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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2015, 2015

Jesus Christus, unser Heiland (Jesus Christus, Nostra salus / EG 215), verfasst von Paul Kluge

„Jesus Christus, nostra salus – das muss man doch übersetzen“, denkt Bruder Martin, einen lateinischen Hymnus in der Hand. „Die Menschen sollen das doch verstehen, damit sie es glauben. Der Gebrauch unverständlicher Sprache ist nicht Ausdruck des Geheimnisses Gottes. Jesus Christus, unser Heil. Um es zu singen, fehlt noch eine Silbe. – Jesus Christus, unser Heiland. Das geht. Und das stimmt: Er ist der einzige Trost im Leben und im Sterben. Hat mit seinem teuren Blut für all unsere Sünden vollkommen bezahlt. Ein für alle mal. Wir brauchen uns nicht abzustrampeln, um Gottes Zorn zu stillen. Er ist nicht mehr zornig.

Das vergessen die Leute manchmal. Fallen zurück in den alten Glauben, als sei Gott ein Krämer: Man gibt ihm ein Opfer, eine Kerze vielleicht oder eine Wallfahrt, und dafür erlässt er einem mehr oder weniger Sünden, je nach gezahltem Preis.

Sicher, das entspricht unseren Alltagserfahrungen, entspricht auch unserem Denken: Wie ich dir, so du mir. Mit Gott geht das nicht. Da ist es anders als wir denken, höher als unsere Vernunft. Gott lässt sich nicht begreifen. Lässt Isaak am Leben, seinen Sohn aber lässt er sterben. Damit wir frei werden von unserer Schuld. Obwohl wir immer wieder schuldig werden ihm gegenüber. Aneinander auch. Wir können einfach nicht anders, aber das macht nichts. Fegefeuer und Höllenqualen: Nicht für den, der die Erlösung glaubt.

Vergesslich, wie wir Menschen sind, brauchen wir immer wieder Hinweise. Da, guck mal, Brot und Wein, das will dich erinnern. Weißt du‘s noch? Nimm, iss und trink. Das stärkt die Erinnerung, festigt sie, die Erinnerung an den gebrochenen Leib, an das vergossene Blut. Wieviel Blut wird Tag für Tag vergossen, wieviel Herzen, wieviel Seelen gebrochen durch Worte, durch Taten! Unworte muss man sagen und Untaten - von Menschen an Menschen. Wird das je ein Ende haben?

Und doch: Brot und Wein können uns zum Guten stärken. Wir haben die Freiheit, beim Brechen aufrechter Menschen, beim Blutvergießen nicht mitzumachen. Und auch dieses: Brot und Wein können das geknickte Rohr wieder aufrichten - und auch den, der geknickt hat. Den vielleicht sogar besonders. Jedenfalls hat er’s besonders nötig.

Die Müden sind eingeladen, die verlöschenden Dochte, die nicht mehr glimmen mögen. Die von der alltäglichen Plackerei Müden, vom ständigen Gekeife; die von ihrer Sucht oder ihrer Krankheit Müden, von der täglichen Sorge um das tägliche Brot; die von der Flucht Müden und vom Ausgegrenzt sein: Sie alle sind willkommen.

Und die Beladenen sind eingeladen, die mit Schuld Beladenen. Auch die sind willkommen, die unter einer großen Schuld leiden oder unter viel kleiner. Schuld ist Schuld, und Schuld macht krank, die Seele und oft auch Körper und Geist. Dem Gelähmten werden seine Sünden vergeben, und er kann wieder laufen. Wer nicht vorankommt, sollte überlegen, was ihn belastet. Und sich erinnern lassen: Deine Schuld ist abgeladen. Das muss ihm aber gesagt werden, immer wieder gesagt werden, bis er’s glaubt.

Alleine geht das nicht, ich kann mich nicht selbst entlasten. Jedenfalls nicht auf Dauer. Ich brauche andere, die mir das sagen. Und durch ihr Verhalten zeigen. Mich mit meiner Vergangenheit annehmen und keine Bedingungen stellen „da musst du aber erst mal …“ Solche Bedingungen verführen dazu, sich selbst zu rechtfertigen. Krämerei eben, wie Krämerseelen sie treiben. Wie du mir, so ich dir. Mit Schuld kann man nicht handeln. Sie wird gelöscht, oder sie bleibt. Jesus Christus, unser Heiland, hat sie gelöscht. Ein für alle mal.

Aber ich kenne die Leute. Manche meinen dann, sie könnten tun und lassen, was sie wollen. Doch Jesu Tod ist kein Freibrief. Er ist Verpflichtung. Verpflichtet uns, geknickte Rohre wieder aufzurichten, glimmende Dochte neu zu entfachen. Das ist der Dank dafür. Überzeugter Dank und überzeugender auch. An aufgerichtetem Rohr finden andere Halt, Licht und Wärme an entfachtem Docht.

Wer im Glauben Halt gefunden hat und Geborgenheit, kann – und will! – dankbar sein. Und will seinen Dank dafür zeigen, seine Freude darüber. Sonst wäre er ein Egoist, aber kein Mensch. Glaube führt mich immer zu anderen Menschen; damit ist er keine Privatangelegenheit. Er lässt mich nicht allein. Mit meiner Schuld nicht und nicht mit meiner Befreiung, mit meiner Trauer nicht und nicht mit meiner Freude. Glaube bindet mich in die große Gemeinschaft der Glaubenden. Sein sichtbares Erinnerungszeichen verbindet mich mit denen, die mit mir sind, die vor mir waren und die nach mir sein werden.“

Das Blatt mit dem lateinischen Hymnus fällt zu Boden, Bruder Martin schrickt aus seinen Überlegungen auf. Er weiß nun, wie er den Hymnus übersetzen wird. Geht zu seinem Stehpult und schreibt auf, was wir jetzt singen: EG 215, 1ff



Landespfarrer Paul Kluge
Leer (Ostfriesland)
E-Mail: paul-kluge@live.de

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