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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Fußball-Weltmeisterschaft, 2014

Natürlich: Fußball, Glauben und Luther., verfasst von Wolfgang Petrak

Predigttext:
Man singt mit Freuden vom Sieg / in den Hütten der Gerechten: Die Rechte des HERRN behält den Sieg! (Psalm 118,15)

Liebe Gemeinde,

 

Singen können. So richtig, von innen heraus. So das man es draußen hören kann. Weil es den Sieg gibt. Natürlich: das hört sich nach Sport, genauer: nach Fußball an. Noch immer meine ich, den Jubel und das Singen der Oranje aus Salvador hören, er drang innen aus dem Stadion heraus und erreichte sogar mich, eigentlich müde im Sessel sitzend. Begeisternd, wie der vermeintlich Schwächere und Unbekannte seine Chancen gegen den amtierenden Weltmeister zu nutzen fand. Aber auch das andere erreicht einen zunächst distanzierten Betrachter: die Erfahrung des unverschuldeten Unglücks (hatte nicht Marcelo bei seinem Eigentor Tränen in den Augen?). Und die Erfahrung des offensichtlichen Unrechts auf dem sooft heilig genannten Rasen, auf dem ein Schwarzgewandeter, begleitet von seinen beiden per head-set verbundenen schwarzgewandeten Assistenten und versehen mit Linien-Spray und elektronischer Torüberwachung trotzdem schreiend falsch entscheidet: so im Spiel Mexiko gegen Kamerun und der unberechtigte Elfmeter gegen Kroatien, der spielentscheidend von Neymar verwandelt wurde. Offensichtliches Unrecht, das eigene Lebenserfahrungen spiegeln könnte. Aber auch Siege, die letztlich die Besseren gewinnen ließen und für das Weitere hoffen lassen. So dass man sich selbst freuen kann und von innen mit den Entfernten mitsingen möchte, vielleicht es auch tut. Zusehen ist ja mehr als Passivität.

 

Schon vor einer Woche hatte BILD in der Sonderausgabe das WM-Fiber so schön betexten können: „Lachen+Singen+Streiten+Daumendrücken+Hinter dem Sofa verstecken+Hupen+Bier kalt stellen+von 1954 erzählen+Abseits erklären"...Und noch viel mehr, weil der Ball bekanntlich rund ist und die Fülle der Möglichkeiten vor Augen stellt. Steil formuliert: Fußball ist die Erfahrung der Kontingenz, die eine Entscheidung fordert, ohne das Ergebnis je denken und berechnen zu können. Trotzdem hatte Arje Robben hat gestern genau den Moment in der 53. Minute abgepasst, um von rechts in die Mitte zu ziehen und dann mit einem verdeckten Schuss das Runde in das Eckige zu befördern. Die Erde ist auch rund, und so konnten wir am Freitag die Eröffnung in Sao Paulo gleichsam auf ihrer anderen Seite miterleben. „WM: Das sind wir alle": so titelt einer der Sponsoren höchst übersichtlich in den Medien und meint wahrscheinlich mit der Erkenntnis unserer globalen Zusammenhänge zugleich die gewinnbringende Ströme jener klebrig-süßen Flüssigkeit, die es überall zu kaufen gibt. Doch wir haben am Freitagabend auch gesehen: Bilder von den Demonstrationen, das brutale Eingreifen staatlicher Macht, dann, durch einem Filmschnitt getrennt, die andere Seite: sanfte Samba auf den Straßen, dann im Stadion ein gigantischer Ball, der zur Bühne wurde, auf der Claudia Leitte, der Rapper Pitbull und Jennifer Lopez gemeinsam den offiziellen WM - Song sangen: „We are one".

 

Eins sein: das ist eine Sehnsucht, die die Sprache des Glaubens kennt. Dieses Ich in Dir und Du in mir und das Herz, das deshalb unruhig ist, bis es...- ja wann. Sportsoziologen, die sich darin auskennen müssen, sprechen von einer „Entdifferenzierung", was nichts anderes meint als bei einem Sieg sich in den Armen liegen zu können. Oder genauso bei einer Niederlage. Sich also am Ende neu in der umgebenden Gemeinschaft zu verstehen, sich mit der Lachenden zu freuen und mit den Trauernden zu trauern. Natürlich: von hier aus lässt sich Fußball und Religion vergleichen. Hatte nicht bereits 1954 Herbert Zimmermann beim Endspiel von einem Fußballgott gesprochen? Aber, auch natürlich, hatte der Rundfunkreporter nur die schier unglaubliche Leistung des Toni Turek gemeint; Sport und Glaube nicht miteinander vermischt werden; weil das Natürliche etwas anderes ist als das ganz Andere, Unbedingte, das uns angeht und nicht loslässt.

 

Natürlich beten auch FußballspielerInnen. Aber das Fernsehen zeigte bis jetzt zum Glück (darf ich das so sagen?) zwar Spieler dankbar jubeln, von innen heraus, jedoch keinen beim Gebet. Denn dieses gehört in einen Raum, der das Persönliche schützt. Die Umkleidekabine genauso wie eine Kirche. Der Trainer Dieter Hecking erzählte einmal bei einer Talkshow, dass er Afrikaner und Südamerikaner in seiner Mannschaft danach gefragt hatte, warum sie vor einem Spiel beten. Es geht ihnen darum, Kraft zu haben für dieses Spiel, darum, dass niemand verletzt wird, der Gegner nicht und man selbst natürlich erst recht nicht". Zu beten heißt einfach: den Höchsten, den, der der Grund des Seins ist, für sich in Anspruch zu nehmen. Natürlich wissen oft „nicht, was wir beten sollen...Der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichen Seufzen" (Römer 8,26). Ob ich also darum beten kann, dass Deutschland ins Endspiel kommt? Die Sprache des Gebetes kann und darf das Unausgesprochene sich erlauben und im Offenen verbleiben. Sie kann aber auch in Worte münden, die nicht eigenen sind und deren zugrunde liegenden Erfahrungen ich nicht teile.

 

Der 118. Psalm enthält Worte des jüdischen Volkes, er knüpft dankbar an die Befreiung aus Ägypten an. Nie aber bin ich Sklave gewesen; er beschreibt die kultische Begehung des Tempels: nie aber werde ich durch jenes Tor schreiten, habe auch nicht das Laubhüttenfest begangen, weiß aber um die Faszination des Freien und wie der Rasen riecht, freue mich daran, wie Neymar am Freitag darüber getänzelt ist und den Ball hart am Innenposten ins Tor geschossen hat, freue mich erst recht über den Flugkopfball von Robin van Persie zum Ausgleich zum Ausgleich kurz vor der Halbzeit: kann mir genau vorstellen, wie das ist, gleichsam zu schweben, obwohl ich es nie gekonnt habe und erst recht niemals können werde. Trotzdem wird es im Moment zu Eigen, sodass ich wieder beim Fußball bin, aber die Sprache des Glaubens meine. Darf ich also versuchen, Worte aufzunehmen, die nicht die eigenen sind, um Eigenes zu sagen, nicht mir oder dir, sondern Ihm?

 

Dieser Psalm hatte für Martin Luther eine besondere Bedeutung. 1530, als in Augsburg der Reichstag tagte, um über das Protestantische Bekenntnis zu verhandeln, musste Luther, der seine Sache gern selbst vertreten hätte, gleichsam untätig auf der Veste Coburg verweilen, weil über ihn die Reichacht verhängt worden war. Wie gern wäre er dabei gewesen, um mit seinen Worten die Sache des Glaubens vor Kaiser und Fürsten zu vertreten, musste dieses aber jenem Gelehrten notgedrungen überlassen. Trotzdem schreibt Luther von innen aus dem fernen Coburg (stelle mir die Veste vor wie die Erfahrung im Studierzimmer auf der Wartburg) in alle Welt: „Darum hab ich mich zu meinem Reichtum gekeret Und meinen lieben Psalm für mich genommen das schöne Confitemini hab darüber meine Gedanken auffs papir gefasset weil ich hi jnn der Wuesten so muesig sitze/ Es ist mein Psalm, den ich lieb habe da er mir sonst widder Keiser/ Koenige/ weisen/ klugen/Heiligen hetten mögen helfen und ist mir lieber denn des Babst/ Tuercken, Keiser und aller Welt ehre/gut und gewalt"(Martin Luther, Das schöne Confitemini an der Zal der CXVIII Psalm, Wittemberg 1530, Vorrede, Universitäts- und Landesbiblothek Münster) . Nun gut: Martin Luther scheint seine Gegner zu gebrauchen, um sich selbst zu positionieren. Das müssen wir heute natürlich anders sehen, wenngleich ohne die konkurrierende Gegnerschaft nicht denkbar ist. Aber Fußball ist eben ein Spiel und nicht Abbild oder Idealbild des Zusammenlebens. Der Glaube ist jedoch kein Spiel, sondern es geht um den, der im Leben und Sterben allein Halt gibt: Denn hie sihestu/wie die rechte hand Gottes/das hertz auffricht/und mitten jm tode troestet/so mechtiglich/das es kann sagen/Vnd wenn ich gleich sterbe/so sterbe ich dennoch nicht/Wenn ich gleich leide/so leide ich doch nicht/Wenn ich gleich falle/so lige ich doch nicht darnider mit schanden etc/Das ist der Trost" (ebd. S.77). Dieser Trost allein gibt den Mut, gegen die Mächte der Zeit zu stehen. Und dieses wird so weitergegeben, indem es gesungen. Von Innen heraus nach draußen, in die ganze Welt. Eine Rede erlaubt das Erwägen und Bedenken, sogar das Stocken und Abbrechen. Das Singen jedoch führt die Gedanken zusammen und lässt in Fluss. Das Singen lässt erklingen und die Resonanz spüren, ohne dass etwas zu sehen ist. Es lässt die gemeinsame Erfahrung zu, verbleibt im Gehörten und seiner Offenheit. Geschriebenes kannst du wegpacken, gegebenenfalls wieder hervorholen und dich so seiner bemächtigen. Gesungenes verbleibt hingegen im unsichtbaren Klang. Einmal gehört, kann das Lied prinzipiell wiedergegeben werden und ereignet sich neu: als Klang. So ist die Sprache des Glaubens nicht die logische Beweisführung oder die emphatische Entgegnung, sondern das Lied selbst. „So hat Mose gesungen mit den kindern Israel...So hoere ich auch in ihren huetten eine solche stimme von freuden, das ist ein froelich gesang vnd lied vom heil vn sieg, wie ihn Got hilfft, das wir gleich mitsingen, loben und dancken vber ein stimmen, gleich wie wir auch im glauben vnd trawen gegen einerley Gott eintrechtig vnd im Leiden auch aller dinge gleich sind"(ebd.68). Und was wird gesungen?

 

Man singt mit Freuden vom Sieg / in den Hütten der Gerechten: Die Rechte des HERRN behält den Sieg! (Psalm 118,15)

Natürlich: In Sao Paulo wurde am Freitag gesungen, in jenem Stadion, bei dessen Bau zwei Arbeiter ihr Leben verloren haben. Ich habe keine Samba gehört. Wohl aber, wie die Kroaten, Hand aufs Herz, ihre schöne Heimat besungen hatten. Und wie die brasilianischen Fußballer gesungen haben, laut und von innen heraus, zusammen mit denen im Stadion. Als die begleitende Musik aufhörte, sangen sie einfach weiter, immer noch laut und mit schiefen Tönen, wenn überhaupt, aber mit allen zusammen. Weil es denen da drinnen um die da draußen ging, um die, die auf den Straßen die Verschwendung der neuen Stadien kritisieren und die Gelder für Sozialprogramme und Bildung einfordern. Nein, vom Sieg wurde nicht gesungen. Wie denn auch, wenn Kinder auf den Müllkippen nach Verwertbarem suchen müssen und Agrarfirmen Landlose auf die Straßen drängen. Die FIFA aber mit Firmen verdient. Die Brüder und Schwestern haben gesungen, weil die Gerechtigkeit aussteht. Und dieses Lied wird niemals verstummen, sondern es wird um die Welt um die Welt gehen, bis wir eins sind und die Rechte des Herrn den Sieg behält. Und dieses Lied schließt dann mit Amen.



Pastor i.R. Wolfgang Petrak
Göttingen

E-Mail: w.petrak@gmx.de

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