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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Passionszeit / Lent 2015, 2015

Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen (EG 518), verfasst von Detlef Reichert

„Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen…“  - vorreformatorische  Antiphon,

Strophen 2 und 3 Martin Luther

 

(( Ich würde die Strophen 1 bis 3 als Lied vor der Predigt singen lassen, sie dann aber nicht noch einmal einzeln über die Predigt verteilt sondern erst nach der Predigt noch einmal im Zusammenhang.

Die sicherlich zum Singen hilfreiche Form des Gesangbuchdrucks aller drei Strophen untereinander unter den Noten des Melodieverlaufs lässt den Einzelaufbau der Strophen nur schwer erkennen. Für Gemeinden, die es auch sonst gewohnt sind, Textzettel neben dem Gesangbuch beim Gottesdienst vorzufinden, könnte ein Extrablatt hilfreich sein, etwa in der folgenden Form:

 

 

            Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen,

                wen suchn wir, der Hilfe tu, dass wir Gnad erlangen?         (Ö) wer ist, der uns Hilfe bringt, dass wir Gnad erlangen

                                                               Das bist du Herr alleine

                Uns reuet unsere Missetat,

                die dich, Herr, erzürnet hat.

                Heiliger Herre Gott,

                heiliger starker Gott,

                heiliger barmherziger Heiland, du ewiger Gott:

                Lass uns nicht versinken in des bittern Todes Not.

                Kyrieleison.

 

 

                Mitten in dem Tod anficht uns der Hölle Rachen.

                Wer will uns aus solchen Not frei und ledig machen?

                                                               Das tust du Herr allein.

                Es jammert dein Barmherzigkeit

                unsre Sünd und großes Leid.                                                    (Ö) unsre Klag und großes Leid                 

                Heiliger Herre Gott,

                heiliger starker Gott,

                heiliger barmherziger Heiland, du ewiger Gott

                Lass uns nicht verzagen vor der tiefen Hölle Glut

                Kyrieleison.

 

 

                Mitten in der Hölle Angst unsre Sünd uns treiben.

                Wo solln wir denn fliehen hin, da wir mögen bleiben?

                                                               Zu dir, Herr Christ, alleine.

                Vergossen ist dein teures Blut,

                das gnug für die Sünde tut.

                Heiliger Herre Gott,

                heiliger starker Gott,

            heiliger barmherziger Heiland, de ewiger Gott.

            Lass uns nicht entfallen von des rechten Glaubens Trost

            Kyrieleison.

 

 

Offen, scheint mir, muss auch bleiben, ob die Strophe 2 in der ökumenischen Fassung eine Verstehenserleichterung oder eine gewollte theologische Veränderung darstellt. [Vergleiche EKG 308 und EG 518 ]. Ist es wirklich neben unserem großen Leid unsere Klage, die Christus berührt und ihn in seiner Barmherzigkeit tätig werden lässt ,(-dann wären Klage und Leid nur eine notenbedingte Verdoppelung-) oder berührt nicht doch gerade unsere Sünde (- weil wir unfähig sind, sie selbst aufzuheben - ) Christus schmerzlich und lässt ihn in seiner Barmherzigkeit tätig werden für uns?

Auch zu fragen wäre, wenn auch weniger gravierend, ob die Änderung in Strophe 1 (`wer ist´ für `wen suchen wir´) durch die Angleichung an die Formulierung in Strophe 2 (wer ist) nicht in das Element der Steigerung von 1 zu 3 abschwächt. ))

 

 

Liebe Gemeinde,

Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist, und der da war und der da kommt -  Dreierformulierungen, wie die hier beim Kanzelgruß, haben mit ihrem Rhythmus, mit der Wiederholung von Ähnlichem schon etwas Anziehendes, manchmal auch Eindrückliches.

Sie sind leicht merkbar, sind wiederholbar, unterstreichen Gesagtes,

- Ritter, Tod und Teufel,

- der Weg, die Wahrheit und das Leben,

- ich kam, ich sah, ich siegte,

oder was Ihnen gerade an „Dreiern“ einfällt. 

Manchmal allerdings gilt dann auch : „gewogen und zu leicht befunden“,  wenn denn inhaltlich gar kein Mehr, gar kein Überschuss vorhanden ist oder erkennbar scheint.

Dreierformulierungen sind auf alle Fälle konstruiert, -

durchkonstruiert wie zum Beispiel das Predigtlied, das wir eben gesungen haben,

das heute nicht nur im gottesdienstlichen Ablauf das Lied vor der Predigt ist,

sondern tatsächlich das Predigtlied,

das, „über das jetzt die Predigt gehen soll“, der Predigttext.

Drei Strophen,  -  durchkonstruiert, -  aufgebaut eine wie die andere :

Drei Grundelemente, Grundteile,

eine Frage am Anfang,

eine Aussage dann,

eine Bitte am Schluss.

und jeder Vers dann an eben derselben Stelle erweitert mit dem „Trishagion,

dem in sich dreimaligen „heiliger Gott“,

und schließlich erweiternd abgeschlossen mit den Kyrieruf, „Herr, erbarme Dich“, an jedem Strophenende.

 

Ist nicht das Halleluja-singende Volk am Straßenrand,

auch wenn dieselbe Menschenmenge dann keine Woche braucht bis zu ihrem „kreuzige ihn“,

ist dieses jubelnde, Jesus beim Einzug in Jerusalem hochleben lassende Volk nicht schöner in der Vorstellung, irgendwo auch anrührender und bewegender,

als so ein angstvoller Bittruf in und um den Tod herum, -

und das dann noch dreimal ?

 

Natürlich ist meine Antwort „Nein“, wenn ich schon so eine rhetorische Frage formuliere,

nein, ich meine nicht, dass das eine schönere Palmsonntagsvorstellung ist.

Aber wie kommt das zusammen,  -  Palmsonntag und der angstvolle Bittruf  -  ,

wie kommt beides zusammen,  

ohne dass das Eine oder eben das Andere um sein Recht gebracht wird

oder es dem jeweils Anderen dessen Recht nimmt oder beschneidet?

Lassen Sie uns sehen.

 

Ein wenig aus der Geschichte zum Anfang. Sie sehen es im Gesangbuch unten rechts angemerkt: Den Vers 1 findet Luther vor, er kennt ihn. Es ist eine Antiphon, ein gottesdienstlicher Wechselgesang, damals schon rund 500 Jahre alt. Es ist für Luther nach den ersten überstandenen Gefährdungsjahren der Reformation die Zeit beginnender, notwendiger  Konsolidierung. Was sich als Glaube aus dem Evangelium heraus über die Dörfer und Städte verbreitet, braucht eine Form, eine innerer gemeinschaftliche Ordnung, braucht für den Gottesdienst neben der deutschen Predigt eine verständliche, nachvollziehbare Liturgie,  braucht  Lieder in der Muttersprache.

1523 und 1524 sind es - nie wieder hat Luther es dann in dieser Fülle noch einmal zustandegebracht -  sind es 24 deutsche  oder verdeutschte Lieder, die er für den Gottesdienst dichtet, nachdichtet, formt und weiterführt.

„Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ ist also eines davon.

Verschiedene schon verdeutschte Formen des lateinischen `media in vita in morte sumus´ waren im Umlauf, - ursprünglich ein Vers für Nachmittagsgottesdienste in der Passionszeit, den man gern für Prozessionen benutzt hat, bei Begräbnissen, bei Sondergottesdiensten in Notzeiten oder bei Unglücksfällen, sogar als Zauber- und Fluchgesang zum Schutz des eigenen Lebens in Gegenüber des Feindes auf dem Schlachtfeld. (( Sempach 9.7.1386))

 

Ihn greift Luther auf, deutscht ihn um und erweitert ihn in den Strophen zwei und drei.

Dabei wird der gleiche Ausgangspunkt von Strophe zu Strophe gesteigert:

Ist es erst die fast allgemein herausgestellte und beschriebene  Angst, die, da der Tod jeden betrifft,

jedes Leben betrifft,

folgt in der zweiten Strophe die genauere Hinwendung der Situation des Menschen zu Christus hin,

aber noch in konsequenzoffener Beschreibung,

um dann mit der dritten Strophe das lösende und erlösende Gegengewicht des Kreuzestodes Jesu, seines für meine Sünde vergossenen Blutes, zu benennen.

 

Neben der Steigerung in den jeweils ersten und zweiten Teilen der Strophen, in den Aussagen und

in den Fragen,

            - im Leben umgibt uns der Tod!    Wen suchen wir zur Hilfe?

            - im Tod ist es die Hölle, die ängstet!    Wer befreit uns?

            - in der Höllenangst kommen wir von unserer Sünden nicht los!  Wohin können wir fliehen?

neben diesen Steigerungen finden sich die gleichen Steigerungen dann auch in den jeweils freien umschreibenden Bitten vor dem festen Abschlussbittruf des Kyrieleison:

            - das allgemeine sich an den Tod Verlieren - lass uns nicht versinken in des bittren Todes                                                                                                                                             Not,

            - die Bitte um Hoffnung trotz aller Hoffnungslosigkeit - lass uns nicht verzagen vor der                                                                                                            tiefen Höllen Glut meiner Ängste,

            - die positiv formulierte Hoffnung auf Trost im Glauben – lass uns nicht entfallen von des                                                                                                            rechten Glaubens Trost.

 

Das, was Luther seine Gemeinde mit diesen drei Strophen singen lässt –

und was jede Gemeinde, die diese Strophen singt, singt - ,

das ist bei allem Nebeneinander der großen Stichworte von Leben und Tod keine philosophierende Meditation, ist kein abwägendes „Wie denn und was denn vielleicht“ und ist auch kein losgelöstes Fragen eines Glasperlenspiels, das interessant sein kann, das ich aber auch lassen könnte.

Wenn wir dieses Lied singen, werden wir hineingenommen in die Frage und auf den Weg nach Tröstendem und Tragendem,

darum geht es in der Steigerung der drei Strophen.

 

Der Anfang der ersten Strophe hat eine für unsere Generation hier in Mitteleuropa wieder neue, lange nicht gedachte Aktualität erhalten, - und das gilt für die ganze Welt -,

dann, wenn das Jahr 2014 mit 57 Millionen Flüchtlingen gekennzeichnet ist, und begleitet von den jeweiligen Todeszahlen durch Krieg, Verfolgung, Vertreibung, Mord, Terror, -   eine Kennzeichnung, die wohl auch 2015 nicht wesentlich anders sein wird.

Das „mitten wir im Leben sind“ ist zu einer fast normalen und ungewöhnlich gewöhnlichen Aktualität geworden.

Wenn die Erfahrung des Erdbebens von Lissabon  1755  mit den damals unvorstellbaren Tausenden von Toten im Begreifen der Abhängigkeit einer nicht vorherzubegreifenden Naturkatastrophe  dem damals im Blüte stehenden Gedanken der Aufklärung, der Weiterentwicklung des Menschheit einen riesigen Riss gab  und deren Anfangsleuchten verschattete,

dann verdunkelt nicht weniger die neue Mord-Tod-Normalität den Fortschrittsgedanken menschlicher Entwicklung, der vielen in Vielem so handhabbar und einleuchtend schien.

 

Andererseits:  „mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ - dieses Lied denkt, glaubt und singt anders.

Leben und Tod stehen hier nicht einander gegenüber wie zwei selbstständige, eigenständige, isolierte Größen.,

Denn  wie das Leben nicht vergöttlicht werden kann

            -nicht als Alleiniges gesehen für sich und aus sich selbst heraus-

                        weil es sich nicht selbst geschaffen hat und weil es nicht Teil ist eines hinter allem

                        stehenden Kreislaufes von Werden,  Sein und Vergehen,

so kann auch der Tod nicht vergöttlicht werden

            -nicht als Alleiniger gesehen, verselbstständigt oder dämonisiert,

                        weil er nicht einfach der letzte mess- und feststellbare Durchlaufpunkt der Lebens-

                        zeituhr ist.

Der Tod umgibt das Leben, macht deutlich, dass das Leben nicht ohne Grenze ist,

er macht damit deutlich, dass im Leben Grenzen zum Leben dazugehören,  - 

das ist nicht zu leugnen, damit ist umzugehen.,

 

Und : Damit ist nur persönlich umzugehen -

und damit bin ich wieder bei der Steigerung, in die Luther von Strophe zu Strophe uns Singende mit

hinein nimmt :

-Die Grenze des Lebens, die der Tod jedem Leben aufzeigt, - mit ihr weist er auch auf die Grenze

 der eigenen Lebensvollzüge hin, auch auf all die nicht gelungenen neben den gelungenen,

-deswegen das Rufen und Suchen nach Hilfe,

 nach dem, der die Unvollkommenheiten und Unfertigkeiten mit denen ich lebe, heilt,

-und schließlich neben dem Rufen und Suchen das gewisse und gewissmachende Hinweisen auf  

 Christus,

 

Sein Kreuzestod reicht,

er reicht aus auch für meine Sünden, für all das, was nicht in Ordnung war und ist in meinem Leben, und das ich auch nicht selbst in Ordnung machen und bringen kann.

Deswegen schließlich auch hat die Passionszeit nichts mit meinem Tun und Handeln zu tun sondern allein mit seinem, Christi, Tun und Handeln, -

allein mit seinem Leiden und Sterben und Auferstehen für mich, -

mit all dem, das die Grenzen im meinem Leben nicht aufhebt und auch die Grenze meines Lebens nicht,

das aber nicht versinken lässt in Todesangst,

das frei macht in der Not,

das Raum gibt, wo ich bleiben mag.

 

Mit zu der Wahrheit dieses Trost- und Zuversichtsliedes gehört es auch, dass da nicht etwas mit  fliegenden Fahnen vorangetragen wird,

sondern dass es eingebunden bleibt in die Bitte,

in die Bitte um festen Boden in der Not,

in die Bitte vor der eigenen Angst nicht unterzugehen,

in die Bitte den Trost aus dem Glauben an Christus zu spüren, und getragen zu werden.

 

Kyrieleison und kein Halleluja am Palmsonntag?

Wie beides zu seinem Recht kommt, hatte ich am Anfang gefragt.

Sollte nicht der, der Vers 3 singen kann,

der ihn mitsingen kann mit der ganzen Zusage, die ihn ihm steckt,

sollte der nicht durchaus auch seiner getrosten Freude Ausdruck geben können?

So, wie wir es im Gottesdienst -wie im Leben auch- doch auch tun,  beides,

Kyrie und Halleluja singen.

Könnte das nicht Folge des erbetenen Trostes sein, Bitte und dankbare Freude miteinander zu verbinden?

Dann würde vom Palmsonntag her der Weg in die Karwoche nicht auf das „kreuziget ihn“ des Karfreitags zulaufen, sondern in das österliche „er ist auferstanden“ führen.

 

Und jetzt lassen Sie uns alle drei Verse noch einmal singen,

„mitten wir im Leben sind“

Amen

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Dr. Detlef Reichert
Gütersloh
E-Mail: D.Reichert@it-at-work.de

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