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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2015, 2015

Es wolle Gott uns gnädig sein (EG 280), verfasst von Katharina Wiefel-Jenner

Gemeinde Jesu Christi im Land von Martin Luther im Jahr des Herrn 2015!

1523 schreibt Luther an seinen Freund Georg Spalatin: Das Volk braucht neue geistliche Lieder! Es soll in deutscher Sprache singen können. Es soll so den Sinn von Christi Wort fassen und sich den Glauben einprägen. Andernorts hat Thomas Müntzer Erfolg mit seinen deutschen Hymnen. Die klingen wie die alten Kirchengesänge. Schöner und viel besser für den Glauben an Christus wäre es, wenn Gott mit frischen Melodien gelobt wird. Melodien, die so klingen, als ob der Liebste die Schönheit seiner Freundin anpreist und dazu tanzen möchte. Oder Melodien mit denen Traurige von ihrer Sehnsucht summen. Dazu müssen die Psalmen nur in neue Worte gebracht werden. Reimen müssen sich die Worte, damit das Volk sie fassen kann. Mit Reimen senkt sich die Botschaft tiefer in die Herzen. Am besten das Volk bekäme für jeden Psalm ein deutsches Lied, in dem der Sinn der Worte Davids oder Asaphs oder Korachs getreu wiedergegeben ist. Einen Anfang hat er mit dem 67. Psalm schon einmal selbst gemacht. Nach dem Muster könnten doch der begabte Spalatin und ein paar andere auch Lieder schreiben.

 

Strophe 1

Es wolle Gott uns gnädig sein

und seinen Segen geben,

sein Antlitz uns mit hellem Schein

erleucht zum ewgen Leben,

dass wir erkennen seine Werk

und was ihm lieb auf Erden,

und Jesus Christus, Heil und Stärk,

bekannt den Heiden werden

und sie zu Gott bekehren.

 

Jeden Morgen betete Luther Psalm 67. Seit Benedikt von Nursia 1000 Jahre zuvor seine Regel geschrieben hat, begann die Kirche den Tag mit diesem Psalm und bat mit Hilfe seiner Worte um Gottes Segen. So kann man am Morgen beginnen: Gott sei uns gnädig und gebe uns seinen Segen. Wie die Sonne wird der Segen über uns aufgehen. Mit warmen Strahlen wird der Segen unser Tun beleuchten. Unsere Gedanken für diesen Tag brauchen dieses milde Licht des Segens; und genauso unser Planen, unsere Schritte, unsere Träume. Nur so verschwinden die Ängste, nur so hat die elende Pein keine Chance bei uns. Wenn die lauernden Nachtgestalten unserer eigenen Untiefen nach uns greifen, schreitet der Segen Gottes ein.

Die alten priesterlichen Worte sprechen davon, dass der Segen von Gottes Antlitz ausgeht und der Psalmbeter betet darum, dass Gottes Antlitz ihm zugewandt sei. Seitdem sich die Kirche diese Psalmworte zu eigen gemacht hat, erkennt sie das sichtbare Antlitz Gottes in Christus. So ist Christus der Segen, mit dem der Tag beginnt. Christus ist der Segen, der die dunklen Risse heilt, der Kraft gibt, um auch den nächsten mühsamen Schritt zu gehen, der über den Tod und alle seine hässlichen Fratzen Macht hat. Christus ist Heil und Stärke – Gottes Heil und Gottes Stärke für uns. Ihm können wir mitten ins Antlitz schauen und ihn in jedem Gesicht entdecken, dem wir heute begegnen werden. Jedes Auge, jedes Herz, jedes Geschöpf ist ihm lieb und Christus ist in ihnen zu erkennen. So geben sich die Gnade und der Segen für den heutigen Tag zu erkennen. Um diese Gnade und diesen Segen beten Luther, die Kirche, wir.

 

Strophe 2

So danken, Gott, und loben dich

die Heiden überalle,

und alle Welt, die freue sich

und sing mit großem Schalle,

dass du auf Erden Richter

bist und lässt die Sünd nicht walten;

dein Wort die Hut und Weide ist,

die alles Volk erhalten,

in rechter Bahn zu wallen.

 

Wenn sich die Weltgeschichte wendet, werden Worte laut, die die Gegenwart meinen, aber die Zukunft betreffen. Die Menschen, die sich vom Strom der Reformation haben mitreißen lassen, stimmten begeistert an: „So danken, Gott, und loben dich die Heiden überalle“. Kämpferisch bekannten sie sich und sangen davon, wie sich alle Welt über Gottes Eingreifen freut. Wohl eroberte der neue Glaube Europa in Windeseile, trotzdem waren Luthers Verse eher ein Vorgriff auf die Wirklichkeit, die noch kommt und nach der auch wir uns noch immer sehnen. Einstweilen interessiert es die Völker kaum, dass Gott Richter ist. Die Sünde hat in den verschiedensten Spielarten freie Bahn: Gottes Ebenbild wird zur Ware, Gottes Boten, den Fremden, die bei uns anklopfen, wird die Tür gewiesen, Schwache werden missbraucht, Waffen sind wertvoller als Brot, Lügen sind hartnäckiger als die Wahrheit. Und dennoch singen wir. Trotz der vielen Schmerzen über das Ausbleiben von Gottes Gerechtigkeit stimmen wir in die Worte unserer Mütter und Väter ein. Und dennoch ist es richtig, mit Luthers Worten dafür zu danken, dass Gott auf Erden Richter ist. Denn der Glaube sieht mehr als die Nachrichtenseiten zeigen. Er sieht die Wirklichkeit Gottes mitten in der schmerzenreichen Welt. Er singt schon von dem, was noch nicht erschienen ist, was aber ganz gewiss aufscheinen wird. Der Glaube singt wie ein Vogel, der schon vor der Dämmerung sein Lied anstimmt. Noch singt er in der Dunkelheit, aber er kündigt mit seinem schönen Gesang an, wie die Sonne hochsteigen und mit ihrem hellen Schein die Finsternis und den Tod vertreiben wird. Der Glaube singt, weil Gott wirklich auf Erden Richter ist und er weiß es schon, obwohl jetzt noch scheinbar Mächtigere das Feld behalten. Einstweilen birgt es sich im Schutz des göttlichen Segens, hält sich am Wort Christi fest und lobt Gott so lange, bis alle Schmerzen vorbei und alle Tränen abgewischt sein werden.

 

Strophe 3

Es danke, Gott, und lobe dich

das Volk in guten Taten;

das Land bringt Frucht

und bessert sich,

dein Wort ist wohlgeraten.

Uns segne Vater und der Sohn,

uns segne Gott der Heilig Geist,

dem alle Welt die Ehre tu,

vor ihm sich fürchte allermeist.

Nun sprecht von Herzen: Amen.

 

Der Glaube singt und bleibt auch nicht folgenlos. Die Saat von Gottes Wort geht auf. Luther hatte den großen Erfolg des neuen Glaubens vor Augen und dichtete voller Zuversicht. Ob er zwanzig Jahre später immer noch die gleichen Worte gewählt hätte? Ob er dabei geblieben wäre, nachdem er das erlebt hat, was sich noch immer in unserem Kirchen-Alltag niederschlägt? Alles Bemühen, den Glauben zu verbreiten, stößt an die Grenzen von Ignoranz, Ablehnung oder auch mangelnden Vermögens. Zumindest an diesem Vers hätte Luther keinen einzigen Buchstaben verändert: „dein Wort ist wohlgeraten“. Das Wort bleibt und wirkt. Christus spricht, lockt, manchmal mahnt er auch. „Kommt“, ruft er, „folgt mir, und macht zu Jüngern alle Völker. Ich will, dass alle zu mir gehören. Alle Völker. Mein Wort ist für alle Welt bestimmt. Tut euer Teil dazu bei. Und habt keine Angst, denn der Segen ist mit euch, wie der helle Schein der Sonne.“

1523 schreibt Luther an seinen Freund Spalatin. Längst war da sein Lied zu Psalm 67 in Deutschland schon in aller Munde. Es wurde nicht mehr nur am Morgen gesungen. In den neuen Gottesdiensten stimmte die Gemeinde es nach dem Segen an. Sie verließen mit seinen Worten auf den Lippen die Kirchen und sangen es überall. Auf den Marktplätzen, in den Häusern, in den Werkstätten, in den Küchen, in den Ställen, in den Schulen, in den Gefängnissen, Wachstuben, auf den Burgen und in den Rathäusern. Die Alten lernten es von den Jungen, die Knechte brachten es den Herrn bei, die Frauen hörten es von ihren Mägden, die Bettler brachten es von Stadt zu Stadt. Von Ort zu Ort sprang der Funke dieses Liedes über. Weitere Lieder seiner Art folgten ihm und nährten die Seelen.

Nach fast einem halben Jahrtausend ist es aus den Rathäusern, den Werkstätten und Ställen verschwunden. In die Fabrikhallen, Büros und Krankenhäuser ist es nicht umgezogen. Die Jungen singen den Alten heute andere Lieder vor. Aber trotzdem ist es nicht vergessen. An schweren Tagen erinnern sich manche doch noch seiner Worte und singen eher mit verhaltener Stimme. Auch wenn kein Liebster mit dieser Melodie noch die Schönheit seiner Freundin besingt, findet das Lied noch seinen Weg und so singen wir es und lassen uns mit seiner Hilfe daran erinnern, dass Christus für alle Welt da ist. Die Kraft des Wortes, das die Worte des Liedes besingen, ist frisch und verliert sich nicht. Denn sie ist Christus selbst. Darum : Nun sprecht von Herzen: Amen.



Katharina Wiefel-Jenner
Berlin
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