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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2015, 2015

Gott der Vater steh uns bei, Predigt über das Lied EG 138, verfasst von Wolfgang Winter

Gott der Vater

Jesus Christus

Heilig Geist,

Der steh uns bei

Und laß uns nicht verderben,

Mach uns aller Sünden frei

Und laß uns selig sterben.

 

„Vor dem Teufel uns bewahr,

Halt uns bei festem Glauben

Und auf dich laß uns bauen,

Aus Herzensgrund vertrauen,

 

Dir uns lassen ganz und gar

Mit allen rechten Christen

Entfliehen Teufels Listen,

Mit Gottes Kraft uns rüsten.“

 

Amen, Amen, das sei wahr,

So singen wir Halleluja.

 

 

 

 

 

                                                   I

 

Liebe Gemeinde,

 

Dies Lied steht in einem der ersten Gesangbücher der Reformation, im „Geistlichen Gesangbüchlein“ des Wittenberger Kantors und Luther-Freundes Johann Walter  -  im Jahr 1524 dort erschienen. In der Musikwissenschaft besteht Einigkeit, dass es sich hier um eine reformatorische Umgestaltung einer mittelalterlichen Litanei handelt. Sie wurde bei Wallfahrten, Prozessionen, am Allerheiligenfest und auch als Sterbelied gesungen und richtete sich an Maria und andere Heilige. Entsprechend begann es so: „Sancta Maria, wohn und bei und laß uns nicht verderben...“.

 Martin Luther hat den überkommenen Text verändert: an Stelle von Maria wird nun der dreieinige Gott selbst angerufen. Er allein kann vor Tod und Teufel bewahren. „Ich glaube allerdings, Sankt Elisabeth zu Marburg sei heilig, ebenso S. Augustinus, Hieronymus, Ambrosius, Bernhard, Franziskus, aber ich will darauf nicht sterben und mich verlassen. Mein Glaube soll gewiß sein...“, schreibt er im gleichen Jahr in einer Polemik gegen die Heiligsprechung eines früheren Meißener Bischofs durch den Papst („Wider den neuen Abgott und alten Teufel, der zu Meißen soll erhoben werden“, 1524).

Entsprechend der Ausrichtung auf Gott allein hebt Luther auch den Glauben besonders hervor: „Halt uns bei festem Glauben...“. Gleich vierfach beschreibt er ihn: auf Gott bauen, ihm vertrauen, sich auf ihn verlassen, mit Gottes Kraft sich rüsten.

Auf diesen ganz auf Gott und Glauben konzentrierten Mittelteil  -  er erinnert an das reformatorische „solus Christus, sola fide“  -  folgt dann ein kurzer bekräftigender Lobgesang. Auch hier ist Maria als Adressatin fortgelassen.

Entsprechend hat sich die Zuordnung des Liedes verändert. Nach unserem Evangelischen Gesangbuch wird es in der Trinitatiszeit gesungen. Es paßt aber auch in die gegenwärtige Passionszeit mit dem Bezug zur Versuchungsgeschichte Jesu durch den Teufel (Matth. 4), dem Evangelium des ersten Sonntags der Passionszeit.

 

Mit der Konzentration des Liedtextes auf das Gott allein und den Glauben allein wird nun eine einzigartige Beziehung zwischen dem rettenden Gott und dem im Glauben geretteten und befreiten Menschen beschrieben. Diese Beziehung ist ein lebendiges Geschehen voller Dynamik und persönlicher Bewegtheit. Das spiegelt sich auch in der Melodieführung und wird im Mitsingen erfahrbar. Wort und Ton sind hier eng miteinander verbunden. Vermutlich hat Luther auch hier selbst eingegriffen in den eher gleichmäßigen Gang der alten Litanei und die Melodie dynamisiert, ja dramatisiert.

So senkt sich beispielsweise die Melodie ab in die Tiefe bei den Worten „verderben“ und „sterben“. In der tiefen Lage verharrt sie dann beim „Teufel“. Mit einem Oktavsprung geht es dann in die Höhe beim Wort „glauben“, und der höchste Ton des ganzen Liedes liegt auf dem Wort „fest“, dem festen Glauben. Die Melodie richtet sich dann noch einmal plötzlich auf, wenn es heißt: „und auf dich“ („laß uns bauen“). Gerade beim Singen der hohen Stimmlage kann man diese Aufwärtsbewegung des Glaubens geradezu körperlich erfahren. Der Körper richtet sich auf, die Brust weitet sich  -  vielleicht eine Erfahrung von Befreiung und Lust im und am Singen?  Luther hat das so gesehen: Musik ist Ausdruck christlicher Freiheit, jedenfalls dort, wo sie Lust macht. „Wo Musik erzwungen ist, da ist sie lex, Gesetz, Unlust. Wo sie aber fröhlich, ungezwungen herausfließt, da ist Lust, da ist Gnade und Evangelium“, sagt er einmal (Tischreden 5319).

 

 

 

                                                II

 

Glauben  -  das ist ein lebendiges Geschehen zwischen Gott und uns. Verweilen wir noch ein wenig dabei, wie Luther dies Geschehen beschreibt.

 

-  „halt uns beim festen Glauben“: Fester Glaube. Gewißheit im Glauben. Glaubensstärke. Hoher Ton. Hier ist die persönliche Überzeugung, die persönliche Haltung angesprochen. Es gibt eine protestantische Urszene, die dies Element enthält: Luther vor dem Reichstag in Worms 1521. Er sagt dort: „Solange mein Gewissen in Gottes Wort gefangen ist, kann und will ich nicht widerrufen, weil es unsicher ist und die Seligkeit bedroht, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen“. Seither gehört es zu unserem protestantischen Selbstverständnis, dass wir im Glauben frei sind von allen menschlichen Autoritäten und Mächten.

„halt uns...“. der Halt bei Gott kann uns auch verloren gehen. Dann wird aus dem festen Glauben eine starre selbstbezogene Glaubensideologie. Wenn ich sage: „Ich glaube“, dann weise ich aber gleichzeitig von mir weg auf Gott, der diesen Glauben schenkt und erhält. Man kann auch sagen: Das „Ich glaube“ als mein Bekenntnisakt ist zugleich ein Geschehen, in dem ich mich ganz passiv vorfinde als jemand, der von Gott immer schon getragen und gehalten ist.

Ich denke, dass dieser fundamentale Zusammenhang von herausgehobenem, freiem Einzelsein und wiederum Aufgehobensein in einem größeren Zusammenhang auch und gerade im Singen, besser: Mitsingen des Liedes für uns unmittelbar erfahrbar wird. Da ist der hohe Ton des festen Glaubens -  und dann geht die Melodie weiter, wir werden von ihr mitgenommen, einbezogen, über uns hinausgeführt.

 

-  „und auf dich laß uns bauen“: Hier wird auf den klugen Mann aus der Bergpredigt angespielt, der sein Haus nicht auf Sand, sondern auf Felsen baut, so dass Wasser und Sturm es nicht zerstören können (Mt. 7). Wenn wir auf Christus, den Felsen bauen, können wir uns aufrecht hinstellen. In diese Aufwärtsbewegung und Aufrichtungsbewegung  führt uns auch die Melodie hinein.

 

-  „aus Herzensgrund vertrauen“ und  „dir uns lassen ganz und gar“:

Die Betonung liegt hier auf dem passiven Moment in der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Der Herzensgrund ist unser Innerstes. Glauben ist Grundvertrauen  -  und darin ein Sich-Loslassen, sich auf Gott Ver-Lassen, gegen alles reservierte Grundmißtrauen. Das fällt uns Heutigen nicht ganz leicht, die wir auf Autonomie, Selbsttätigkeit und Leistung ausgerichtet sind.

 

„mit allen rechten Christen“: Glauben ist nicht nur ein individuelles Geschehen. Glauben geschieht auch in der „Gemeinschaft der Gläubigen“. Wir alle sind im Alltagsleben ebneso wie im Glaubensleben auf andere angewiesen: auf ihr Mitgehen und Mitsingen, auf ihr Mitgefühl, ihre Anregung und Kritik. Luther war dieser Aspekt des Glaubens so wichtig, dass er ihn eigens noch in den Liedtext eingefügt hat.

 

-  Und schließlich: „mit Gottes Kraft uns rüsten“: Diese letzte Variation des Glaubens führt noch einmal zur Grundbewegung hin: als Einzelne und Einzelner gerüstet sein, fest sein, aufrecht stehen können, weil Gottes Kraft - nicht unsere - in und mit uns ist.

 

 

 

 

                                                   III

 

Liebe Gemeinde,

Das alles gilt vom Glauben und seiner Bewegung in der Beziehung zu Gott. Darin ist unser Leben grundiert und fundiert.

Aber was hat das mit dem Teufel zu tun?

„vor dem Teufel uns bewahr...“, so singen wir.

Identitätsbildung aus dem Glauben ist immer auch eine Abgrenzungsbewegung. Luthers Kampf richtete sich damals gegen die Papstkirche, die ihn verketzerte und sein Leben bedrohte. Der Papst war für ihn der personifizierte Teufel.

Vor welchen Teufeln müssen wir Heutigen uns fürchten?

Da sind schnell einige zu nennen. Etwa die Ausübung von unbegrenzter Macht und Gewalt im Namen Gottes. Oder auch neuartige Vergöttlichungen der eigenen Gruppe, der eigenen Nation.

Aber der Teufel ist nicht nur da draußen bei den Anderen. Er kann sich auch in uns selbst ausbreiten.

 Könnte es sein, dass wir postmodernen Menschen gegenwärtig von einem übergroßen Sicherheitsstreben erfasst sind?   Zeitungsberichte, aber auch Alltagsgespräche kreisen oft um Sicherheitsfragen: Sicherheit von Renten, Sicherheit vonArbeitsplätzen, Sichwerheit von Geldeinlagen, Sicherheit von lebenswerter Zukunft angesichts der Auflösung bisher tragender sozialer und ökonomischer Strukturen. Wir Deutschen sind dabei offenbar besonders sicherheitsorientiert.  Andere beobachten bei uns eine spezifische „gerrman Angst“, die ihre Wurzeln in der deutschen Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts habe.

Übergroßes Sicherheitsstreben führt aber zu Fixierungen -  im Leben genau so wie im Glauben. Man wird dann übermäßig selbstbezogen,kreist um sich selbst, wird knauserig gegenüber anderen, und das Mitgefühl versiegt allmählich.

Was kann der Glaube dagegensetzen?

Unser Lied gibt uns da zwei einfache Ratschläge:  Zunächst  rät es zur reformatorischen Umgestaltung  -  die geschah nicht nur damals, sondern kann auch in unserem heutigen Leben geschehen. Also fort von den vielerlei Scheinsicherheiten mit Heiligenschein hin zu Gott, der  allein unserem Leben Halt, Sicherheit, Kraft und festen Grund geben kann.

Und dann: Sich auf die Bewegung des Glaubens einlassen. Am besten im Singen unseres Liedes. Dann können wir tatsächlich die Erfahrung machen, dass sich dabei etwas weitet in uns, dass wir uns aufrichten können und zugleich mitgenommen werden in eine Bewegung über uns hinaus, in ein Leben mit Gott.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

 

 

 

 



Pastor i. R., Pastoralpsychologe Wolfgang Winter
Göttingen
E-Mail: wolfgang-winter@gmx.de

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