbstbewußte Leben in der Liebe zu Gott und in der liebevollen Sorge für die Lebensmöglichkeiten des Nächsten auf das tatsächliche Zusammenkommen in dem Haus des Gebets angewiesen ist, sind auch die finanziellen Nöte und Probleme, die die Kirche hat, nur von dieser Zielsetzung aus zu sichten und zu lösen. Von dieser Zielsetzung aus aber müssen sie gesichtet und gelöst werden.

Ob nun der provokative Spruch Jesu dasselbe sagen wollte wie der Volksmund, das will ich nicht behaupten. Aber wo der Volksmund recht hat, hat er recht.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne im Christus Jesus! Amen.



Prof. Dr. Konrad Stock
Köln
E-Mail: konrad.stock@uni-koeln.de

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