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ISSN 2195-3171

thematisch, 2015

Frieden, verfasst von Ulrich Nembach

Liebe Gemeinde,

unser Predigttext steht im Brief des Paulus an die Philipper, Kapitel 4, Vers 7: 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,

bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

1.

Liebe Gemeinde, Sie kennen dieses Wort. Es ist der Segen nach der Predigt von der Kanzel.

Haben Sie auch über diesen Segen gründlich nachgedacht? Oft wird er gar überhört. Frau und Mann hören nach der Predigt nicht mehr genau hin. Dabei enthält das Wort Erstaunliches. Es geht um Frieden, einen besonderen Frieden.

Was heißt Frieden? Während des „Kalten Krieges“ waren wir uns einig, dass Friede viel mehr meint als die Abwesenheit von Krieg. Friede umfasst mehr als das Schweigen der Kanonen.

Die Sowjetunion, als sie noch existierte, hat der UNO 1959 eine Bronze-Plastik geschenkt. Sie zeigt einen Mann, der ein Schwert um-schmiedet, nämlich zu einer Pflugschar. Das Schwert, zum Töten geschmiedet, wird eine Pflugschar, die den Acker für den Samen vorbereitet, für Speise, für Leben! Damit nahm die Sowjetunion ein Zitat aus der Bibel auf. Beim Propheten Micha heißt es (Kapitel 4, Vers 3): Sie – gemeint sind die großen Völker – werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.

Die atheistische Sowjetunion zitierte das Alte Testament. Das Zitat war der späteren DDR höchst suspekt. Jugendlichen, die es mit einem Bild jenes Schmiedes auf die Ärmel ihrer Hemden nähten, wurde das verboten. Sie machten es ab, nähten Druckknöpfe unter den mit dem Bild bedruckten Stoff und hefteten Bild und Zitat nun so auf ihrem Ärmel an. In der Schule knöpften sie es ab, um es nach der Schule mit den Druckknöpfen erneut zu befestigen. Ein etwas umständliches, aber wirkungsvolles Verfahren! Wir sollten uns daran erinnern und Herrn Putin wie den Separatisten der Ostukraine die von der Sowjetunion geschenkte Plastik entgegenhalten.

Der Friede, der höher ist als alle Vernunft, meint noch wesentlich mehr. Vor 220 Jahren schrieb Immanuel Kant seine viel beachtete Friedens-Schrift. Er gab ihr den Titel „Zum ewigen Frieden“ – mit dem Untertitel „Ein philosophischer Entwurf“. Der Text erschien 1795, also noch in der Zeit, bevor Napoleon sich aufmachte, Europa zu unterjochen. Die Französische Revolution tobte seit Jahren und hatte bereits militärische Erfolge vorzuweisen. Schon 1776 hatten die Vereinigten Staaten sich für unabhängig von England erklärt und ihre Unabhängigkeit militärisch verteidigt.

In dieser Situation schrieb Kant: „Es soll kein für sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier gleichviel) von einem anderen Staate durch Erhebung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden können.“ Er begründet seine Meinung mit der Freiheit. Freiheit ist ein Argument der Vernunft. Die Vernunft ist die Basis der Aufklärung. Es geht also nach Kant um einen auf der Vernunft basierenden, vernünftigen Frieden. Die Vernunft ihrerseits ist die Grundlage unseres Lebens und Denkens.

Wir sind stolz auf unsere Freiheit. Richard von Weizsäcker wurde gerade in Gedenkreden und Nachrufen gelobt, weil er den 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung, auch für uns Deutsche“ bezeichnet hatte. Wenn Paulus von dem Frieden, der Freiheit spricht, die höher, also mehr als die Vernunft ist, so meint er eine größere und zugleich tiefer gehende Basis unseres Menschseins.

Liebe Gemeinde, das klingt alles gelehrt, etwas professoral, und ist es vielleicht auch, aber wir müssen uns einmal klar machen, worum es bei dem Frieden geht, den Paulus meint. Wir beschädigen diesen Frieden oft. Frieden meint nicht nur die Abwesenheit von Krieg. Frieden drückt auch die Anwesenheit der Freiheit des anderen aus. Nicht nur, dass wir mit Schwertern um uns hauen, wir machen auch Wörter, Fotos und dgl. mehr zu Waffen. Schimpfworte sind schnell zur Hand, wenn uns etwas nicht passt. Jugendliche nennen Mitschüler doof. Sie schreiben auf Facebook, dass dieses oder jenes Mädchen hässlich ist. Kein Mädchen will hässlich sein. Worte treffen schwer.

Andere schränken die Freiheit mit anderen Methoden ein. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Das bedeutet: Manche werden immer reicher, andere immer ärmer. Das trifft nicht nur auf Griechenland zu. Dieser Tage erzählte mir ein Lagerarbeiter, dass eine neue Firma seine alte Firma übernommen hat. Es wurde zwar niemand entlassen, aber er bekommt nun 300,- € weniger. Die gelbe Post will ihre Mitarbeiter wie Amazon nach einem niedrigeren Lohntarif bezahlen. Nicht wenige versuchen den Mindestlohn zu umgehen. Freiheit ist die Freiheit des und der anderen. Diese Freiheit wird oft, zu oft verletzt.

So viel zur Freiheit und damit zum Frieden. Nur wo Freiheit ist, ist auch Frieden.

2.

Über diesen Frieden, selbst über diesen Frieden, geht der Friede Gottes hinaus. Um seinetwillen versammeln wir uns heute hier. Er bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Es geht um unser Sein, um unser Leben, um unser Handeln in Christus. Oder anders gesagt, es geht um uns als Christen. Friedlich leben wir in Christus, friedlich und befriedet.

Wer Christus ist, daran hat Paulus die Philipper kurz zuvor in seinem Brief erinnert. Er zitiert ein damals von den Christen gesungenes Lied und schreibt zur Einleitung, warum er das tut und was es mit diesem Lied auf sich hat: „Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus entspricht!“ (Phil. 2,5)

Paulus ist anspruchsvoll. Er erwartet von uns Christen, der Gemeinschaft mit Christus zu entsprechen. Diese Gemeinschaft ist die Konsequenz der tiefen Gemeinschaft Jesu Christi mit Gott, seinem Vater. Paulus zitiert:

6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. 8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, 10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Dass wir so gesinnt werden, wie Christus es war, dass wir so dem Frieden dienen – dem Frieden zwischen uns Menschen, zwischen dir und mir, mir und meinem Nachbarn und zwischen uns und Gott –, das, in der Tat, ist ein Frieden, der über die Vernunft hinausgeht. Um ihn zu erreichen, muss Gott selbst uns helfen. „Mit unser Macht ist nichts getan“, heißt es in Luthers Lied. So wollen wir Gott um Frieden bitten und das Lied singen Verleih uns Frieden gnädiglich.

-- Lied: EG 421 --

Wir beten nun gemeinsam den 23. Psalm, Der Herr ist mein Hirte... (abgedruckt im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 711).

In diesem Vertrauen auf Gott, der uns hilft und uns auch im finsteren Tal nicht vergisst, wollen, dürfen und sollen wir leben und diesen Gott und seinen Sohn Jesus Christus anderen weitersagen. Friede soll werden auf Erden! Lasst uns singen Komm, sag es allen weiter!

-- Lied: EG 225 --

Dieses Lied ist die deutsche Übersetzung des englischen Spirituals:

Go, tell it on the mountain, over the hills and everywhere. Go, tell it on the mountain that Jesus Christ is born

Es hat seinem Ursprung alsein Weihnachtslied. [Geh und verkünde auf dem Berg, über den Hügeln, all überall: Jesus Christ ist geboren.]

Wir kommen von Weihnachten her und gehen auf Ostern zu. Dazwischen liegt die Passionszeit, die Zeit des Leidens, Leidenszeit. Dies sollen wir nicht vergessen. Es ist nicht leicht, im Leiden zu leben. Während überall Krieg herrscht, während überall Menschen anderen Menschen Leid zufügen, sind wir aufgerufen zum Frieden.

Die Israelis grüßen einander „Schalom – Friede“, und es ist kein Friede. Die Palästinenser grüßen einander „Salam aleikum – Friede sei mit dir“, und es ist kein Friede. Christen werden in zahlreichen Ländern verfolgt, gar getötet. Im friedlichen Europa, im friedlichen Deutschland, fügen Nachbarn Nachbarn, Kinder Kindern Schaden zu.

Herr, schaff Du uns die Basis, Dir in Deinem Frieden zu folgen: Verleih uns Frieden gnädiglich!

Amen



Prof.Dr.Dr Ulrich Nembach
Göttingen
E-Mail: unembac@gwdg

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