Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171

thematisch, 2007

7. Sonntag nach Trinitatis, 22.07.2007 / Kirchenstolz mit Romdefekt, verfasst von Reinhard Brandt

Themenpredigt: Kirchenstolz mit Romdefekt

„Es weiß, Gott Lob, ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche ist ..."

Ich fürchte, liebe Gemeinde, ein siebenjähriges Kind sitzt gerade nicht im Gottesdienst. Aber ihr Konfirmanden: Was ist die Kirche? Das Gebäude natürlich und der Gottesdienst: der Begriff ist vielschichtig. Doch dann seht euch hier um und sagt, was ihr seht: was die Kirche sei! Ihr seht Menschen, die zum Gottesdienst gekommen sind, die der Predigt zuhören. Und ihr seht und wisst, wie wir hier an diesem Altar das Abendmahl feiern, dort am Taufstein Menschen taufen.

Genau das ist das evangelische Verständnis von der Kirche, wie Luther es einmal zusammengefasst hat:1 „Es weiß, Gott Lob, ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche ist: nämlich die heiligen Gläubigen ..." (und dann gut biblisch in einem Vergleich) „... und die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören."

Eben dies ist es hier und das geschehe hier:

· eine Versammlung von heiligen Gläubigen (in Klammern: heilig, weil der Herr Jesus sie heiligt);

· und eine solche Versammlung, in der das Evangelium hoffentlich rein gepredigt, die Sakramente entsprechend ihrer Einsetzung recht verwaltet werden.

Ganz so wie im Augsburger Bekenntnis: Es muss „allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben ..., die die Versammlung aller Gläubigen ist"; und zwar nicht irgendeine Versammlung, sondern eine solche, bei der „das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden".2

So sind wir, liebe Gemeinde, nach evangelischem Verständnis Kirche, evangelische Kirche, Kirche im eigentlichen, im gut biblischen Sinn, als eine Versammlung und „Gemeinschaft der Heiligen", als Leib Christi, als Volk Gottes.

 

Sie werden gelesen, gehört oder gesehen haben, dass die römische Kirche und der Papst das anders beurteilen. In der vergangenen Woche wurde aus dem Vatikan ein Brief der Glaubenskongregation bekannt, in dem den evangelischen „kirchlichen Gemeinschaften" (so heißen wir dort) das Kirche-Sein bestritten wird. Die „Gemeinschaften, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind, ... können nach katholischer Lehre nicht ‚Kirchen‘ im eigentlichen Sinn genannt werden" - heißt es dort.3

Das alles sei doch nicht neu, wird nun von verschiedenen Seiten beschwichtigt. In der Tat wird schon vom Zweiten Vatikanischen Konzil unterschieden zwischen anderen „Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften".4 Ich habe die Zuordnung immer so verstanden und das auch gesagt {Diesen Satz je nachdem umformulieren.}. Andere jedoch haben dies immer wieder anders verkauft, erst jüngst zum Beispiel der Ökumenebeauftragte der Diözese Augsburg bei den Beauftragten der bayerischen Landeskirche: „Natürlich ist die evangelische Kirche für uns ‚Kirche‘!" beteuerte er. Und viele römisch-katholische Christen in NN-Ort werden es nicht anders sagen. Das ehrt sie. Es ist nett und ehrlich gemeint und ökumenisch freundlich - aber die wahren Verhältnisse, die offizielle Bewertung hat es verschleiert.

Jetzt dagegen ist klar, nicht nur angedeutet, sondern im Brief der Glaubenskongregation mit klaren Worten ausgesprochen, nicht nur im Kommentar, sondern als offizielle Interpretation (und das ist wirklich neu): Die evangelische Kirche, wir hier, die wir hier sitzen, wir können nicht „Kirche" „im eigentlichen Sinn" genannt werden. Und wenn ein freundlicher römisch-katholischer Partner anderes sagt, dann brauchen und dürfen wir ihm nicht glauben, denn gerade nach römischen Prinzipien ist auch klar: der Ober sticht den Unter.

Natürlich ist jetzt die Enttäuschung groß: bei den ökumenisch Wohlgesonnen zum Beispiel, auf beiden Seiten. Bei denen, die sich um gute Nachbarschaft vor Ort bemühen. Unsere Nürnberger Regionalbischöfin hat diese Enttäuschung angesprochen. Und sie sind auch berechtigt, diese Enttäuschung und der Protest: Wie wollen, wie sollen die Kirchen fair, auf einer Augenhöhe miteinander umgehen, wenn die eine (die römische) der anderen (der evangelischen) attestiert, sie sei gar keine Kirche, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinn?! Ein partnerschaftlicher Umgang ist so nicht möglich.

 

Doch jenseits der Enttäuschung möchte ich Sie einladen, gedanklich einen Schritt zurückzutreten und mit mir nüchtern und eifrig die Lage zu betrachten, vor allem die Begründung für die katholische Absage: Die kirchlichen Gemeinschaften der Reformation seien - ich zitiere noch einmal - „nach katholischer Lehre nicht ‚Kirchen‘ im eigentlichen Sinn". Man merke wohl: „nach katholischer Lehre"!

Hier ist zuerst einmal Widerspruch gegen eine Begriffsverwirrung anzumelden, gegen die Besetzung des Begriffs „katholisch". Catholicos ist ein Lehnwort aus dem griechischen und heißt „allgemein". „Wir glauben ... die eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche" sprechen wir auch als evangelische Christen im (Nizänischen) Glaubensbekenntnis. Die „allgemeine", mit dem Fremdwort: die „katholische ... Kirche" bekennen auch wir, gehören ihr an. Wir evangelische Christen sind katholische Kirche, weil wir zur allgemeinen, weltweiten Christenheit auf Erden gehören.

Im Englischen wird „katholisch" unbefangen von jeder Kirche gebraucht. Nur im deutschen Sprachraum konnte die römische Kirche den Begriff „katholisch" für sich selbst besetzen. Eben deshalb müssen wir dem Sprachgebrauch widersprechen und uns die Mühe der Genauigkeit machen: Katholisch als Teil der allgemeinen Kirche sind wir! Wir! Und die unter dem Papst verfasste Kirche ist nur römisch-katholisch.

Doch zurück zu jener Begründung: nach katholischer -gemeint ist: nach römisch-katholischer Lehre sind wir „nicht ‚Kirchen‘ im eigentlichen Sinn".

Da müssten wir nun in ein intensives und gelehrtes Kolleg eintreten, was denn die römisch-katholische Lehre von der Kirche sei. Ich nenne nur zwei Stichworte: eine Diskussion in pro und mehr noch contra, ob die Kirche eine Heilsanstalt sei; und noch mehr contra gegenüber der maßlosen Vorstellung, die Kirche selbst sei „gleichsam ein Sakrament" für die Vereinigung mit Gott.5

Im Kolleg müssten wir das ausführlich diskutieren. Das können wir heute nicht tun. Der Brief der Glaubenskongregation trägt indes selbst, abgeleitet aus jenen Grundannahmen, zwei Argumente vor, um die es uns jetzt kritisch gehen muss, nämlich einen Alleinvertretungsanspruch und das Weihepriestertum.

Die Kirche, die wir im Glaubensbekenntnis bekennen, die sieht die römisch-katholische Kirche bei sich selbst und nur bei sich selbst verwirklicht, verfasst und geordnet. Im Zweiten Vatikanischen Konzil ist dies in einer komplizierten lateinischen Formulierung notiert (Stichwort: „subsistit in").6 Diese Formel macht es möglich, auch in den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften Elemente der Heiligung und Wahrheit zu finden, die „auf die katholische" - gemeint ist: auf die römisch-katholische - „Einheit hindrängen" sollen.7 Doch im Grundsatz bleibt der Alleinvertretungsanspruch bestehen.8

Der nötige Kommentar dazu lautet knapp und richtig: „Hybris aus Rom".9 Hybris: Selbstüberhebung, Vermessenheit gegenüber Gott (und den Brüdern und Schwestern).

Wie wohltuend bescheiden dagegen das Selbstverständnis im Ökumenischen Rat, jenem Bund vieler anderer Kirchen (außer der römischen): „Jede Kirche ist als Kirche katholisch ... Jede Kirche ist katholische Kirche, aber nicht deren Ganzheit. Jede Kirche vollzieht ihre Katholizität, indem sie in Gemeinschaft mit den anderen Kirchen steht."10

Neben dem Alleinvertretungsanspruch das Weihepriestertum: Weil den kirchlichen Gemeinschaften der Reformation das Weihesakrament und „deshalb ein wesentliches konstitutives Element des Kircheseins fehlt" (das ist wieder ein Zitat), deshalb kommt ihnen, kommt uns der Titel „Kirche" nicht zu. Einen „Defekt des kirchlichen Amtes", defectus ordinis, nennt Rom das bei uns.

Doch kritisch zurück: ein solches eigenes Weihepriestertum ist völlig unbiblisch. Vielmehr: Alle, die Christus durch seinen Tod erkauft hat, die hat er alle „unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht" [Offb. 5,10]. Das ganze neue Gottesvolk wird daher angesprochen als „das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk ..." [1 Pt 2,9; vgl. 2,5].

Martin Luther hat den biblischen Befund auf den Punkt gebracht: „Was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei ...".11 Eine andere und höhere Weihe als die Taufe gibt es nicht. In derselben Unmittelbarkeit stehen wir vor Gott, können uns an ihn wenden, werden von Gott angesprochen. Und mit demselben Auftrag wird ein jeder Getaufte gesandt: das Evangelium zu verkünden, jeder an seinem Platz.

Das heißt: jene römische Lehre von eigenen, geweihten Priestern - vom allgemeinen Priestertum dem Grade und dem Wesen nach unterschieden:12 jene römische Lehre ist unbiblisch und nach evangelischem Verständnis irrig, eine Irrlehre, der wir widersprechen müssen und der Luther stets widersprochen hat. (In Klammern: Und alles andere in den evangelischen Kirchen: Pfarrer, Dekanin, Bischof, alles das ist nur eine Frage der soliden Ausbildung und der guten öffentlichen Ordnung.)

 

Was folgt daraus für jenen Brief der römischen Glaubenskongregation und für die Frage der Anerkennung? Was folgt, das ist verquer und fast schon wieder lustig: Liebe evangelische Brüder und Schwestern, wir sollten froh und stolz sein, dass uns Rom nicht nach seiner Lehre als Kirche anerkennt. Denn: nach römischer Vorstellung sollten wir auf keinen Fall Kirche sein wollen: nicht mit einem unbiblischen Weihepriestertum; und nicht mit jenem Alleinvertretungsanspruch, der sich selbst ins Abseits stellt.

Also: Ich bin stolz, dass wir auf evangelische Weise Kirche sind. Und ähnlich stolz bin ich, dass wir nach römisch-katholischer Lehre keine Kirche sind - denn das hieße, auf falsche Weise Kirche sein zu wollen. Kirchenstolz mit Romdefekt kann man das nennen, und zwar evangelisch wegen dieses Romdefektes.

Was das wohl für die Ökumene bedeutet? Vor Ort? Ich denke mir das ganz positiv: eine fröhliche Ehrlichkeit kann ausbrechen. Man weiß, was man voneinander zu halten hat, ehrlich und unverstellt. Und dann kann man probieren, was dann noch möglich ist miteinander, ohne dass der eine sich für den anderen verbiegen muss - je nachdem, wie offen und fair der Umgang miteinander vor Ort ist.

Nur: „Ob man das alles nicht diplomatischer sagen könnte? Es ist ja richtig, was Sie sagen, aber muss es denn so massiv sein?" - Ich höre die Einwände schon, am Ausgang heute und per E-Mail später vielleicht.

Nur: Sonderlich diplomatisch war der Brief der Glaubenskongregation auch nicht, sondern schlicht und klar. Ich bin an dieser Stelle ein aufmerksamer Schüler des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Nichts ist dem ökumenischen Geist so fern wie ein falscher Irenismus":13 wie eine Friedfertigkeit, die die reine Lehre verdunkelt.

Vielleicht ist ja gerade dies die Chance: in Kritik und Gegenkritik einander Zeugnis zu geben, einander Rechenschaft zu geben über den Grund der Wahrheit, wie sie sich uns erschlossen hat; und vielleicht am Ende anzuerkennen, dass der andere anders ist und auch künftig keinesfalls so werden will wie ich - und deshalb jenseits des eigenen Maßstabs Kirche ist und sein darf.

Das kann man dann - schwierig, aber ehrlich - auch einem Kind von sieben Jahren erzählen, in einer konfessionsverschiedenen und -verbindenden Familie.

Der Friede Gottes ist nicht ohne die Wahrheit des Evangeliums zu haben. Nur so, zusammen mit der Wahrheit und vielleicht im notwendigen Streit um die Wahrheit, nur so gilt der Friede Gottes, höher als alle Vernunft: der bewahre uns, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 



Dekan Dr. Reinhard Brandt
Evang.-Luth. Dekanat
Weißenburg
E-Mail: reinhard.brandt@elkb.de

Bemerkung:
Belege:

1 Schmalkaldische Artikel, Teil III, Art. 12

2 Augsburger Bekenntnis, Art. 7

3 Kongregation für die Glaubenslehre: Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche. http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20070629_responsa-quaestiones_ge.html

4 Zweites Vatikanisches Konzil: Dekret Unitatis Redintegratio über den Ökumenismus (UR): Art. 3 und 13 ff.

5 Zweites Vatikanisches Konzil: Dogmatische Konstitution Lumen Gentium über die Kirche (LG): Art. 1

6 LG 8.

7 Brief (s. Anm. 3); vgl. LG 8; UR 3.

8 UR 3.

9 So der römisch-katholische Bundestagsabgeordnete Josef Göppel: http://www.goeppel.de/aktuelles/index.php?artikelid=1776.

10 http://www.oikoumene.org/de/nachrichten/news-management/all-news-german/display-single-german-news/article/1637/der-stellvertretende-oerk.html

11 Martin Luther: An den christlichen Adel (1520).

12 LG 10.

13 UR 11.

Zum ganzen siehe ferner in RGG4 die Artikel: Einheit der Kirche. II. Dogmatisch / Priestertum: III. Christentum. 3. Evangelisches Verständnis / Ordination: IV. Dogmatisch


(zurück zum Seitenanfang)