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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Fußball-Weltmeisterschaft, 2014

Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014, verfasst von Thies Gundlach

Predigttext Matthäus 26,6 - 13  

 

Liebe Gemeinde,

Mir gibt ein wenig Orientierung eine Geschichte aus der Passion Jesu, die vermutlich noch nie im Zusammenhang mit einer Fußballpredigt zitiert wurde, die ich aber doch sehr geeignet finde; es ist die Geschichte von der Salbung Jesu aus dem Matthäus-Evangelium:

„Als nun Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen, 7 trat zu ihm eine Frau, die hatte ein Glas mit kostbarem Salböl und goss es auf sein Haupt, als er zu Tisch saß. 8 Als das die Jünger sahen, wurden sie unwillig und sprachen: Wozu diese Vergeudung? 9 Es hätte teuer verkauft und das Geld den Armen gegeben werden können. 10 Als Jesus das merkte, sprach er zu ihnen: Was betrübt ihr die Frau? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 11 Denn Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit. 12 Dass sie das Öl auf meinen Leib gegossen hat, das hat sie für mein Begräbnis getan. 13 Wahrlich, ich sage euch: Wo dies Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat."

Wer wohl die Frage nach dem teuren Öl gestellt hat, das man den Armen hätte geben sollen? Judas vielleicht, der ihn verriet? Oder Petrus, der sich nicht zu ihm bekannte? Oder einer von den Hinterbänklern, die sonst still sind, aber wenn es um Geld geht, dann laut werden? Wie auch immer, es ist dieses große Verschenken, dieses wundersame Verschwenden von Wertvollem, das Jesus verteidigt, er jedenfalls hat einen Sinn fürs Übertreiben im Guten. 

"Arme habt ihr allezeit bei euch", sagt Jesus weiter und weist damit alle kleinen Rechner und großen Krämerseelen ab. Lasst die Frau mich feiern, lasst sie doch mir etwas Gutes tun, lasst sie sich verschenken in diesem einen Moment, lasst sie gegenwärtig sein, ganz in dem Augenblick des Gebens, den Staunens, des Achtens auf mich. Natürlich, wenn man von außen zuschaut, wenn man unbeteiligt ist, dann ist das Verschenken und Verschleudern von so viel wertvollem Öl unverständlich. Man hat die Weltprobleme im Blick, sieht auf das große Ganze und weiß um die Pflicht und Schuldigkeit, anderen zu helfen.

Wer auch immer gefragt hat, die Frage ist ja mehr als berechtigt, sie hat einen wichtigen, wertvollen Punkt getroffen, wir alle sind zu Solidarität und Nächstenliebe verpflichtet. Und - im Unterschied zur FIFA - die Fragenden wollen kein Geld für sich oder persönlichen Vorteile, sondern für die Armen.

 

Natürlich, Fußball kann zwar auch mitunter eine Passion, ein Leiden, sein, aber im Kern ist der Fußball nicht heilig! Fußball ist eine Sportart, die auf der Erde gespielt wird, deren Ergebnisse keinen heilig machen und - auch wenn dies manchen enttäuschen wird - es gibt auch keinen Gott, der Tore ermöglicht oder verhindert. Fußball ist Leben, sehr dichtes Leben, ein „starkes Stück Leben", aber es ist lediglich deswegen mehr als Handball, Golf oder Schwimmen, weil es mehr Menschen begeistert. Fußball ist, wenn 50.000 oder 60.000 Menschen den Nachnamen eines Spielers rufen können, von dem andere noch nie etwas gehört haben. Fußball ist, wenn Tausende von Jugendliche mit dem richtigen Ton das Fanlied anstimmen können. Fußball ist, wenn es Millionen Bundestrainer und mittlerweile Trainerinnen an den Fensehschirmen gibt, die es irgendwie alle besser könnten als die auf dem Platz. Fußball ist jenes einzigartige Verzweiflungsraunen, das bei einer vergebenen 100% Chance entsteht. Fußball ist unverdienter Siegestaumel, weil man selbst ja seiner siegreichen Mannschaft doch im Kern nur zugeschaut hat. Fußball ist tapferes Mitleiden mit seiner Mannschaft, die objektiv den Anforderungen nicht gewachsen ist. Fußball ist ein Sonnabend bei strömenden Regen einem mittelmäßigen Kick zuschauen oder bei sportlicher klarer Überlegenheit das Mitzählen von regelmäßig fallenden Toren. Fußball, ein starkes Stück Leben, keine Frage, es gibt kaum einen Bereich unseres Lebens, der so viele Emotionen bei so vielen Menschen gleichzeitigt freisetzt, soviel „überfließenden Himmel", wie R.M. Rilke sagen würde.

 Es gibt aber eine Dimension im Fußball, die man auch an anderen Stellen des Lebens entdecken und erleben kann, die sich nicht zwingend in den Gesängen oder im Leid der Fans spiegeln, sondern im Geschehen selbst. Fußball hat mitunter eine faszinierende Dichte, sodass sie in einzelnen, seltenen Momenten den Himmel doch etwas näher kommen lässt als das schlichte Spielen. Wenn einem Spieler etwas glückt, was mehr ist als eingeübte Technik, wenn einer Mannschaft ein so überraschender wie schöner Spielzug gelingt, wenn die Parade des Torwarts geradezu unmöglich erscheint, wenn der Freistoß in einer unerreichbaren Genauigkeit geschossen wird, dass selbst die Gegenspieler für einen kleinen Moment andächtig verharren, dann zeigt Fußball etwas, was es auch sonst nur selten gibt: eine Vollendung mitten in einer ansonsten unfertigen oder - die Alten hätten gesagt - unerlösten Welt.  Manchmal ahnt man auch im Fußball das Abbild einer Vollkommenheit, die an sich Gott vorbehalten ist. Wenn die Alten in ihrer Theologie lehrten, dass Gott der Inbegriff von Schönheit und Vollendung ist, dann kann es Fußballspiele geben, die das wieder einmal in Erinnerung rufen.

Oder umgekehrt: Wenn du erklären willst, warum Gott nicht nur der Schöpfer und Erhalter der Welt ist, sondern auch sein Vollender, dann erzähle von diesem oder jenem Spielzug, der so gelungen und leicht aussah, dass nur ein Jenseits aller Übung und Technik so etwas zustande bringt. Ich habe deswegen immer Verständnis dafür gehabt, dass die Spieler sich nach einem erfolgreichen Torschuss bekreuzigen, sie erinnern sich selbst und den Zuschauer daran, dass das wirklich Gelungene keineswegs allein auf der eigenen Leistung beruht.

Im Grunde bin ich davon überzeugt, dass man auf diese Weise die ganze Dogmatik der christlichen Kirche am Beispiel besonderer Fußballgeschehnisse erläutern kann; z.B. heißt es - zum Kummer der jeweils benachteiligten Mannschaften -  der Schiedsrichter fälle „Tatsachenentscheidungen"; das heißt nun in keinem Fall, dass der Schiedsrichter aufgrund von Tatsachen entscheidet, sondern dass seine Entscheidung eine Tatsache ist. Wie viel Ungerechtigkeit, Zufälligkeit, oft auch Banalität steckt also in Sieg oder Niederlage. Natürlich gibt es leider auch Korruption und gekaufte Schiedsrichter, aber im Regelfall kann man an diesen Tatsachenentscheidungen lernen, dass es keineswegs immer tiefsinnige Zusammenhänge oder hintergründige Verschwörungen sind, die einen um Sieg und Anerkennung bringen, sondern oft sind es auch Banalitäten, die man dann eben auch bewältigen und akzeptieren muss.  Oder man muss eben auch wahrnehmen, dass man „...ohn all Verdienst und Würdigkeit" - wie es die Alten mit dem Blick auf das Gerechtsein vor Gott formulierten - in der 1. Bundesliga bleibt, wie jetzt der HSV, der ja mit der allerkleinsten Siegmöglichkeit die Klasse geschafft hat. Oder jene wunderbare, wenn auch zweifellos recht seltene Erfahrung, dass es keineswegs automatisch und verlässlich die teuer zusammengekauften Mannschaften sind, die den Sieg davon tragen, sondern die kleineren, aber motivierten, kämpfenden Teams, die als Sieger vom Platz gehen. „Geld schießt Tore", sagt man, stimmt oft auch, aber eben nicht immer und überall, weil es ohne Leidenschaft eben auch nicht geht.  

Ich glaube, es ist das Leben selbst, eingespannt zwischen 90 Minuten und vier Pfosten, das sich auf dem Platz ereignet, und weil es so viel Leben ist, sind auch die Bilder für Gottes Tun und Lassen nicht weit. Denn Gott ist ein Gott des Lebens, er schießt zwar keine Tore, er verhindert auch keinen Abstieg, aber er ist nahe all denen, die sich verausgaben, die sich einlassen auf eine Freundschaft, eine Treue, eine Solidarität mit einem Spiel, das eben zuletzt doch nicht rational aufgeht, das nicht berechenbar ist, dass nicht kalkulierbar und kaufbar ist, so wie der Glaube und Liebe und die Hoffnung auch nicht. Insofern ist jener brave Satz, es solle doch in der WM 2014 die bessere Mannschaft gewinnen, viel zu distanziert und unbeteiligt. Es wird die Mannschaft gewinnen, die etwas besser diese unberechenbare Mischung aus Glück und Können auf sich vereint,  aber gewinnen soll natürlich die deutsche Mannschaft.

Amen 



Dr. Thies Gundlach
Hannover
E-Mail: thies.gundlach@ekd.de

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