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ISSN 2195-3171

kirchenjahreszeitlich, 2014

Jahreslosung 2015, Röm.15,7, verfasst von Peter Schuchardt

Ein guter Wegweiser durch das Jahr



Liebe Schwestern und Brüder,


nun ist es da, das neue Jahr 2015. Mit Böllern und Raketen wurde es begrüßt. Mancher von euch hat gefeiert, mit der Familie, mit Freunden, andere sind ruhig hinübergeschlafen in das neue Jahr. Nun ist es da,  und wir machen uns auf die Reise durch dieses Jahr 2015. Als Kind mochte ich es besonders gerne, wenn ich als erster über ein schneebedecktes Feld laufen konnte. Ich fühlte mich ein wenig wie der Entdecker einer neuen Welt. Wenn ich zurückblickte, dass sah ich den Weg, den ich schon gegangen war  - und vor mir war die große weiße Fläche, die darauf wartete, von mir betreten zu werden. Wie dieser Weg vorwärts aussah, das war noch offen! So haben wir schon unsere ersten Schritte in das neue Jahr gemacht.  Wir wissen, was hinter uns liegt. Nun geht es nach vorn. Welche Richtung, welchen Weg schlage ich ein? Welche Ziele habt ihr mitgenommen für eure Reise? Was soll unseren Weg lenken?


Für uns Christen gibt es eine Losung für das neue Jahr. Eine Losung ist ein Leitwort. Es ist das Wort, das verabredet wird, um einander zu erkennen. Die Soldaten hatten früher eine
Losung, ein verabredetes Wort, eine Parole. So konnten sie leicht herausfinden,
ob der Mensch, der sich dem Lager näherte, auch zu ihnen gehörte. So leitet uns
auch durch das Jahr eine Losung. Sie zeigt uns: Wir gehören zusammen. Und die
Losung verbindet uns auf unserer Jahresreise.


So eine Losung gibt es auch für jeden Tag. Das sind die Herrnhuter Losungen. Viele Menschen, viel mehr, als wir meinen, beginnen den Tag morgens beim Frühstück mit dem Lesen der
Tageslosung. Die Idee dieser Tageslosung stammt aus Herrnhut, einem kleinen Ort
in Sachsen, in der Nähe zu Görlitz. Dort gründete Nikolaus von Zinzendorf 1722 die
christliche Gemeinschaft der Herrnhuter. Es sind Flüchtlinge, die wegen ihres
Glaubens verfolgt werden. In Herrnhut, so ist der Grundgedanke, soll es gemeinschaftlich
zugehen. Alle sind willkommen, Lutheraner, Reformierte, böhmische Brüder und
Schwestern. So entsteht eine kleine Gemeinschaft mit großer Strahlkraft in die ganze
Welt - bis heute! So einfach aber war es anfangs in Herrnhut nicht. Denn durch die
unterschiedliche Prägung, ob nun lutherisch oder reformiert, entstanden anfangs
große Spannungen. Ständig gab es Streit. Bis zu einem besonderen Gottesdienst
und einer besonderen Abendmahlsfeier im Jahr 1727. Dadurch, oder besser, wie Nikolaus
von Zinzendorf sagt, durch den Heiligen Geist merken alle: Nicht die Unterschiede
sind wichtig, sondern das, was uns verbindet. Der Glaube an Jesus Christus,
Gottes Sohn, unseren Erlöser. „Durch diese Erkenntnis lernten wir lieben",
schrieb ein Herrnhuter in sein Tagebuch. Um die Gemeinschaft noch mehr zu stärken,
gibt Zinzendorf eines Tages der Gemeinde in einer Versammlung ein Wort mit als
Losung. Daraus entstehen dann im Laufe der Zeit die Herrnhuter Losung für jeden
Tag. Aus dieser Idee ist dann die Jahreslosung erwachsen.


Das Wort aus der Bibel, das uns durch das neuen Jahr 2015 begleiten, lenken und verbinden soll, steht im Römerbrief, im 15. Kapitel, Vers 7:


„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob."


Das ist ein gutes Wort, liebe Schwestern und Brüder. Es passt in unsere Zeit. Es spricht in unsere Problem und Herausforderungen. Es zeigt uns den Weg, miteinander verbunden durch dieses Jahr zu gehen. Denn das Miteinander ist das, was uns und unser Land gerade vor
große Schwierigkeiten stellt. Ich denke an die Demonstrationen in Dresden,
PEGIDA und ANTI-PEGIDA. Ich denke an die Flüchtlinge, die unser Land
kommen  und die nicht überall willkommengeheißen werden. Ich denke an die wachsende Kluft zwischen arm und reich bei uns und in der Welt. Ich sehe wachsende Feindschaft, der wir Christen auch bei uns ausgesetzt sind. Ich höre und lese schlimme 
Stammtischparolen, die davon reden: Es gibt  zu viele Menschen, die sich und ihre Meinung
für das Maß aller Dinge halten. Und oft geht es in diesen Parolen, bei PEGIDA
und ANTI-PEGIDA, bei der Frage nach unserer Offenheit gegenüber  Flüchtlingen um die Frage der Gemeinschaft.
Was begründet eine Gemeinschaft? Was ist der Grund der Gemeinschaft in unserem
Land? Wer gehört dazu - und wer nicht?


Das ist auch die Frage, diehinter unserer Jahreslosung steht. Im Brief an die Gemeinde in Rom sprichtPaulus eine große Frage an: Dürfen Christen Fleisch essen, das bei einem
heidnischen, nicht-christlichen Gottesdienst verwendet wurde? Auf dem Markt
konnte man so etwas günstig kaufen. Die einen sagten: „Auf gar keinen Fall! Wir
wollen doch nicht mit bösen Geistern in Berührung kommen, die dieses Fleisch
infiziert haben." Andere meinten: „Ach was, das ist doch Unsinn, die können
doch gar nicht Macht über uns haben. Wir sind doch stark, wir gehören zu
Christus." Es kam zu Streit. Unversöhnlich verachteten die beiden Gruppen
einander. Die im Glauben Starken gegen die Schwachen. Die Frage nach dem Götzenopferfleisch ist nicht die Frage, die uns heute bewegt. Wir haben andere Fragen, in denen unversöhnliches Gegeneinander zu sehen ist. Die ANTI-PEGIDA-Demonstranten
möchten zeigen: Unser Land ist weltoffen. Wir möchten keine Grenzen errichten.
Die Menschen, die bei PEGIDA mitlaufen, die sind aber von der Angst und Sorge
erfüllt: Hören denn die Politiker und Politikerinnen noch, welche Fragen uns
umtreiben? Wird nicht einfach über unsere Köpfe hinweg entschieden? Es ist
wichtig, die Ängste auf beiden Seiten zu hören. Es ist wichtig, dem andere zu
zeigen: Ich verstehe deine Sorgen. Aber davon sind wir meilenweit entfernt. Wie
so oft, wird die Welt von beiden Seiten in die Guten und die Bösen eingeteilt.
Und jede Seite denkt von sich: „Wir sind die Guten!" Und das ist ein
Denk-Schema, das wir so oft, ich finde, zu oft in der letzten Zeit in so vielen
Streitfragen finden. Bei uns in Schleswig-Holstein war es vor kurzem die Frage
nach einem Gottesbezug  in unserer  neuen Landesverfassung. Ihr könnt dieses
Schema aber immer wieder entdecken, sei es bei der Frage nach der Rolle des
Islam in unserem Land - oder der der christlichen Kirchen, bei der Diskussion
um die richtige Ernährung, vegan, vegetarisch oder doch Fleisch? Es geht um
dabei um richtige Verhalten, um die vermeintlich einzig wahre Lebenshaltung -
und es geht um die Frage der Gemeinschaft: Wer gehört dazu? Wer von sich denkt:
„Wir sind die Guten!", der schließt die anderen damit automatisch aus.


Nun könnte man meinen: Unsere Jahreslosung spricht doch vom gegenseitigen Annehmen. Also sagen wir den anderen einfach, dass wir sie so annehmen, wie sie sind. Das ist ja ein Satz, der in manchen Beziehungen als Wunsch geäußert wird. „Nimm mich so, wie ich
bin!" Das ist dann oft der Wunsch, sich nicht zu verändern. Das ist eine
Rechtfertigung aller schlechten Eigenschaften und Fehler, die ich in mir
herumtrage. „Ich bin nun mal so, wenn du mich liebst, dann nimm mich so an!"
Das ist natürlich völlig falsch. Denn wenn es eine Kraft gibt, die unser Leben
und unsere Welt verändern kann, dann ist es die Liebe. Das haben wir ja nun
gerade gefeiert. Gott wird aus Liebe zu uns ein Mensch, ein kleines Kind, um
damit einen neuen Anfang zu setzen, um damit die Welt durch seine Liebe zu
verändern. Die Liebe zwischen zwei Menschen drückt zum einen natürlich aus: Ich
nehme dich so an. Es drückt aber zugleich auch die eigene Hoffnung aus: Durch
deine Liebe traue ich mich, meine schlechten Eigenschaften und Fehler zu
verändern.


Auch unsere Jahreslosung spricht von der Liebe. Sie erzählt uns von der Liebe, mit der Christus uns begegnet. ER nimmt uns an. Das ist der Grund unserer Gemeinschaft als Christen.
Er liebt uns, er nimmt uns an und lobt damit Gott. So wird unser Gott gelobt,
so erweist Christus ihm die Ehre, in dem er uns annimmt. Und da ist die Bibel
völlig klar: Christus nimmt uns an, obwohl wir nichts vorzuweisen haben an
guten Eigenschaften, an tollen Leistungen. Wir mögen zwar denken: „Vor Gott
sind wir die Guten!". Aber wir sind es nicht.


Und das fällt uns ja so ungemein schwer, so zu denken. Denn damit lassen wir alle unsere tollen Bilder von uns selbst zurück. Wir meinen doch so oft, auf der richtigen Demonstration zu sein, das Richtige zu essen, uns ganz richtig zu verhalten. Wir rechtfertigen uns
selbst durch Orthopraxie, durch das richtige Verhalten. Aber das ist,
wie jede Selbstrechtfertigung vor Gott, zum Scheitern verurteilt. Paulus zeigt
uns mit der Jahreslosung einen anderen Weg: „Nehmt einander an, wie Christus
euch angenommen hat zu Gottes Lob." Am Anfang steht Christi Liebe zu uns.
Zuallererst nimmt er uns an. Trotz unserer Fehler und schlechten Eigenschaften.
Und dann können wir einander auch annehmen, trotz aller unserer eigenen Fehler.
Die Fehler beim anderen, die kennen wir ja genau. Nur vor unseren eigenen
verschließen wir gerne die Augen. Das geht aber nicht vor Gott. Gemeinschaft
untereinander wird doch nicht dadurch geschenkt, dass wir sie einander
gewähren. Die Gemeinschaft untereinander wird uns durch Christus geschenkt! Wie
so oft verändert Christus unseren Blick. Sieh auf dich selbst. Erkenne, dass du
mit mindestens genauso vielen Fehlern behaftet bist wie der andere. Das wird
dir helfen, dich nicht über den anderen zu stellen. Und weil der Andere sich
ebenso ansieht, mit diesem wahrhaftigen Blick, darum könnt ihr auch einander
annehmen. Voller Fehler zwar, aber trotzdem von Gott geliebt.


Was begründet eine Gemeinschaft? Was ist der Grund der Gemeinschaft in unserem Land? Wer gehört dazu - und wer nicht? Das sind die Fragen, die uns zur Zeit bedrängen. Mit
Paulus könne wir als Kirche sagen: Unsere Gemeinschaft wird durch Christus
geschenkt. Der Grund für unser Miteinander ist seine Liebe. Wen immer er
anspricht und in seine Gemeinschaft ruft, der gehört dazu. Das war die
große  Erkenntnis, die die Herrnhuter zu einer  echten Gemeinschaft gemacht hat -
und immer noch macht. Das ist der Beitrag, den wir als Kirche zu den großen
Fragen unserer Zeit geben können. Es ist ein Weltbild, das die Menschen nicht  in die Guten und die Bösen unterteilt, sondern alle Menschen gleich vor Gott stellt als die, die seine Liebe, Vergebung und Gnade brauchen. Und wir stehen vor dem Gott, der uns mit seiner Liebe, seiner Gnade und Barmherzigkeit so überreich beschenken will, auch in diesem neuen
Jahr.


„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob." Das ist ein guter Wegweiser für unsere Reise durch das Jahr 2015. Es macht uns frei von aller Überheblichkeit.
Es macht uns offen für den anderen, für seine Nöte und Ängste. Gott schenke uns
das Vertrauen, dass auch der Andere unsere Ängste und Sorgen sehen will. Und
Gott schenke uns das Vertrauen zu ihm, für seine bedingungslose Liebe. Er möge
uns geleiten auf unserer Reise. Er  lasse uns Glück und Freude erleben. Er bewahre und stärke uns in dem Leid, das uns begegnen mag. Und er öffne unser Herz für die Menschen, die mit uns auf der Reise sind, mit denen wir durch Christus zu einer Gemeinde verbunden sind. So
möge es für uns ein gutes, ein gesegnetes Jahr 2015 werden.


Amen



Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in ChristusJesus, unserem Herrn.


Amen




 



Pastot Peter Schuchardt
Bredstedt, Nordfriesland
E-Mail: pw-schuchardt@versanet.de

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