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ISSN 2195-3171

thematisch, 2007

Alkoholismus / Sucht, verfasst von Ingrid Fabian

TEXT..............Apg 2,1-13

Liebe Gemeinde,

sie sind voll von süßem Wein - ein Zitat, hinter dem sich ein Wunder verbirgt. So haben wir die Einladung zu diesem Gottesdienst überschrieben. Wir haben die Geschichte von dem Ereignis gehört, damals, als der Geist zu der verlassenen Gemeinde kam, sie tröstete und ihnen Kraft gab. Die Kraft äußerte sich so, dass die Provinzler aus Galiläa in allen Sprachen und mit vielen Stimmen zu den Bürgern aus aller Welt redeten, die in Jerusalem ein Fest feierten. Sie redeten von den großen Taten Gottes, die sie mit Jesus erlebt hatten. -

Was ist das denn? So etwas haben wir ja noch nie gehört! - Die Zuhörer waren irritiert, sie hatten auch Angst vor der Ansammlung von Menschen, die offensichtlich nicht ganz bei sich waren. Ein anderer Teil tat das Geschehen ab mit den Worten „Ach, die sind ja betrunken. Die haben wohl zuviel süßen Wein getrunken und jetzt lallen sie herum und sind albern. Na ja, das geht vorüber." - In der folgenden Predigt des Petrus kommt Aufklärung: Nein, diese Menschen sind nicht betrunken. Der Geist Gottes bringt sie zum Sprechen, Loben und Danken.

Liebe Gemeinde, heute möchten auch wir einige Stimmen zu Gehör bringen, Stimmen von Menschen, die in verschiedener Weise mit dem Alkohol zu tun haben. Ein kleiner Schwips geht leider für manche von uns nicht von selbst vorüber. Es kann eine Krankheit daraus werden, die der Behandlung bedarf.

ÜBERLEITUNG

Betroffener (Mann, nass)

Ich bin alkoholabhängig. Schon in meiner Jugend spielte der Alkohol eine große Rolle in unserer Familie. Ob es Geburtstage und Feiern waren oder ob gestritten wurde, ob es Schwierigkeiten auf der Arbeit gab oder ob der Chef einen ausgab - immer war Alkohol mit dabei. Er ist es heute noch, und er ist erschreckend übermächtig geworden in meinem Leben. Ich tue alles dafür, um immer Alkohol zur Verfügung zu haben. Ich denke mir Verstecke für die kleinen und großen Flaschen aus. Meine Frau kann mir nicht mehr vertrauen, zu oft habe ich sie enttäuscht. Unsere Kinder merken es, wenn ihr Vater nicht zur Arbeit geht, weil er betrunken ist, sie sagen aber nichts. Selten bringen sie ihre Freunde mit nach Hause. Sie schämen sich für mich. Und auch ich schäme mich. Ich schäme mich entsetzlich für den Anblick, den ich im Vollrausch biete. Ich ekele mich vor mir selbst.

Was ist es nur, das mich immer wieder dazu bringt, den ersten Schluck zu trinken? Ein paar mal habe ich einen Entzug gemacht, dort erfuhr ich, dass es Wege aus der Sucht heraus gibt. Man muss das erste Glas stehen lassen. Das ist so wahnsinnig schwer.

ÜBERLEITUNG

Angehörige (Partnerin)

Ich lebe mit einem alkoholkranken Partner zusammen. Das ist nicht einfach und je länger, desto mehr wird unsere Beziehung auf eine harte Probe gestellt. Als wir uns kennen lernten, tranken wir manchmal einen guten Wein, und mein Freund war ein charmanter Unterhalter.

Dann bemerkte ich, dass er häufiger einen guten Tropfen trank, am Feierabend, am Wochenende, wenn er sich geärgert hatte oder wenn er traurig war. Er war dann nicht ansprechbar und zog sich von mir zurück, oder er ging mit Bekannten am Abend weg.

Wie oft habe ich ihn gebeten, mit dem Trinken aufzuhören! Tu es für mich, versprich es mir, dass du aufhörst - wenn du nicht aufhörst, verlasse ich dich! Mit Bitten und Drängen habe ich es versucht, umsonst, nichts hat genutzt. Nun bin ich bald am Ende meiner Kräfte und meiner Geduld. Ich liebe ihn noch immer, aber gleichzeitig zieht er mich mit seiner Sucht herunter. Ich entschuldige ihn auf seiner Arbeitsstelle, ich vertusche seine Unzuverlässigkeit, ich lüge für ihn. Ich möchte ihn nicht verlassen, aber - so kann es nicht weitergehen.

ÜBERLEITUNG

Angehörige (Kind)

Meine Mutter trinkt Alkohol. Ich bin 14 Jahre alt und habe noch zwei kleinere Geschwister. Meine Mutter arbeitet zu Hause, kocht für uns und kümmert sich um uns. Wochenlang geht es ihr gut, aber dann wird sie so anders: erst schimpft sie, dann weint sie und dann trinkt sie Alkohol und raucht viel. Ich bekomme große Angst, weil sie sich mit der Zigarette ins Bett legt und einschläft.

Ich mag meine Geschwister gar nicht allein lassen. Ich mag aber auch keine Freunde mit nach Hause bringen, weil sie meine Mutter nicht so sehen sollen. Ich liebe meine Mutter, aber manchmal hasse ich sie.

Ich bin sehr allein.

ÜBERLEITUNG

Betroffene (Frau, trocken)

Ich bin alkoholkrank - und mir geht es gut. Sein einiger Zeit bin ich trocken, d.h. ich habe es geschafft, vom Alkohol wegzukommen und habe bis zum heutigen Tag keinen Tropfen mehr getrunken.

Der Alkohol war früher mein ständiger Begleiter. Hier ein Cocktail auf einer Party, dort ein Glas Sekt auf einem Jubiläum - mir schmeckte es und meine Stimmung war gut. Manchmal versank ich in Traurigkeit, konnte meine Arbeit nicht leisten. Ich versuchte es unauffällig, trank einen kleinen Schluck so nebenbei. Eine Freundin sprach mich auf mein Verhalten an und riet mir Hilfe zu suchen. Erst war ich empört, dann aber sah ich es ein: ich musste etwas für mich tun. In einer Klinik schaffte ich den körperlichen Entzug und bekam Beratung für den weiteren Weg. -

Nun bin ich trocken und gehe auf einem neuen Weg mit vielen Gleichgesinnten. In einer Selbsthilfegruppe, wo unterschiedlichste Menschen mit dem gleichen Problem zusammenkommen, habe ich einen guten Halt gefunden. Es eint uns die Erfahrung, dass der Alkohol immer da ist. Er bleibt zeitlebens unser Gegner, ja unser Feind. Unsere Krankheit kann nicht geheilt werden, wir können sie nur zum Stillstand bringen. Und dazu können wir uns - nur für heute - entscheiden. Für mich lohnt sich mein neues Leben - jeden Tag.

ÜBERLEITUNG

Arbeitgeber

Als Arbeitgeber habe ich eine Fürsorgepflicht für meine Mitarbeiter. Zu den vielen Problemen, die auftauchen können, gehören Süchte am Arbeitsplatz. Früher wurde einem Mitarbeiter, der trank, gekündigt. Inzwischen haben wir in den Betrieben gelernt, dass wir den Betroffenen eine Chance geben sollten. Außerdem hat sich gezeigt, dass eine erfolgreiche Behandlung auch für uns von Vorteil ist. Meist kehren unsere Mitarbeiter hoch motiviert an ihren Platz zurück.

Allerdings stellen wir ihn vor die Wahl: wenn der Betroffene etwas für sich tut, einen Entzug macht, therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt und wieder arbeitsfähig wird, dann bekommt er weiterhin eine Chance bei uns. Wenn das nicht gelingt, müssen wir uns von ihm trennen. Wir freuen uns über jeden Mitarbeiter, der sich in seiner Krankheit Hilfe holt.

ÜBERLEITUNG

Therapeut

Ich arbeite in einer Klinik mit suchtkranken Patientinnen und Patienten. Suchtkrankheit hat sehr viele Seiten, die körperliche Erscheinung, die seelischen und sozialen Hintergründe und eine spirituelle Dimension. Deshalb arbeiten wir in einem Team aus verschiedenen Berufen und geben uns gegenseitige Unterstützung. Als Ärzte, Krankenschwestern und

-pfleger, Suchtberater, Physiotherapeuten und Seelsorgerinnen erleben wir einen Reichtum der Begegnung mit menschlichen Schicksalen. Wir erleben Rückfälle, Nöte und Ängste; wir sehen staunend das Erwachen des Lebenswillens und die Entfaltung der Selbstheilungskräfte, wir erleben das Aufblühen des Körpers und einen neuen Ausdruck auf den Gesichtern. Das alles ist unverfügbar, kann nicht von uns gemacht werden. Unser Einsatz und unsere Mühe werden durch solche Geschenke reich belohnt.

Für uns alle, Patienten und Mitarbeiter, ist es auch ein Lernprozess.

Patienten lernen Veränderungen in ihrem Leben anzubahnen und sich neue Ziele zu setzen. Ich lerne im Umgang mit Suchtkranken immer wieder Respekt zu haben vor Menschen, die an ihren Grenzen sind und die sich aufmachen zu ihren besseren Möglichkeiten. Das ist jedes Mal ein kleines Wunder.

ZUSAMMENFASSUNG

Ein kleines Wunder:

 

Vom Trinken: Last, Schwere, Enge, Wut, Schmerz, Angst

 

Übers Hören: auf Rat, Beratung, Intervention, (Konfrontation)

durch Familie, Freunde, Arbeitgeber, Selbsthilfe

und professionelle Hilfe

 

Zum Aufhören:

Anderes tun und erleben,

Lebenswille, Aufblühen, Lächeln, Freude

Neues Leben

Ziele

 

Trotz und mit Rückfällen:

Lernen

An Grenzen sein

Über sich hinauswachsen

Bessere Möglichkeiten

Glaube, der Berge versetzen kann

In kleinen Schritten

Neuschöpfung - nur für heute

 

 

Und der Friede, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN.

 

***

 

KOLLEKTENGEBET:

 

 

Barmherziger Gott,

du hast allen deinen Geschöpfen

die Kraft des Lebendigen eingehaucht:

wir werden, wir wachsen,

wir lieben, wir leiden,

wir sehnen uns nach Glück,

wir strecken uns nach dem Ziel hin,

wir verfehlen uns und wir vergehen.

Wir fragen uns, was denn bleibt und ‚Was ist der Sinn?'

Wir bitten dich:

Erhöre uns, liebreicher Gott,

und schenke uns Trost und Freude in deinem Geist,

der mit dir und deinem Sohn Jesus Christus

lebendig macht - gestern, heute und für alle Zeit.

AMEN.

 

 

 

FÜRBITTENGEBET:

 

Barmherziger Gott,

köstlich ist es, dir für deine Wohltaten zu danken. Wir danken dir für den Reichtum unserer Sehnsüchte und Leidenschaften, die uns durch das Leben bewegen und die Richtung weisen.

Du willst, dass wir Leben in Fülle haben. Du führst uns durch Leere, Ängste und Versuchungen hindurch und schenkst uns am Tisch des Lebens voll ein. Wir bitten dich um die Kraft, unsere Sehnsüchte und Leidenschaften sinnvoll zu leben:

 

Für alle, die irgendwo und irgendwann die Folgen ihres Alkoholmissbrauchs erleiden:

  • dass ihnen Hilfe zuteil wird
  • dass sie es wagen, in ihr Spiegelbild zu schauen
  • dass sie ihre Scham überwinden und Hilfe aufsuchen

Wir bitten dich: Kyrie eleison (gesungen)

 

Für alle, die mit einem suchtkranken Menschen nahe zusammenleben,

für Partner und Kinder:

  • dass sie selbst Unterstützung erfahren
  • dass sie sich nicht schuldig oder verantwortlich fühlen für sein Tun
  • dass sie Respekt und Liebe für den Angehörigen bewahren

Wir bitten dich: Kyrie eleison

 

Für alle, die sich vom Alkohol abgewandt haben und ein trockenes Leben führen wollen:

  • dass sie in ihrem Entschluss täglich bestärkt werden und sich selbst wertschätzen können
  • dass sie in den Selbsthilfegruppen stärkende Gemeinschaft erleben
  • dass sie in der Nüchternheit neues Wohlbefinden, neue Zufriedenheit und Freude entdecken

Wir bitten dich: Kyrie eleison

Für alle, die als Arbeitgeber Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen:

  • dass sie die Nöte der Betroffenen und die Interessen der Firma sorgfältig abwägen
  • dass sie die richtigen Worte finden, wenn sie einen Mitarbeitenden auf das Problem ‚Alkohol' ansprechen müssen
  • dass in einer Welt des globalen Wettbewerbs Krankheit und Schwachheit einzelner mitgetragen werden

Wir bitten dich: Kyrie eleison

 

Für alle, die mit suchtkranken Menschen arbeiten und sie begleiten:

  • dass sie ihre Motivation täglich bewahren und erneuern
  • dass sie ihre Fantasie und Erfindungsgabe pflegen
  • dass Ausstattung und Arbeitsbedingungen zu gegenseitiger Wertschätzung beitragen

Wir bitten dich: Kyrie eleison

 

Und schließlich bitten wir für uns Alle:

Verlass uns nicht, gütiger Gott, wenn wir auf dem Irrweg sind.

Erhalte uns auch die Heiterkeit und den Humor, die aus der Barmherzigkeit kommen. Du hast uns alle nach deinem Ebenbild geschaffen. Du bist unser Gott, wir sind dein Volk.

Wir verlassen uns auf dich.

AMEN.

 

 



Pastorin Ingrid Fabian
Ev. Krankenhaus Alsterdorf, Hamburg
E-Mail: i.fabian@eka.alsterdorf.de

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