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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Fußball-Weltmeisterschaft, 2014

Halte fest, was du hast, verfasst von Stefan Knobloch

Predigttext: Apk 3,11

 

 

Ein offensichtlich nicht ohne Bedacht aus der Offenbarung des Johannes herausgepickter Schrifttext soll heute unsere Gedanken leiten. Es ist der Satz: „Ich komme bald. Halte fest, was du hast, damit kein anderer deinen Kranz bekommt."


Aus jedem Zusammenhang gerissen gibt der Satz uns nur Rätsel auf. Es sei denn, wir nehmen die Witterung auf, ihn in einen Zusammenhang mit einem Ereignis zu bringen, das gegenwärtig in Brasilien läuft: mit der Fußball-WM dort. Eine fromme Seele könnte sich darüber entsetzen. Nicht doch! So dürfe man mit Schrifttexten nicht umgehen! So entwerte man sie!


In der Tat träfe das zu, wenn wir uns dazu verleiten ließen, den Text ausschließlich auf die WM zu beziehen und sozusagen dann diesmal nicht, wie man sagt, „Tomaten", sondern Fußbälle auf den Augen zu haben. Dieser Versuchung wollen wir nicht erliegen. Wir wissen also, dass es in Apk 3,11 um existentiell Wichtigeres als um Fußball geht. Gleichwohl hat es einen Reiz, die derzeitige WM für einen Moment nicht einfach außen vor zu lassen.


Die Aufforderung in Apk 3,11, festzuhalten, was man hat, damit kein anderer deinen Kranz bekommt, lässt sich auf die Wettkampfsituation der WM deuten. Nur einer wird schließlich gewinnen, eine der Mannschaften, und in dieser Mannschaft dann gleich eine ganze Nation. Am 13. Juli wissen wir, wer das sein wird. Und schon hat sich herausgestellt, wie schwer es fällt bzw. wie wenig selbstverständlich es ist, das, was man hat, einen Titel, eine Trophäe, zu behalten. Um ihn, um sie wird alle vier Jahre gekämpft. Vor vier Jahren in Südafrika, heute in Brasilien. Und der Weltmeister von vor vier Jahren scheiterte in diesen Tagen schon und musste frühzeitig die Heimreise antreten.


Was macht die Faszination einer WM aus? Die Faszination, den Titel zu holen? Was macht die weltweite Aufmerksamkeit, ja die weltweite Begeisterung aus?


Da spielt vieles zusammen. Da ist zunächst die Vermittlung der Spiele durch die Medien. Schon im langen Vorfeld, bis sich 32 Nationalmannschaften überhaupt für die Teilnahme an der WM qualifiziert haben. Dann das Ereignis in Brasilien selbst. Die Begeisterung und der Hype, sind durchaus medial beeinflusst. Vor- und Nachberichte zu den Spielen, „slow motions" entscheidender Spielszenen werden wiederholt und von den Fachkommentatoren analysiert. Am Tag danach die Wertungen und Kommentare in den Zeitungen. Das alles erzeugt eine kollektive Konzentration auf das WM-Ereignis. Man denke nur an das Mitbangen, Mitleiden mit der eigenen Mannschaft und an den Jubel, wenn „erlösende" Tore fallen. Jubel in den Stadien, Jubel beim Public Viewing. All das erzeugt ein ereignisbezogenes Gemeinschaftsgefühl, von dem sich mancher wünschte, festhalten zu können, was man hat (vgl. Apk 3,11).


Damit ist gleichzeitig eine Gefahr verbunden. So verständlich es ist, unter dem Eindruck der fiebernden Begeisterung vorübergehend den Alltag zu vergessen, so bedenklich wird es, wenn dadurch aus dem Blick gerät, was sonst noch in der Welt los ist. Es ist bezeichnend genug, dass sich Tagesschau, Tagesthemen, heute-journal in der Halbzeitpause der Spiele zu verkürzten Ausgaben gezwungen sehen. Und die Moderatoren relativieren die übermittelten Nachrichten noch, indem sie am Ende viel Spaß für die zweite Halbzeit wünschen. So treten besorgniserregende Ereignisse wie die Aktivitäten der sunnitischen Terrorgruppe „Islamischer Staat im Irak und in (Groß-)Syrien" (Isis) oder der islamistischen Sekte Boko Haram im Norden Nigerias in den Hintergrund. Vom Syrienkonflikt um Assad und vom Konflikt in der Ostukraine ganz zu schweigen.


Nun dürfen wir freilich nicht nur Wasser in den Wein der WM-Begeisterung schütten. Denn in dieser Begeisterung erkenne ich etwas, was uns an Apk 3,11 heranführt. Ist es nicht berechtigt, bei allen Bedenken, in der Begeisterung für die WM - wie für ähnliche Großereignisse - eine stille latente offene und unbefriedigte Sehnsucht nach dem wiederzuerkennen, wovon Apk 3,11 spricht? Nämlich die Sehnsucht, nach etwas - nach einem Kranz -, der unverlierbar ist? Mein Ausgriff mag gewagt erscheinen. Aber bedenken wir ihn für einen Moment.


Dazu müssen wir uns kurz der Offenbarung des Johannes zuwenden. Johannes, der Seher, ist Zeuge einer Vision des Gottessohnes, der seine Botschaften an sieben Gemeinden Kleinasiens aussendet. Die sechste dieser Gemeinden ist Philadelphia. Das antike Philadelphia in Kleinasien, nicht das moderne Philadelphia in Pennsylvanien. Die Gemeinde erhält viel Lob. Sie hat an der Botschaft Jesu festgehalten, hat seinen Namen, das heißt, seine Person und seine Sendung, nicht verleugnet. Anlass dazu hätte es gegeben. Lügner, Verführer waren aufgetreten, um die Menschen vom rechten Weg abzubringen. „Du (aber) hast dich an mein Gebot gehalten, standhaft zu bleiben." Das meint mehr und etwas anderes als die Belobigung einer moralischen Haltung. Das lobt die Standhaftigkeit darin, zu glauben, dass sich in Jesus Gottes Liebe, seine absolute Güte und Nähe Bahn gebrochen haben, auf die wir Menschen bauen, auf die wir vertrauen dürfen. Eine Wirklichkeit, die unser Leben trägt, auch wenn sie unseren empirischen Messungen nicht einfach zugänglich ist.


Philadelphia ist in der Situation, in der Spannung der Hoffnung und fester Glaubensgewissheit, was etwas anderes ist als Wissen. Philadelphia ist in der Situation einer spannungsreichen Sehnsucht, an der für uns deutlich werden kann, dass die Menschen auf mehr angelegt sind als auf die Selbsterfüllung ihrer Wünsche. Konkret zum Beispiel auf mehr angelegt sind als auf den Titelgewinn einer WM.


Halte fest, was du hast, sagt Apk 3,11. Das ist ein allgemeiner Appel an uns, zu realisieren, wovon wir tatsächlich leben. Von welchen Hoffnungen. Von welchen Wünschen. Sie enthalten einen Mehrwert, den wir nicht genau benennen können. Ein Mehrwert, der über unsere Vorstellungen hinausdrängt, hinausweist. Dieser Mehrwert ist dabei kein Produkt unserer Phantasie. Er ist keine Illusion, die am Ende wie eine Seifenblase zerplatzt. Er findet sich mitten unter den Menschen. Um es mit ähnlichen Worten von Papst Franziskus, in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium (EG), zu sagen: Wir müssen mit einem Blick des Glaubens Gott entdecken, „der in ihren (sc. der Menschen) Häusern, auf ihren Straßen und auf ihren Plätzen wohnt [...] Diese Gegenwart muss nicht hergestellt, sondern entdeckt, enthüllt werden. Gott verbirgt sich nicht vor denen, die ihn mit ehrlichem Herzen suchen, auch wenn sie das tastend, auf unsichere und weitschweifige Weise tun" (EG 71).


Auf tastende, unsichere und vielleicht weitschweifige Weise an dem festzuhalten, was wir haben, uns an dem zu vergewissern, was wir irgendwie schon haben, das ist die Einladung aus Apk 3,11 an uns. Halte fest, was du hast.

 



Prof. em. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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