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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Fußball-Weltmeisterschaft, 2014

Fußball geht unter die Haut, verfasst von Alfred Buß

 Predigttext: 1. Korinther 9, 23+24

Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben. Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis. Lauf so, dass ihr ihn erlangt (V 25 Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene aber, dami sie einen vergänglichen Preis empfangen, wir aber einen unvergänglichen.)

Liturgischer Gruß und Anrede

I

Anfang der 90er Jahre spielte ich - ab und an - bei Benefizspielen mit. Als Fußball-Torwart. Frühere Bundesliga-Stars lockten dabei die Zuschauer. So auch Reinhold Wosab, in den 60ern bei der Dortmunder Borussia ein großer Name. Unter all den Prominenten war ich ein Nobody. Deshalb hieß ich schlicht „Torwart". Und die Parole der Könner hieß: „Hinten dicht machen". Sie stachelten mich an: „Dein Ball, Torwart!" Ihre Appelle klangen nach Bangen und Hoffen. Sie forderten meinen ganzen Einsatz: „Torwart!"

Doch plötzlich kam Wosab zu mir gelaufen. Gerade hatte ich einen Ball ganz gut entschärft, nach ein paar anderen gelungenen Szenen. Kam zu mir und fragte: „Sag mal, wie heißt Du?"

„Wie heißt du?" Ich lernte in einem Augenblick: Einen Namen musst du dir erst machen. Durch Leistung. Davon träumen viele. Die Sportwelt ist voll davon. Wer will schon ein Nobody sein? Für Leistungsportlerinnen und -sportler ist der eigene Ruhm ein Lebenstraum. Dafür schinden sie sich und verzichten auf vieles. Mit dem Siegeskranz als Lohn. Der lässt sich dann noch trefflich versilbern.

Paulus scheint die Welt des Sports zu kennen. Und ihre Gesetze. Weit vor unserem Medienzeitalter. Schon in der Antike. Er schreibt an Menschen in Korinth. Und weiß: denen steht die Wettkampfarena buchstäblich vor Augen, mitten in ihrer Stadt.

Paulus zieht einen Vergleich. Wie in der Arena, so ist es auch im christlichen Glauben: „Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt!"

Was schreibt der Apostel da? Ein befremdendes Bild! Geht's denn auch im Glauben um Stärke und Schnelligkeit? Kommt's für Christen darauf an, andere auf die Plätze zu verweisen? Ist es ihr Ziel, oben auf dem Treppchen zu posieren mit einem Siegeskränzchen?

„Das sei ferne!" - würde Paulus wohl selber dazu sagen. Schärft doch gerade er den Korinthern immer wieder das Gegenteil ein: „Was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist" (1. Kor. 1,27). Und: Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne (1.Kor.9,22). Dass Starke und Schwache sich gegenseitig tragen und nicht auf die Plätze verweisen sollen, hat er soeben noch ausgeführt.

Deshalb verwirrt sein Vergleich. Hat der Apostel sich in dem Sport-Bild buchstäblich selber verrannt?

Das Siegeskränzchen begegnete mir vor ein paar Wochen auf meiner Radtour in einem ganz anderen Zusammenhang: In einer Dorkirche fand sich ein Taufengel. Solche Taufengel schweben an einem Seil von der Decke herab und halten die Taufschale in der Hand. So auch hier. Doch dieser Engel reckte die andere Hand empor und hielt darin - einen Siegeskranz!

In einem Augenblick ging mir auf: Der Engel reicht den Siegeskranz schon zur Taufe. Ganz am Anfang. Nicht erst am Ende des Laufes. In der Taufe wird einem Menschen zugesagt: du gehörst zu Christus. Ganz. Mit Haut und Haar. Im Leben und im Sterben. Christus hat den Siegeskranz längst gewonnen für dich. Den Sieg über Tod, Teufel und Hölle. Die haben ihren Stachel verloren - im Leib des Gekreuzigten.

Das ist wohl der eine Vergleichspunkt bei Paulus: den Sportlern in der Arena ist der Siegeskranz so viel Verzicht, Mühe und Schweiß wert, obwohl der vergänglich ist. Wieviel mehr ist euch Christen in Korinth der Siegeskranz Christi wert, der unvergänglich ist!

Der Engel überreicht das Siegeskränzchen vielen. Ohne Vorbehalte. Taufe ist voraussetzungslos: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, schreibt Paulus an die Galater (3,28), denn ihr seid alle einer in Christus Jesus.

Das ist wohl der andere Vergleichspunkt des Apostels zwischen Arena und Glauben:

Die Taufe ist zwar voraussetzungslos. Aber die Taufe ist nicht folgenlos im Lebens-Lauf. Das Siegeskränzchen lädt nicht dazu ein, von nun an auf der Zuschauertribüne des Lebens zu sitzen. Selber laufen ist angesagt. Sich einmischen. Sich auseinandersetzen. Mitten im Wechselspiel des Lebens. Mit dem unvergänglichen Siegeskranz im Rücken. Gottes Heilswille gilt der ganzen Welt. Das muss alle Welt erfahren.

Viele Sportler scheinen darum zu wissen. Bei der WM in Brasilien fällt ins Auge, wie viele Spieler sich bekreuzigen „auf der Schwelle" - beim Betreten und Verlassen des Spielfeldes. Ist das ein Zeichen für die tief verankerte Gewissheit: Ich bin getauft? Ich hab' schon einen Namen, unvergänglich. Den kann mir keiner nehmen. Ob den Sportlern das hilft, auf dem Boden zu bleiben? Und mancher Verlockung der Glitzer- und Medienwelt zu widerstehen - den Verlockungen vergänglichen Ruhms?

Der Trainer und Protestant Jürgen Klopp (Borussia Dortmund) schreibt: „Für mich ist der Glaube an Gott wie ein Fixstern, der immer da ist. Ein treuer Begleiter, der dir oft genau dann Kraft schenkt, wenn du gar nicht mehr damit rechnest. Aber auch ein starker Rückhalt, der mir die nötige Lockerheit gibt, mit einem Lächeln durchs Leben zu gehen, und dem nötigen Vertrauen, dass der "da oben" schon alles richtig macht... Es gibt zwar keinen Fußball-Gott, aber ich glaube, dass es einen Gott gibt, der uns Menschen liebt, genauso wie wir sind, mit all unseren Macken, und deswegen glaube ich, dass er auch den Fußball liebt! Nur: Die Kiste müssen wir schon selber treffen." (Quelle Saints of Football - www.Fussball-Gott.com)

 

II

Die Kiste müssen wir schon selber treffen. Und: es gibt keinen Fußball-Gott. Wohltuend nüchtern unterscheidet Klopp zwischen Fußball und Glauben. Fußball hat viele religiöse Anklänge, zweifellos: Mit feierlichem Einzug, antiphonalen Gesängen, liturgischer Fankleidung, Fahnen statt Tragekreuz, Reliquien, Devotionalienhandel und vielem mehr - und ist doch keine Religion.

Im Fußball gibt es viele religiös anmutende Rituale und Erscheinungen - aber sie bleiben ohne Bezug zum lebendigen Gott. So ist Fußball noch nicht einmal Ersatzreligion. Bestenfalls Religionsersatz.

Und doch ist das Fußballspiel ein Eldorado für die Wechselfälle des Lebens, ein treffliches Gleichnis für des Lebens Lauf. Hätte Paulus schon den Fußball gekannt - hier hätte er reichlich Bilder gefunden für den Lauf des Evangeliums in der Welt, für das Einmischen des Glaubens in ganz alltägliche Lebensbezüge.

Im Fußball zieht nicht jeder nur für sich seine Kreise - auf das Zusammenspiel kommt es an. Mit einem eigensinnigen Ball als Spielgerät. Allein grobmotorisch agierende Körperteile dürfen den Ball berühren - Füße, Kopf und Rumpf. Solches Geschehen tendiert naturgemäß zum Chaos, soll aber in ein absichtsvolles Tun verwandelt werden. Unter Beteiligung gegnerischer Spieler, die ein konstruktives Spiel just zu verhindern trachten - mit erlaubten und auch unerlaubten Mitteln. Und die auf Durchsetzung ihrer eigenen Absichten und Ziele aus sind.

Es mögen viel Geld, Taktik und Trainingswissenschaft im Spiel sein - zweifelsohne. Dennoch bleibt Fußball ein Triumph des Unvorhersagbaren. Er verlangt ständiges Reagieren auf Unberechenbares, auf Risiken, Zufälligkeiten, offene Situationen und sich ergebende Möglichkeiten. Die Spieler laufen ins Abseits, foulen und werden gefoult, täuschen an, tricksen und werden ausgetrickst. Der Ball wird filigran gestreichelt und grob weggedroschen, wird gepasst und geflankt, abgefälscht, geblockt oder abgefangen. Und doch führt er ein Eigenleben: prallt zurück von Latte und Pfosten, kullert von dort wieder ins Feld oder doch ins Tor, verspringt ins Aus oder als Querschläger ins Nirgendwo.

Fußball ist ständige Entscheidung über Laufbahnen, buchstäblich und im bildlichen Sinne. In Deckung bleiben oder stürmen? Abspielen oder Egoist sein? Den Weg über links, rechts oder durch die Mitte suchen? Mit solchen Entscheidungen quälen wir uns ein Leben lang. Auch in Lebensläufen passt und geht meist nur wenig zusammen. Auf dem Platz aber kriegt jeder mit dem Schlusspfiff das Ergebnis allen Tuns.

Vielleicht liegt im Lebensnahen ein Schlüssel dafür, dass Fußball vielen derart unter die Haut geht. Wahrscheinlich deshalb weckt er so große Emotionen und springt sein Funke weltweit über auf große Massen. In der Unberechenbarkeit des Geschehens erkennen sich die Menschen wieder und ihres Lebens Lauf - im dauernder Suche und Ringen um einen roten Faden.

Johan Cruijff - niederländischer Weltfußballer und -trainer - verdichtet die Gemeinsamkeit von Fußball und Leben auf einen Punkt. Er spricht vom dem „gegeven moment". Auf ihn kommt es an - hier wie dort.

Den gegeven moment - so Cruijff - kann ein Mensch nicht einfach „machen" - weder im Fußball noch sonst im Leben. Viele Gegebenheiten müssen zusammenkommen und -passen für den gegeven moment. Niemand kann ihn einfach herbeiführen. Und ist er da, bleibt noch offen, ob er ergriffen oder verstolpert wird, genutzt oder vertan. Freilich wird von den Akteuren erwartet, ihn mit aller Kraft zu ergreifen. Darin werden Paulus und Cruijff übereinstimmen: Nicht auf den Zuschauerrängen hocken bleiben. Sich einmischen! Vielleicht geht die Übereinstimmung noch weiter: In Cruiffs gegeven moment klingt an, was Paulus Gnade nennt. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, schreibt Paulus an die Korinther (15,10). Und Cruijff vertraut darauf: ein verstolperter gegeven moment ist nicht das Ende aller gegeven momente. Es wird eine neue Chance geben.

 

III

Doch was ist mit den anderen Momenten? Die nicht von Erfolg oder Neuanfang gekrönt sind, sondern von Niederlage und Scheitern. Momente, die nachhallen ein Leben lang. „Und ewig fällt das Wembley-Tor". So heißt die Biografie des deutschen WM-Endspiel-Torwarts von 1966, Hans Tilkowski. England wurde damals Weltmeister - dank des legendären Wembley-Tores. Ein Lattentreffer. Aber wohin sprang dann der Ball? Vor die Torlinie oder dahinter?

Herr Tilkowski, wo ich sie gerade sehe, ich hab' da mal eine Frage. Diese Szene ist für den Wembley-Torwart Alltag bis heute - seit beinahe 50 Jahren. Tilkowski antwortet darauf regelmässig, noch bevor die Frage ganz ausgesprochen ist: „Der war nicht drin." Und ewig fällt das Wembley-Tor. Eine nette Fußball-Anekdote. Darüber kann man schmunzeln.

Doch dann begleitete Hans Tilkowski mich in den Knast, zum Gespräch mit den Gefangenen und zur Andacht. Unter der Frage: „...wenn ein einziger Moment das ganze Leben bestimmt". Einer der Gefangenen war Augenzeuge gewesen, damals in Wembley. Doch viel wichtiger wurden jetzt die entscheidenden Weggabelungen im Leben der Gefangenen, die Momente von Versagen, Scheitern, Schuldigwerden... Momente, die nachhallen ein Leben lang.

Lange nachhallende Momente kennt auch manche Sportlerin und mancher Sportler. Die vertane Chance und den Leistungsknick, den körperlichen oder seelischen burn-out, die nicht mehr ausheilende Verletzung, den einen Tritt, der das Ende der Karriere bedeutete. Der Medien-hype WM vergottet Sieger. Aber Verlierer sind schnell vergessen (wie z.B. die Nationalspiele Robert Enke oder Sebastian Deisler. Selbst um Marco Reus, nominiert für die WM und unmittelbar zuvor schwer verletzt, ist es jetzt still geworden).

Siegeskränze verwelken schnell. Wie damit fertig werden? Können Erfahrungen des Scheiterns auch ein gegeven moment sein? Gar Zeiten der Gnade?

Paulus hat das so erlebt. Er erzählt davon im seinem anderen Brief an die Korinther (2.Kor.12,7ff). Drei Mal hat er den Herrn gebeten, ihn von seinem Leiden, das er wie einen „Pfahl im Fleisch" erlebt, zu befreien. Vom „Engel des Satans" fühlt er sich „mit Fäusten geschlagen". Wie ist die Antwort? „Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen. Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." Diesen Satz konnte ihm nur Christus sagen. Aber kein Siegertyp schulterklopfend-gönnerhaft von oben herab.

Gottes Siege werden nicht auf olympischen Treppchen errungen - sondern unten, ganz unten. Gott siegt im Zeichen des Kreuzes - dem Zeichen tiefster menschlicher Ohnmacht und Verlassenheit. Christus überwindet das Leid, indem er mitleidet.

In der Taufe wird einem Menschen zugesagt: du gehörst zu Christus. Ganz und gar. Mit Haut und Haar. Im Leben und im Sterben. Christus hat den unvergänglichen Siegeskranz längst gewonnen für dich.

Wer diesen gegeven moment an sich erfährt, der wird nicht auf den Zuschauerrängen des Lebens hocken bleiben, sondern loslaufen, um aller Welt zu sagen: Der Herr hat Großes an mir getan. Mit den Worten des Apostels: Alles aber tu ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben. Amen

 



Pfarrer i.R. Alfred Buß
59425 Unna
E-Mail: abuss47@gmail.com

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