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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Fußball-Weltmeisterschaft, 2014

Von wichtigen und den nicht ganz so wichtigen Dingen; von Vorletztem und Letztem, verfasst von Uland Spahlinger

Predigttext: 1. Korinther 9, 24-27+23

 

24 Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt.

25 Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen.

26 Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt,

27 sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.

(23 Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.)

 

Liebe Gemeinde,

ein Kennzeichen von uns Protestanten ist, dass wir unser Bekenntnis ernstnehmen. Also hier ein Bekenntnis von mir: Ich bin ein Schalker. Sie müssen nicht erschrecken: das ist keine theologische Aussage. Aber wenn es um Fußball geht, habe ich mich festgelegt - schon vor vielen Jahren. Wo ich groß geworden bin, hatte man als Schüler eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder man war Borusse oder eben Schalker. Preußen Münster war nicht mehr als eine lokale Größe. Und Dortmund - das ging damals überhaupt nicht. Die Farben stimmten nicht, die Gesänge stimmten nicht. Nichts war richtig. Wir waren ziemliche Fundamentalisten damals. „Nicht der Bessere soll gewinnen, sondern Schalke 04," habe ich einmal auf einem Aufkleber gelesen. Genau, habe ich gedacht.

 

Das Thema hieß ja nicht: ästhetischer oder athletischer Fußball - das Thema hieß: Identifikation. Damals wie heute. Inzwischen lebe ich in Westmittelfranken, und zum Ende der vergangenen Bundesligasaison fuhr ich in einem Dorf öfters an einem Fahnenmast vorbei mit einer großen Fahne des 1. FC Nürnberg. Wochen vor dem letzten Spieltag war diese Fahne auf Halbmast gesetzt. Da trug einer Trauer - er hatte die Hoffnung aufgegeben. Andere kleben ganz trotzig einen Schriftzug auf ihr Auto: „1. FC Nürnberg - ich bereue diese Liebe nicht."

 

Identifikation: der Erfolg meiner Mannschaft wird mein Erfolg, ihre Niederlage wird meine Niederlage. Wird meine Mannschaft vom Schiedsrichter schlecht behandelt oder von gegnerischen Fans verspottet oder von der Presse kritisiert, dann fühle ich mich persönlich angegriffen. Die Grenzen zwischen meinem Leben und dem Erfolg oder Misserfolg des Teams werden fließend - dann jedenfalls, wenn ich ein echter Fan bin. Dann kenne ich die Gesänge, ich weiß, wann ich aufstehen muss, wenn ich ein Schalker oder ein Bayer bin. Mannschaftsaufstellung, die Taktik, die Stärken und Schwächen: alles kenne ich so gut wie der Trainer und sein Team, vielleicht sogar etwas besser. Das „Gebetbuch" ist mir vertraut. Ja, ich werde mit meinem Verein größer als ich selbst bin: Einmal ein Schalker, immer ein Schalker. Siege für die Ewigkeit. „FC Bayern, Stern des Südens" - im katholischen Bayern mag da der Hymnus von der „stella maris", vom Meeresstern, im Hintergrund stehen: „stella maris" ist ein Bild für Maria. Eine Vermutung.

 

Jedenfalls: die Ewigkeit spielt schon eine Rolle, gerade in diesen Tagen, zum Ende der WM in Brasilien: angefangen bei den Überraschungsteams, die keiner auf dem Schirm hatte, weiter zu den gestürzten Favoriten, denen der ewige Ruhm verwehrt blieb, bis hin zum „Spiel für die Ewigkeit", wie die sz online zum Halbfinale Brasilien-Deutschland titelte.

 

Im Predigerseminar in Nürnberg wurde vor längerer Zeit der Trainer des 1. FC Nürnberg regelmäßig in die Kurse eingeladen, um mit den Vikaren über Rituale zu sprechen. Für viele war es erstaunlich, welch große Zahl von Parallelen zwischen einem Fußballspiel und einem Gottesdienst festzustellen waren. Nicht im inhaltlichen Bereich. Aber in den Abläufen im Stadion bzw. in der Kirche. Ankommen - Platz finden - Gesänge anstimmen. Das Rezitieren von Textstücken. Freude und Trauer. Vielleicht am Ende Erfüllung und das gute Gefühl: Ich war am richtigen Platz. Ich bin Teil einer Gemeinschaft, die eine gemeinsame Sache verfolgt. Ich kann mich da hineinfinden und habe andere an meiner Seite. Mein kleines Leben ist hineingenommen in etwas viel Größeres.

 

Keine Ironie, liebe Gemeinde! Ich bin davon überzeugt, dass Menschen solche Momente, solche Glücksmomente brauchen. Ich bin auch davon überzeugt, dass viele im Stadion einen Moment der Auszeit aus einem mühsamen, anstrengenden, mit Misserfolgen gepflasterten Leben suchen und finden. Sie werden Teil einer Gemeinschaft, die ein Ziel verfolgt, und dieses Ziel müssen sie nicht selbst erfinden. Sie bekommen Unterhaltung, sie bekommen Gesprächsstoff, sie können aus sich herausgehen - und dann wieder in den Alltag zurückkehren. Bis zum nächsten Mal. Und dafür sind viele bereit, eine Menge einzusetzen: Zeit, Geld, lange Wege. Ihre Stimmbänder. Das Unverständnis anderer.

 

Sport und Religion - in der Tat liegen sie nicht so weit auseinander. Schon der Apostel Paulus greift die Sprache auf, in der die Helden der antiken Sportwettkämpfe gefeiert wurden. Er kannte sie sicher, so wie die Bewohner sie kannten, die Helden der olympischen Spiele damals, denen Statuen für den ewigen Ruhm errichtet wurden. Hören Sie noch einmal aus dem 1. Korintherbrief:

 

„Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt.

Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge;

Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt,

sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn" (1. Kor. 9, 24.25a.26.27a)

 

Das klingt fast wie ein Trainingsprogramm. Paulus kannte sich offenbar aus. Ich habe aber einige Halbsätze ausgelassen. Denn natürlich geht es ihm um etwas anderes. Paulus schreibt über seinen Einsatz für das Evangelium, für die gute Nachricht von Jesus Christus. Und dann klingt das etwas anders - hören wir ihn noch einmal vollständig:

„Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen.

Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt,

sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde" (Vv. 25-27).

 

Ja, ich setze mich für ein Ziel ein, ich trainiere, ich weiß auch wofür: dem Paulus geht es um das Bild, um den Einsatz, um die nötige und berechtigte Anstrengung. Aber er lässt keinen Zweifel: sein Einsatz gilt einer ganz anderen Sache. Er rennt nicht, er wirft keinen Speer, er tritt keinen Ball. Er predigt. Hier bringt er seine Höchstleistung. Hier will er, dass sein Leben und sein Einsatz für die Sache stimmig ist. Hier will er eine begeisterte Gemeinschaft gründen und stärken und erhalten. Gegen Widerstände, wenn es sein musste - und es musste sein. Es gab Widerstände. Paulus liegt im Konflikt mit verschiedenen Gruppen in der korinthischen Gemeinde. Also versucht er auf jede mögliche Weise deutlich zu machen, worum es ihm geht. Nicht um irgend einen Preis für seine Leistung. Er geht sogar bis an die Grenze der Selbstverleugnung: „Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben" (V 22b.23).

 

Paulus' Motivationsquelle ist das Evangelium. Das Evangelium aber ist heilsam; Jesus hat Menschen nicht verkrümmt oder zerbrochen, sondern aufgerichtet und neu ausgerichtet. Evangelium ist gute Botschaft, eine Botschaft, an der wir uns aufrichten, aber auch reiben sollen; eine Botschaft, die quer liegt zu den Vorstellungen unserer Gesellschaft: wo wir abgrenzen und ausgrenzen, öffnet es die Türen. Wo wir verurteilen, lädt es zur Versöhnung ein; wo wir theologische oder ideologische Dogmen aufmauern, fordert es uns zur Toleranz gegen den Andersdenkenden; wo wir Allmachtsphantasien vor uns hertreiben, mahnt es zur Demut. Wo wir mit dem Tod drohen, öffnet es die Zukunft des lebendigen Gottes.

 

Und an dieser Stelle kommen die Vergleiche mit dem Sport auch an ihr Ende, auch die mit dem Fußball. An dieser Stelle zeigt sich ganz deutlich, wo es eben doch um ganz unterschiedliche Dinge geht. Nicht um Abgrenzung oder Ausgrenzung, nicht um Doping und das ganz große Geschäft. Nicht um die neuen beängstigenden Entwicklungen, die eine Sportbeobachterin so richtig festgestellt hat: „Der Gegner - und das ist neu - wird nicht mehr einfach gestoppt, sondern wenn möglich mit Vorsatz ausgeschaltet. Eine angefressene Schulter, ein gebrochener Rücken, Schläge gegen die Halsschlagader, vor allem aber Tritte gegen den Fuß, zu Matsch geschlagene Köpfe. Ein Knie von hinten und dann mit voller Wucht rein in den Körper des Gegners."1

 

Es geht nicht an, dass um des großen Geschäftes willen, die Regeln de facto ausgesetzt werden: das sind die falschen Signale, auch für die Fans. Es darf nicht um den Sieg um jeden Preis, nicht um Häme- und Hass­gesänge gehen. Nicht jene sinnlosen und widerlichen Gewalterscheinun­gen, die leider Einzug gehalten haben in die Stadien, dürfen das Bild prägen. Sport darf nicht zur Bühne für nationalistische, fremdenfeindliche, faschistoide Erscheinungen werden. Bedrückend, dass für Fairness und gegen Diskriminierung geworben werden muss. Gut, dass es geschieht. Gut für das, was im besten Fall die schönste Nebensache der Welt ist: der Fußball (oder auch gern eine andere Sportart).

 

Denn hier - und davon bin ich überzeugt - hier kann der Fußball von der biblischen Botschaft lernen: Es kommt nicht darauf an, woher du kommst, welche Sprache du sprichst oder welche Hautfarbe du hast. So oder so ist dir ein Ziel angeboten, das deinen Einsatz lohnt. Paulus nennt das Evange­lium, gute Botschaft. Jesus redet vom Frieden und sagt von Friedens­stif­tern, dass sie glückliche, „selige" Menschen sind. Friedensstifter: das sind die, die Gegnerschaft, Feindschaft, Hass und Gewalt überwinden helfen.

 

Ich habe ein Beispiel gefunden, wie das gehen kann, und komme zurück zu meinem „Bekenntnis" vom Anfang: Ich bin ein Schalker. Die Dortmunder Borussia ist Konkurrenz, das Derby ist immer spannungsgeladen. Und nun kommt's: In Schalke wie in Dortmund gibt es christliche Fanclubs; für manche vielleicht eine seltsame Vorstellung - aber es gibt sie.

 

Vor dem letzten Derby haben sie gemeinsam Gottesdienst gefeiert - für gegenseitige Achtung, für einen friedlichen Verlauf. Aber nicht für den Sieg der eigenen Mannschaft. „Ich würde nicht für den Sieg beten, das macht keinen Sinn," sagt einer. Die anderen stimmen zu. Sie trennen das Sportliche klar vom Glauben. Der gegnerischen Mannschaft „gönnen wir keinen Punkt" - aber deshalb können sie auch beim nächsten Mal wieder gemeinsam Gottesdienst feiern. „Das sind gute Jungs" sagen sie übereinander2. Sie wissen das Vergängliche vom Ewigen zu trennen, das Vorletzte vom Letzten, die schönste Nebensache der Welt vom Evangelium. Sie werden der Gewalt keine Chance geben. Und so - bei aller Leidenschaft für ihr Team - werden sie Gott die Ehre geben.

 

So stelle ich mir das vor. So wünsche ich mir das. Begeisterung, Fangesänge, La Ola im Stadion. Guten, fairen Sport. Auch heute Abend, beim großen Finale der WM. Wenn Sie's anschauen, viel Vergnügen dabei. Wenn Sie nicht ausweichen können, nehmen Sie's gelassen. Und behalten Sie ihn dabei im Blick: den kleinen aber bedeutsamen Unterschied zwischen der schönsten Nebensache der Welt und dem Evangelium .

Amen.

1Ines Geipel, Verbotenes Spiel nach Regel 12, Politisches Feuilleton, Deutschland Radio Kultur, 8. Juli 2014. Der Text kann nachgelesen werden unter http://www.deutschlandradiokultur.de/fussball-wm-verbotenes-spiel-nach-regel-12.1005.de.html?dram:article_id=291154

2Der sehenswerte Videoclip dazu findet sich unter http://www.kicker.de/news/video/1336349/video_derby-gottesdienst---naechstenliebe-statt-rivalitaet.html

 



Dekan Uland Spahlinger
Dinkelsbühl
E-Mail: uland.spahlinger@elkb.de

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